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Sonjas Geschichtslehrerin würde den Holocaust am liebsten nicht mehr behandeln, weil er ja schon so lange her ist, "aber die einflussreichen Juden", so sagt sie, "lassen uns das nicht vergessen". Der Neue in Emilias Clique reißt Hitlerwitze und ihre Freundinnen grinsen, obwohl sie wissen, dass Emilia Jüdin ist. Salcos Schwiegermutter erklärt am festlichen Esstisch, den Juden ginge es immer nur ums Geld. Und Rebecca, Vorsitzende einer jüdischen Gemeinde, muss sich als Vortragsrednerin anhören, sie solle doch einfach "das Jüdische weglassen", dann hätte sie auch keine Probleme.
Jeder und jede vierte Deutsche denkt antisemitisch, das hat 2019 eine repräsentative Studie des World Jewish Congress ergeben. Die 17 Frauen und Männer vom Team 26, eine Journalismusklasse an der FreeTech Academy des Springer Verlages, hat das so aufgerüttelt, dass sie weiter recherchierten und ihr Abschlussprojekt dazu ins Netz stellten: "Jede/r Vierte – Wir gegen das Wegschauen". Wichtig war dabei vor allem, so erzählt Chefin vom Dienst Laura Block, die Betroffenen nicht als Opfer darzustellen. "Aber auch die Ästhetik hat eine große Rolle gespielt. Die Leute sollen sich das ja auch anschauen."
Für den Grimme Online Award nominiert
Deshalb sind die Szenen nachgespielt – eindrucksvoll und dennoch reduziert, wie Sprechproben auf der Bühne. Mitgewirkt haben unter anderem der Schauspieler Florian Lukas, bekannt aus "Good Bye, Lenin!" oder "Weissensee", und TV-Serienstar Susan Sideropoulos aus "Gute Zeiten, schlechte Zeiten". Außerdem kommen die Betroffenen in Interviews selbst zu Wort. Der Politologe Samuel Salzborn ordnet die Geschehnisse ein. Das Erlebnis ist interaktiv: Die Szenen lassen sich nach Interesse auswählen, die Antworten in den Interviews einzeln anklicken.
Eigentlich war das Webprojekt abgeschlossen. Doch als in Israel und Gaza Mitte Mai 2021 wieder Raketen flogen und Demonstranten in Deutschland vor Synagogen jüdische Flaggen verbrannten, entschloss sich das Team spontan, auf Twitter und Instagram neue Reaktionen zu posten. Dazu passt die Episode von Philipp, der von arabischstämmigen Migranten als "Scheiß-Jude" tituliert wird, der ihnen nicht nur Palästina sondern auch noch den Badmintoncourt wegnehmen wolle. Dabei hat er sie lediglich daran erinnert, dass sie ihre Spielzeit überzogen hatten. Philipp Peyman Engel, wie der Protagonist mit vollem Namen heißt, ist Redakteur bei der Jüdischen Allgemeinen. Er hat bei "Jede/r Vierte" mitgemacht, damit die "Geschichten hinter der Statistik" erzählt und "Ross und Reiter" genannt werden, auch beim muslimischen Antisemitismus. "Nur so können wir Lösungen erarbeiten." Ein erster Schritt dazu ist ein Schulkonzept, um junge Menschen im Unterricht für das Thema zu sensibilisieren.
Das Projekt "Jede/r Vierte" ist für den Grimme Online Award nominiert. Noch bis 10. Juni lässt sich dafür abstimmen. Auch das MedienMagazin des Bayerischen Rundfunks hat es vorgestellt.