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Was ist häusliche Gewalt?
Wie kann man sich gegen Gewalt zuhause wehren? Im April-Heft von chrismon (2012) geht es in der Reportage um häusliche Gewalt. Hier gibt es weiterführende Informationen
Tim Wegner
28.03.2012

NEU: Hilfetelefon bei Gewalt gegen Frauen

Die kostenlose Hilfe-Hotline 08000 116 016 kann man rund um die Uhr anrufen, um sich anonym und kompetent beraten zu lassen. Für betroffene Frauen, aber auch für Freundinnen, Angehörige, Bekannten und andere Menschen, die Frauen helfen wollen, die Opfer von Gewalt geworden sind. Ob bei Gewalt in Ehe und Partnerschaft oder bei sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung, bei Stalking, Zwangsprostitution oder Genitalverstümmelung. Mit Hilfe von Dolmetscherinnen werden auch Frauen beraten, die kein oder nur wenig Deutsch sprechen.

Was ist häusliche Gewalt?

Häusliche Gewalt ist: körperliche und sexuelle Misshandlung, Beschimpfung, Demütigung und Bedrohung, Isolierung und ökonomische Gewalt von Menschen, mit denen der Täter zusammenlebt (oder gelebt hat), mit dem Ziel, Macht und Kontrolle auszuüben. So lautet zum Beispiel die Definition der vom Bundesministerium für Frauen und Familie geförderten Website über Gewaltschutz.

Wichtig: Neben körperlicher wird auch psychische Gewalt genannt. Bereits die Androhung von Gewalt gilt als häusliche Gewalt. Ebenso die Verletzung der Freiheit einer Person.

In all diesen Fällen sieht das seit 2002 geltende Gewaltschutzgesetz Schutzmaßnahmen für das Opfer vor, etwa die, den Täter für eine bestimmte Zeit aus der Wohnung zu verweisen oder ihm die Kontaktaufnahme per Telefon etc. zu untersagen.

Was ist Streit, was Gewalt?

In jeder Beziehung gibt es Interessenkonflikte, darüber kommt es dann gern auch zum Streit. Streit kann in Gewalt ausarten. Paare streiten sich zum Beispiel über die Frage, wohin es dieses Jahr im Urlaub gehen soll. (Die Website www.gewaltschutz.info hat diese Situation mal durchgespielt, die folgenden Zitate stammen von dort).

Rolf will den Urlaub im Gebirge verbringen, dort will er für die Familie ein Häuschen mieten und auf Klettertouren gehen. Amalie muss dann den Haushalt führen und die Kinder beschäftigen – zum Wandern sind die nämlich noch zu klein. Sie will deshalb lieber ans Meer, in ein Hotel: sich sonnen, baden und Sandburgen bauen wäre ideal. Sie schlägt vor, getrennt zu verreisen. Welche der folgenden Reaktionen sind Streit, welche Gewalt?

  • "Schon letztes Jahr waren wir baden." (Er bestätigt den Interessenkonflikt, ein Kompromiss ist aber nicht ausgeschlossen.)
     
  • "Das ganze Jahr hab ich für euch geschuftet, jetzt will ich auch was für mich." (Er äußert seinen Wunsch deutlich. Männer, die schweigen, sind gefährlicher, weil ihnen irgendwann der Kragen platzt)
     
  • "Du allein verreisen? Das schaffst du nie!" (Er macht sie klein, untergräbt ihr Selbstvertrauen: psychische Misshandlung)
     
  • Er knallt die Tür und verlässt das Haus. (Wenn ein Streit sich so zuspitzt, dass man sich verletzt, zunächst mit Worten, später vielleicht körperlich, ist es sinnvoll, den Ort zu verlassen, bis sich die Gemüter beruhigt haben)
     
  • "Dann sperre ich eben das Konto." (Er teilt ihr Geld zu und nimmt es weg: ökonomische Gewalt)

Formen von Gewalt

(wesentlich übernommen von den Webseiten der Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt beim Justiziministerium Saarland)

Wichtig: Meist gibt es Übergänge zwischen den Formen von Gewalt, und manche Frauen sind von allen drei Formen betroffen.

