Amelie Persson
Ende eines Fluches
Die neue revidierte Lutherbibel zeigt einen positiveren Blick auf das Judentum. Eduard Kopp ­entdeckt in ihr Veränderungen, die schon lange überfällig waren
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
09.09.2016

Es ist ein Satz, der in mir jedes Mal Entsetzen wachruft: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder.“ Jahrhundertelang diente dieser jüdische Selbstfluch aus dem Matthäusevangelium (27,25) als Rechtfertigung für antijüdischen Hass, für Ausschreitungen und Pogrome der Christen. „Die“ Juden, so die Behauptung, ­hätten den Tod des Jesus von Nazareth gefordert und den römischen Statthalter Pilatus trotz seiner Gewissenszweifel lautstark zur Exekution gedrängt. Sie übernahmen dafür allein die Verantwortung. Aber wer sind „sie“?

Auch 70 Jahre nach Auschwitz fallen in Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion diese folgenreichen Worte. Aber viel wichtiger ist ein kurzer Satz, der dem Zitat in der Bibel vorausgeht. „Das ganze Volk“ habe die Worte gerufen. So stand es in der bisherigen ­Lutherbibel – das ganze Volk gleichsam stellvertretend für das ganze Judentum durch die Jahrhunderte. In diesem Oktober erscheint die revidierte Lutherbibel. Und ­da hat sich – endlich – etwas Entscheidendes verändert. Jetzt heißt es „alles Volk“. Ein kleiner, aber wichtiger Unterschied.

Mit seiner Formulierung vom „ganzen Volk“ lag Martin Luther, auf den diese ­Formulierung zurückgeht, einfach falsch. Der Leipziger Theologieprofessor Christoph Kähler, der die Revisionsarbeit der vergangenen Jahre an der Bibel leitete, sagt es so: „‚Alles Volk‘ bedeutet das Volk, das da gerade auf dem Platz steht, und nicht mehr. Wenn alles Volk antwortet, antworten die, die in Jerusalem auf dem Platz stehen. Punkt.“ Die Reichweite ihres Fluches – den gab es tatsächlich – ist also begrenzt. Diese Neuübersetzung ist keine linguistische Spielerei. Sie zeigt vielmehr: „Es geht hier nicht um das jüdische Schicksal in aller Zukunft“, sagt Christoph Kähler. Der Evangelist Matthäus habe keineswegs die Jahrhunderte oder Jahrtausende in den Blick genommen. Und schon gar nicht, so muss man sagen, hat er mit einer blutigen Verfolgungsgeschichte gerechnet.  

Tüchtige Frau statt tüchtiger Hausfrau

Ja, manchmal muss man Martin Luther korrigieren, vor allem wenn er wie hier „seine eigenen Übersetzungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft hat“, wie Christoph Kähler sagt. Und Luthers Fehlübersetzung wird auch nicht dadurch erträglicher, dass in vielen anderen Übersetzungen, zum Beispiel in der katholischen Einheitsübersetzung, der Guten Nachricht oder in der Züricher Bibel diese generationenübergreifende Selbstbeschuldigung der Juden ebenfalls behauptet wird.

Der Autor

###drp|x_E_b3DRR6jCkhkPY_oIFblZ00154928|i-43||###Eduard Kopp ist Leitender theologischer Redakteur von chrismon. Schon beim ersten Blick in die neue Lutherbibel fiel ihm auf, dass kleine Veränderungen große Wirkung entfalten.

Eine Mammutarbeit steckt in der Bibelrevision, und die hat sich gelohnt. Bereits vor zehn Jahren hatte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beschlossen, die Bibelübersetzung zu überprüfen. 70 Fachleute machten sich 2010 an die Arbeit, stießen auf etliche Sprachwendungen und Worte aus früheren Bibelaus­gaben, die nicht mehr zu halten waren. Die Befürchtung traditions­bewusster Protestanten, die Lutherbibel werde nun auf modern getrimmt, ist haltlos. Sie ist vielmehr die erste, die bewusst an vielen Stellen zu ­Luthers Text von 1545 zurückkehrt. Zugleich wird sie auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft sein: sprachlich, historisch.

