An einer Burg in Kärnten prangt ein großes Hakenkreuz. Etwa zwanzig Kilometer von Klagenfurt entfernt ist das Symbol mit gebranntem Kalk weit sichtbar oben am Burgturm aufgeätzt. Die grauweißen Balken sind so groß, dass sie fast die ganze Turmbreite einnehmen. Seit den Dreißigerjahren ist das Hakenkreuz an der Ruine Hochkraig, etwas verwittert mittlerweile, doch gut zu erkennen. Man sieht es, wenn man die Bundesstraße L 67 entlangfährt, und auch, wenn man auf den nahen Waldwegen wandert.
Die Ruine liegt in einer waldigen Hügellandschaft nahe dem 600-Seelen-Ort Kraig. Graf Peter Goess, Burgherr und Nachfahre eines alteingesessenen Adelsgeschlechts, steht in kurzer Lederhose und grün umsäumter Jacke am Burgturm. Dort, wo einmal der Innenhof der Burg war, türmen sich heute die Schuttberge, überwuchert von wilden Blumen und Gräsern. Das Gesicht des 67-Jährigen ist wettergerötet. Er ist ein schmaler Mann mit Schnurrbart, die bloßen Knie über den Wadenstrümpfen vom Gestrüpp zerkratzt. Der Graf ist Forstwirt und verwaltet seine Ländereien. Er hat das Hakenkreuz auf seiner Burg nie gewollt, aber es hat ihn auch nie gestört. „Es ist kein Problem“, sagt er.
„Dieses Symbol“, sagt Gorazd Živkovi, Leiter des Kärntner Denkmalamtes, „darf man in Österreich nicht unkommentiert stehen lassen.“ Schon lange gibt es Kritik an dem Hakenkreuz von Hochkraig, etwa vonseiten des Mauthausen-Komitees, einem Verein, der nach Österreichs größtem KZ benannt ist. Auch die Medien berichten gelegentlich über das Symbol. Geändert hat sich nichts.
Jahrelang ruhte der Fall Hochkraig in den Schubladen des Denkmalamtes, Živkovis Vorgänger hatte offensichtlich wenig Interesse, sich damit auseinanderzusetzen. Denn das Hakenkreuz von Hochkraig liegt im Spannungsfeld zweier Gesetze: dem sogenannten Verbotsgesetz, das jede Betätigung für die Ziele der NSDAP und auch das Zurschaustellen ihrer Symbole unter Strafe stellt, und dem Denkmalschutzgesetz. Dass das Symbol bis heute überlebte, hat vor allem mit den Kosten zu tun: Will man das Hakenkreuz entfernen, muss zuerst die Mauerkrone des Turms gesichert werden. Und das ist teuer. Živkovi will eine Lösung finden. Er war es, der sich wiederholt um ein Treffen mit dem Grafen bemüht hat und nun seine Techniker den Zustand der Ruine untersuchen lässt. Nicht nur, weil diese Ruine aus dem 14. Jahrhundert zu den bedeutendsten Burganlagen Kärntens gehört, sondern auch als „guter Demokrat“, wie er sagt.
Vom Hakenkreuz geht keine Ansteckungsgefahr mehr aus
Geschickt spricht er sein Gegenüber nur mit „Graf Goess“ an. Der findet, die Medien bauschten mal wieder eine Sache unnötig auf. „Das Kolosseum reißt man ja auch nicht ab, obwohl dort Tausende Christen ermordet wurden“, sagt der Graf. „Da gibt es einen feinen Unterschied“, antwortet ihm Živkovi. „Das Kolosseum ist ein historisches Bauwerk, das für eine ganze Zeit steht. Das hier ist ein Symbol, das für eine demokratische Gesellschaft als Provokation gelten muss.“ „Das ist alles Geschichte, das ist vorbei“, wehrt Goess ab. „Man muss es nüchtern betrachten“ – wertfrei, so wie die englischen Historiker Geschichte schreiben würden, ohne „sich künstlich Asche drüberzustreuen“. Seine jüngste Tochter zum Beispiel interessiere das überhaupt nicht. „Es muss uns aber interessieren! Ich halte es für einen groben Fehler, so etwas mit den Worten abzutun, dass es keinen stört!“, sagt Živkovi.
