Begegnung - Wolfgang Huber und Berthold Huber
Wolfgang Huber und Berthold Huber im Berliner Regierungsviertel
Thomas Meyer / OSTKREUZ
Bahnvorstand Berthold Huber und der frühere EKD-Chef Wolfgang Huber im Interview
"Einer klüger als der andere. Anstrengend!"
In der Familie Huber wurde von Kindern viel erwartet. Wolfgang Huber machte Kirchenkarriere. Sein Neffe Berthold nahm Umwege. Heute ist er Bahnvorstand
Tim Wegner
Thomas Meyer/Ostkreuz
24.06.2020
10Min

chrismon: Verspätete Züge, kaputte Klimaanlagen, ­jeder hat eine Meinung über die Bahn. Nervt Sie das, Herr ­Huber?

Berthold Huber: Natürlich nervt das. Vor allem, wenn die Leute recht haben. Aber besonders anstrengend ist es, wenn es um kompliziertere Dinge geht und jeder schnell ein Urteil hat, ohne sich eingehender damit beschäftigt zu haben.

Ein Beispiel?

Berthold Huber: Ein derzeit gängiges Urteil: Die Bahn braucht deshalb so viel Geld vom Staat, weil sie während der Corona-Krise die Fernverkehrszüge leer durch die ­Gegend fährt. Doch das ist grundfalsch. Wir haben so ­hohe Fixkosten, dass jeder Kunde einen wichtigen Beitrag zur Deckung der Kosten leistet.

Wolfgang Huber: Für meinen Neffen wollte ich eigentlich immer mal ein Tagebuch schreiben über die positiven Erfahrungen eines Bahnreisenden. Ich fahre seit über zehn Jahren intensiver Bahn als früher und habe einen einzigen Termin verpasst, weil die Bahn unpünktlich war. Klar war’s mal knapp. Aber ich bin immer hingekommen, wo ich hinwollte, und der zeitliche Puffer war nie größer als beim Autofahren. Auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, ist sehr gut möglich. Aber anstatt sich mit der Bahn zu identifizieren, auch wegen des Klimas, steigen die Leute aus dem Zug und erzählen Gruselgeschichten.

Berthold Huber: Man darf sich nicht von jeder Hysterie anstecken lassen. Die Kolleginnen und Kollegen würden ja irrsinnig, wenn wir allem hinterherrennen würden, was zu Corona-Zeiten unterschiedlichst von der Bahn verlangt wird. Gerade wer in schwierigen Zeiten Verantwortung hat, muss ruhig bleiben, die Mitte finden und keine wilden Lenkbewegungen nach links und rechts machen.

Wolfgang HuberRolf Zöllner/epd-bild

Wolfgang Huber

Wolfgang Huber, 78, Jüngster der fünf ­Huber-Brüder, war von 2003 bis 2009 Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. Der Theologieprofessor aus Heidelberg war von 1994 bis 2009 ­Bischof von Berlin und Brandenburg und von 2000 bis 2010 ­Herausgeber von chrismon. Heute lehrt er in Stellenbosch/Südafrika und setzt sich für den Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam ein. Er hat drei Kinder und lebt in Berlin.
Berthold HuberThomas Meyer / OSTKREUZ

Berthold Huber

Berthold Huber, 56, ist Vorstand ­Personenverkehr bei der Deutschen Bahn. Der Politologe ist seit 1997 bei der Bahn und war zuvor Unter­nehmensberater bei Ernst & Young. Sein Vater Ulrich ist der zweitälteste von fünf Huber-Brüdern. ­Berthold Huber hat vier Kinder und lebt mit seiner Familie bei München.

Was ist Ihr wichtigstes Führungsprinzip?

Berthold Huber: Dass die Menschen mit anderen so umgehen, wie sie wollen, dass man mit ihnen selbst umgeht.

Wolfgang Huber: Goldene Regel!

Berthold Huber: Wenn man sich daran orientiert, ist viel gewonnen.

Wurde Ihnen das Führen in die Wiege gelegt?

Berthold Huber: Das glaube ich nicht, in der Familie ­Huber ist es ja nicht so leicht, den eigenen Weg zu ­finden. Es wimmelt ja nur so von Professoren, einer ist klüger als der andere. Genauso klug sein zu wollen, ist schwer. Deshalb war ich gottfroh, dass es immer Menschen gab, die mir mehr zugetraut haben als ich mir selbst. Meine Philosophielehrerin zum Beispiel. Sie hat mich für Politik interessiert und mich ermutigt, mich zu engagieren. So bin ich Schulsprecher geworden.

