Eine Hand fängt Sterne auf, die die Farben des Union Jack haben
Auf Weihnachten verzichten, nur weil politisch alles drunter und drüber geht? Keine gute Idee!
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Adventszeit und Verunsicherung
Heil durch die nächsten vier Jahre kommen
Wie bleiben wir seelisch stabil in unsicheren Zeiten? Über diese Frage dachte ich in den Tagen der US-Wahl und des Bruchs der Bundesregierung viel nach. Weihnachtliche Bräuche können helfen
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
22.11.2024
3Min

Seit einiger Zeit engagiere ich mich beim Verein Andere Zeiten. Viele Menschen kennen und schätzen ihn, weil er einen einzigartigen Adventskalender veröffentlicht. Dieses Jahr zum 30. Mal! Über 600.000 Exemplare des "Anderen Advents" verkauft der Verein. Zu Corona-Zeiten waren es etwas mehr, weil viele es sich zu Hause besonders schön machen wollten.

Im ersten Winter des Ukraine-Kriegs gingen die Zahlen wegen der allgemeinen Unsicherheit etwas zurück. Da der Verein auch wirtschaftlich denken muss, hängt viel (aber Gott sei Dank nicht alles) an den Verkaufszahlen. Deshalb waren wir gespannt, wie es in diesem Jubiläumsjahr laufen würde. Und es lief sehr gut – in den gewohnten Linien der vergangenen Jahre, sogar besser.

Doch dann kamen zwei Tage, an denen die Telefone schwiegen und das Internet abgeschaltet zu sein schien, denn es trafen kaum E-Mails mit Bestellungen ein. Während das Vertriebsteam sonst im November kaum Zeit zum Verschnaufen findet, wusste es am 5. und 6. dieses Monats nicht, woher diese Stille kam. Sicher, in den USA hatte ein Mann eine Wahl gewonnen und kurz darauf hatte ein Mann in Deutschland seine Macht verloren. Aber ist das ein Grund, sich nicht auf Advent und Weihnachten vorzubereiten?

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Was haben die Menschen in Deutschland an diesen beiden Tagen denn sonst gemacht: den Laptop runtergefahren, das Handy fortgeworfen, in einen Wald gelaufen, die Decke über den Kopf gezogen, einen Strick gedreht? Mit Konsumpsychologie beschäftige ich mich normalerweise nicht. Aber hier schien sich auf einmal ein Blick in die Seele unserer Gesellschaft zu öffnen. Noch habe ich nicht richtig verstanden, was es da genau zu sehen gab und wie wir damit umgehen sollten.

Ich versuche mich daran zu erinnern, was ich am 5./6. November getan habe: Ich habe mich auf meine Arbeit konzentriert und möglichst wenig Nachrichten konsumiert. Ob das richtig war? Natürlich, diese beiden Tage haben Einschnitte gebracht. Wie tief diese gehen werden, wissen wir noch nicht. Doch was immer aus ihnen folgen wird, sollten wir deshalb darauf verzichten, den Advent zu begehen?

In die gleiche Richtung dachte ein Kollege aus den USA. Der Herausgeber der evangelikalen Zeitschrift Christianity Today und Nichttrumpwähler Russell Moore veröffentlichte eine Woche später, am 13. November, einen klugen Artikel über die Frage "Wie komme ich heil durch die nächsten vier Jahre?" Er erinnerte sich daran, wie ihn der Nachrichtenwahnsinn der ersten Trumppräsidentschaft fast um den Verstand gebracht hatte: Jeden Tag irgendein neuer, heißer Irrsinn! Und das noch einmal? Das würde er nicht überstehen. Deshalb habe er sich vorgenommen, diesmal nicht über jedes Erregungsstöckchen zu springen, sondern darauf zu achten, nur die wichtigen Nachrichten aufzunehmen und sich auf tiefergehende Analysen zu konzentrieren, um die gesparte Zeit und Kraft für etwas anderes aufzuwenden: die Bibel lesen, beten, zur Besinnung kommen.

Zum Glück sehen das auch in Deutschland viele Menschen ähnlich. Die Bestellungen unseres Adventskalenders haben längst wieder angezogen. Denn warum sollten wir auf Advent und Weihnachten verzichten, nur weil politisch alles drunter und drüber geht? Im Gegenteil, je unsicher die Verhältnisse, je größer die Sorgen, umso mehr sollten wir darauf achten, dass wir seelisch die Balance halten. Wir brauchen innere Gegengewichte, Gegenkräfte, Gegenbilder, die uns im Gleichgewicht halten. Wir brauchen einen anderen Advent, in diesem Jahr ganz besonders. Das sollten wir uns von niemandem ausreden lassen.

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Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur