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Eine Freundin erzählte neulich von einem schönen Erlebnis: Sie, schwanger, fuhr mit ihrem kleinen Sohn nach Paris. Aufgrund eines Unwetters war eine Strecke gesperrt und die Fahrt verzögerte sich um ganze sieben Stunden. Das kann schon ohne Kleinkind die Hölle werden. Zum Glück, erzählte sie, waren die Mitreisenden sehr verständnisvoll. Es bildete sich sogar eine kleine Solidargemeinschaft im Abteil. Die Fahrgäste fingen an, ihren Proviant miteinander zu teilen: der eine verteilte Gurkenscheiben, die andere Äpfel, wieder einer Kekse. Als der Zug schließlich ankam, waren alle noch gut gelaunt – happy end!
Leider haben meine Frau und ich auf unserer letzten Zugfahrt mit unserem Sohn eine weniger romantische Erfahrung gemacht. Wir fuhren von Hannover nach Frankfurt. Der Zug war viel voller als in der Bahn-App angekündigt. Nur einzelne, weit verstreute Sitzplätze waren noch frei, alle Abstellplätze mit Koffern versperrt. Klar, wir hätten vorher reservieren sollen, aber hinterher ist man immer schlauer.
Vorsichtig spähten wir ins Kleinkindabteil (ein geräumiges Abteil, in dem nur Familien mit Kindern sitzen dürfen). Auch dort saß schon eine Familie mit zwei Kindern auf vier der fünf Plätze. Also setzte sich meine Frau mit unserem Sohn auf den fünften, während ich den Zug weiter absuchte und das Gepäck in der Nähe verstauen wollte. Leider stieß sie bei der anwesenden Familie auf wenig Verständnis. "Haben Sie denn hier reserviert?", fragte der Vater unfreundlich und signalisierte, dass sie hier nicht willkommen sei. Meine Frau erklärte, dass sie auch gerne woanders sitzen würde, aber einfach kein Platz im Zug mehr frei ist, an den auch ein Kinderwagen passt. "Wir machen es uns schon gemütlich!", versuchte sie es. Das sah die Familie aber anders. Aus ihrer Sicht hatten sie automatisch Anspruch auf das ganze Abteil, wenn sie die meisten Sitze reserviert hatten. In der Bahn, wo Kleinkindabteile rar gesät sind, ist das eine ganz schön vermessene Anspruchshaltung.
Der erste Konflikt kam nach fünf Minuten: Unser Kinderwagen stand so, dass man nicht einfach durch die Tür kam, ohne ihn zur Seite zu schieben. Als die Familie Müll in die Abfalleimer auf dem Flur werfen wollte, bot meine Frau an, das zu übernehmen, weil sie leichter aus der Tür kam. Daraufhin blaffte sie der Vater an: "Wollen Sie jetzt auch noch bestimmen, wann wir raus dürfen und wann nicht?!" und quetschte sich demonstrativ am Kinderwagen vorbei.
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Nach weiteren Minuten angespannter Atmosphäre, unfreundlicher Bemerkungen und eisiger Blicke, kam ich zurück. Meine Platzsuche war leider erfolglos. In der Zwischenzeit hatte mir meine Frau geschrieben: "Die Familie ist etwas aggro. Mayday, mayday!" Gemeinsam beschlossen wir, im Bordrestaurant einen Kaffee zu trinken, wo sie mir die Konfrontation schilderte. Ein Stück später kam der Vater mit seinem jüngeren Kind auch ins Restaurant. Tragischerweise hatte das Restaurant eine Minute zuvor geschlossen. "Karma", dachte ich mir ein wenig schadenfroh. Zum Glück interessieren sich Einjährige nicht für solche Animositäten ihrer Eltern, denn kurz danach spielten unsere beiden Kleinkinder ungezwungen auf dem Flur miteinander – unter dem miesepetrigen Blick des anderen Vaters.
Wie viel angenehmer wäre die Fahrt für alle gewesen, wenn die Eltern im Kinderabteil freundlich und hilfsbereit reagiert hätte? Dazu hätte man nicht einmal Gurken und Äpfel teilen müssen, sondern nur ein bisschen Verständnis für andere gestresste Eltern aufbringen. Ich hoffe, sie erinnern sich daran, wenn sie das nächste Mal selbst auf Wohlwollen angewiesen sind. Es könnte so einfach sein.