Wer die Revision der Bibel als Fingerhakelei von Fachleuten um einzelne Worte versteht, dem könnten leicht die positiven Veränderungen entgehen. Es gibt erfreuliche Akzentverschiebungen. Sie betreffen zum Beispiel den Umgang mit dem Gender-Thema. So sprach der Apostel Paulus in seinen Briefen, auch wenn oberflächlich nur die „Brüder“ gemeint zu sein ­scheinen, die ganzen Gemeinden an, in denen es bekanntlich hoch engagierte und kluge Frauen gab. Dem heutigen Sprachverständnis folgend, wird das nun auch im Text so wiedergegeben. Oder: Statt des „Lobs der tüchtigen Hausfrau“ ist nun vom „Lob der tüchtigen Frau“ in einer Überschrift die Rede (Sprüche 31,10).

Der Münchner Theologe Christoph Levin, auch er Mitglied des Gremiums mit dem hübschen Namen Lenkungsausschuss, begründet das so: Eine „Hausfrau“ lässt heutige Leser an die bürgerlichen Verhältnisse des vergangenen Jahrhunderts denken. Aber Luther hatte andere Frauen vor Augen. Seine Käthe verwaltete ein Gut und eine Brauerei. „Heute denkt man bei einer Hausfrau an eine Frau, die mit dem Putzlappen hinter ihrem Mann herwischt“, sagt Christoph Levin. „Aber in der Bibel ist hier eine Frau gemeint, die das Haus besitzt und beherrscht.“

Ein neuer Ton im Bibeltext

Aber mehr noch beziehen sich die Veränderungen auf das Bild des Judentums. Das schleichende Gift der Judenfeindschaft hatte in früheren Übersetzungen deutliche Spuren hinterlassen. Die revidierte Lutherbibel zeigt ein positiv verändertes Verhältnis der Kirche zum (biblischen) Volk Israel und zum Judentum. Auch wenn es die Bibelübersetzer nicht gezielt darauf angelegt hatten, hat ihre Arbeit faktisch dieses Ergebnis gebracht. Das überrascht mich nicht, gibt es doch eine 50-jährige Diskussion über das Verhältnis von Juden und Christen.

Erledigt ist in der theologischen Lehre und in der Verkündigung schon längst die sogenannte Enterbungslehre. Kein ernstzunehmender Christ wird noch behaupten, dass die Juden in der Gunst Gottes von den Christen abgelöst worden seien. Statt einer Besser-schlechter-Rhetorik tritt nun der Kerngedanke ins Zentrum: Die Juden sind seit eh und je von Gott erwählt, und daran hat sich durch das Aufkommen der Christen nichts geändert. Die „bleibende Erwählung des Volkes Israel“, um die sich alles dreht, ist einer der Kerngedanken des Neuen Testaments, und sie tritt in der revidierten Bibel wieder klarer hervor. 

Das sind doch mehr als sublime Wortspiele in der Lutherbibel 2017. Einige Beispiele aus dem Römerbrief: Aus der Überschrift „Die Anklage gegen die Juden“ wurde „Fragen an die Juden“. Das klingt gleich viel freundlicher (Kapitel 2)! Aus „Israel hat keine Entschuldigung“ wurde „Warum ist Israel nicht zum Glauben gekommen?“ – eine offene Frage statt eines Urteils (Kapitel 10). Aus „Nicht ganz Israel ist verstockt“ wurde „Gott hat sein Volk nicht verstoßen“ – an die Stelle moralischer Abwertung ist eine Sachaussage getreten (Kapitel 11). Nicht nur in Überschriften, auch im Bibeltext selbst ist ein neuer Ton zu vernehmen.

