Der Ethikrat hat sich erneut mit dem Thema Suizidassistenz befasst. Mit welchem Ergebnis?
Alena Buyx: Es ist die erste Stellungnahme des Ethikrats zu dem Thema seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar 2020, das das Recht auf selbstbestimmtes Sterben betont hat und hierbei auch die Hilfe Dritter ausdrücklich mit einbezieht. Das war der Anlass, sich damit noch einmal genauer zu befassen. Das Ergebnis knapp zusammengefasst: Wir unterstreichen aus ethischer wie rechtlicher Perspektive, dass eine freiverantwortliche Entscheidung auch dann als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts zu respektieren ist, wenn es um Suizid geht. Allerdings ist das dann irreversibel, und deswegen sind die Anforderungen an eine freiverantwortliche Entscheidung sehr hoch. Wir betonen außerdem, dass sich die derzeitige Debatte um eine gesetzliche Regelung viel mehr als jetzt mit Maßnahmen zur Suizidprävention befassen muss.
Sie geben allerdings keine konkreten Empfehlungen ab oder nehmen sich die im Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfe vor. Wäre das nicht Ihre Aufgabe?
Das wollten wir ausdrücklich nicht. Wir wollten in diesem Fall das herausarbeiten, was für alle Gesetzentwürfe relevant ist. Die liegen ja bereits auf dem Tisch.
Die Details eines Gesetzes, so steht es an verschiedenen Stellen in der Stellungnahme, sind auch im Ethikrat umstritten. Wenn schon unter Experten kein Konsens bei dem sensiblen Thema gelingt, ist dann der Gesetzgeber nicht erst recht überfordert?
Aus diesem Grund haben wir versucht, das schwierige Gelände zu kartieren, ohne den verantwortlichen Politikerinnen und Politikern den letzten Schritt der Rechtsausgestaltung vorzugeben oder gar abzunehmen. Aber es stimmt, einzelne Details sind auch unter uns umstritten, bei den Anforderungen an Freiverantwortlichkeit: Beratungspflicht ja oder nein, immer Volljährigkeit als Voraussetzung, wird ein vorausgefügter Suizidwille anerkannt? Trotz Kontroverse haben wir aber einen breiten Korridor der Gemeinsamkeit vorgelegt - keine Kleinigkeit angesichts der unterschiedlichen Positionen im Rat. Hinsichtlich der Kriterien für Freiverantwortlichkeit und der vernetzten Verantwortung für Suizidprävention sind wir uns bis in die Details einig.
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Bei allen Unterschieden der im Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfe zur Suizidassistenz gibt es unter Politikerinnen und Politikern einen Konsens: Private Sterbehilfevereine, die unter Umstände für eine Stange Geld Hilfe bei der Selbsttötung anbieten, wollen sie verhindern. Sieht das auch der Ethikrat so?
Wir thematisieren diese Organisationen nicht konkret, aber es ist klar, dass auch sie bei der Hilfe zum Suizid die Anforderungen an eine freiverantwortliche Entscheidung beachten müssen. Und die sind, wie von uns dargelegt, hoch. Konkret thematisieren wir, dass äußere Beeinflussung die Selbstbestimmung beeinträchtigen kann, wie etwa Werbung oder gar Anstiftung zum Suizid.
Wie soll überhaupt überprüft werden können, ob die Entscheidung für den Suizid freiverantwortlich getroffen worden ist?
Wir geben dafür die Entscheidungs-Kriterien an und entwickeln diese konkret und detailliert. Wir präzisieren also das Wie - aber nicht abschließend das Wer, also nennen nicht eine Berufsgruppe. Das ist was für konkrete Regulierung, und es gibt ja Professionen, die einschlägig wären.
Ärzte zum Beispiel...
...genau, verschiedene Fachrichtungen, und auch Berufsgruppen in der Jugend- oder Sozialhilfe werden da diskutiert.
Gelten die Entscheidungskriterien auch für Einrichtungen, etwa
Pflege- und Altenheime?
Ja, Anforderungen an Freiverantwortlichkeit gelten auf allen Ebenen. Und es sieht ja danach aus, dass es Suizidassistenz in Einrichtungen geben wird, deswegen werden sich Einrichtungen damit auseinandersetzen und ihren Umgang damit transparent machen müssen.
Darauf weisen wir in der Stellungnahme deutlich hin.
Alena Buyx
Corinna Buschow
Das Thema Suizidprävention hat der Ethikrat schon in früheren Stellungnahmen betont. Ist das von der Politik verschlafen worden?
Es ist etwas frustrierend, dass wir schon so lange eine teils verengte öffentliche Diskussion um die Zulässigkeit der Suizidassistenz führen. Dabei ist Suizidassistenz nicht ohne Suizidprävention debattierbar, das wird inzwischen auch in der Politik aufgegriffen. Der Ethikrat sagt das seit Jahren.
Ist das am Ende die wichtigere Aufgabe für den Gesetzgeber?
Das will ich so nicht sagen, sie hätte aber die größere Breitenwirkung. Suizidassistenz ist letztlich die Speerspitze des ganzen Themas. Es gibt insgesamt viel mehr nicht assistierte Suizide, darüber hinaus Suizidversuche. Bei der Suizidprävention in allen Facetten, von medialem Umgang, Beratung, Ausbildung bis hin zur Gestaltung von Brücken und Bahnhöfen steckt Deutschland teils noch in den Kinderschuhen. Hier muss umfassend und schnell nachgelegt werden.
Das Interview führte Corinna Buschow für den Evangelischen Pressedienst (epd).