Das Hakenkreuz auf der Burgruine Hochkraig erzählt auch eine Geschichte über den Umgang mit der Vergangenheit. 2014 ist ein Jubiläumsjahr, nicht nur mit Blick auf den Ersten Weltkrieg, sondern auch auf den Juliputsch 1934. Am 25. Juli überfielen 154 als Soldaten des Bundesheeres und Polizisten verkleidete SS-Leute das Bundeskanzleramt in Wien. Dabei wurde Engelbert Dollfuß, der Kanzler, von Schüssen tödlich getroffen. Gleichzeitig drang eine Gruppe von Putschisten in die Wiener Senderäume der RAVAG, der Radio-Verkehrs-Aktiengesellschaft, ein und verbreitete die falsche Nachricht, Dollfuß habe die Regierungsgeschäfte an Anton Rintelen übergeben. Dies sollte das Zeichen für den Aufstand von SA und SS in ganz Österreich sein. In Teilen Österreichs kam es zu heftigen Kämpfen zwischen Nationalsozialisten einerseits, Regierungstruppen und paramilitärischen Verbänden, so-genannten Schutzkorps oder Heimwehren, andererseits. Die Kämpfe dauerten in der Steiermark und Kärnten am längsten. In dieser Zeit wurde auch ein Hakenkreuz erstmals am Burgfried angebracht – von den damals illegalen Nazis, ein Zeichen, das man weithin sehen sollte. Doch der Putschversuch scheiterte, die Aufständischen unterlagen, einige von ihnen wurden hingerichtet, 4000 in Lager eingewiesen, viele flüchteten ins Deutsche Reich oder nach Jugoslawien.
Bloß nicht die typisch österreichische Lösung: Zudecken und vergessen wollen
Doch es fällt in Kärnten manchmal schwer, das zu glauben. Wenn etwa der 78-jährige Bürgermeister der Gemeinde Gurk, Siegfried Kampl, im September der Lokalzeitung sagt: „Nur von dem, was sie gemacht haben, distanziere ich mich, nicht vom Nationalsozialismus. Das darf man nicht sagen, dass der zum Teil schlecht war.“ Er wurde daraufhin von der rechtspopulistischen Partei FPÖ ausgeschlossen. Oder wenn der heutige Klagenfurter Bürgermeister Christian Scheider in einem Interview im Jahr 2000 nach den Ursachen des Zweiten Weltkrieges gefragt wird – und keine Antwort geben kann.
In der Landeshauptstadt gibt es Straßen, die nach Nazigrößen benannt sind, und man findet auch andere Hakenkreuze. Immerhin: Das Gymnasium St. Martin in Villach, ein Bau von 1938, dessen Grundriss ein Hakenkreuz bildete, wurde baulich verändert. Sein Grundriss wurde rechteckig geschlossen.
Živkovi kann sich gut ein Kunstprojekt, ein Mahnmal, vorstellen, sagt er. Er weiß, dass er dafür Unterstützung von vielen Seiten braucht. Von der Gemeinde, deren Bürgermeister ein Jagdfreund von Goess ist und den das Hakenkreuz nicht stört, schließlich sei es in Privatbesitz. Vom Land, dessen Subventionen er für eine Sicherung der Ruine braucht. Seit Monaten schon führt er im Hintergrund Gespräche, sucht Geldgeber.