Wolfgang Huber, hat Sie der Wettbewerb in der Familie motiviert?

Wolfgang Huber: Ich bin der jüngste von fünf Brüdern. Bertholds Vater ist der zweitälteste und der zweite, der Jura studierte. Beim Mittagessen erklärte er mal: Wenn jetzt noch einer Jura studiert, wird er enterbt. Da habe ich mir gedacht, der ist aber ein schlechter Jurist, wenn er denkt, man kann uns einfach so enterben. Ich wusste auch früh, dass ich Theologie studieren wollte. Wobei mir der ­Gedanke fernlag, dass das zu einer Führungsposition führen könnte. Ich war bei den Pfadfindern und wurde sehr schnell Sippen- und Stammesführer im Alter zwischen 13 und 17 Jahren. Das war gut, aber danach habe ich erst mal nicht nach Führungspositionen Ausschau gehalten.

Welche Rolle spielte Ihr Vater? Ernst Rudolf Huber war einer der führenden Verfassungsrechtler des NS-Regimes.

Wolfgang Huber: Mein Vater hat die Nazis als hochbegabter Jurist unterstützt. Ich habe den Briefwechsel zwischen ihm und meiner Mutter vom Sommer 1933 gelesen. Es ist erschreckend, in welchem Tempo sich sein Weltbild änderte. Ich habe mich damit kritisch auseinandergesetzt, weil ich das als meine selbstverständliche Pflicht ansehe. Das ändert nichts an der Nähe zu meinem Vater.

Berthold Huber: Interessant, dass du das sagst. Du bist, sofern ich das beurteilen kann, ganz anders als deine vier Brüder damit umgegangen. Mein Vater zum Beispiel hat keine Zeile von dem gelesen, was Großvater in der Zeit des Nationalsozialismus geschrieben hat. Er fürchtete, sonst die Freundschaft zu ihm zu verlieren. Ich selber habe mich eingehend damit beschäftigt. Dabei hatte ich zum einen Sorge, dass ich ihn nicht kritisch genug bewerte – weil er ja mein Großvater war. Oder zu kritisch. Ich habe vieles gelesen, was er zwischen 1933 und 1945 geschrieben hat. Es war fürchterlich. Aber ich habe meine Zuneigung ihm ­gegenüber nie verloren. Viele verstehen das nicht. Ein Kronzeuge des Nationalsozialismus! Schüler von Carl ­Schmitt! Der führende Nazijurist! Dem gegenüber kann man doch keine Zuneigung empfinden! Kann man eben doch. Ich jedenfalls mochte ihn.

Wolfgang Huber, Sie haben als kleiner Junge den Vater als Hausmann erlebt. Die Mutter war Geld verdienen . . .

Wolfgang Huber: Meine Mutter lebte die Woche über in Freiburg, um ihrer Anwaltstätigkeit nachzugehen. Mein Vater hatte nach 1945 für lange Zeit keine Professur mehr und war mit mir und meinen beiden nächst­älteren ­Brüdern zu Hause. Nachdem er uns das Frühstück gemacht hatte, war völlig klar, dass er den restlichen Tag am Schreibtisch sitzen und wissenschaftlich arbeiten würde. Obwohl er dafür nicht bezahlt wurde. Dieser Eindruck war unglaublich prägend, dass einer ganz aus sich selbst eine solche Disziplin und Kontinuität aufbringt.

Berthold Huber: In seinem Arbeitszimmer standen Unmengen von Zettelkästen, und als Jugendlicher dachte ich: Das kann man gar nicht schaffen, so diszipliniert zu leben und zu arbeiten – immer weiter und weiter, ohne nachzulassen.

"Sich zu emanzipieren, war schwierig" - Berthold Huber

Wie reagierte die Familie, wenn es mal nicht gut lief?

Wolfgang Huber: Ich war lange ein mittelmäßiger Schüler. Meine Mutter sagte, wenn ich sitzenbleiben würde, wäre klar, dass ich ein Handwerk erlernen würde.

Das war etwas Schlimmes?

Wolfgang Huber: Das war als Drohung gemeint.

Berthold Huber: Wir Enkel haben unsere Großmutter gefürchtet, sie war sehr streng. Bei runden Geburtstagen kam die ganze Familie zusammen, und selbstverständlich hatten die Enkel etwas aufzuführen. Wenn wir ein ­Theaterstück aufführen sollten, war das noch ganz nett, das haben wir ja gemeinsam machen können. Aber als ich von einem Jahr Amerika-Aufenthalt zurückkehrte – ich war zehn –, trug mir mein Onkel Albrecht auf, ein englisches Gedicht auswendig vorzutragen. Das war wie eine Abiturprüfung. Es blieb auch nicht unkommentiert, wenn man sich verhaspelt hat!

Lesen Sie mehr Texte aus unserer Rubrik: Verschiedene Menschen, verschiedene Lebenswelten – eine Begegnung

Das klingt sehr anstrengend.

Berthold Huber: Das war sehr anstrengend. Mit Albrecht musste ich auch mit der sogenannten stummen Karte lernen, da musste man Orte auf einer Landkarte identifizieren. Ich mag dadurch heute gute Geografiekenntnisse haben, aber auf diese Erfahrung hätte ich auch verzichten können. Mit meinen Eltern war das dann schon anders. Mir wurde nie gesagt: Wenn du diese Klasse nicht schaffst, machst du kein Abitur. Aber wenn man in einer solchen Familie aufwächst, muss das ja gar nicht mehr gesagt werden. Nicht zu studieren, hätte ich als Makel empfunden. Sich von diesem Anspruch zu emanzipieren, war wirklich schwierig. Meine Mutter war sehr warmherzig, stammte aber auch aus einer Professorenfamilie und hat die Welt eingeteilt in Begabte und andere. Meine Zwillingsschwester gehörte zu den Begabten – die konnte schon mit vier Jahren lesen – und ich zu den nicht so Begabten. Ich war das Dubbele, das Depperle.

Wolfgang Huber: Das wurde auch im weiteren Familienkreis so kommuniziert.

Berthold Huber: Ich habe mich dem entzogen und konnte als Neunjähriger ein Jahr in Amerika verbringen, ein ­Onkel war 1967 nach Berkeley übergesiedelt. Den wollte ich unbedingt besuchen. Meine Mutter hat gesagt: dann aber richtig. Ich habe also einen Englischkurs gemacht und bin nach San Francisco gegangen. Auch wenn ich ein Kind war: Das war wahnsinnig befreiend! Dort wurde ich sehr schnell gut in der Schule, und ich wollte eigentlich gar nicht mehr zurück. Aber damit das nicht zu einseitig wird: Ich fühle mich meiner Familie tief verbunden und habe ja auf der anderen Seite sehr davon profitiert.

Sie haben es ja auch beide weit gebracht . . .

Berthold Huber: Das allein ist nicht der Punkt. Die Frage ist, ob man glücklich ist oder nicht. Und ich bin ein glücklicher Mensch.

"Zu unserer Familie gehörte nicht nur die Härte" - Wolfgang Huber

Wolfgang Huber, Sie sind ein Kriegskind, Berthold, Sie ein Kriegsenkel. Wie schafft man es, diese Härte nicht an die nächste Generation weiterzugeben?

Wolfgang Huber: Zu unserer Familie gehörte nicht nur die Härte. Sondern auch die Freiheit. Meine schulische Existenz wurde kaum überwacht. Niemand legte mir ­einen Stein in den Weg, als ich Theologie studieren wollte – obwohl das nun wirklich nicht vorgesehen war. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, bei Dingen, die mir im Leben nicht so geglückt sind, die Schuld in meiner Herkunft zu suchen.

Berthold Huber: Meine Kinder spiegeln mir, dass sie das nicht alles so wiederholen wollen. Unlängst hat mir mein jüngerer Sohn klar gesagt: So leben wie du will ich nicht! Diese Art zu arbeiten, mit dem ständigen Leistungsdruck, immer in der Öffentlichkeit stehen, mit wenig Zeit für die Familie. Ich bin ja nur am Wochenende präsent. Er studiert jetzt Soziale Arbeit und entwickelt seine eigenen Vorstellungen, sein Leben zu gestalten. Das ist gut und richtig!

Wolfgang Huber: Ich fühle mich als Kriegskind. Ich bin 1942 geboren, 1944 mit meiner Mutter und meinen ­Brüdern und 13 Stück Gepäck von Straßburg in den Schwarzwald gekommen. Im November war der Bomben­angriff auf Freiburg. Und ich bin sicher, dass das mit zwei Jahren meine erste Kindheitserinnerung ist, dieser blutrote Himmel. Später habe ich mich sehr für den Frieden engagiert, und ich denke, das hat darin seinen Grund: dass meine bewusste Biografie mit dieser vernichtenden Seite des Krieges beginnt. Ich erinnere mich auch, dass ­französische Soldaten, unter ihnen Marokkaner, nach ­Falkau kamen. Ich war zweieinhalb, meine Patentante sagte mir, ich solle in diese Scheune mitkommen und Gute Nacht sagen, also sagte ich dem marokkanischen Soldaten Gute Nacht. Ein Bild, das mich begleitet.

