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Seit langem habe ich keinen Hip-Hop mehr gehört. Früher kannte ich mich recht gut aus, dann veränderte sich mein Musikgeschmack in andere Richtungen. Seit einigen Wochen aber höre ich wieder und wieder ein neues Hip-Hop-Album und komme davon nicht los. Der Künstler dürften den allermeisten unbekannt sein. Dabei wird es wohl bleiben. Denn kurz nach der Veröffentlichung seines elften und letzten Albums im vergangenen Oktober ist Ka aus unbekannten Gründen gestorben.
Wenig ist über den Künstler – mit bürgerlichem Namen Kaseem Ryan – bekannt. In Brooklyn wurde er 1972 geboren, in New York hat er gelebt. Von Beruf war er Feuerwehrmann. Er gehörte zu den "first responders", also zu den ersten Rettungskräften am 11. September 2001. Ob sein früher Tod mit nur 52 Jahren damit zusammenhängt?
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Von seiner Musik konnte und wollte Ka nicht leben. Aber er hat erstaunliche Alben von großer konzeptioneller Strenge und Klarheit geschaffen – selbstproduziert, ohne große Hilfe der Musikindustrie. Nun also sein letztes Album: Der Titel "The Thief Next to Jesus" hat natürlich sofort meine theologische Neugier geweckt. Es ist eine tiefgründige Reflexion über das afroamerikanische Christentum.
Als Leitwort dient ein gesampelter O-Ton: "If you listen to what Black people are singing religiously / It is a clue as to what is happening to them sociologically / Our music mirrors what is happening to us". (Ungefähr: "Wenn du dir anhörst, welche religiösen Lieder Schwarze Menschen singen, dann ist das ein Schlüssel, um zu verstehen, wie es ihnen sozial ergeht. Unsere Musik spiegelt unser Ergehen.")
Das Album hat mehrere Ebenen: bohrend nachdenklichen Rap, der leise und konzentriert dahinfließt; überraschende Wort-Samples und die zusammengefügte Musik, die die ganze Kraft des Gospels aufruft – mit drängender Orgel und leidenschaftlichem call-and-response-Gesang.
Auch inhaltlich kommt höchst Unterschiedliches zusammen. Ka formuliert eine scharfe Religionskritik. Streng geht er ins Gericht mit dem Christentum der Weißen, die Schwarze unterdrücken und ausbeuten. Auch die traditionelle afroamerikanische Frömmigkeit unterzieht er einer präzisen Kritik. Vieles an ihr erscheint ihm heuchlerisch. Jenseits des alten Christentums sucht Ka nach einer neuen, echten, befreienden Spiritualität – und bleibt doch zutiefst der Musik des afroamerikanischen Christentums verpflichtet.
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Ich gebe zu, dass ich bei weitem nicht alles verstanden habe. Oft kann ich dem Slang nicht folgen, viele Bezüge werden mir nicht klar. Aber das macht nichts, denn ich kann dieses Album wieder und wieder hören und werde nicht fertig. Es ist wie ein dunkles, geheimnisvolles Vermächtnis und löst einen hypnotischen Sog aus. So höre und rätsle ich weiter – zum Beispiel darüber, wer eigentlich mit dem Titel des Albums gemeint ist: "Thief Next to Jesus".
Nach den Evangelien hingen in Golgatha doch zwei Raubmörder neben Jesus. Der eine verspottete ihn, woraufhin ihn der andere zurechtwies und Jesus bat: "Denke an mich, wenn du in dein Reich kommst!" Und Jesus antwortete ihm: "Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein."
Mit welchem der beiden Räuber mag sich Ka kurz vor seinem eigenen Tod identifiziert haben?