Beim Blick von der Empore ins Kirchenschiff lassen sich die parabelförmigen Bögen aus Sichtbeton besonders gut erkennen
Beim Blick von der Empore ins Kirchenschiff lassen sich die parabelförmigen Bögen aus Sichtbeton besonders gut erkennen
PARABEL
Kirchenumnutzung
So schön kann eine Kirche auferstehen
Die Nikodemus-Kirche am Rand des Ohlsdorfer Friedhofs in Hamburg ist nun Heimat für Kunst - weil eine gute Idee, gegenseitiges Vertrauen und ein respektvoller Umgang mit dem Erbe zusammentrafen
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
15.08.2025
3Min

Gegenwärtig wird viel darüber gesprochen, dass Kirchgebäude, die nicht mehr von einer Kirchengemeinde unterhalten und genutzt werden können, neuen Nutzungen zugeführt werden sollen. Leichter gesagt als getan. Jetzt lässt sich in Hamburg ein aktuelles und sehr gelungenes Beispiel besichtigen. Hier kann man lernen, was es braucht, um zu einer guten Lösung zu finden.

Am südlichen Rand des Ohlsdorfer Friedhofs befindet sich die Nikodemus-Kirche. Ende der 1950er Jahre wurde sie – nach einem Entwurf von Henry Schlote – errichtet. Von außen wirkte sie wenig einnehmend, im Inneren besaß sie einen eigenen, zeitbedingt spröden Reiz. Ich kenne sie gut. Als ich 2004 Propst in Hamburg wurde, bekam ich es gleich mit ihr zu tun. Es zeichnete sich schon damals ab, dass es schwer würde, eine gute Zukunft für dieses Kirchengebäude und seine Gemeinde zu finden. Viele Ideen wurden geprüft und verworfen. Nun, ungefähr 20 Jahre später, habe ich sie besucht und erlebt, was – nun ohne mein Zutun – aus ihr geworden ist.

Die Nikodemus-Kirche ist in die PARABEL verwandelt worden, ein Ausstellungshaus für die Sammlung der Kunsthistorikerin Maike Bruhns. Sie widmet sich der Kunst, die im 20. Jahrhundert in Hamburg entstanden ist und im 21. Jahrhundert entsteht. Es ist also nicht eine dieser Sammlungen von "Siegerkunst" (Wolfgang Ulrich), die das zusammenkauft, was auch sonst überall zu sehen ist: Warhol, Richter, Kiefer, Koons usw. Vielmehr folgt diese Sammlung einer klaren, eigenen, höchst notwendigen Idee. Niemand sonst kümmert sich so sehr um die Hamburgische und norddeutsche Moderne.

Nur, wo bringt man diese Sammlung dauerhaft unter, sodass die Öffentlichkeit sie sehen kann? Fünf Jahre lang hat Maike Bruhns mit ihren Söhnen gesucht. Entscheidend war dann ein persönlicher Kontakt. In der benachbarten und inzwischen mit Nikodemus fusionierten St. Marien-Kirche in Fuhlsbüttel hatte Bruhns schon mehrere Ausstellungen verwirklicht. So hatte man sich kennengelernt und Vertrauen zueinander gefasst – die Basis für alles im Leben, auch für Kirchenumnutzungen.

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Maike Bruhns überführte ihre Sammlung in eine Stiftung. Diese erwarb die Kirche und das mit ihr verbundene Ensemble in Erbpacht zu einem handelsüblichen Preis. Im Gemeindehaus soll die Organisation und Forschung der Stiftung untergebracht werden (die Kita soll ihren Betrieb weiterführen). In der Kirche werden zu wechselnden Themen Ausstellungen aus dem Sammlungsbestand gezeigt.

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Von außen sieht das Ensemble noch etwas ungemütlich aus, aber wer die ehemalige Kirche betritt, ist beeindruckt. Im Eingangsbereich ist der besondere Charme der 50er Jahre bewahrt und zugleich modernisiert worden. Das Kirchenschiff selbst ist auf seine Grundstruktur – die Parabel – zurückgeführt worden. Dank des Architekten Axel Winckler wirkt der Innenraum heute, nach dem dreijährigen Umbau – ich muss das zugeben – stärker als früher. Eine klug kuratierte Ausstellung füllt ihn, als wäre er für sie gemacht worden. Auf der ehemaligen Orgel-Empore (die Orgel wurde nach Polen verkauft) ist ein weiterer Ausstellungsraum entstanden. Die Glocken wurden an eine andere Hamburger Kirche gegeben.

Über vieles habe ich mich bei meinem Besuch gefreut. Die Kirche ist als öffentlicher Ort erhalten geblieben. Sie hat einen überaus passenden neuen Inhalt bekommen. Die oft unterschätzte Hamburgische Moderne hat eine Heimat gefunden. Mit dem kirchlichen Erbe wurde respektvoll umgegangen. Zugleich wurde es in etwas Neues überführt. Viele engagierte Menschen haben über einen langen Zeitraum Ausdauer und Kreativität bewiesen. Gemeinsam haben sie eine Idee entwickelt, sie in zum Teil anstrengenden Gesprächen durchgesetzt und am Ende mit viel Feingefühl umgesetzt. Wenn ich an meine ersten Beratungen vor gut 20 Jahren zurückdenke – so etwas hätte ich damals nicht zu hoffen gewagt.

Wenn ich zum Schluss einen Wunsch äußern dürfte: Eigentlich hätte das Altarbild – es ist ja auch ein Stück Hamburgischer Kunstgeschichte – einen Ort in der PARABEL finden können; man hat sich dagegen entschieden; aber vielleicht darf es irgendwann seine alte Heimat wieder besuchen, zum Beispiel in einer Ausstellung über die religiöse beziehungsweise religiös interessierte Kunst der Hamburgischen Moderne.

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Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur