13.04.2020
Sibylle Meyer
Ich sollte nicht klagen. Aber manchmal fällt mir das doch schwer. Die Corona Krise hat meinen gesamten Alltag durchzogen, und, erstaunlicherweise, doch so manches unverändert gelassen. Ich arbeite in einem Verlag. Da sind wir schon seit langem digital unterwegs, jetzt das Ganze halt im Home-Office. Die Kollegen sind da, virtuell eben, das Gehalt kommt nach wie vor jeden Monat. Mein Mann ist selbständig, er arbeitet sowieso meist zu Hause. Ich kann nicht klagen. Ehrenamtlich kümmere ich mich um drei Esel. Sie stehen auf einem Begegnungshof für Kinder mit Handicap, zusammen mit Pferden und Schafen. Die Kinder sind jetzt nicht mehr da, alle Angebote sind abgesagt. Aber die Esel begrüßen mich weiterhin mit ihrem fast unangebracht fröhlichen I-Aaah. Ich lasse mich von ihrer Unbekümmertheit gerne anstecken – Vorsicht! „anstecken“ ist zurzeit wohl das falsche Wort. Ich wollte sagen: mitreißen, aufheitern, bezaubern. Positiv soll es klingen, ich will ja nicht klagen.

Aber meine Mitmenschen fehlen mir schon. Das Glas Rotwein mit Freunden, das gemeinsame Musizieren. Ich hätte nie gedacht, dass mir die höllisch schweren Sechzehntel Läufe, die mich zur schieren Verzweiflung führten, mir einmal fehlen könnten. Meine beiden Söhne fehlen mir ungemein. Aber, sie sind gesund und jung, kein Grund zur Sorge. Und dann meine alte, kranke Mutter, noch nicht einmal an Ostern konnte ich sie besuchen. Aber sie ist gut versorgt in ihrem Haus, jeden Tag kommt eine Pflegekraft. Ich darf nicht klagen.

Ich muss zugeben: Die Corona Krise hat mich wirklich nicht schwer erwischt. Trotzdem ist sie ununterbrochen dabei, mein Leben umzukrempeln, von einem „Alles noch gleich“ sekundenschnell in ein „Alles ganz anders“ zu schleudern. Das erste macht mich misstrauisch. Wo ich hinschaue, sehe ich unermesslich viel Leid, Angst und Verzweiflung. Wie kann es sein, dass mein Alltag davon so wenig betroffen ist? Mir geht es gut, immer noch. Ich bin sehr dankbar dafür und will auf gar keinen Fall klagen. Und plötzlich …Bilder aus Italien, eine nicht beantwortete Whatsapp, ein kleines Kratzen im Hals lassen schon das Schlimmste befürchten. Manchmal fühle ich mich wie auf einem Hochwasserdamm, der gerade unterspült wird.

Was ich mir am meisten wünsche? Natürlich, dass es bald besser wird, dass wir die Pandemie in den Griff bekommen, dass meine Familie, Freunde und natürlich auch ich selbst es heil überstehen. Aber was ich mir ebenso so sehr wünsche ist, dass wir etwas aus dieser Zeit mitnehmen, dass wir Chancen nutzen, etwas zu ändern, Neues anzufangen, Altes beiseitelegen, Wichtiges von Nebensächlichem zu unterscheiden. Dass wir nicht einfach da weitermachen, wo wir aufgehört haben. Und dass wir, die wir es überstanden haben, mit etwas mehr Dankbarkeit leben.