Berthold Huber: Diese Bilder vom Krieg hat mir mein ­Vater auch vermittelt, und das war für mich ein ganz starkes Motiv, nicht zum Militär zu gehen. Das vermittelt sich auch weiter, meine älteste Tochter beispielsweise ist sehr engagiert bei der Aktion Sühnezeichen.

"Die kurzfristige Profitmaximierung steht nicht zuerst" - Berthold Huber

Sie haben beide eine Reform angestoßen. "Starke ­Schiene", "Kirche der Freiheit". Nicht alle gehen da mit . . . 

Berthold Huber: Ich stelle es mir in der Kirche viel schwerer vor, ich würde nie tauschen wollen. Bei der Bahn warst du, Wolfgang, mal eingeladen und hast dort einen Vortrag gehalten. Es ging um das Selbstverständnis der Bahn und die Frage: Wie viel Unternehmen? Wie viel Daseins­vorsorge? In der Ära Mehdorn war der Begriff der Daseinsvorsorge fast ein wenig verpönt. Obwohl sie im Grund­gesetz steht. Wolfgang sagte damals: Seid doch stolz drauf! Die "Starke Schiene" ist genau das – sich zurück­besinnen auf das, was den Eisenbahnern immer sehr ­nahe geblieben ist: Teil der Daseinsvorsorge und der Eisen­bahnerfamilie zu sein.

Woran merkt man das?

Berthold Huber: Jetzt in Corona-Zeiten sind die Kollegen stolz, dass sie den Betrieb aufrechterhalten und damit einen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Das gibt ihnen den Sinn ihrer Arbeit zurück! Deshalb gab es gegen das Konzept "Starke Schiene" bei den Mitarbeitern nur geringen Widerstand. Du, Wolfgang, hast es viel schwerer gehabt.

Wolfgang Huber: Als Professor in Heidelberg fühlte ich mich in einer reformorientierten ökumenischen Gemeinde zu Hause, wir haben sogar gemeinsam Abendmahl ­gefeiert. Eine vergleichbar wichtige Erfahrung war der Kirchentag. Ich wusste also, dass Reform in der Kirche möglich ist. Und ich kannte in dieser Kirche Menschen, die nicht nur andere auffordern, etwas zu verändern, ­sondern auch selbst etwas tun. 2004 ergab die Auswertung statistischer Daten, dass sich der Mitgliederschwund und der Traditionsabbruch weiter fortsetzen . . .

"Kirche der Freiheit? Eine dramatisch verpasste Chance" - Wolfgang Huber

Und 2019 verkündete die Freiburger Studie als neue ­Einsicht, dass sich die Mitgliederzahlen bis 2060 hal­bieren werden und damit auch die Finanzkraft.

Wolfgang Huber: Das war schon 2004 die Ausgangs­bedingung für unsere Reformbemühungen. Aber mein Ansatz war: Wir machen gerade nicht die Entwicklung der Mitgliederzahlen und der Finanzen zum Inhalt eines Reformprozesses. Sondern das sind die Rahmenbe­dingungen – aber die Ziele orientieren sich daran, inwieweit sie die Verkündigung des Evangeliums befördern.

Berthold Huber: Interessant. Ergebnis ergibt sich! Was steht oben? Auch bei uns steht eben gerade nicht die kurzfristige Profitmaximierung zuerst. Wir betreiben ein langfristiges Geschäft. Was heute entschieden wird, entscheiden wir nicht mehr für uns. Wenn heute eine ­Hochgeschwindigkeitsflotte bestellt wird, bin ich in ­Pension, bis die geliefert wird. Man tut also das, was man für richtig hält, und schaut dann, dass sich daraus ein ­wirtschaftlich tragfähiges Ergebnis ergibt.

In dem Kirchenreformpapier waren viele Zahlen.

