St. Christopheri-Kirche, Breslau, Sonntag, 10 Uhr: Eine zarte Schneedecke hüllt das Dach des gotischen Backsteinbaus aus dem 13. Jahrhundert ein. Er ist umgeben von modernen Bürohäusern, Altstadtbauten, ein Einkaufszentrum und einer mehrspurigen Hauptverkehrsachse. Der Winter hat Pfarrer Karol Długosz buchstäblich kalt erwischt. In türkisblauer Windjacke hetzt er zur verschlossenen Kirchentür, vor der eine Handvoll Gemeindemitglieder warten. Sein Auto wollte nicht anspringen, entschuldigt er sich. Dann strömen alle in den mummelig warmen Kirchenraum, greifen sich das Liederbuch der EKD und das Gemeindegebetsbuch. Pfarrer Długosz knipst eilig das Licht am Weihnachtsbaum an und zündet die vier Kerzen am Adventskranz an.
Der Gottesdienst findet hier sonntags auf Deutsch statt. Das ist einmalig für die evangelische Kirche in Polen. Die St. Christopheri-Gemeinde ist eine Gemeinschaft in Breslau und Niederschlesien lebender deutschsprachiger Protestanten. Pfarrer Długosz steht oft mit dem Rücken zur Gemeinde, da der goldverzierte Altar an der hinteren Wand des Altarraums steht. Dafür kann man so in Ruhe Jesus am Kreuz bewundern. Der wohl älteste lutherische Altar in Polen stammt aus dem16. Jahrhundert.
Die Orgel brummt wohlig tief, wenn auch mit dem ein oder anderen Missklang. Die Liturgie folgt der Schlesischen Ordnung und wirkt manchmal etwas altbacken. Ein Gemeindemitglied liest aus der Lutherbibel, Jesaja 42,1, es folgen das Glaubensbekenntnis und die Predigt.
Von der Kanzel aus liest Pfarrer Długosz aus Matthäus 3, es geht um Johannes den Täufer. Der habe nie ein Blatt vor den Mund genommen. Mit Taten solle man beweisen, dass man sich ändern wolle: "Durch euer Verhalten habt ihr selbst die Tür zum Himmel zugeknallt." Ironischerweise war es dann Johannes selbst, der zunächst zweifelte und Jesus die Taufe verweigerte. Doch der Mensch brauche die Vergebung, nur so lasse sich Schuld lösen. Warum sonst seien die Psychologen-Praxen überfüllt von Menschen, die ihre Schuld verdrängten? "Gott will das nicht", mahnt der Geistliche.
Eine deutschsprachige Minderheit in Schlesien
Die Geschichte der Lutheraner in Polen, besonders die der deutschsprachigen Minderheit in Schlesien ist komplex. Die Kirche ist seit der Reformation evangelisch. Bis 1888 war sie die einzige evangelische Kirche in Breslau, in der auf polnisch gepredigt wurde – heute ist sie die einzige, in der auf Deutsch gepredigt wird. 1957 wurde die Gemeinde den zurückgebliebenen deutschsprachigen Lutheranern überlassen und gehört zur Evangelisch-Augsburgischen Kirche, die in Polen sechs Diözesen hat.
Frau Jutta aus Źródła, einem niederschlesischen Dorf nahe Neumarkt, gehört zu dieser Minderheit. Sie ist die älteste in der Gemeinde. Ein Fahrdienst der Gemeinde bringt sie zum Gottesdienst. Zur Diözese Breslau gehören etwa 5000 Protestanten, 100 zur Christopherigemeinde. Es ist eine kleine, aber stark verbundene Gemeinde, die in ganz Niederschlesien wirkt und das schlesische Erbe pflegt. Durch die Migrationsbewegungen wächst sie auch langsam wieder. "Wir sind eine richtige Multi-Kulti-Gemeinde", sagt Pfarrer Długosz und weist auf die deutschen, polnischen, ukrainischen und niederländischen Fahnen im Kirchenschiff.
Zum Abendmahl stellen sich alle sieben Gemeindemitglieder vor dem Altar auf: Ein Enkelkind mit Großvater, ein Erasmus-Student aus Deutschland, ein in Breslau lebender Deutscher und Frau Jutta. Im Sommer ist es voller, dann kommen auch viele deutsche Touristen, sagt Pfarrer Długosz beim Kaffee-Umtrunk danach. Ohne die Spenden der Deutschen wären wohl viele Traditionen längst eingeschlafen.
Gottesdienst auf Deutsch
In der St. Christopheri-Kirche in Breslau wird der Gottesdienst jeden Sonntag um 10 Uhr auf Deutsch gefeiert. Es ist die einzige evangelische Gemeinde in Polen mit einem regelmäßigen deutschsprachigen Gottesdienst.