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Gemütlich ist die Martin-Luther-Kirche von innen: dunkle Täfelung, Holzstreben, helle Kirchenbänke. Ab der dritten Reihe sind fast alle Plätze belegt, bis zu 200 Besucher dürfte der Raum fassen, zehn sind auf die Orgelempore ausgewichen. Nach dem Vorspiel liest ein Gemeindemitglied artig die Begrüßung vor. Woher der Name des Sonntags? "Weißer Sonntag", weil an ihm früher die zu Ostern Getauften ihr erstes Abendmahl im weißen Taufkleid bekamen. Da waren sie wie neugeborene Kinder, lateinisch: "Quasimodogeniti".
Das erste Lied ("Gott Lob, der Sonntag kommt herbei") ist das einzige nicht moderne heute früh. Pfarrer Niko Natzschka zitiert den vor 40 Jahren ermordeten US-Bürgerrechtler Martin Luther King: "Ich habe einen Traum. Dass man eines Tages meine Kinder nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilen wird, sondern nach ihrem Charakter" - ein moderner Psalm. Dann Bittgebet, Lesung aus dem Jesajabuch, Glaubensbekenntnis, Kollektenlied - nach zwanzig Minuten ist die Eingangsliturgie durch. Man pflegt die kurze, klare Form. Schön! Nur wofür der Kirchgänger gerade seinen Obolus in den Beutel geworfen hat, das hätte er doch gern gewusst.
Natzschka predigt über Jesaja 40: "Tröstet, tröstet mein Volk! " Er erzählt, wie sich das Judentum im babylonischen Exil neu formierte. "Das Judentum hat damals zwei Dinge gelernt. Dass Gott überall ist, nicht nur im eigenen Land. Und dass es seine Identität nicht durch Abgrenzung bestimmt, sondern positiv, durch das Bekenntnis." Gebannt hört die Gemeinde zu. "Eine Beziehung kann auf drei Prinzipien beruhen: Auf Angst, Tausch und Liebe." Aus Angst bestehe das Verhältnis von Schüler zu Lehrer. Raunen im Saal. "Das ist nicht bös gemeint", relativiert der Prediger. "Aus Tausch besteht das Verhältnis einer Bäckereifachverkäuferin zum Kunden. Auch eine Ehe kann diese Form annehmen. Er verdient das Geld, sie kümmert sich um Haushalt und Kinder." Wieder Raunen. Liebe sei freiwillig. Sie kenne keine Angst, keine Ansprüche.
"Auch ich musste lernen, meinen Glauben positiv zu begründen: pro Christ, nicht kontra Muslime. Pro Israel, nicht gegen Palästinenser. Pro Ehe und Familie, nicht gegen Homophile. Das ist die Herausforderung, vor der ich noch immer stehe. Amen." Inbrünstig singend antwortet die Gemeinde: "Friede, Friede, Friede sei mit dir", begleitet von einem E-Piano.
Nach ausführlichen Terminansagen wendet Natzschka den Blick in Richtung Altar. Beim Fürbittgebet tippelt der Pfarrer von einem Fuß auf den anderen. Eine klassisch pastorale Persönlichkeit ist er weniger. Eher ein ganz normaler Mensch, der wichtigen Fragen nachgeht. Vermutlich ist deshalb die Kirche rappelvoll.
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