Tod und Trauer
"Frohe Weihnachten, Mama und Papa!"
Wie ist es, das erste Mal Weihnachten ohne die Eltern zu feiern? Das fragte sich unser Autor vor einigen Jahren – nachdem er Vater und Mutter kurz hintereinander verloren hatte
"Frohe Weihnachten, Mama und Papa!"
Weihnachten: Gedanken an die, die fehlen
Nina Kaun
Tim Wegner
Aktualisiert am 20.12.2024
8Min

Wiehnachten!" Erst kurz vorm Toten­sonntag fiel ­dieses Wort bei uns zu Hause immer häufiger. Lichterschmuck oder Marzipan vor dem ersten Advent? Gehört sich nicht. Als Kind fing die Adventszeit für mich mit diesem Satz an: "Bald is Dodensündach, un denn is og al Wiehnachten." Ich bin auf einem Bauernhof in Schleswig-Holstein aufgewachsen, Plattdeutsch ist unsere Sprache: "Bald ist Totensonntag und dann kommt auch schon Weihnachten."

2021 sind in Deutschland 1 023 723 Menschen gestorben, 2800 jeden Tag. Zwei Menschen gehören dazu. Meine Eltern. Im Januar ist mein Vater gestorben, im März meine ­Mutter. Dieses Weihnachten wird das erste sein, an dem sie nicht mehr da sind. Das ­Jahresende ist die Zeit, in der man Bilanz zieht, zurückblickt. Nun ist da eine Lücke. Und es gibt keine Antworten mehr auf viele Fragen, die man noch hatte.

Dieses Fest ist so groß, dass es auch in sich zusammenstürzen kann

"Wiehnachten!" Als ich klein war, klang dieses Wort nicht nur wie ein Versprechen auf Geschenke, sondern immer auch nach ­Sorgen. Denn Weihnachten bedeutete bei uns: Da kommt ein Fest, das bitte, bitte schön werden soll, das eigentlich schön zu werden hat – aber bei dem jede Menge dazwischenkommen kann. Vielleicht muss der Tierarzt kommen, vielleicht kalbt Heiligabend eine Kuh. Später, als der Hof zu klein geworden war und meine Eltern einen Hausmeisterdienst gegründet ­hatten, machten wir uns Sorgen wegen des Wetters. Alle Kinder träumten von weißen Weihnachten, für uns war Schnee fast schon ein Alptraum. Die Eltern, meine ­großen Geschwis­ter und ich – wir alle hätten ihn wegschippen müssen vor den Häusern unserer Kunden, damit dort niemand ausrutscht.

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Und oft kam etwas dazwischen. Ich weiß noch, dass einmal unser Auto weg war, am Morgen des 24. Dezember. Geklaut, so schien es. Meine Mutter stand in der Diele, war jetzt die Katastrophe eingetreten? Sie seufzte, ­zynisch, aber den Tränen nah: "Na denn man frohe Wiehnachten." Stunden später klärte sich die Sache auf. Mein Bruder war nachts von einer Feier gekommen, hatte keinen Schlüssel für die Haustür dabei, nur einen fürs Auto, und mit dem war er in seine ­eigene Wohnung gefahren. Aber der Blick meiner Mutter verriet mir: Dieses Fest ist so groß, dass es auch in sich zusammenstürzen kann.

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Moin, moin lieber Herr Husmann,