Körperliche Gewalt:
Alle Formen von Misshandlungen von der "einfachen Ohrfeige" bis hin zu Mord oder Totschlag: Stoßen, Treten, Schlagen, an den Haaren ziehen, Verbrennen, Misshandlungen mit Gegenständen, Gebrauch von Waffen... Die Verletzungen reichen von schmerzhaften Blutergüssen über eingeschlagene Zähne und Knochenbrüche bis hin zu schweren inneren Verletzungen mit Todesfolge.

Psychische Gewalt:

  • Drohungen, Nötigungen: Für den Fall des Verlassenwerdens wird zum Beispiel mit der Tötung gedroht, mit entstellenden Verletzungen (Zerschneiden des Gesichts), der Entführung der Kinder, Brandstiftung bei Verwandten oder Vergiftungen von Haustieren und so weiter.
  • Das Opfer soll eingeschüchtert werden, damit es sich stärker anpasst an den Willen des Täters.
  • Belästigungen, Verfolgungen, Terror: ständige Anrufe, Emails oder SMS-Nachrichten, Anrufe mitten in der Nacht, Drohbriefe, Bespitzelung oder offene Verfolgung, Belagerung des Hauses oder der Arbeitsstelle...
  • Systematische Beschimpfungen, Abwertungen, Diffamierungen: zum Beispiel dauerndes Lächerlichmachen in der Öffentlichkeit, beleidigende Äußerungen über den Charakter oder das Aussehen, Behauptungen über den krankhaften Geisteszustand, die mangelnde Zurechnungsfähigkeit oder die gestörte Wahrnehmung...

Ökonomische Gewalt:
bezieht sich auf die Kontrolle über die finanziellen Mittel. Das kann bedeuten, dass trotz vorhandener Mittel zu wenig Geld für die Haushaltsführung zur Verfügung gestellt wird und/oder dass Einkommen, Vermögen und Ausgaben geheim gehalten werden

Isolation und Kontrolle:
Der Kontakt zu Verwandten und FreundInnen wird zunehmend untersagt. Berufstätigkeit und Einkauf werden unterbunden oder stark eingeschränkt und minutiös kontrolliert. Zum Zwecke der Isolierung wird manchmal auch unmittelbarer Zwang angewendet (Wegnahme der Autoschlüssel, Einsperren in der Wohnung, Unterbrechung der Telefonleitung... )

Sexuelle Gewalt:
Umfasst alle sexuellen Handlungen und jedes sexuelle Verhalten, das der Frau aufgedrängt oder aufgezwungen wird: Vergewaltigungen (erzwungene vaginale, orale oder anale Penetration); Zwang zu sexuellen Handlungen, die die Frau bizarr, entwürdigend oder erniedrigend findet; erzwungenes Anschauen von Pornografie und so weiter

Ihre Rechte:

Sie haben ein Recht (Menschenrecht!) zum Beispiel:

  • auf körperliche Unversehrtheit
  • eigene Gedanken und Meinungen
  • auf eigene Freunde
  • auf sexuelle Selbstbestimmung
  • darauf, eine Beziehung zu verlassen und eigene Wege zu gehen

Ihre Wünsche sind ebenso wichtig wie seine. Und: Nicht Sie sind verantwortlich für das Verhalten Ihres Partners, sondern er.

(Entnommen der Webseite www.gewaltschutz.info)

Hilft Paar- und Familienberatung?

Paar-/Familienberatung hilft in vielen anderen Fällen, aber nicht bei häuslicher Gewalt. Denn in der Familienberatung wird die Frau ermuntert, in der Anwesenheit ihres Mannes freimütig ihre Meinung und ihre Gefühle zu äußern; dafür könnte er sie später büßen lassen.

"In unserer Beobachtung (von 63 Paaren) stellten wir fest, dass häusliche Gewalt wenig oder gar nichts mit dem Opfer selbst zu tun hat. Insofern macht Paartherapie keinen Sinn. Schlagen hat rein gar nichts mit der Dynamik einer Ehe zu tun. Die Ursache für das Schlagen liegt nicht in der Beziehung, sondern im Täter selbst."

(aus: "When men batter Women", Neil Jacobson und John Gottman, New York 1998, S.226. Zitiert von der Seite www.gewaltschutz.info)

Bleiben oder gehen?