Aus dem „Rest“ Israels, der sich der christlichen Botschaft geöffnet und deshalb Gottes Gnade gefunden hatte, sind „einige“ geworden. Das klingt nicht nach einem hoffnungslosen Überrest eines Volkes, sondern nach den Vorboten einer neuen Zukunft. Und ganz anders hört sich auch die Rede von den Erwählten an statt der Auserwählten (im jüdischen Volk, die Christus für sich entdeckt haben). Auserwählte: das hat was von Weltverschwörung. Aber die „Erwählten“ sind ein offener Kreis hoffnungsfroher Menschen (Kapitel 11).

Katholiken stritten noch um frauengerechte Sprache

Endlich: Auch die böseste antijüdische Fehlleistung ist vom Tisch: die „Synagoge des Satans“ im Buch der Offenbarung (2,9). Das war nicht einmal Originalton Luther – der hatte von einer „Schule des Satans“ gesprochen. 1956, elf Jahre nach dem Holocaust!, war Satans Synagoge in die Bibel hineingeraten. Gemeint sind damit Leute, die behaupten, Juden zu sein, es aber nicht sind. Im Deutschen denkt man bei einer Synagoge an den Gebets- und Versammlungsraum einer jüdischen Gemeinde. Nun ist in der Lutherbibel von einer „Versammlung des Satans“ zu lesen. Eine absolut notwendige Klarstellung.

Mein persönliches Lieblingswort in der neuen Bibel: Aus den „Zuträgern“, den von Paulus kritisierten Denunzianten, den IMs, sind „Ohrenbläser“ geworden (Römerbrief 1,29). Luthers Wort von 1545 wurde wiederentdeckt. Wie schön ist denn das!

Die evangelische Kirche kann mit ihrer Arbeit zufrieden sein, auch damit, dass die neue Bibel der neuen katholischen Bibelübersetzung zuvorkommt. Die war zwar schon vor zwei, drei Jahren weitgehend fertig. Doch sie wird frühestens im Frühjahr 2017 erscheinen. Einer der Gründe für die Verzögerung: innerkatholische Debatten um die frauengerechte Sprache.

Jedes Mal, wenn ich in Wittenberg im „Schwarzen Kloster“, dem Lutherhaus, bin, staune ich darüber, wie bescheiden der Esstisch der Familie Luther ist. Käthe von Bora saß und debattierte daran mit ihrem Mann, mit anderen Theologen, mit Studenten, Freunden. Eine Frau im Zentrum der Reformation: eine für die Kirche prägende Erfahrung, die durch nichts aufzuwiegen ist. 

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Sehr geehrter Herr Kopp,

vielen Dank für den Hinweis auf die Neuübersetzung der Lutherischen Bibel:

"Da rief alles Volk: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder.“

Psychologisch würde ich sagen, handelt es sich in der Szene aus der Passion um einen Affekt der anwesenden Juden-Gemeinde. Ein Affekt greift jedoch immer auf eine vergangene Verletzung oder ein vergangenes Trauma zurück. Jesus ist Auslöser dieser vergangenen Verletzung des jüdischen Volkes. Das fatale ist, daß diese Verletzung in einem emotional aufgeladenen Ruf des Volkes gefestigt, schriftlich festgehalten und von Generation zu Generation weitergetragen wurde.

Das wirkt nun wie ein Fluch seit über 2000 Jahren.

Meine Frage bleibt: Was ist die Ur-Verletzung dieses Traumas, die Jesus zum Objekt der Projektion machte? Ein Mitgefühl für dieses Trauma könnte in dem Konflikt zwischen Juden und Christen sehr heilsam wirken und den Fluch nicht nur intellektuell sondern auch in seiner emotionalen Verstrickung vom Herzen auflösen.

