Christoph Johannes MarkschiesThomas Meyer/OSTKREUZ
22.02.2012
Laetare
Einige zwar predigen Christus aus Neid und Streitsucht, einige aber auch in guter Absicht: diese aus Liebe, denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums hier liege; jene aber verkündigen Christus aus Eigennutz und nicht lauter, denn sie möchten mir Trübsal bereiten in meiner Gefangenschaft.
Philipper 1,15-21

Wie viel Aufhebens darf ich eigentlich von mir selbst machen? Wie laut darf ich beispielsweise klagen, wenn es mir gerade schlechtgeht?

Manche Autoren der Bibel und große Gestalten der Kirchengeschichte sind von schier verblüffender Gelassenheit. Auch in dramatischen Lebenslagen hört man von ihnen kaum einen einzigen Laut der Klage. Im Gegenteil: Sie finden immer noch etwas, woran sie sich freuen können. Sie strahlen unglaubliche Zuversicht aus.

Neidische, streitsüchtige Professoren und Pfarrer

Der Apostel Paulus hat offenbar zu dieser besonderen Gruppe von Menschen gehört. Am Beginn seines Philipperbriefes erfährt man lediglich nebenbei, dass er diesen Text im Gefängnis schreibt.

Keine verbitterte Klage über unzumutbare Haftbedingungen, kein verärgertes Lamentieren über den Skandal, als Unschuldiger inhaftiert zu sein – Paulus interessiert eigentlich nur die Wirkung, die seine Gefangenschaft auf die Verkündigung des Evangeliums hat: Einige Menschen predigen Christus zwar weiter aus Neid und Streitsucht (so, wie man auch heute noch bestimmten Professoren und Pfarrern anmerkt, dass es ihnen weniger um den Inhalt der Botschaft als vielmehr um persönliche Eifersüchteleien und ähnlichen Kram geht). Die allermeisten anderen aber sind durch das gute Beispiel des Paulus auch selbst mutiger, zuversichtlicher und gelassener geworden – „denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums einsitze“.

Berliner Häftling und Todeskandidat

Ganz offensichtlich geht es im Prozess, der dem Gefangenen droht, um Leben oder Tod. Aber selbst diese finsterliche Perspektive schreckt den Apostel nicht: „Denn Christus ist mein Leben, und Sterben mein Gewinn.“

Von Dietrich Bonhoeffer, dem Berliner Häftling und Todeskandidaten von Flossenbürg, haben seine Mitgefangenen Ähnliches erzählt. Er schreibt auch selbst da­rüber in einem Gedicht unter dem Titel „Wer bin ich?“: „Sie sagen mir oft, / ich träte aus meiner Zelle / gelassen und heiter und fest / wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.“ Und weiter: „Sie sagen mir oft, / ich spräche mit meinen Bewachern / frei und freundlich und klar, / als hätte ich zu gebieten.“

Hat sich Paulus nie über seine Haftbedingungen aufgeregt?

Mich berühren solche Beispiele großer Gelassenheit und christlicher Glaubens­heiterkeit in höchst dramatischen Situationen immer etwas ambivalent. Natürlich bewundere ich solche unerschütterliche Zuversicht.

Aber ich bin auch etwas neidisch, denn ich bin in viel weniger dramatischen unerfreulichen Alltagssituationen viel weniger gelassen, heiter und zuversichtlich. Oder etwas deutlicher: Ich kann mich über alltägliche Sachen furchtbar aufregen, ganz betrübt werden und ziemlich verzweifelt. In solchen Momenten ist mir die unendlich große Zuversicht des Apostels unendlich fern.

Hat er sich wirklich nie darüber aufgeregt, dass er in den schrecklichen Gefängnissen der antiken Welt brutal festgehalten wurde? Ziemlich unwahrscheinlich.

Abstürze der vermeintlich Gelassenen

In Dietrich Bonhoeffers Gedicht wird der ­Außeneindruck vom heitergelassenen Gefan­genen mit dessen Selbstwahrnehmung kontrastiert: „Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig, / ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle, / hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen, / dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe, / zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung.“ Leider fehlt uns ein solcher Text vom Apostel Paulus im Neuen Testament.

Ich möchte gern gelassener werden. Und heiterer in den kleinen Katastrophen meines eigenen Lebens. Manchmal hilft mir das Vorbild des Apostels Paulus, weil seine Zuversicht beim Lesen und Hören auf mich abfärbt. Manchmal hilft mir aber gerade im Gegenteil auch ein Text wie das Gedicht Bonhoeffers, weil es viel realistischer auch von den Abstürzen derer berichtet, die uns so unendlich gelassen, heiter und voller Zuversicht erscheinen.

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