Ausschlusskriterien
Wie sich ihre Mitglieder verhalten, kann der Kirche nicht gleichgültig sein. Doch sollte sie überzeugen, nicht zwingen
07.10.2010

Am 20. Februar 2010 beschloss die evangelische Kirche, auf ein uraltes Recht gegenüber ihren Mitgliedern zu verzichten. An diesem Tag versammelte sich die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Das oberste Gremium der Landeskirche soll eine neue Kirchenordnung verabschieden. Man könnte auch sagen: Sie brachte ihre Verfassung auf den neuesten Stand. Dabei fielen aus dem begleitenden Gesetz, der Kirchengemeindeordnung, einige Paragrafen weg. Ein althergebrachtes Recht der Kirche ging verloren: ihre Mitglieder zu strafen.

Moment mal: Die Kirche bestraft ihre Mitglieder? Geht das überhaupt? Grundsätzlich ja. Die Kirche kann strafen, wenn auch nur durch Worte, ohne Zwang. Es gibt nur eine Sanktion: den Ausschluss vom Abendmahl.

Na gut, könnte man denken. Nicht mehr zum Abendmahl gehen. Damit kann ich leben. Aber sterben konnte man damit früher nicht! Wer auf Erden nicht am Abendmahl teilnehmen durfte, für den sollte auch der Himmel verschlossen bleiben. Der Ausschluss vom Abendmahl war über viele Jahrhunderte ein Ausschluss vom Seelenheil, eine furchtbare Sanktion.

Die evangelischen Kirchen waren bei den Strafen von Anfang an zurückhaltender als die Katholiken. Hier kann kein Pfarrer oder Bischof allein über den Ausschluss vom Abendmahl entscheiden. Die evangelischen Kirchenordnungen sehen bis heute vor, dass diese Entscheidung in der betroffenen Gemeinde fällt. Die Entscheider sind in der Mehrzahl Nichttheologen - so soll Willkür unterbunden werden.

Wer ausgeschlossen werden soll, hat sich eigentlich schon selbst verabschiedet

Die katholische Kirche kennt bis heute viele Gründe für den Ausschluss von Sakramenten und Ämtern: neben grundsätzlicher Kritik am überlieferten Glauben auch moralische Fragen und Verfehlungen gegen die Institution Kirche. Dazu gehören zum Beispiel Gewaltattacken gegen den Papst oder die Beteiligung an einem Schwangerschaftsabbruch.

Die Gründe für einen Ausschluss beziehen sich bei den Protestanten vor allem auf die christliche Gemeinschaft: Wenn einer in der Kirche verkündet, es gebe keinen Gott. Wenn sich einer betont unsozial verhält und nichts auf Nächstenliebe gibt. Wenn einer rassistische Lehren verbreitet, die niemals zum Glauben an Jesus passen. Man sieht schnell: Wer ausgeschlossen werden soll, hat sich eigentlich schon selbst von der Gemeinschaft der Kirche verabschiedet. Die Strafe, der Ausschluss vom Abendmahl, ist in der evangelischen Kirche letztlich nur sichtbares Zeichen für das, was bereits geschehen ist.

Vom Seelenheil wird man dadurch nach heutiger Vorstellung nicht mehr getrennt. Aber Folgen hat es doch. Das zeigt der Fall Wischnath, der 1998 hohe Wellen schlug. Berlins Innensenator Schönbohm hatte in einer Nacht- und Nebelaktion 74 Flüchtlinge aus ihren Heimen holen und abschieben lassen. Dieses Vorgehen stieß weithin auf Ablehnung. Pfarrer Rolf Wischnath sagte damals, man "müßte überlegen, ob man Jörg Schönbohm ... noch zum Abendmahl zulassen kann".

Ausnahmslos alle Menschen sind zum Abendmahl eingeladen

Schönbohm bezeichnet sich selbst als Christ - das kann ihm niemand absprechen. Aber sein Verhalten passe einfach nicht zum christlichen Glauben, meinte Wischnath. Erst recht nicht zum Abendmahl. Denn dazu sind alle Menschen eingeladen, arme und reiche, gesunde und kranke, Aus- und Inländer. Wer Asylsuchende unmenschlich behandelt, der hat sich von dieser Abendmahlsgemeinschaft entfernt. Der öffentliche Ausschluss: ein sichtbares Zeichen für das, was bereits geschehen ist. Schon dieses Nachdenken über eine Kirchenstrafe hatte Folgen. Es löste eine Debatte über die Asyl-und Ausländerpolitik aus. Obwohl letztlich keine Sanktion verhängt wurde.

Angewandt wurde die Kirchenstrafe in Wirklichkeit schon lange nicht mehr. In der EKHN seit 60 Jahren kein einziges Mal. Deswegen kann die Kirche auf sie verzichten. In der rheinischen Kirche ist man den Schritt schon 1996 gegangen. Vermisst hat die Paragrafen dort seither keiner.

Jeder Verein kann Mitglieder ausschließen, wenn sie gegen seine Grundsätze verstoßen. Verzichtet die Kirche auf dieses Recht, wird deutlich: Sie ist kein Verein. Die Kirche lebt von der Liebe Gottes. Und die gilt uneingeschränkt allen.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.