Aber: Wie viel soll man spenden?
15.11.2010

Flutopfer, Erdbeben, Hungersnöte: Auf Katastrophen folgen Fernsehsendungen, in denen Hunderttausende Euro für Menschen in Not gesammelt werden. Man ruft beim Sender an und sagt, was man zu spenden bereit ist. Namen und Summen ziehen am unteren Bildrand entlang. Wer sich wie großzügig zeigt, wird so der ganzen Nation bekannt gegeben. Man ist gerührt über fünf Euro Taschengeld eines Kindes und wundert sich angesichts der recht bescheidenen 1000 Euro, die aus einem Weltkonzern kommen. Aber abgesehen vom guten Zweck: Sollten Spenden eigentlich so öffentlich von Hand zu Hand gehen?

"Wenn du Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut"

In einem markigen Wort sagt Jesus: "Wenn du Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, damit dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten." Der so genannte Mister Zehnprozent etwa bleibt im Dunklen. Seinen Namen wollte weder der Begründer der Aktion noch derjenige, der in seine Fußstapfen getreten ist, nennen. Mister Zehnprozent wünscht keine Aufmerksamkeit für sich, sondern will sie auf die lenken, die sie brauchen. Er spendet zehn Prozent seines Einkommens nur dann, wenn sich Menschen finden, die wie er bereit sind, gut biblisch den "zehnten Teil" dessen, was sie an Verdienst, Taschen-, Haushaltsgeld oder Rente besitzen, an Bedürftige weiterzugeben.

Ob ein oder zehn Prozent, ob Freude über einen flüchtigen "Fernsehauftritt" oder Zurückhaltung ­ gemeinsam haben öffentliche und anonyme Spender eines: die Freude daran, zu helfen, und die Lust, mit ihren Gaben andere so anzustecken, dass sie sich auch zum Spenden bewegen lassen. Und das ist tatsächlich gut so, denn "einen fröhlichen (!) Geber hat Gott lieb", wusste schon werbewirksam der Apostel Paulus. Spenden fängt nicht mit Müssen, sondern mit Wollen an. Kain und Abel etwa, die beiden Brüder, zwischen denen es später zum Eklat kommt, rücken freiwillig etwas von ihren Viehzucht- und Ackerbauprodukten heraus. Und der Erzvater Jakob macht mit Gott einen Deal: Von allem, was der ihm schenkt, will er den zehnten Teil wieder opfern.

Erst im Lauf der Zeit wird zum Gebot, was zuvor Erfahrung und Idee ist: die Erfahrung, selbst beschenkt zu sein, und die Idee, zu teilen. Wer weiß, dass er nicht alles verdient, was er bekommt, ist weise. Wer immer nur aufrechnet, Errungenes besorgt zusammenhält, wird ungern etwas hergeben. Schade, wenn einen ein verkrampftes Lebensgefühl hindert. Das ist etwas ganz anderes als sparsam zu leben, weil man sein Geld zusammenhalten muss.

Einen Unterschied aber gibt es beim Geben zwischen Arm und Reich: Als Jugendliche eine leidenschaftliche Sammlerin für Müttergenesungswerk und Brot für die Welt, habe ich die liebevolle biblische Geschichte vom Scherflein der Witwe immer wieder neu erlebt. Reiche gaben zum Teil beiläufig erhebliche Beträge aus ihrem Überfluss; Ärmere spendeten winzige Summen von dem Wenigen, das sie hatten, und verströmten sich dabei regelrecht . . . Manchmal passiert es, dass man sich überfallen fühlt von denen, die einem an den Geldbeutel wollen. Da darf man den Stil kritisieren, in dem man angesprochen wird. Es braucht beides: eine Kultur des Dankes, in der Spendefreudigkeit nicht als selbstverständlich, sondern als erfreulich betrachtet wird. Es braucht zudem Verständnis für die, die Geld sammeln ­ sie können sich nur selten Zurückhaltung auferlegen, weil sie immer um Leben kämpfen. Misstrauische Zeitgenossen, die ihr Geld sicher "angelegt" wissen wollen, können sich an das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen wenden, das den Hilfsorganisationen, die solide arbeiten, ein Gütesiegel verleiht.

Möchte man Hilfe zur Selbsthilfe leisten?

Wer spenden möchte, sollte das in dem Bewusstsein tun, dass es ein Segen ist, spenden zu können und nicht auf Hilfe angewiesen zu sein. Schließlich kann man auch Maßstäbe entwickeln, nach denen man gibt. Möchte man Hilfe zur Selbsthilfe leisten, damit diejenigen, die etwas erhalten, irgendwann unabhängig weiterleben können? Deutschland hat nach dem Zweiten Weltkrieg solche Hilfe aus den USA empfangen ­ statt Vergeltung für unermessliche Verbrechen die Chance, ein demokratisches Land zu werden. Es ist im Interesse eines menschenwürdigen Miteinanders, andere Menschen und Länder nicht zu zertreten, sondern ihnen finanziell und ideell den aufrechten Gang zu ermöglichen.

Natürlich kann man auch jemanden unterstützen, der einem besonders am Herzen liegt: Kinder, die auf der Straße leben; Frauen, die auf den Strich gehen müssten, würden sie nicht durch Hilfsprojekte unterstützt; Schwangere in Konfliktsituationen, alte oder behinderte Menschen. Alle eigenen Kriterien für das Spenden sollten einen jedoch nie hindern, sich spontan anrühren zu lassen vom Elend, von der Schwäche eines Mitmenschen und einmal ganz anders als gewohnt zu geben, einfach, weil einem das Herz überfließt.

Und schließlich: Man darf sich selbst nicht vergessen. Nur wer in der Lage ist, sich selbst etwas zu gönnen, wird auch mit anderen großherzig umgehen können.

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