Für eine Trennung spricht:
Je länger Sie warten, desto schwerer wird es: die Gewalt eskaliert mit jedem Mal; Ihr Selbstbewusstsein schwindet; die dauernde Angst lähmt; die gesundheitlichen Folgen werden schlimmer.

Sie gewinnen dabei: Vertrauen in die eigene Stärke; die Anspannung lässt nach; viele psychische und körperliche Beschwerden verschwinden; Sie sind nicht mehr isoliert und können mit anderen darüber sprechen; es gibt wieder eine Zukunft.

Gründe zu bleiben:
Drohungen des Mannes; materielle Sorgen; Angst, alleine nicht zurecht zu kommen; Sorge um die Kinder; die Hoffnung, dass er sich ändert; Scham, als Ehefrau versagt zu haben; Mitleid mit dem Mann - statt mit sich selbst

Variante: Trennung auf Zeit
Sie können für eine gewisse Zeit ins Frauenhaus ziehen oder eine Wegweisung des Misshandlers erwirken. Aus dieser geschützten Position können Sie in Ruhe überlegen, was sie selbst möchten, mit ihrem Mann verhandeln, ohne direkte Bedrohung juristische Schritte einleiten

(gekürzt entnommen der Seite www.gewaltschutz.info)

Opfer sein?

Diese Person ist auf dem Weg ein Opfer zu werden:

  • Um Frieden zu wahren, behält sie manchmal die eigene Meinung für sich
  • Wird ihr Umgang mit bestimmten Personen missbilligt, verzichtet sie darauf
  • Ihm zuliebe macht sie bei Aktivitäten mit, die ihr nicht gefallen
  • Sie schläft mit ihm, auch wenn es ihr widerstrebt, sie müde oder krank ist
  • Sie achtet darauf, seine Wünsche genau zu erfüllen
  • Sie glaubt, das Wichtigste sei, die Familie zu erhalten
  • Wie ein Radar erfasst sie laufend jeden Stimmungsumschwung ihres Partners
  • Bevor sie ein bestimmtes Thema anspricht, wartet sie einen günstigen Moment ab
  • Bevor sie Vorschlägen von Freunden zustimmt, muss sie erst seine Meinung einholen
  • Sie glaubt, er sei von ihr abhängig, komme ohne sie nicht zurecht
  • Sie achtet weniger auf ihre eigenen Gefühle, als darauf, dass er zufrieden ist
  • Sie glaubt, dass er Recht hat mit seiner Kritik an ihrem Körper, ihrer Intelligenz.

Diese Person glaubt:

  • in der Beziehung versagt zu haben
  • dass nicht er, sondern sie (oder Alkohol, Stress, Kindheit) Schuld daran ist, dass er sie schlägt
  • dass er manchmal Recht hat, sie zu schlagen
  • dass er mit dem Schlagen aufhören wird, wenn sie alles richtig macht
  • eine Versagerin zu sein, weil er ihr das täglich sagt
  • dass sie sich aus dieser Beziehung nie lösen und nie alleine Leben könnte.
  • Wundern sich andere über sein Benehmen, verteidigt sie den Aggressor
  • Sind Spuren der Gewalt sichtbar, erklärt sie diese mit einer Lüge (Treppe runtergefallen)
  • Sie zeigt psychosomatische Störungen (Schlaf- und Essstörungen, Migräne, etc.)
  • Sie benutzt Sex, um einer Person nahe zu kommen
  • Gewalt und Missbrauch hat sie (wahrscheinlich) schon als Kind kennen gelernt
  • Alkohol, Tabletten oder Drogen sind für sie wichtige Hilfsmittel geworden

Opfer gehen, wenn sie verstanden haben,

  • dass die Brutalität nicht aufhören wird und
  • dass nicht sie für sein Verhalten verantwortlich sind
  • wenn sie nicht mehr bereit sind, Misshandlungen hinzunehmen
  • wenn er die Kinder angreift
  • wenn sie beginnen, ihre eigenen Fähigkeiten und guten Seiten zu erkennen
  • wenn sie einen sicheren Ausweg sehen.

