Debatte um Sonntagsgottesdienst
"Ich wurde persönlich angegangen"
Pfarrerin Hanna Jacobs forderte in einem Artikel, den Gottesdienst am Sonntagvormittag abzuschaffen. Dafür wurde sie heftig angegriffen. Hier erzählt sie, was sie überrascht hat und wie sie damit umgeht
Pfarrerin Hanna Jacobs, ehemalige Kolumnistin der ZEIT und Christ & Welt
Pfarrerin Hanna Jacobs, ehemalige Kolumnistin der ZEIT und Christ & Welt
Rafael Heygster / Agentur Focus
Tim Wegner
30.05.2024
6Min

Sie haben in der Zeitung "Christ und Welt" einen Artikel über den Sonntagsgottesdienst geschrieben. Die Überschrift war: "Schafft den Gottesdienst am Sonntag ab!" Um was ging es da?

Hanna Jacobs: Wir haben immer weniger personelle Ressourcen in der Kirche. Wir nutzen aber relativ viel unserer Zeit für ein Format, das wenige interessiert: den Sonntagsgottesdienst. Nur zwei oder drei Prozent der Kirchenmitglieder gehen regelmäßig dorthin. Ich finde, wir sollten unsere Zeit für etwas einsetzen, das mehr Menschen erreicht.

Es ging also gar nicht wirklich um die Abschaffung des Sonntagsgottesdienstes?

Nein, im Gegenteil. Ich habe nur vorgeschlagen, den agendarischen Gottesdienst sonntags um 10 Uhr auf den Prüfstand zu stellen. Wenn so ein Gottesdienst in festgelegter Form bei der Gemeinde gut ankommt und ihn viele Menschen gerne feiern, soll man gern damit weiter machen. Oft ist das aber nicht der Fall. Theologisch hat der traditionelle Gottesdienst am Sonntag eine enorme Bedeutung, tatsächlich sind es aber oft andere Gottesdienstformen, die voll sind: das Tauffest im Schwimmbad, der Einschulungsgottesdienst oder die Andacht mit Bach-Kantaten. Solche Formen habe ich positiv erwähnt. Es ging mir wirklich hauptsächlich um die Frage, wie man die vorhandenen, geringer werdenden zeitlichen Ressourcen der Pfarrpersonen sinnvoll einsetzt.

Lesen Sie Justus Geilhufes Replik auf Hanna Jacobs Forderungen

Sie sind nicht die erste, die das so sieht. Wie waren die Reaktionen?

Sie waren teilweise sehr heftig. Das hat mich überrascht, meine Argumente waren ja nicht neu. Viele haben meine Ideen völlig ausgeblendet und den Text als Angriff gedeutet. Allerdings waren die Reaktionen je nach Generation ziemlich unterschiedlich. Die 20-, 30- und 40-Jährigen stimmten eher zu. Ältere reagierten ablehnend, teilweise persönlich verletzt.

Was meinen Sie mit "heftig"?

Das, was ich gesagt habe, wurde schnell diskreditiert. Ich wurde direkt persönlich angegangen. Ich sei faul, wolle keine Gottesdienstvorbereitung machen. Oder: Ich sei unfähig, es liege an mir und meiner Arbeit, dass keiner bei mir in den Gottesdienst komme. Ich hätte meinen Beruf verfehlt und sei dumm. Anders könne man sich meinen Text nicht erklären. Manche Kommentare etwa bei Facebook wurden später auch wieder gelöscht. Ich weiß natürlich nicht warum, aber offenbar wollten manche Verfasser ihre Reaktionen nicht so öffentlich stehen lassen.

Haben sich diese Diskussionen hauptsächlich auf Social Media abgespielt?

Hauptsächlich ja. Aber ich habe auch viele E-Mails bekommen. Wenn man sich öffentlich zur Kirche äußert, gibt es immer Menschen, die schreiben, man sei vom Teufel besessen. Die zähle ich nicht mit. Aber auch ohne diese E-Mail gab es sehr unwirsche. Viele haben mir mit Klarnamen geschrieben, ich solle mich lieber nicht öffentlich äußern, weil sie meine Ansichten falsch und unreflektiert seien.

Was waren das für Personen, die Sie so heftig kritisiert haben?

Das waren vor allem Pfarrpersonen. Teilweise welche, die an Stellen arbeiten, wo es um Ausbildung und Weiterbildung geht. Oder die am Thema Gottesdienstkultur arbeiten. Überhaupt: Menschen, die beruflich mit Gottesdienst zu tun haben und schon länger im Beruf stehen als ich. Mein Text wurde hier als Angriff auf die eigene Arbeit gelesen. Klar, ich habe gefragt: Ist es wirklich nötig, den ganzen Samstag am Schreibtisch zu sitzen und noch die Predigt zu schreiben, wenn dann nur 12 Personen zuhören? Wenn man das selbst so macht oder andere Menschen dazu ausbildet, das so zu machen, und deswegen keine Zeit für die eigene Familie und Freunde hat, ist das vielleicht nicht nur eine professionelle, sondern auch eine persönliche Anfrage.

chrismon Spendenabo doppeltgut
doppeltgut
Digitales Spendenabo abschließen und weiterlesen

4 Wochen gratis testen, danach mit 10 € guten Journalismus und gute Projekte unterstützen.
Vierwöchentlich kündbar.