erlauben Sie, dass ich noch einmal auf die Ausgabe der „Chrismon plus“ vom Dezember 2022 zurückkomme.
Ihre Erzählung im Text: „Frohe Weihnachten Mama und Papa!“ hat es mir sehr angetan, mich tief berührt. Zwei wichtige Sätze haben etwas in mir ausgelöst, was mich seit August 1977 immer wieder anspricht: Das ich nicht dabei war, als meine Mutter ging. Dass ich sie nichts mehr fragen kann.
Ich habe es sehr genossen, dass Sie ab und an einige Worte in Plattdeutsch eingebracht haben. Ich liebe diese Sprache; denn es ist meine Heimatsprache (ich bin eine „Kieler Sprotte“).
Doch zu den beiden Sätzen und allem, was Sie geschrieben haben. In dem von mir genannten Monat und Jahr ist meine Mutter gestorben. Viel zu früh (im Dezember wäre sie 57 geworden). Ich war nicht dabei, niemand von der Familie war dabei. Mein Vater im Krankenhaus, mein Bruder ebenfalls ausgezogen, meine Oma schon lange Tod), wobei es mir ganz besonders nahe geht, bis heute.
Nach meiner Zeit bei der Marine bin ich aus Kiel weg gegangen. Mein Vater war ein sehr harter und autoritärer Mann. Ich konnte nicht mehr mit ihm unter ein Dach wohnen. Mein Bruder war schon eher weggezogen (ins tiefste Bayern). Praktisch habe ich meine Mutter mit ihm alleine gelassen. So habe ich mich später oft gefühlt. Zu meiner großen Freude hat sie zumindest noch meine Hochzeit mit erleben können. Nicht aber ihre Enkelkinder, über die sie sich ganz bestimmt sehr gefreut hätte.
Meine Mutter ist in der Innenstadt von Kiel (Holstenstraße) zusammen gebrochen und dann gestorben. So wurde es uns gesagt. Niemand war also bei ihr. Ich hoffe zumindest auf freundliche und hilfsbereite Passanten. Sie, die uns das Leben geschenkt und für uns gesorgt hat. Sie war ein liebes „Schaf“ (bitte nicht falsch verstehen). Damit habe ich an sie natürlich eine gute Erinnerung (im Gegenteil zu meinem Vater). Darum ist es umso schmerzlicher, dass ich nicht da war in der größten Stunde der Not.
Ich wohne seit über 40 Jahren in Münster-Hiltrup. Habe Familie mit drei Jungs. Genauso lange bin ich ehrenamtlich in der Kirchengemeinde und im kirchlichen Bereich aktiv. Vor einigen Jahren habe ich dann eine Ausbildung zum Prädikanten gemacht und darf seit dem erfolgreichen Abschluss Gott dienen. Ich bin auch immer wieder zu einem Gottesdienst in einem Seniorenheim. Im letzten Jahr kam die Ansage aus der Leitung, dass eine ältere Frau gerne einen Besuch hätte. Ich kenne diese Frau aus unserer Gemeinde. Selbstverständlich habe ich sofort zugesagt. Dann kam dauernd etwas dazwischen (Corona – dann wurde sie zwischendurch krank, immer wieder Aufenthalte in Krankenhäusern). Doch ich blieb solange dran, bis es endlich geklappt hat und ich sie in einem Krankenhaus besuchen durfte.
In der Wartezeit hörte ich immer mal wieder, dass es doch gut wäre. Es klappt eben nicht, und vielleicht ergibt sich noch eine neue Möglichkeit. Lieber Herr Husmann, ich konnte gar nicht anders, ich musste der Frau diesen Wunsch erfüllen. Das natürlich zeitnah; denn ich hatte die große Sorge ………………. Ja, dass mir genau das passieren könne wie bei meiner Mutter. Ich musste unbedingt ihrem Wunsch nachkommen. Ich war richtig froh, als es endlich doch gelungen ist. Sie ist inzwischen auch wieder im Seniorenheim.
Für mich der Beweis, wie sehr mich der einsame Tod meiner Mutter bis heute begleitet.
Daran schließt dann der zweite Satz an: ich habe nur noch zwei Cousinen. Ich kann niemanden mehr fragen. Es gibt so viele Lücken die ich nicht mehr klären kann. Wenn ich alte Fotos sehe, dann sehe ich Menschen, deren Namen ich sogar manchmal kenne (oder wie wir sie genannt haben); aber mir fehlt der Hintergrund. Ich kann sie meiner Familie nicht zuordnen. Und ja, ich habe in meiner Kindheit und Jugend einfach zu wenig gefragt. Aber das war eben so, irgendwie wie ein tabu, das man nicht brechen sollte (dürfte). Da gibt es eine große Lücke die ich gerne mit entsprechendem Wissen gefüllt hätte.
Darum kann ich jede Zeile Ihres Textes gut nachvollziehen.
Hans-Werner Kleindiek