(leicht gekürzt übernommen von der Webseite www.ava2.de, erstellt von Cristina Perincioli, gefördert vom Bundesministerium für Frauen und Familie)

Sich in Sicherheit bringen

Die Trennung ist eine besonders gefährliche Phase in einer Gewaltbeziehung. Sie sollte gut vorbereitet sein und mit Unterstützung und nicht im Beisein des Partners vollzogen werden. Aber auch vorher schon ist es gut, für Notfälle Schutzmaßnahmen vorzubereiten. Sei es ein verstecktes Prepaidhandy mit den wichtigsten Notfallnummern, stummgestellt natürlich, seien es mit Freundinnen vereinbarte Codewörter, auf die hin sie sofort die Polizei losschicken etc.

Mehr dazu und was in eine Notfalltasche gehört, wo sie deponiert wird, ein Sicherheitsplan zum Herunterladen und Tipps, wie man im Fall der Flucht an Geld kommt, findet sich hier.

Viele Tipps, zum Beispiel auch dazu, wie man sich nach der Flucht unsichtbar macht (Auskunftsperre bei Behörden beantragen, Post nur an ein Postfach) gibt es in dem überaus praktischen Buch von Katja Schneidt: "Du hast keine Macht über mich! Wie man sich vor häuslicher Gewalt schützen kann", mvg-Verlag, 16,99 Euro

Wem passiert so was?

Wenige der geschlagenen Frauen zeigen ihre Misshandler an, und wenige flüchten in ein Frauenhaus. Die Zahl der Anzeigen und Frauenhausbewohnerinnen ist das im kriminologischen Jargon so bezeichnete "Hellfeld": Gewaltakte, die öffentlich bekannt werden. Doch bei manchen Straftaten sagt das Hellfeld wenig über die tatsächliche Zahl der Opfer aus.

Wie also findet man heraus, wie viele Frauen von häuslicher Gewalt betroffen sind? Mit einer so genannten Dunkelfeldstudie. Das Dunkelfeld beleuchtet die überaus groß angelegte Studie "Lebenssituation, Gesundheit und Sicherheit von Frauen in Deutschland" im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Es ist die erste wirklich umfangreiche und repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland. 10.000 Frauen wurden in ausführlichen Gesprächen befragt und zwar ausschließlich von geschulten Interviewerinnen. Die Befragung wurde den repräsentativ ausgesuchten Frauen als Studie über Lebenssituation, Gesundheit und Sicherheit von Frauen annonciert.

Es wurde nach der aktuellen Paarbeziehung gefragt wie auch nach vergangenen. Es wurde differenziert nach körperlicher, sexueller, psychischer Gewalt gefragt. Weil geschlagene Frauen die widerfahrene Gewalt gelegentlich kleinreden (auch aus Scham), fragte man detailliert, ob sie geschubst, gekratzt, geohrfeigt, geboxt, geschlagen etc. wurden. Einmalig oder öfter? Welche seelischen oder körperlichen Folgen hatte das?

Ergebnis: Häusliche Gewalt findet in allen gesellschaftlichen Schichten statt. Jede vierte Frau hat Gewalt in einer (aktuellen oder früheren) Paarbeziehung erlebt, jede sechste Frau Gewalt mit Verletzungsfolgen.

Zwei Gruppen erleiden etwas öfter als andere Gruppen Gewalt in der Paarbeziehung: junge Frauen unter 35, die in einer Beziehung ohne Ressourcen leben, also ohne Bildung und Einkommen; und hochgebildete Frauen ab 45, die mit einem ebenfalls hochgebildeten Partner zusammenleben.

Bildung schützt nicht automatisch davor, zum Opfer zu werden. Interessanterweise sind Frauen in der Beziehungsvariante "Chefarzt und Krankenschwester" weniger gefährdet als in der Variante "Arzt und Ärztin". Männer (mittleren Alters) mit höherer Bildung übten vor allem dann häufiger schwere Gewalt aus, wenn die Partnerin ihnen hinsichtlich der Bildung gleichwertig oder überlegen war. Gerade die hohe Gewaltbetroffenheit von Frauen in mittleren und gehobenen sozialen Lagen sei, so die Autorin der Studie Monika Schröttle, in der bisherigen Auseinandersetzung mit Gewalt gegen Frauen noch weitgehend unsichtbar geblieben.