Mit freundlichen Grüßen

Walter Moritz

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Sehr geehrter Herr Kopp,

Ihren Artikel "Ende eines Fluches" muss man sehr genau lesen, um zu erkennen, dass Sie sich auf zwei verschiedene Textsorten beziehen:

einmal geht es um die Überschriften zu den Bibelabschnitten, einmal um die Bibeltexte selbst. Beide Texte muss man meiner Ansicht nach auseinanderhalten, da sie ganz unterschiedlich beurteilt werden müssen.

1.  Die Überschriften wurden später hinzugefügt und variieren in den verschiedenen Ausgaben. Sie sind beeinflusst vom Zeitgeist und müssen jeweils dem theologischen Kenntnisstand angepasst werden, wie Sie ausführen. Damit sind sie eine Hilfe für die Interpretation; der Bibelleser muss sie aber nicht akzeptieren.

2.  Bei den Bibeltexten darf die Lutherübersetzung nicht danach beurteilt werden, ob die Aussage mit unseren Vorstellungen übereinstimmt! Man muss fragen, ob Lutrher den Urtext richtig übersetzt hat, ob die Übersetzung also das ausdrückt, was der Verfasser gemeint hat.

Bei dem Text Offenbarung 2,9 steht im griechischen Urtext "Synagoge des Satans". Was wollte der Verfasser damit sagen? Man kann "Synagoge" mit "Versammlung" übersetzen, indem man auf die wörtliche Bedeutung zurückgreift. Wahrscheinlich ist das im Ursprungstext auch so gemeint; danach muss man jedenfalls fragen.

Maßgeblich für eine Änderung der Lutherübersetzung sollte also immer der Urtext sein.

Christine Harder, Fockbek

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Liebe Redaktion,

Ihr Magazin bringt immer wieder bedenkenswerte Artikel. Auch die mir vorliegende Ausgabe bietet etliche. Solch einer ist u.a. „Töchter gehören in die Schule“. Dafür danke ich Ihnen.

Der o.a. Artikel hinterlässt bei mir allerdings Zweifel an Herrn Kopps und der Autoren christlichen Grundhaltung. Natürlich ist nichts gegen eine verbesserte Übersetzung der Bibel einzuwenden. So lernte ich von einem Juden, dass die Bergpredigt-Forderung „Liebet Euere Feinde" auf fehlerhafter Übersetzung des hebr. Urtextes beruht. Handelt es sich aber wirklich noch um Übersetzung, wenn aus „Anklage gegen Juden“ nun „Fragen an Juden“ werden ?

Was soll frauengerechte Sprache? Ein Kotau vor dem Zeitgeist, der ansonsten mit Kirche und Gottesdienst nicht mehr viel am Hut hat? Das sagt Ihnen ein Christ, der im Alltag stets die Rechte der Frauen verteidigt. Wie sah denn die Lage für Käthe von Bora aus, die nach Herrn Kopps Darstellung eifrig theologisch mitdiskutierte? Nahm sie Anstoß an frauenfeindlicher Sprache der Bibelübersetzung ihres Mannes ?

Ist es für den Gläubigen nicht mehr wichtig, sich auf den Urtext beziehen zu können? Wollen die heutigen Übersetzer wirklich noch übersetzen oder geht es ihnen inzwischen um die Verbreitung einer eigenen „Heiligen" Schrift ? Fassungen in moderner Sprache hat es ja schon etliche gegeben. Sie erheben aber nicht den Anspruch, eine Lutherbibel zu sein.

Sorge bereitet mir auch, dass anscheinend wieder eine evang. Bibel herausgegeben werden soll, unabhängig von der rk. Kirche. Ich war so froh, als die Einheitsübersetzung erschien und uns die ökumenische Zusammenarbeit erleichterte. Ich kaufte sie sogleich und lese zuweilen gern darin. Will sich die evang. Kirche wieder davon verabschieden ? Das wäre jammerschade.

