Weihnachtsbaum mit Engel
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"Fest der Freude"
Wie man Weihnachten trotz Tod und Trauer feiern kann
Weihnachten und traurig sein – wie kann das zusammenpassen? Das erklärt Seelsorgerin Suse Günther im Interview
Tim Wegner
19.12.2022
3Min

chrismon: Weihnachten, "Fest der Freude" – und dann ist man traurig. Was raten Sie: Verdrängen oder zulassen?

Suse Günther: Zulassen! Meine jüngste Schwes­ter ist 2005 gestorben. Das folgende Weihnachtsfest war schwierig. Wir haben trotzdem zusammen gefeiert – und getrauert. Mein Vater sprach meine Tochter oft versehentlich mit dem Namen meiner Schwester an. Und meine Tochter sagte: "Macht nichts, Opa, ich verstehe das."

Und wenn man Weihnachten doch lieber allein sein möchte?

Lassen Sie es zu. Ich akzeptiere vorbehaltlos, wenn Trauernde lieber für sich sein möchten. Denen kann man sagen: "Du bist auch spontan willkommen!"

Privat

Suse Günther

Suse Günther, Jahrgang 1963, ist Pfarrerin, Notfallseelsorgerin und systemische Therapeutin (SGsT). Sie arbeitet im Kreiskrankenhaus St. Ingbert als Krankenhausseelsorgerin und im Dekanat Zweibrücken, hier u. a. als Notfallseelsorgerin.

Gibt es Rituale, die Trauernden über Weihnachten helfen?

Wir singen immer noch die Lieblingslieder der Verstorbenen. Am Weihnachtsbaum hängt ein Glas­engel von meiner Oma. Und ein Stern, den meine ver­storbene Schwester gebastelt hat. Die Verstorbenen sind in diesen Tagen besonders präsent und das bereichert das Fest. Eine andere Idee: Sie können draußen Lichter aufstellen für die, die fehlen. Oder beim Essen Stühle frei lassen. Das Wichtigste ist: Wer trauert, hat das Recht, traurig zu sein. Das Gefühl der Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit, auch für schöne Weihnachten, darf gern dazukommen, aber nicht auf Befehl. Die Frage ist immer: Was tröstet mich?

"­Mama, was siehst du?"

Gibt es darauf eine generelle Antwort?

Ich rate, nach dem zu suchen, was uns mit den Verstorbenen verbindet. In Ihrem Fall wäre das vielleicht das Radfahren, das für Ihren Vater und Sie so viel bedeutet. In meinem Fall gehört sicher der christliche Glaube dazu – und die Vorstellung, dass wir mit dem Sterben in eine andere Welt gehen. Ich erlebe immer wieder etwas, das ich persönlich als Bestätigung für meinen Glauben empfinde.

Zum Beispiel?

Der Satz aus dem Johannesevangelium "In meines Vaters Haus gibt es viele Wohnungen" ist mir sehr wichtig. Einmal wurde ich zu einer Frau ­g­erufen, die im Sterben lag und nicht mehr sprach. Sie ­wurde ruhiger, öffnete die Augen. Ihre Tochter fragte: "­Mama, was siehst du?" – Die Frau sagte: "Den Himmel." Ich kenne die Nahtodforschung und weiß, dass man aus solchen erlösenden Bildern kein Weiter­leben ableiten kann. Es war trotzdem besonders.

Weihnachten gilt auch als "Fest der Kinder": Soll man die eigene Trauer zurückstellen, damit die Kleinen eine unbeschwerte Zeit haben?

Man kann Kindern erklären: "Ich bin traurig, weil ich gerade an den Opa denke." Kinder wissen und ver­stehen oft viel besser als Erwachsene, was Gefühle sind. Sie haben Opa und Oma auch geliebt und lernen den Umgang mit Ende und Anfang des Lebens.

Ist ein Trauerjahr wichtig?

Wir brauchen diese Zeit, um Abschied zu nehmen und uns neu zu sortieren. Oft reicht ein Jahr nicht. ­Besonders das erste Jahr ist voller Rückblicke – der Geburtstag der Verstorbenen, Gedanken, was vor einem Jahr war, Feste . . . Wer seine Eltern verloren hat, bildet nun selbst die älteste Generation, steht voll in der Verantwortung, das ganze Familien­system sortiert sich neu.

Ist dann die Zeit gekommen für eigene Rituale?

Ja, der Tod ist auch so etwas wie die ­Erlaubnis, eigene Rituale zu finden. Es ist eine Chance, alles neu zu machen, Leerstellen mit eigenen Ideen zu füllen. Die Aufgabe kommt auch auf mich noch zu, meine Eltern sind über 80. Wir gestalten den Heiligen Abend nach ihren Vorstellungen. Auch der Advent bietet sich für neue Wege an, diese Zeit ist mir per­sönlich wichtiger als die Weihnachtstage. Gemeinsam mit den Kindern eine Krippe bauen, basteln, Stück für Stück eine ­eigene Weihnachtswelt entstehen zu lassen – das kann Halt geben.

Wie mit Trauer und Trauernden umgehen? Antworten im chrismon-Webinar

Menschen schaffen Erinnerungsorte, mit Fotos. Wie lange sollten sie stehen bleiben?

Sie spüren, wann es Zeit ist, den Traueraltar beiseite­ zu räumen. Dafür gibt es keine Regel. Aber Trauer braucht Orte. Viele Menschen verbinden Gefühle mit ganz bestimmten Dingen. Als meine Oma starb, durfte ich ihre Nähmaschine behalten. Sie ist mir bis heute wichtig. Als eine Freundin unheilbar an Krebs erkrankte, lud sie uns alle ein und sagte: "Nehmt euch etwas mit, was euch an mich erinnert." Sie sagte das mit frohem Herzen.