Fast jede fünfte der Befragten (19 Prozent) hat körperliche Auseinandersetzungen zwischen den Eltern miterlebt, überwiegend Gewalt des Vaters gegen die Mutter.

Und auch dies ist ein interessantes Ergebnis: dass wütendes Wegstoßen oder leichte Ohrfeigen zu Unrecht bislang unter "leichte oder geringfügige Gewalt" eingeordnet waren. Denn auch Schubsen kann erhebliche Verletzungen zur Folge haben (schwere Prellungen zum Beispiel) so dass es eher in die Gruppe "leichte bis mäßig schwere" körperliche Übergriffe  gehört.

Das umfangreiche Material der Befragung wurde seit 2004 mehrfach unter jeweils anderer Fragestellung ausgewertet – mal interessierte besonders Bildung und Gewalt, mal das Alter etc. Beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen, Jugend kann die Kurzfassung der Auswertung "Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen" von 2008 hier herunterladen und die Langfassung hier. Die komplette Studie "Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland" gibt es in kurz hier und in voller Länge hier (Teil 1 und Teil 2) herunterzuladen.

Wie Frauen mit Migrationshintergrund in Europa von Gewalt betroffen sind, davon handelt das neueste Buch der Gewaltforscherin Monika Schröttle: Violence against Women and Ethnicity: Commonalities and Differences across Europe, Barbara Budrich Verlag, 2011

Auswirkungen auf die Kinder

(gekürzt entnommen der sehr informativen Seite der Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt des Justizministeriums Saarland)

Ein bis zwei Drittel der Fälle häuslicher Gewalt gehen mit Kindesmisshandlungen einher. Aber auch dann, wenn im Haushalt lebende Kinder nicht selbst geschlagen werden, sind sie unmittelbar und massiv von der Gewalt gegen die Mutter betroffen. Zumeist sind sie Zeugen der Gewalttätigkeiten, halten sich im gleichen Raum auf oder hören vom Nebenzimmer aus (notgedrungen) zu. Auch wenn die Kinder nicht unmittelbar Zeuge werden, erleben sie die Gewalt intensiv. Sie spüren die Stimmung der Aggression, der Wut und des Hasses beziehungsweise der Angst, der Verzweiflung...

Für Kinder bedeutet diese Erfahrung eine ungeheure Belastung. Sie leben in ständiger Angst und Sorge um die Mutter. Sie versuchen, sie zu schützen, scheitern und empfinden Hilflosigkeit – häufig in noch stärkerem Maße als die Mütter selbst.

Unabhängig davon, ob sie sich für die Mutter eingesetzt haben oder nicht, fühlen sich die Kinder schuldig an der Gewalt: Hätten sie sich besser benommen oder vielleicht die Hausaufgaben richtig gemacht, wäre es bestimmt nicht dazu gekommen – so die kindliche Logik.

Kindern, die in Misshandlungsbeziehungen leben, fehlen angemessene Orientierungsmöglichkeiten für die Ausgestaltung männlicher und weiblicher Geschlechtsrollen. Sie geraten in Identitätskrisen, wenn sie beispielsweise als Junge sich mit dem Mann in der Familie identifizieren, aber nicht so werden möchten wie ihr Vater.

Kinder, die auf Dauer unter massiven Belastungen leiden, zeigen oftmals Auffälligkeiten im Verhalten oder Somatisierungen: besondere Unauffälligkeit beziehungsweise Überangepasstheit des Verhalten oder Aggressivität, Abwesenheit und Unaufmerksamkeit oder Hyperaktivität, Leistungsabfall in Schule oder Sport, sozialer Rückzug, Bettnässen, Kopfschmerzen, Magen-, Darmbeschwerden und so weiter. Beim Auftreten solcher Symptome sollte häusliche Gewalt als eine mögliche Ursache erwogen werden.

Mehr Details zu diesem Thema kann man als PDF hier herunterladen: "Kindliches Miterleben elterlicher Partnerschafts-gewalt: Ausmaß sowie Umfang und Art der Auswirkungen"

Mythen

(leicht gekürzt zitiert von der homepage des saarländischen Justizministeriums)

Mythos 1: Männer, die ihre Frauen schlagen, sind psychisch krank
Tatsache ist: Häusliche Gewalt ist die am häufigsten vorkommende Gewaltform. Die allerwenigsten Täter sind im juristischen oder medizinischen Sinne krank oder nicht zurechnungsfähig. Zumeist sind sie unauffällig und sozial angepasst und werden als der nette Nachbar oder der freundliche Kollege wahrgenommen, dem solche Gewalttaten hinter verschlossenen Türen nicht zugetraut werden.