Als der Regisseur Günter Schmidauer vom Hakenkreuz erfuhr, machte er Goess über die Lokalzeitung ein Angebot: Mit einer Künstlergruppe würde er das Hakenkreuz mit Farbkanonen beschießen – mit den Farben, mit denen KZ-Häftlinge etikettiert wurde: etwa Gelb für Juden, Rosa für Homosexuelle, Rot für politische Gefangene. Am Ende solle aber ein Teil des Hakenkreuzes sichtbar bleiben – sonst wäre es wieder eine typisch österreichische Lösung. Zudecken und vergessen wollen.
Goess hat auf das Angebot nicht reagiert. Er hält nicht viel von solchen Ideen, schließlich sind seine Wälder auch Jagdgebiet. Er will kein Mahnmal aus seiner Burg machen, keine „Pilgerstätte“, wie er sagt. „Ich möchte weder die Kurzgeschorenen noch die Langhaarigen anlocken.“
Im Jahr 2011 ermittelte die Klagenfurter Staatsanwaltschaft wegen des Nazisymbols von Hochkraig, nachdem Zeitungsartikel darüber erschienen waren. Die Ermittlungen wurden bald eingestellt. Hinweise ließen sich nicht erhärten, „dass Eigentümer oder öffentliche Stellen mit dem Gedankengut des Nationalsozialismus sympathisieren würden und gegen eine Entfernung wären“, teilt die Behörde mit und verweist auf die hohen Kosten einer Entfernung.
Brüchiges Mauerwerk löst sich, ein Schauer kleiner Steinchen prasselt die Turmmauer herunter, als ein Ingenieur des Denkmalamtes und ein Turmkletterer die Mauerkrone des Burgfrieds untersuchen. Von dort oben sehen sie auch den sonst versteckten Schriftzug „Heil Hitler“ unter dem Kreuz, der wahrscheinlich noch aus der Zeit des Juliputsches stammt. Unten stehen Goess und Živkovi, in deren Gespräch es längst nicht mehr um Sanierung, Kosten oder Mahnmal geht. Goess redet von Siegerjustiz, von der Propaganda der Nazis, der wir heute noch aufsäßen, und von Schuld. „Auch der ärgste Nazi muss unrecht gehabt haben dürfen“, sagt er. „Wenn ich ihn restlos verurteile und er nicht darüber reden kann, wie alles war, dann macht das alles nur schlimmer.“ Das sei der Grund dafür, dass es heute noch Neonazis gäbe.
Lösung in Sicht
Es ist eine Unterhaltung, die Goess sehr routiniert führt. Der Familie gehört auch der Ulrichsberg, Schauplatz des alljährlichen „Heimkehrertreffens“. Nach dem Zweiten Weltkrieg trafen sich dort die Soldaten zu einer Dankesmesse. Auch hochrangige ehemalige Wehrmachtsangehörige, die den Krieg und den Nazistaat verharmlosende Reden hielten. Diese und die folgenden Treffen waren sehr umstritten, doch für Goess ist die Kritik an ihnen unberechtigt. Neonazis, die dort hinstrebten, habe man immer abgefangen. Jedes Gedenken hat für ihn seinen Ort: am Ulrichsberg für die Soldaten, in den ehemaligen KZs für die Opfer.
Kann man Erinnerung so säuberlich trennen? Einige Wochen später im Palais Goess, einem Prunkbau mitten in der Klagenfurter Innenstadt. Ausgerechnet hier befindet sich das Kärntner Denkmalamt. Im früheren Büro des Grafen, das mit wuchtigen dunklen Holzvertäfelungen ausgekleidet ist, sitzt Gorazd Živkovi und hat Neuigkeiten. Man habe sich geeinigt. Die Ruine werde gesichert, ihr Verfall aufgehalten, die Kosten – ein fünfstelliger Betrag – teilten sich Land, Denkmalamt und Gemeinde.
Auch gebe es im nächsten Jahr einen Wettbewerb unter Künstlern. Farbe, Videoprojektionen, alles ist denkbar. Den Sieger bestimmt eine Jury, in der neben Goess und der Kulturverwaltung des Landes auch ein Vertreter des Mauthausen-Komitees sitzt.