Wolfgang Huber: Die sind mir um die Ohren gehauen worden. Es komme in der Kirche nicht auf die Zahlen an, sondern auf die Botschaft! Einen Pfarrer, der mir das erklärte, fragte ich: Wenn Sie mit Ihrem Kirchengemeinderat einen Jahresplan machen, was nehmen Sie sich vor? Er sagte: Es sollen mehr junge Leute in den Gottesdienst kommen. Ich: Und wie überprüfen Sie das am Ende des Jahres? Er: Das überprüfen wir nicht. – Ich habe ihm gesagt, dass die Bemühungen folgenlos bleiben, wenn man sich dieser Qual entzieht. Fünf Jahre nach der Veröffentlichung von "Kirche der Freiheit" stieg das Kirchensteueraufkommen stark an – da wirkten die Maßnahmen gegen die Finanzmarkt­krise – und viele meinten: Ein Glück, jetzt brauchen wir keine Reform mehr. Eine dramatisch verpasste Chance!

Berthold Huber: Wenn man davon ausgeht, das Geld kommt sowieso, verhindert man, dass man das Richtige tut.

Wenn bei Ihnen in einer Sitzung die Köpfe rauchen, was machen Sie? In der Kirche wird dann gern gesungen.

Berthold Huber: Singen ist gar nicht schlecht. Das müssten wir bei der Bahn auch mal probieren. Was machen wir? Häufig kommt das nicht vor. Wir unterbrechen, wenn es gar nicht mehr geht. Gedanken sortieren, neu ansetzen.

Wolfgang Huber: 1981 wurde Verteidigungsminister Hans Apel auf dem Hamburger Kirchentag mit Eiern beworfen, die Polizisten gingen auf die Bühne, um ihn mit ihren Plas­tikschilden zu schützen. Der Kirchentagspräsident Helmut Simon stand auf und sagte: Was machen Sie hier? Das Hausrecht habe ich. Die Polizisten zogen sich zurück, und Simon stimmte "Die Nacht ist vorgedrungen" an. Ich sagte: "Helmut, das ist doch ein Adventslied." Und er: "Macht nichts!"

Berthold Huber: Ich erinnere mich: Hans Apel wurde total niedergepfiffen, ich saß im Publikum. Theo Sommer, ­damals Chefredakteur der "Zeit", regte sich darüber fürchterlich auf und artikulierte das deutlich. Was nun alles andere als zur Beruhigung beitrug. Und da hast du, Wolfgang, gesagt: "Wer klatschen darf, darf auch pfeifen." Und damit hast du die Stimmung spürbar geglättet. Ich war zu der Zeit 18 Jahre alt, und das hat mich damals wirklich beeindruckt.

Nebenbei gefragt

Wolfgang Huber, wo ist Ihr Lieblingsplatz im Zug?

Wolfgang Huber: Ruheabteil, Fenster.

Haben Sie schon mal einen spannenden Menschen im Zug kennengelernt?

Zwei Damen, die das Ruheabteil gebucht hatten, damit sie in Ruhe miteinander schnattern konnten.

Was können Sie auswendig?

Namen, Telefon­nummern, E-Mail-Adressen, Buchtitel und ­wenige Gedichte – meine Mutter konnte zu viele.

Berthold Huber, Ihr Lieblingsplatz im Zug?

Berthold Huber: Am Stehtisch im Bordbistro mit Currywurst und einem Glas Bier.

Haben Sie schon mal einen spannenden Menschen im Zug kennengelernt?

Die Dichterin Hilde Domin auf dem Weg von München nach Garmisch-­Partenkirchen.

Was können Sie auswendig?

Die Aufstellungen aller vier deutschen Mannschaften, die Fußballweltmeister wurden, das ein und andere Gedicht und – natürlich – das ­Vaterunser und das Glaubensbekenntnis.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.
Permalink

Sehr geehrte Damen und Herren, gerade lese ich in „Chrismon“ Wolfgang Hubers Kindheitserinnerungen; im Alter von fünf Jahren musste ich aus Hamburg während der Bombardierung („Operation Gomorrha“) an der Hand ihrer Mutter nach Fehmarn fliehen.1959 wollte ich auf Fehmarn meinen evangelischen Mann katholisch heiraten – das verwehrte mir der katholische Pfarrer; gespickt mit dem Hinweis des damaligen Herz-Jesu-Priesters Martin Heidötting, mein Ehemann habe zu konvertieren (was ihm als gebürtigem Fehmaraner, stolzem Protestanten und frei denkendem Seemann nicht einleuchtete), wurden gar die katholischen Taufen meiner drei Kinder verweigert. Im Gegenzug erfuhren wir liebevolle Aufnahme in der evangelischen Kirche – und hier auch ohne die mir in meiner katholischen Kindeserziehung eingejagten Angst-, Schuld-, Scham- und Mindergefühle, für die es heute den Begriff des geistlichen Missbrauchs gibt.
Mit freundlichen Grüßen
Bärbel Anastasia Klann-Evers