Lena Uphoff
15.11.2010

"Ich bin Kriegsteilnehmer, junger Mann!" Wie lange habe ich diesen Satz nicht mehr gehört oder gelesen, den mir der ältere Herr in seinem ansonsten freundlichen Brief entgegenschleuderte? Zehn Jahre, fünfzehn Jahre? Kriegsteilnehmer. Das hieß an die Adresse von uns Nachgeborenen gerichtet: Ihr habt keine Ahnung! Ihr wisst doch gar nicht, was wirklich wichtig ist im Leben! Ihr wart nicht dabei! Es bedeutete: gewogen und für zu leicht befunden! Nicht gestählt, verweichlicht, verwöhnt!

Die jüngsten Teilnehmer am 2. Weltkrieg, der Grass- und Walser-Jahrgang, feiern in diesem Jahr 80. Geburtstag. Sie haben das große Grauen des Vernichtungskrieges, mit dem Deutschland die Welt überzog, als Jungspunde erlebt. Diejenigen, die am Ende wenigstens Unteroffiziere oder Leutnants waren, werden heute um die neunzig Jahre alt sein, soweit sie noch leben. Es sind wenige.

"Dreimal abgeschossen worden von den Tommys."

In unserer Schulzeit hatten sie das Bild beherrscht. Onkel Karl zum Beispiel; Stuka-Pilot ­ Sturzkampfbomber, eine Art deutscher Kamikaze. Ein liebenswürdiger Mensch bis zu dem Moment, da ihn jemand auf sein Lebensthema brachte. "Dreimal abgeschossen worden von den Tommys." Das waren die Briten, die er durchaus schätzte. Wie "den Iwan", die Russen. Den "Franzmännern, die wir ja schon besiegt hatten", brachte er weniger Achtung entgegen, genauso wie "dem Ami", der Kaugummi kauend und "Negermusik" hörend "uns nur mit seinen unendlichen Mengen von Technik und Material an die Wand nagelte".

Lateinstunde im Gymnasium. Wir lasen "Über den Gallischen Krieg" von Caesar. Die Schlacht von Alesia. Caesars Legionen auf der einen, Vercingetorix und seine wilden Gallier auf der anderen Seite. Die Einladung für unseren Lateinlehrer Fips, von Smolensk zu erzählen, die Augen an die jenseitige Wand gerichtet. Ein Selbstgespräch. "Unsere Panzer steckten bis an die obere Seite der Ketten im Schlamm. Wir hatten nichts mehr zu fressen. Da lernt man beten." Wir nicht. Wir grinsten blöd und verdrehten genervt die Augen. Auch Frauen waren Kriegsteilnehmer. Wie oft hat uns Erika F. in der zweiten Klasse der Grundschule erzählt, wie sie im ausgebombten Dresden mit Kinderwagen auf der Flucht von Russen vergewaltigt worden war? In meiner Erinnerung mindestens zehn Mal. Wir verstanden nichts, außer dass dieses Erlebnis die Frau auch zwanzig Jahre später noch fertigmachte.

Wir legten uns nicht mit den alten Mänern an. Wir veralberten sie

Mit Kriegsteilnehmern war selten sachlich über den Krieg zu reden. Wir, die Nach-68er, waren gnädiger als unsere älteren Geschwister. Wir widersprachen nicht. Wir legten uns nicht mit den alten Mänern an. Wir veralberten sie. Unser linker Schulsprecher Christian, Primaner, schaffte es bei einer feierlichen Versammlung in der Schule, drei Kriegsteilnehmer türenschlagend aus dem Saal zu treiben, als er sie in seiner Festrede Nazi-Lakaien nannte. Das fanden wir auch blöd.

Ich musste selbst erwachsen werden, um zu begreifen, was in den Alten vorging. Wenn man Anfang zwanzig bis in die Grundfesten seiner Existenz erschüttert worden ist, "nur noch seinen Arsch retten" wollte, dann findet man vieles lächerlich, was den Jüngeren Anlass zur Sorge ist, etwa wenn im Winter die Heizung ausfällt: "Ich bin Kriegsteilnehmer. Ostfront. Wer den russischen Winter überlebt hat..."

"Einen wie Sie hätten wir brauchen können."

Neulich saß ich mit ein paar jüngeren Kollegen abends auf dem Balkon. Einer von ihnen klagte über die Langeweile seiner Generation. Keine großen Ereignisse mehr, keine polarisierenden, hoch emotionalen Debatten über die Nachrüstung mit all den Kundgebungen, Demos, Sitzblockaden. Und die Klimadebatte? "Pah, ein kleiner Aufguss. Mehr nicht!" Wehmut klang durch, Bewunderung, ja Neid.

Ich dachte: Bin ich im falschen Film? Und dann fing ich an zu erzählen. Wie langweilig und spannungslos unsere Väter und Onkels "euer Leben im gemachten Nest fanden" und die gleichzeitig wollten, dass wir "es einmal besser haben". Wahrscheinlich hätten sie einen Zuhörer gebraucht wie diesen Mann, Anfang dreißig, der neugierig aufgesogen hätte, was sie erlebten, voller Mitgefühl und Verständnis. Die Kriegsteilnehmer wären zur Hochform aufgelaufen. Und am Ende hätten sie gesagt: "Sie sind nicht dabei gewesen, aber Respekt. Einen wie Sie hätten wir brauchen können."

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.