abgesperrter Fahrstuhl an einer U-Bahn-Haltestelle
Leider keine Seltenheit, der einzige Fahrstuhl ist außer Betrieb oder wie hier gerade "under construction" - einzige Alternative auf die Schnelle: die Rolltreppe - mit Vorsicht zu genießen
Michael Güthlein
Mit dem Kinderwagen im ÖPNV
Fahrstuhl: defekt
Unser Autor hat sich darauf gefreut, mit dem Kinderwagen durch die Stadt zu fahren. Womit er nicht gerechnet hat: unerreichbare Bahnstationen, defekte Fahrstühle und unüberwindbare Treppen.
Tim Wegener
07.03.2024

Als ich die ersten Male als Vater durch die Großstadt manövriert bin, wurde mir klar, wie sehr das Sein das Bewusstsein bestimmt. Ich lebe in Frankfurt am Main, bin Mitte 30 und körperlich nicht eingeschränkt. Für mich ist es kein Problem, mich im öffentlichen Raum zu bewegen, Bus oder U-Bahn zu fahren. Dementsprechend selten habe ich bisher darüber nachgedacht.

Seit ich das mit einem Kinderwagen versuche, hat sich das gravierend geändert. Barrierefreiheit ist für mich plötzlich relevant geworden. Bisher habe ich „mehr Barrierefreiheit“ höchstens wohlwollend beim Wahl-o-Maten angekreuzt. Jetzt erscheint es mir absurd, wie wenig unsere Gesellschaft auf mobilitätseingeschränkte Menschen Rücksicht nimmt. (Rollstuhlfahrer und Rollator-Besitzerinnen dürfen an dieser Stelle müde lächeln.) 

Neulich wollte ich mit meinem Kind zum Arzt. Kind eingepackt, in den Wagen gesetzt und zur U-Bahn geschoben. Umstieg an der Hauptwache, einer der zentralen U-Bahn-Stationen in Frankfurt. Der einzige Aufzug am Bahnsteig: defekt. Warum und wie lange? Das steht leider nicht auf dem Warnschild. Na wunderbar! Jetzt heißt es improvisieren, also nehme ich die Rolltreppe.

Die ist für Kinderwägen eigentlich verboten. Ein dicker Aufkleber weist darauf hin. Es ist riskant, den Wagen dort so zu balancieren, dass er nicht umkippt und das Kind herauspurzelt. Eine andere Wahl habe ich leider nicht. Alleine kann ich den Wagen nicht über die normale Treppe nach oben tragen.

Manchmal fallen Aufzüge kurz aus, manchmal mehrere Wochen

Ich erlebe das nicht zum ersten Mal (siehe Fotos). Eine Presseanfrage bei den Frankfurter Verkehrsbetrieben VGF ergibt zwar, dass die Aufzüge im Jahr 2023 zu 94 Prozent verfügbar waren. Ich stehe aber leider öfter ratlos vor den verbliebenen sechs Prozent als mir lieb ist. Ursachen für die Ausfälle sind, laut VGF, unvorsichtige Benutzung, Vandalismus und Dreck in den Türfugen. Manchmal fallen Aufzüge nur wenigen Sekunden aus, manchmal über mehrere Wochen, schreibt die Pressestelle.

 

Wie man stattdessen vom Bahnsteig kommen soll, frage ich. Die Antwort der VGF: „[…] Bis zur nächsten Station fahren und dort den Aufzug nutzen.“ Alternativ schlagen sie vor, auf dem anderen Gleis zurückzufahren und zu hoffen, dass der Aufzug auf der gegenüberliegenden Seite funktioniert. Ok. So ein Wendemanöver kostet gut und gerne zehn bis fünfzehn Minuten. Muss man umsteigen oder hat einen wichtigen Termin, ist das wenig hilfreich. Den Anschluss verpasse ich aber ohnehin oft, weil sich an einem Aufzug gerne mehrere Kinderwägen und Rollatoren stauen.

Nur die Hälfte der Tram- und Bushaltestellen ist barrierefrei

Es geht nicht nur mir so. Im ÖPNV und im Fernverkehr der Deutschen Bahn ist fast jeder fünfte Personenbahnhof nicht stufenlos zugänglich und verfügt weder über eine Rampe noch einen Aufzug. Das hat die FAZ herausgefunden. Eigentlich müsste der Nahverkehr mit U-Bahn, Straßenbahn und Bus seit 2022 barrierefrei sein. So steht es im Personenbeförderungsgesetz. In Frankfurt am Main sind zwar nur noch zwei U-Bahn-Haltestellen (Römerstadt und Niddapark) gar nicht barrierefrei, das soll sich aber 2024/2025 ändern. Auf den barrierefreien Umbau wichtiger S-Bahnstationen wie zum Beispiel Frankfurt West darf man sich hingegen noch bis 2027 gedulden. Bei Tram- und Bushaltestellen sieht es noch düsterer aus: Gerade einmal etwas mehr als die Hälfte (53 und 55 Prozent) sind barrierefrei – im reichen Frankfurt, der fünftgrößten Stadt Deutschlands. 

Klar, nachträglich umbauen ist teuer und mit weiteren Einschränkungen verbunden. Aber mal ehrlich: Hat es früher keine Menschen mit Rollstühlen oder Kinderwägen gegeben? Wie konnte man diese Menschen städtebaulich und im Nahverkehr jahrzehntelang so sträflich übergehen? (Auch hier dürfen Rollstuhlfahrer*innen gerne müde lächeln.)

Ich bin wirklich dankbar für jede aufmerksame Person, die mir je Türen aufgehalten oder geholfen hat, den Kinderwagen über Treppen und hohe Einstiegskanten an Bahnen zu hieven. Ohne sie wären ich und tausende Eltern in Deutschland täglich aufgeschmissen. Mangelnde Barrierefreiheit ist für mich nicht mehr nur ein abstraktes Thema, sondern mittlerweile eine schmerzhafte Erfahrung. Das Bewusstsein dafür habe ich jetzt wenigstens.

Kleiner Tipp: In Frankfurt kann man sich auf der Website des VGF über den Status der Aufzüge und Rolltreppen informieren – wenn man vor jeder einzelnen Fahrt daran denkt, nachzusehen.

Infobox
Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.

Kolumne

Michael Güthlein
,
Konstantin Sacher

Michael Güthlein und Konstantin Sacher sind Väter: ein (1) und drei Kinder (10, 9, 6). Beide erzählen über ihr Rollenverständnis und ihre Abenteuer zwischen Kinderkrabbeln und Elternabend, zwischen Beikost und Ferienlager. Ihre Kolumne erscheint alle zwei Wochen; sie schreiben im Wechsel.