Im Jahr eins nach der Bemerkung des Münchner Theologieprofessors Friedrich Wilhelm Graf, die jungen Theologiestudentinnen von heute glaubten vermehrt an einen „Kuschelgott“, ist die Suche nach geschlechtsspezifischen Glaubensunterschieden munter im Gange. Glauben Frauen anders als Männer? Es geht hier nicht um die „Nähe zur Kirche“ oder die „Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs“ – beides häufig erhobene Daten, bei denen die Frauen als sehr viel engagierter erscheinen als die Männer. Es geht um die Glaubensinhalte: An welchen Gott, an welche „Mächte“ glauben sie? Wem räumen sie Einfluss auf ihr Leben ein?
Seelenwanderung, Astrologie? Das interessiert Frauen etwas mehr als Männer
Empirische Studien scheinen zu belegen: Frauen haben einen bunteren Glauben als Männer. Auch wenn sie in den Gemeinden ganz traditionell von den Festkomitees bis zu den Basaren engagiert sind, finden unter ihrem Himmel die unterschiedlichsten Glaubensvorstellungen Platz. Mit fast zehn Prozentpunkten mehr als die Männer interessieren sie sich für Geister und Engel, auch für die Themen Schicksal und Vorherbestimmung (16 Prozent Differenz zu den Männern), Seelenwanderung (acht Prozent) und Astrologie (sechs Prozent). So zeigte es sich beispielhaft in einer Emnid-Untersuchung für diese Redaktion vor ein paar Jahren.
Es gibt tatsächlich Unterschiede. Aber worin bestehen sie genau? Etwa in dem Vertrauen auf einen „personalen Gott“ (also einen Gott, der sich wie ein Gegenüber, ein Partner, ansprechen lässt und in das Leben der Menschen direkt eingreift) oder eher auf einen, der sich in Emotionen – Stichwort „Kuschelgott“ – oder in der Natur spüren lässt, eine starke unsichtbare Macht, die das ganze Leben beeinflusst?
Wenn es diese Geschlechterdifferenz tatsächlich gibt, müsste sie sich am deutlichsten in der älteren Generation belegen lassen. „60 plus“ wird ja weithin als Stütze der Kirche verstanden. In einer neuen Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche mit dem Titel „Uns geht’s gut“ (Berlin 2011) fand Petra-Angela Ahrens heraus: Dass Gott „in den Herzen der Menschen ist“, glauben 41 Prozent der Frauen, aber nur 35 Prozent der Männer. Das ist allerdings nicht gerade ein dramatischer Emotionsüberschuss bei den Frauen. Leichte Differenzen gibt es auch bei anderen theologischen Themen: 36 Prozent der befragten Frauen (evangelische und konfessionslose) glauben, dass Gott allmächtig ist, aber nur 30 Prozent der Männer. Dass Gott über ihr Schicksal bestimmt, sagen 36 Prozent der Frauen, nur 28 Prozent der Männer. Und dem Satz „Gott ist abwesend, aber er existiert“ stimmen 30 Prozent der Frauen, aber nur 22 Prozent der Männer zu.
Der Grund: Frauen grenzen sich deutlicher vom Atheismus ab
Sind Frauen also emotionaler und schicksalsgläubiger als Männer? Nein, der Unterschied ist ein ganz anderer, wie das Sozialwissenschaftliche Institut der Evangelischen Kirche herausgefunden hat: Frauen grenzen sich „etwas deutlicher von der agnostischen, indifferenten und atheistischen Haltung ab“ als Männer. Sie sind offener für religiöse Themen. Der große Trend ist: Bei den Glaubensinhalten werden die reinen Geschlechtsunterschiede immer bedeutungsloser.
Größere Differenzen ergeben sich allerdings zwischen den unterschiedlichen Glaubenstypen: Bin ich „teiltraditionell“, „balancierend“, „suchend“ oder „modern“? Innerhalb dieser Gruppen stimmen Frauen und Männer ziemlich überein (Studie „Männer und Kirche“ von Reiner Knieling, Göttingen 2010). Die Traditionellen zum Beispiel leben weithin nach der Devise: Männer sichern das Einkommen, Frauen das Auskommen. Die modernen Männer hingegen arbeiten in der Familie mit, Frauen üben ihren Beruf aus.
Dass das eigene Geschlecht für den Glauben wichtig ist, beruht weitgehend auf einem Sehfehler. Denn je traditioneller die Männer und Frauen sind, desto eher meinen sie, dass Frauen religiöser und gläubiger sind als Männer. „Teiltraditionelle“ meinen das noch zu 50 Prozent, moderne nur noch zu 20 Prozent. Wunsch und Wirklichkeit fallen hier allzu offensichtlich auseinander. Glauben Frauen anders? Von Generation zu Generation immer weniger.
Absoluter Herrscher oder Kuschelgott?
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Selbstbestimmung und Spiritualität
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