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An besonders hektischen Tagen mit Kind frage ich mich in letzter Zeit häufiger: Wie schafft irgendwer eigentlich irgendetwas in diesen mickrigen 24 Stunden? Und was habe ich früher mit meiner ganzen freien Zeit angestellt? Wo ist sie hin?
Wenn man Kinder kriegt, erhält die Ressource "Zeit" einen neuen Wert, weil man sie sich noch weniger selbst einteilen kann. Die Journalistin und Autorin Teresa Bücker hat darüber ein sehr lesenswertes Buch geschrieben ("Alle Zeit", Ullstein-Verlag, 400 Seiten, 22,99 Euro). Jenseits der gesellschaftspolitischen Zeitfragen, die Bücker behandelt, ist mir aufgefallen, wie sehr sich meine eigene Zeitwahrnehmung verändert hat, seit ich Vater bin. Manchmal schrumpft sie und dann wieder dehnt sie sich aus – nur nie so, wie ich es brauche.
Nach gefühlten sechs Stunden ist erst eine vergangen.
Ich will aus dem Haus und fange schon eine Stunde vorher an zu packen: Wechselklamotten, Windeln, Spielsachen, Milch, Snack. Sind die Regenklamotten auch dabei? Dann: Kind anziehen. Und wieder ausziehen, weil es doch nochmal die Windel vollgemacht hat. Sich selbst darf man auch nicht vergessen. Jacke an, Kind schnappen, zur Tür eilen, Kind in den Kinderwagen packen. Mist! Mütze vergessen. Plötzlich wird es doch knapp, obwohl ich eigentlich rechtzeitig angefangen habe. Am Ende renne ich fast jedes Mal zum Bus. Mein Sohn lacht dabei freudig, weil der Kinderwagen holpert und ihn mein stressverzerrtes Gesicht amüsiert.
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Dann gibt es die scheinbar endlosen regnerischen Nachmittage mit dem Kleinkind in der Wohnung. Er krabbelt durch die Zimmer und ich laufe hinterher, um ihn (und die Einrichtung) vor ernsthaften Schäden zu bewahren. Jeder längere Blick zur Ablenkung aufs Handy birgt die Gefahr eines verschluckten Kleinteils, einer abgerissenen Zimmerpflanze oder eines abgeräumten Regalbretts. Also konzentriert bleiben! Nach gefühlten sechs Stunden ist tatsächlich erst eine Stunde vergangen.
Habe ich dann ausnahmsweise mal echte Freizeit, spüre ich Druck, sie möglichst effizient zu nutzen. Wenn das Kind mit Mama bei Oma ist, plane ich minutiös, wie viele Serienfolgen ich gucken, Seiten ich lesen oder Podcasts ich hören kann. Was läuft im Kino? Gibt es ein gutes Konzert? Eine spannende Podiumsdiskussion? Ich motiviere dann Freunde, dass wir uns unbedingt treffen müssen, obwohl ich manchmal eigentlich viel zu erschöpft bin, um noch etwas zu unternehmen. Aber wenn ich die Zeit jetzt nicht nutze, wann habe ich so bald wieder die Gelegenheit, rast es mir dann durch den Kopf. Dabei wären es vielleicht gerade Ruhe und Entspannung – eben freie Zeit – die ich in diesen Momenten wertschätzen sollte, anstatt mir auch noch mehr Termine aufzubürden.
Es kann nämlich auch angenehm sein, wenn man gezwungen ist, der Zeit beim Verrinnen zuzusehen. Wenn ich meinen Sohn abends ins Bett bringe, schläft er nicht immer sofort ein. Manchmal hüpft, klettert und wälzt er sich noch eine halbe Stunde bis Stunde im Gitterbettchen herum. Ich setze mich dann ruhig neben das Bett und warte mit ihm, bis er eingeschlafen ist. Weil ich dazu das Zimmer verdunkle und Störquellen vermeiden will, die das Kind ablenken könnten, kann ich in dieser Zeit weder lesen noch aufs Handy starren oder Podcasts hören. Ich sitze nur mit mir und meinen Gedanken im Dunkeln.
Anfangs fand ich das zäh und wurde nervös angesichts der offenen To Dos im Haushalt, die noch vor mir lagen. Mittlerweile nutze ich die Gelegenheit, um den Tag Revue passieren zu lassen oder für den nächsten zu planen. Manchmal ist das ein willkommener Zeitraum, um innerlich zur Ruhe zu kommen. Es sei denn, das Kind flippt aus, weil es partout nicht schlafen will – ein zeitloser Klassiker.
Eine erste Version dieses Beitrags erschien am 30.05.2024.