Mythos 2: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich
Tatsache ist: Nationale und internationale Studien belegen, dass häusliche Gewalt in allen gesellschaftlichen Schichten vorkommt, unabhängig von Einkommen, Bildungsstand, Kultur und gesellschaftlichem Status.

Mythos 3: Er schlägt nur, weil er getrunken hat
Im Rahmen polizeilichen Einschreitens zeigt sich, dass gut zwei Drittel der Gewalttäter nüchtern sind. Dennoch kann Alkohol als Auslöser für Gewalt fungieren. Manchmal wird er auch gezielt eingesetzt, um die Hemmschwelle zu überwinden oder um strafrechtliche Sanktionierung zu mildern beziehungsweise zu umgehen.

Mythos 4: Sie hat ihn provoziert
Alle Situationen des täglichen Lebens können für Täter Anlass sein, sich provoziert zu fühlen beziehungsweise dies als Schutzbehauptung vorzugeben: Frauen "provozieren" Misshandlungen, wenn sie beispielsweise anderer Meinung sind, oder wenn sie schweigen, wenn das Essen zu heiß ist, wenn sie müde sind und dem Partner nicht genug Aufmerksamkeit zollen, wenn sie einen traurigen Gesichtsausdruck zeigen... Der Begriff der Provokation wird häufig derart benutzt, dass nicht nur eine gewisse Beteiligung an der Entstehungsgeschichte unterstellt wird, sondern eine richtiggehende Schuldumkehr. Das Opfer hat den Täter provoziert. Damit hat das Opfer angefangen und ist also die (eigentlich) Schuldige.

Tatsache ist: Es gibt keine Entschuldigung für Gewalt – außer Notwehr. Auch eine (tatsächliche) verbale Provokation kehrt die Verantwortlichkeiten nicht um.

Mythos 5: Er war im Stress, ihm ist halt mal die Hand ausgerutscht
Tatsache ist: Die Hand des Mannes besitzt kein Eigenleben, sondern wird vom Willen gesteuert. Der Täter entscheidet sich ganz bewusst zum Schlagen – genauso, wie er sich in der Außenwelt für freundliches Verhalten entscheidet. Gewalttaten in der Familie sind in der Regel keine einmaligen Vorfälle, sondern Bestandteile eines komplexen und dauerhaften Misshandlungssystems.

Mythos 6: Sie hat sich diesen Mann doch ausgesucht
Die Aussage suggeriert, Täter seien von Beginn des Kennenlernens an aufgrund besonderer Auffälligkeiten in Verhalten oder Aussehen als solche zu erkennen. Sie unterstellt weiterhin eine (Mit-)Verantwortung des Opfers – nach dem umgangssprachlichen Motto: selbst schuld.
Tatsache ist: Kaum ein Täter ist zu Beginn einer Beziehung offen gewalttätig. Meist beginnt die Gewalt mit subtilen Herabwürdigungen oder verbalen Drohungen. Spätere Misshandlungen werden als einmalige Entgleisungen heruntergespielt und Verhaltensänderung versprochen.

Mythos 7: Sie könnte ihn doch einfach verlassen
Tatsache ist: Trennungen sind nie einfach, und aufgrund der besonderen Situation und der Schwächung durch die oft jahrelang erlittene Gewalt, sind Loslösungen aus Gewaltbeziehungen besonders schwierig. Trennt sich eine Frau, muss sie sich mit den Vorwürfen und eventuellen Schuldgefühlen auseinandersetzen, die Familie zu zerstören und den Kindern den Vater zu nehmen. Darüber hinaus ist mit einer Trennung zumeist eine völlig ungesicherte Existenz verbunden. Sie und ihre Kinder verlieren wichtige soziale Bezüge und materielle Sicherheiten. Zudem bedeutet eine Trennung nicht zwingend ein Ende der Bedrohung. Im Gegenteil muss im Rahmen einer Trennung realistischerweise mit einer Zunahme der Gewalt gerechnet werden. Frauen werden oft noch jahrelang von ihrem (Ex-) Partner verfolgt, um sie zur Rückkehr zu bewegen und/oder um ein Publikwerden der Gewalthandlungen zu verhindern. Die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Tötungsdeliktes durch den eigenen Partner zu werden, steigt während Trennungsphasen um das 5-fache.

