Beim Anblick von Feigen denkt Florian Werner immer an die Apokalypse
Beim Anblick von Feigen denkt Florian Werner immer an die Apokalypse
Ahaok
Über die Offenbarung des Johannes
Apokalypse, bist du das?
Beim Anblick frühreifer Feigen denkt Autor Florian Werner nicht etwa an kulinarische Exzesse, ­sondern an den Untergang der Welt
21.08.2023
Und die Sterne des Himmels fielen auf die Erde, wie ein Feigenbaum seine Feigen abwirft, wenn er von starkem Wind bewegt wird. (Apk 6,13)

Neulich an der albanischen Küste, wo die Ceraunischen Berge ins Meer ­stürzen wie vom Blitz getroffen, in einer Bucht, die so verwunschen ist, dass ich ihren Namen hier keinesfalls offenbaren werde. Wir haben gerade unsere Zelte abgebrochen, die Stiefel geschnürt, der Kies knirscht unter den Sohlen, da sehe ich merkwürdige Formen zwischen den wasser­geschliffenen Steinen. Das können keine Kiesel sein, denke ich, violettgrün, weich, organisch – nein, es sind frische Feigen. Sie müssen gerade vom Baum gefallen sein.

Florian Werner

Florian Werner, Jahrgang 1971, schreibt Sachbücher und Prosa, er lehrt an Hochschulen und arbeitet für den Hörfunk. Mit seiner Frau Svenja Flaßpöhler und zwei gemeinsamen Kindern lebt er in Berlin.

Man könnte bei diesem Anblick an Walter Benjamin denken, an seine Meditation über den kulinarischen Exzess, die Erotik der Einverleibung, das Essen, ach was, "das war kein Essen mehr, eher ein Bad", ein Bad in frischen Feigen – stattdessen denke ich an die Offenbarung des Johannes. An seine Visionen vom Weltende, die er gar nicht fern von hier empfangen haben will, Griechenland ist in Sichtweite, Ruder hart backbord und Südsüdost, durchs Ionische Meer, um die Peloponnes herum und nach Patmos.

Von allen mysteriösen Metaphern, die Johannes in diesem letzten Buch der Bibel auffährt, ist mir das Bild von den Feigen am Liebsten, von den Sonnen, die vom Himmel stürzen wie überreife Früchte. Als gäbe es nichts Natürlicheres auf der Welt, als wäre das eben der Lauf der Dinge: Gestirne und Planeten keimen, wachsen, werden alt – aber eines Tages ist der Moment der Reife gekommen, sie fallen vom Himmel und verfaulen, unbedeutend, unbemerkt. Es sei denn, irgendein Wanderer an einem kosmischen Gestade käme zufällig vorbei und entdeckte sie.

Aber warum in Drei-Antichrists-Namen denke ich an einem herrlichen Frühsommertag, nach einem morgendlichen Bad im Meer, den Bauch voller Bergsalbeitee, den Gipfel des Maja e Çikës vor Augen, an die Apokalypse? Es liegt natürlich am Klimawandel. Es liegt am Zeitalter des Pyrozäns, unserer Epoche des Feuers, die alle apokalyptischen Visionen von Weltbrand und Schwefel wie sachliche Wettervorhersagen erscheinen lässt. Es liegt am vergangenen Dürrewinter, es liegt am Meer, das schon viel zu warm ist, es liegt am Sommer der Hitze und des Missvergnügens, der uns meteorologischen Projektionen zufolge bevorsteht. Es liegt an den Temperaturen, die die Früchte des Ficus carica viel zu früh reifen und abstürzen lassen.

Auf das Bild von den Feigen folgt in der Offenbarung eine weitere Metapher, fast noch bestürzender, für mich als Schriftsteller unmittelbar einleuchtend: "Und der Himmel wich wie eine Schriftrolle, die zusammengerollt wird." Der Vergleich wirkt auf mich ungeheuer zeitgemäß, ja geradezu postmodern: Was wir für die Wirklichkeit halten, so scheint der Satz zu besagen, ist lediglich eine Illusion, eine Interpretation, ein Text, eben ein Papyrus – die ‚wahre Welt‘ liegt dahinter verborgen. Aber, Obacht, sie kann jeden Augenblick enthüllt werden, kann sich offenbaren, unvermittelt und nackt: Dies ist der eigentliche Wortsinn des Verbs apokalyptein.

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Es geht womöglich also gar nicht um die schrecklichen Ereignisse, die uns bevorstehen mögen – es geht um die schreckliche Einsicht, dass wir uns die ganze Zeit in einem Verblendungszusammenhang befinden. Dass wir uns etwas vormachen, Hoffnungen hegen, Pläne zur Rettung der Welt schmieden – obwohl wir doch wissen könnten, dass hinter dem, was wir ‚Welt‘ nennen, eine unbekannte, undurchschaubare und unheimliche Wahrheit lauert.

Ein paar Abende später, die finsteren Gedanken sind vorübergehend vom Einbruch der Dämmerung verschluckt. Ich sitze wieder am Meer, in einer namenlos schönen Bucht. Das Firmament reicht bis zu den Klippen, die Sterne flimmern, sie scheinen über den Horizont zu flattern, pulsieren, verlöschen – eine Vision, so psyche­delisch wie aus der Johannes-Offenbarung. Aber das Ende ist nicht da, noch nicht. Es sind nur Glühwürmchen auf der Suche nach Artgenossinnen, nach Nahrung. Vielleicht nach frischen Feigen.

Bibelzitat

Und die Sterne des Himmels fielen auf die Erde, wie ein Feigenbaum seine Feigen abwirft, wenn er von starkem Wind bewegt wird. (Apk 6,13)

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Die Apokalypse müsste nicht stattfinden, wenn Mensch sein instinktiv wettbewerbsbedingt-konfuses Treiben aufgibt und das ganzheitlich-ebenbildliche Wesen wird wie es sein sollte: Gemeinschaft mit Gemeinschaftseigentum "wie im Himmel all so auf Erden", der geistige Stillstand, die "göttliche Sicherung", seit Mensch erstem und bisher einzigen geistigen Evolutionssprung ("Vertreibung aus dem Paradies") wird zum Freien Willen in der vollen Kraft des Geistes der Gott/Vernunft und Verantwortungsbewusstsein ist, dann wird der "Jüngste Tag" nicht zum "Jüngsten Gericht", sondern zum Freuden- und Feiertag.

Es sei erinnert an Matthäus 21,18-22 (Der verdorrte Feigenbaum), wo Jesus seinen Frust über das Menschsein auch seinen Jüngern zuteil werden läßt.

Das ist ja eine weltbewegende Forderung. Da mitlerweile wohl bekannt sein dürfte, dass alle Bemühungen zur Umerziehung aller Menschen vergeblich waren und auch künftig sind, bleibt nur eins übrig. Gottes Schöpfung für ungültig erklären. Alle ausrotten, vorher eine ideale Gensequenz suchen und finden und dann mit Super-Adam und Super-Eva neu beginnen. Das wäre dann ein echter unnachahmlicher Evolutionssprung. Dann wäre es vielleicht auch möglich, dass sich beide in geistiger Umnachtung holographisch am Himmel als Sternbild und Keimzelle zeigen. Noch mehr solcher Forderungen bzw. Weiterungen von Horst O. sind ohne Probleme denkbar.