Junge afghanische Frauen lernen sticken - und schreiben
Junge afghanische Frauen lernen sticken - und schreiben
Afghanistan-Schulen e.V.
Ob die Eltern sie jetzt noch raus lassen?
Der Hamburger Verein "Afghanistan-Schulen" baut seit 1983 Schulen. Wir haben die Leiterin Marga Flader gefragt: Was nun?
Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff
19.12.2018

"Wir sind sehr traurig", sagt Marga Flader, "seit die Taliban die alleinige Herrschaft übernommen haben, haben unsere Kollegen in Afghanistan Angst und wollen nur noch weg." Flader und ihr Verein bauen seit 1983 Schulen im Nordwesten.

Wie wird es weiter gehen für diese Schülerinnen? "Fraglich ist, ob die Eltern ihre Töchter unter den gegenwärtigen Bedingungen noch auf die Straße lassen", so Flader am 17. August 2021 zu chrismon. Gestern, am 16. August, habe der neue Schulrat in Masar-i-Scharif neue Regeln erlassen - strikte Geschlechtertrennung, Burka und Hijab. Lehrerinnen dürfen nur noch Mädchen unterrichten und Jungen bis zur 3. Klasse. Im Moment kämpft der Verein mit ganz elementaren Problemen: "Die Banken sind geschlossen. Wir müssen versuchen, wie früher wieder Geld über das Hawala System (Geldtransfer von Händler zu Händler) zu transferieren. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind von 60 auf 100 Prozent gestiegen."

Wir veröffentlichen noch einmal den Artikel über die Mädchenschulen von 2018, weil er zeigt, unter welchen Bedingungen Mädchenbildung in Afghanistan überhaupt nur stattfinden konnte. Und dass es allein mit Schulbau nie getan war - es bedurfte eines immensen Einsatzes, um die gebildeten Mädchen auch wirklich in eine Arbeit außer Haus zu bringen.

 

Originaltext von 2018:

Mobina ist weiter gekommen als viele andere. Die 20-Jährige mit dem wachen Blick lernte lesen und schreiben – das können nur knapp 40 Prozent der Afghanen. Sie erfüllte die neunjährige Schulpflicht – wie weniger als ein Viertel der Jugendlichen. Und sie schloss die 12. Klasse der Oberschule erfolgreich ab – das schaffen nur zehn Prozent.

Und jetzt? Hockt die junge Frau zu Hause, putzt, kocht, stickt für die sechzehnköpfige Familie. Liest kleinformatige Bücher, weil sie die besser verstecken kann. Und ist froh, wenn sie mal rauskommt, um ihre Freundinnen zu treffen – ein Dutzend gut gebildeter junger Frauen im Dorf Khan Char Bagh, in dem es nach der Oberschule keine berufliche Perspektive zu geben scheint. Zum Weiterlernen müsste Mobina in die nächste Stadt, das ist teuer, die Wege sind unsicher, und ihre Familie würde das nicht zulassen. Außerdem: Was bringt das? Einige ihrer Freundinnen haben studiert und sind fertige Lehrerinnen, aber sie finden keinen Job. Das liegt nicht nur an der hohen Arbeitslosigkeit von 40 Prozent in Afghanistan. "An die wenigen Stellen für Lehrerinnen kommt man nur mit Bestechungsgeldern heran", sagt Marga Flader vom deutschen Verein "Afghanistan-Schulen", der seit 1983 Schulbauten und Ausbildungskurse in Nordwesten fördert.

Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff

Hanna Lucassen

Hanna Lucassen ergründet das Miteinander. Sie war Krankenschwester, studierte Soziologie, arbeitet heute als freie Journalistin in Frankfurt und leitet ein diakonisches Projekt gegen Einsamkeit im Alter. In chrismon bloggte sie unter dem Titel Pflegeleicht. Für den Fastenkalender von 7 Wochen Ohne sucht sie nach schönen Texten.

Für die jungen Frauen sei die Beschäftigungslosigkeit besonders bitter. Sie haben oft Kämpfe in ihren Familien ausgefochten, um zur Schule oder Universität gehen zu können. Nun scheinen sie der lebende Beweis dafür, dass es sich doch nicht lohnt, in die Bildung von Töchtern zu investieren. Manche von ihnen litten unter Depressionen, sagt Marga Flader. Psychische Krankheiten sind nicht selten in Afghanistan. "Die jungen Leute leben in einem Konflikt. Auf der einen Seite sind da die traditionellen und religiösen Regeln, mit denen sie aufwuchsen. Auf der anderen Seite lockt die ‚Welt da draußen‘, die sie über soziale Netzwerke oder beim Schulbesuch kennenlernen."

Ist gute Bildung eine Sackgasse? Nein, findet Marga Flader, aber eben auch kein Selbstläufer. Man müsse die Schulabgänger begleiten, mit ihnen nach Perspektiven suchen, wo es keine zu geben scheint. In Khan Char Bagh sprach eine afghanische Vereinsmitarbeiterin mit den Eltern von Modina und den anderen. Sie mietete einen Raum an, in dem sich die jungen Frauen nun täglich für zwei Stunden treffen. Anfangs zum Sticken mit einer Handarbeitslehrerin. Mittlerweile haben sie auch professionellen Schreibunterricht – und ein Ziel: Sie wollen die Geschichten der Frauen aus der Gegend aufschreiben. Modina hat schon angefangen.

Spendeninfo

Der Verein Afghanistan Schulen baut seit 1983 in der Gegend um Andkhoi in Nordwest-Afghanistan Schulen und unterstützt die Bildung durch praktische Ausbildungskurse.   Afghanistan-Schulen

Bankverbindung:
Hamburger Sparkasse
BIC: HASPDEHH
IBAN: DE37 2005 0550 1008 2258 05

 

 

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