Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat die Verpachtung von Kirchenland Anfang 2018 neu geregelt. Landeigentümer und Verpächter bleiben die einzelnen Kirchengemeinden, aber Musterverträge sollen Transparenz und eine verlässliche Kommunikation gewährleisten. Die Pachtdauer soll zwölf Jahre betragen, zur Mitte der Vertragslaufzeit kann der Pachtzins angepasst werden. Die EKHN unterstützt die Gemeinden mit einem "Leitfaden zum Umgang mit landwirtschaftlichen Flächen und deren Verpachtung". Darin ist auch ein Punkteverfahren zur Vergabe von Pachtland enthalten. Um die Ideen zu erläutern, unternahm Maren Heincke, Referentin für den Ländlichen Raum im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, zahlreiche Vortragsreisen in Kirchengemeinden und bot - gemeinsam mit einem Kollegen - ein Webinar an.
Angenommen, ein Kirchenvorstand bekommt die Info: "Die Pachtverträge laufen aus." Was ist Ihrer Erfahrung nach los in so einer Gemeinde?
Maren Heincke: Das unterscheidet sich von Fall zu Fall. Aber oft müssen sich die Kirchengemeinden noch einmal bewusst machen, dass sie Kirchenland besitzen. Früher lief das oft nur nebenbei. Nun spüren die Kirchenvorstände, dass sie eine Verantwortung haben. Viele merken dann: "Oh, das ist ja ein größerer Vorgang, damit müssen wir uns befassen."
Dr. Maren Heincke
Auf einer Tagung zum Thema Kirchenland an der Evangelischen Akademie in Loccum, die mit dem Loccumer Appell endete, sagten Sie: "Ärger gibt es immer, wenn die Kirche Land verpachtet." ...
... ja, denn Land ist begehrt. In Deutschland werden täglich 69 Hektar mit Häusern oder Straßen bebaut, was die Konkurrenz um Landwirtschaftsflächen stetig verschärft. Die Landwirte brauchen das Land. Das sind Verteilungskonflikte. Wenn ein Pachtvertrag nicht verlängert wird, verstehen Landwirte das zudem oft als Kritik an ihrer Arbeit. Und vonseiten der Kirchen schwingt viel Symbolik mit - unser Land, unser Boden, die Schöpfung! All das führt dazu, dass die Neuverpachtung ein Aufregerthema sein kann. Die Frage ist, wie man den Ärger prophylaktisch aufnimmt und abmildert.
Wie denn?
Es ist wichtig, Zeit und Ruhe zu haben. Wir empfehlen, die Pächter ein Jahr vor Pachtende anzuschreiben und anzukündigen: Da verändert sich was. Kommunikation ist wichtig.
In Ihrem Leitfaden regen Sie ein Punkteverfahren an. Wenn ein Pächter das Land so bewirtschaftet, dass er Umweltaspekte über das gesetzliche Maß hinaus berücksichtigt, kann er vier Punkte erhalten. Wenn er in der Kirche ist, gibt es auch vier Punkte. Auch wer mehr als die Mindestpacht bietet, bekommt ebenfalls Punkte. Hilft dieses Verfahren?
Anfangs dachten viele Kirchenvorstände, sie müssten das Punktesystem ganz starr anwenden. Es kann eine gewisse Verführung darin liegen, die Punkte absolut zu setzen. Aber es ist nur ein Vorschlag. Jeder Kirchenvorstand kann das System als Diskussionsgrundlage nehmen und überlegen: Welche Kriterien sind aus unserer Sicht vor Ort besonders relevant? Es kann ja sein, dass eine Gemeinde in einer Region liegt, in der Strukturwandel besonders sichtbar ist. Und die Konkurrenz um Flächen ist groß. Dann spricht nichts dagegen, das Kriterium "besondere soziale Aspekte" hoch zu bepunkten.
Was kann das konkret bedeuten?
Ein Kirchenvorstand soll durchaus darauf schauen, ob es einen landwirtschaftlichen Betrieb in seiner Existenz gefährdet, wenn ein Pächter das Land verliert. Ein Punkteverfahren hilft, die Vergabe zu systematisieren und zu dokumentieren. Es schafft Transparenz. Aber es kann nicht die Gespräche mit den Pächtern ersetzen, den direkten Kontakt. Umso wichtiger ist eben der Faktor Zeit: Man sollte, wie gesagt, ein Jahr vor Pachtende ankündigen, dass sich etwas ändern wird und dass man miteinander ins Gespräch kommen möchte.
Wie reagieren die Pächter, also die Landwirte, aufs Punkteverfahren?
Bei einigen Landwirten gab es zunächst ein Missverständnis. Sie haben besonders die Punkte gesehen, die es für das Angebot zur Pachthöhe geben kann. Der Leitfaden regt an, dass ein Angebot vier Punkte erhält, wenn es mehr als 30 Prozent über der Mindestpacht sieht. Manche Landwirte sagten: "Aha, der Kirche ist also das Geld am wichtigsten!"
Was erwidern Sie?
Die EKHN hat 2017 beschlossen, einen Pachtpreis von 10 bis 20 Prozent unterhalb der ortsüblichen Pachthöhe anzustreben. Das steht so auch im EKHN-Leitfaden. Von Pachtpreiswucher kann also überhaupt nicht die Rede sein. Obwohl das Geld nicht das alles entscheidende Kriterium ist - die Kirche muss aber auch wirtschaftlich denken. Wenn eine evangelische Kita ein Spielgerät kaufen will, geht es manchmal um 100 Euro. Da spielt es schon eine Rolle, ob eine Kirchengemeinde 1000 oder 500 Euro Pachteinnahmen mehr oder weniger im Jahr hat.
Wer sind die Entscheider in den Kirchenvorständen?
Menschen, die auf eine komplexe Wirklichkeit treffen, die oft aber selbst wenig oder nichts mit Landwirtschaft zu tun haben. Wir beobachten eine Entfremdung zwischen einem großen Teil der Bevölkerung und der Landwirtschaft. Manche Kirchenvorstände halten die Bilderbuchidylle der Landwirtschaft hoch und werden den Bauern damit überhaupt nicht gerecht. Manchmal ist auch eine ökobewegte Szene in Kirchenvorständen präsent. Denen muss man sagen, dass wir auch konventionelle, gut geführte Betriebe brauchen, die oft längst Elemente des Biolandbaus übernommen haben. Es zeigt sich: Die Pachtvergabe kann eine tolle Chance sein, dass sich "Normalbevölkerung" und Landwirte überhaupt mal begegnen und austauschen. Das ist immer ein Gewinn.