Auch Frauen schlagen

Auch Frauen sind gewalttätig. Ihre Übergriffe beschränken sich jedoch allermeist auf einmaliges  Kratzen, Beißen, Wegschubsen, leichtes Ohrfeigen. Diese Gewalt ist daher nicht vergleichbar mit der wiederholten, systematischen und verletzungsträchtigen Gewalt, die Frauen von Männern erfahren.

Trotzdem vertreten Männer vor allem aus dem Umfeld der Väterrechtsbewegung (in der vor allem Scheidungsväter organisiert sind) die These, dass Frauen und Männer gleichermaßen Opfer und TäterInnen bei Gewalt in heterosexuellen Paarbeziehungen seien. Doch für diese These gebe es keine Belege, sagt die Sozialwissenschaftlerin Monika Schröttle. Sie hat zu dieser Debatte einen Text veröffentlicht mit dem Titel "Kritische Anmerkungen zur These der Gendersymmetrie bei Gewalt in Paarbeziehungen" (Zeitschrift "Gender", Heft 1, Jahrgang 2010, Verlag Barbara Budrich). chrismon dankt Autorin, Zeitschrift und Verlag, dass wir hier – kostenlos – einen Link zu diesem Text veröffentlichen dürfen.

Es gibt allerdings einige wenige Männer, sagt Gewaltforscherin Monika Schröttle, die tatsächlich von ihrer Partnerin schwer misshandelt werden. Das kann zum Beispiel die Konstellation sein, dass ein Mann, der eine Blockade hat, sich zu wehren, auf eine sehr aggressive Partnerin trifft. Diese Männer brauchen – wie jedes Opfer – Hilfe und Anerkennung ihres Leids. Trotzdem braucht man für Männer nicht genauso viele Schutzeinrichtungen wie Frauen, Männerhäuser etwa, analog zu den Frauenhäusern, dazu ist die Zahl schlichtweg zu gering.

Männer stellen bundesweit ca. 75% aller Gewaltopfer. Sie erfahren die Gewalt jedoch meist durch andere Männer und im öffentlichen Raum. Dass Männer Opfer werden, ist ein großes Tabu – vor allem unter Männern.

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat eine Pilotstudie über Gewalt gegen Männer veröffentlicht (von 2005)

Männer als Opfer

Männer, die Opfer geworden sind (als Kind, als Erwachsener, durch Männer oder Frauen) finden menschliche Begleitung, Beratung und auch rechtliche oder finanzielle Unterstützung zum Beispiel beim Weißen Ring Deutschland. Kostenfrei und EU-einheitlich kann man täglich von 7 bis 22 Uhr das Opfertelefon anrufen unter Tel. 116 006.  Die rund 40 ehrenamtlichen Opferbetreuer der Einrichtung wurden und werden in einem ausgefeilten Aus- und Weiterbildungskonzept geschult.

Einige weitere Opferhilfe-Beratungsstellen findet man über: www.opferhilfen.de/organisationen.html

Fündig wird man oft auch, wenn man bei google als Suchwörter die eigene Stadt plus Opferhilfe eingibt.

zusammengestellt von Christine Holch, April 2012

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Warum ist in der Definition von Sexueller Gewalt ausdrücklich festgelegt, dass das Opfer eine Frau sein muss?

Anders herum gefragt: sind sexuelle Handlungen und sexuelles Verhalten, das einem Mann aufgedrängt oder aufgezwungen wird, keine sexuelle Gewalt? Warum nicht?

