Dürfen wir an den Maibaum gelbe Schleifen hängen? Und spanische Papierfähnchen in die Fleischbällchen stecken? Das diskutierten wir allen Ernstes vor unserem Gemeindefest. Denn: Gelbe Schleifen sind ein politisches Symbol – viele Katalanen tragen sie aus Solidarität mit den inhaftierten oder im Exil lebenden Separatistenführern. Und die spanische Flagge wiederum könnte als Parteinahme für die Separatismusgegner angesehen werden. Politik macht an der Kirchentür nicht halt.
Als wir im vergangenen Herbst Oktoberfest feierten, fand gerade das umstrittene Unabhängigkeitsreferendum statt. Vor dem gegenüberliegenden Bürgerhaus standen die Menschen in langen Schlangen an, um abstimmen zu können. Es war regnerisch und sehr kühl, und unsere Gemeindemitglieder haben die Wartenden mit Kaffee versorgt – und sind ins Gespräch gekommen. Es war gut zu sehen, dass das möglich war, denn die Meinungen über die Katalonienfrage sind bis in die Familien hinein geteilt, und es ist für mich als Pfarrer nicht immer leicht zu vermitteln.
Bisher ist es uns als Kirchengemeinde gelungen, dass die Verfechter und Gegner einer weitergehenden Autonomie gut miteinander auskommen. Es hilft, dass wir nach unseren sonntäglichen Gottesdiensten immer "Aperitif" abhalten. Bei einem Glas Wein und ein paar Knabbereien sind die Bedingungen gut für das offene und freie Gespräch. Dass ein solches unumgänglich ist, scheinen die Regierungspolitiker in Madrid und Barcelona noch nicht verinnerlicht zu haben. Ohne Hilfe von außen wird es keine Lösung geben, glaube ich. Viele Menschen hier warten bisher vergeblich auf eine Mediation durch die EU.