Vielleicht sehe ich die Dinge zu kritisch oder verstehe nicht alles. Dann wäre zu überlegen, ob ein Artikel wie der von Herrn Kopp besser erklären sollte.

Mit freundlichem Gruß

Hartmut Paul, Wolfach

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Sehr geehrte Damen und Herren,

Den Artikel "Ende eines Fluchs" in Chrismon 10.2016 fand ich sehr informativ. Tatsächlich aber ist die Einheitsübersetzung (zumindest was das Neue Testament und die Psalmen betrifft) eine ökumenische Übersetzung; daher bin ich der Meinung, dass die Bezeichnung "katholische Einheitsübersetzung" falsch ist. Schade, dass schon damals dieses Projekt nicht ökumenisch zu Ende geführt wurde und eine Revision auch nicht ökumenisch erfolgen kann/konnte.

Warum es den Autor Eduard Kopp "zufrieden" macht, dass die Luther Übersetzung der katholischen Bibelübersetzung zuvorkommt, erschließt sich mir nicht. Die Bibelübersetzungen sind doch kein Wettbewerb, darum wer schneller damit fertig wird, wie in vielen Teilen der Wirtschaft (neues Automodell, neues Mobiltelefon und so weiter). Da sollten doch etwas andere Kriterien gelten.

Mit freundlichen Grüßen,

Josef Standlmaier, München

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Dass eine Bibelrevision 2017 latente sowie explizite Antisemitismen korrigieren sollte, ist keine Frage. Meinetwegen können auch die Hausfrauen rausfliegen. 

Weit mehr über uns selbst verrät aber der Umgang mit der Sprache. Da kommt für das Jubiläum 2017 eine Lutherrevision auf den Markt, die sich in vielen Formulierungen an der von 1912 orientiert, teils sogar an 1545! Was würde Luther dazu sagen? Vielleicht „Prima! Ihr haltet mein Vermächtnis in Ehren!“ Nein. Luther würde es uns links und rechts um die Ohren hauen. Er ging, wenn er beim Übersetzen sich schwertat, auf den Eisenacher Markt hinunter, um den Leuten aufs Maul zu schauen. Er wollte die Bibel in eine Sprache bringen, die die Leute verstehen. Also griff er nicht auf Formulierungen zurück, die er als sprachgewandter Theologe, als gebildeter Mensch oder als Sohn eines Bergwergbesitzers besonders toll und originell fand. Sondern er übersetzte in die Sprache der einfachen Leute. Und wir heute? Statt sein Feuer weiterzugeben bewachen wir die Glut. Nicht Luthers Prinzip setzen wir fort, sondern wir klammern uns an seine Sprache. Wir schauen nicht mehr den Leuten aufs Maul, sondern wir sind selbstgefällig. Der beispielhafte und von Herrn Kopp im Beitrag hochgelobte „Ohrenbläser“! Toll – finde ich als Theologe und Sprachfan auch. Aber was soll’s, wenn heute schon kaum noch einer was mit dem schönen „Saugbläser von Heinzelmann“ anzufangen weiß? (Und der ist noch nicht mal 50 Jahre alt.) Was soll Luthers „Ohrenbläser“ aus Römer 1,29, wenn kein normaler Mensch auf der Straße sich etwas darunter vorstellen kann? Alljährlich schaue ich mir mit meinen Konfirmanden, wenn sie neu zur Konfi-Stunde kommen, Psalm 23 an. Und alljährlich stolpern wir über das schöne Wort „erquicken“. So gut wie kein Kind der 7. Klasse weiß damit etwas anzufangen. 

Es ist unsere Aufgabe, die Bibel in eine Sprache zu übersetzen, die die Leute verstehen; und nicht in eine Sprache, die die Voraussetzung dafür schafft, dass wir den Leuten etwas zu erklären haben. Denn wenn wir den Menschen eine Bibel auftischen, die sie nicht verstehen, ist das genau so gut, als wenn wir ihnen gar keine Bibel auftischen. Da könnten wir auch wieder Latein reden (ist übrigens auch eine schöne Sprache).