Natürlich gibt es sexuelle Gewalt durch Frauen. Ich weiß es, weil ich Opfer war und es erlebt habe. Ich habe ca. 3 Jahre häusliche Gewalt in meiner letzten Beziehung erfahren und letztlich auch einen sexuellen Übergriff. In meinem Blog kannst du das unter
http://gewalt.rene-pickhardt.de/2015/10/22/gewalt-gegen-maenner-du-bist-doch-staerker-maenner-sind-keine-opfer/ nachlesen. Ich habe erst kürzlich noch einen Artikel geschrieben, der beschreibt, dass sexuelle Gewalt von Frauen auch im Alltag außerhalb von Beziehungen ausgehen kann: http://gewalt.rene-pickhardt.de/2016/02/14/sexuelle-belaestigung-von-maennern-durch-frauen/
Ich finde es auch schade, dass in diesem Beitrag hier eine so stark wertende Sicht eingenommen wird. Im Gegensatz zu vielen anderen Beiträgen zum Thema häusliche Gewalt thematisiert er jedoch wenigstens dass es auch weibliche Täterinnen geben kann.

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Es gibt bereits seid längerem über 500 internationale Studien dazu, das Frauen im gleichen Maße Täter bei häuslicher Gewalt sind. Wenn Sie behaupten, diese Studien seien alle fehlerhaft, machen sie sich lächerlich.

http://frauengewalt.wordpress.com/

Und sorry, das sind nicht nur Kratzen, Beißen, Wegschubsen, leichtes Ohrfeigen.

Lesen sie doch mal "Auch Frauen schlagen zu: Häusliche Gewalt von Frauen gegen Männer ist ein ernstes Problem" von der Huffington Post.

"So haben in den zwölf Monaten vor der Studie 3,4 Prozent der befragten Frauen körperliche Gewalt ausgeübt, bei den Männern waren es 3,9 Prozent. Männer treten meist im Alter bis 29 Jahren als Gewalttäter auf (10,6 Prozent). Unter den 30- bis 44-Jährigen dagegen lag die Zahl der körperlich gewalttätigen Frauen (5,2 Prozent) mehr als doppelt so hoch wie die der Männer (2,4 Prozent).

Männer üben Gewalt meist gegen Fremde aus (2,1 Prozent). Frauen gaben indes mehr als viermal so häufig (1,3 Prozent) wie Männer (0,3 Prozent) an, in den vergangenen zwölf Monaten gegen den eigenen Partner gewalttätig geworden zu sein.

Auch gegenüber anderen Familienmitgliedern werden Frauen der Studie zufolge mehr als doppelt so häufig gewalttätig wie Männer.

Die Forscher kommen zu folgendem Fazit: „Während es, nicht zuletzt angestoßen durch die Ergebnisse der feministischen Gewaltforschung, bereits eine hohe Aufmerksamkeit und vergleichsweise gut entwickelte Hilfestrukturen für gewaltbetroffene Frauen gibt, sind, trotz der Tatsache, dass Männer insgesamt häufiger Opfer von körperlicher Gewalt werden als Frauen, Gewaltopfererfahrungen von Männern im gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs wenig repräsentiert.“

Die Studie ist wahrscheinlich auch wieder fehlerhaft, weil nicht sein kann was nicht sein darf. Aber gut zu wissen wie die evangelischen das so sieht.

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Frauen üben häufig relationale Gewalt über Proxies aus. Sie sind insbesondere über dieses mißbräuchliche Verhalten häufig mit ursächlich an der Gewaltsprirale häuslicher Gewalt beteiligt. Weibliches Gewaltverhalten ist häufig im DARVO (Deny, Attack, and Reverse Victim and Offender) Komplex angesiedelt, der auch für Borderline-artige Verhaltensmuster sehr typisch ist. Insbesondere gehört Kindeshintertreibung typischerweise hier hinein, ist aber natürlich nicht nur auf Frauen begrenzt.

Das wird gesellschaftlich verzerrt und weggedrückt. Ursachen hierzu sind vielfältig, aber in der Art und Weise zu suchen wie Frauen und Männer heutzutage im Täter-Opfer Stereotyp gesehen werden.

Unbedacht ist auch, dass Frauen großen prägenden Einfluß im Kindes- und Jugendalter ausüben. Hier wird meist schon Gewalt- bzw. Konfliktlösungsverhalten imprägniert. Und es ist in dieser Weise meist auch ein generationenübergreifendes Probem.

Ein aktuelles Beispiel weiblicher physischer Gewalt:
http://lindaikeji.blogspot.de/2014/08/graphic-photos-see-what-lady-did-to-her.html#more