Haben wir so wenig Zutrauen in die Gegenwart und in die Zukunft? Sind wir uns so sehr selbst genug? Es wird mir immer rätselhafter, was wir da kommendes Jahr überhaupt feiern.

Viele Grüße,

Christian Bernhardt,  Pfarrer in Weistropp

Sie legen den Finger in Wunden, die Sprach-, Begriffs-, bzw. Inhaltsvirtuosen in die Bibel geschlagen haben. Im steten Bemühen, die Emotionen der Gläubigen mit wunderschönen Redewendungen zu bedienen, hat sich im Laufe der Zeit eine spezielle Religionssprache entwickelt, die mit der normalen Sprache und deren Inhalte wahrlich nichts mehr zu tun hat. Unverdrossen zu versuchen, die Fanfaren von Jerichow zu blasen, obwohl die Instrumente nicht mehr verfügbar sind, endet im allgemeinen Unverständnis. Mit religiösen Phrasen eines speziellen Weihrauch-Wortschatzes irdische Ansprüche zu erfüllen, ist vergeblich. Das Ergebnis sind dann bis zur Beliebigkeit unendliche Interpretationen dessen, was andere glauben sollen. So hört die Glaubwürdigkeit auf, bevor sie begonnen hat. Es ist das alte Dilemma der Vorprägung, dass zu häufig der gewohnte Gewohnheitssprech durchbricht. Das alles erinnert doch stark an isolierte Minderheiten, die in ihren Kirchen-Burgen eine eigene Sprache pflegen, die außerhalb der Mauern möglichst wenige verstehen können und sollen.
Es gibt eine überraschend sprachliche Parallele zur Modernen Kunst und zur Sprache des Feuilletons. Denn auf den Vernissagen und in den Rezensionen das gleiche Bild und Erlebnis. Auch dort wird eine Insidersprache gepflegt, die in der Gemeinschaft der „Wissenden“ ein gemeinsames Verständnis suggeriert, obwohl sie nicht in der Lage sind, die vermuteten Inhalte zweifelsfrei Einsteigern plausibel zu machen. Damit wird die eigene Überzeugung solitär/elitär. In diesem „edlen“ Bewusstseinszustand lebt es sich unangefochten moderat.

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Die Frage, die die "Lenkungsgruppe" wirklich hätte steuern müssen: wie erreichen wir Leser? Das scheint bei der alt-philologischen Manie völlig hintenrübergekippt zu sein. Egal, dass es keiner liest - hauptsache wir machen es allen (ge-) recht. Die parallele Entwicklung ist: Exegeten legten den Text nicht mehr aus, nur noch Exegeten, dann nur noch die Meinung von Exegeten, dann die Feuilletons auflagenstarker deutscher Wochenzeitungen. Bis dann unser Leuchtfeuer-Zentrum für Predigtkultur auf die Lösung kam: wir sagen jetza mal grod gar nix mehr. Vor allem nicht zu Ostern.
Übrigens "Hausfrauen" haben nur im bourgeoisen Großbürgertum nicht gearbeitet, Bauersfrauen, Arbeiterinnen, Apothekers- und Arztfrauen, Gutsbesitzerinnen: sie haben alle gearbeitet. Selbst Fürstinnen hatten repräsentative und Verwaltungsaufgaben, die Manuela Schwesig und Heiko Maas mit einem üppigen Mitarbeiterstab kaum bewältigen. Und dabei noch sechs oder mehr Kinder erzogen - und sie natürlich nicht durch staatliche Verwahranstalten ruinieren lassen - siehe Bettina von Arnim. Wie milieuverengt muss man eigentlich unterwegs sein, um so ein historisch-unkritisches Bild von "Hausfrau" zu haben?