Begrünen gegen den Klimawandel
Lasst die Pflanzen ran
Wie sollen wir nur die ­kommenden Hitzesommer ertragen? Sicher ist: Es braucht mehr Grün. Alles ist jetzt gefragt: große Entwürfe, bescheidene Umbauten, verrückte Erfindungen. Und Ideen, wo das Gießwasser herkommen soll
Das Frankfurter Bankenviertel könnte auch so aussehen: Über die begrünten Dächer führt ein Spazierweg, und auf den Spitzen der Hochhäuser thronen Gewächshäuser. Aus dem Buch "Zukunftsbilder 2045" (Oekom)
Frankfurter Bankenviertel - aus dem Buch "Zukunftsbilder 2045"
www.realutopie.de / Frankfurt, Zukunftsbilder 2045 / Reinviting Society &Render Vision
Tim Wegner
Aktualisiert am 10.05.2024
18Min

An einem heißen Tag würden sich Kinder auf ­dieser Rutsche die Haut verbrennen, so sehr heizt die Sonne das Metall auf. Selbst die Holzbänke sind dann nicht mehr zu benutzen. Dabei sollte dieser Platz der Treffpunkt für den Neubaustadtteil Riedberg in Frankfurt am Main sein. Im Sommer aber wirkt er geradezu lebensfeindlich: nur ver­einzelte Bäume, dafür viele, viele dunkelgraue ­Betonplatten.

"Der Platz ist unerträglich im Sommer"

Anwohnerin Ina Mirel mochte das nicht mehr hinnehmen. "Ich bin Mutter, das ist der Mut der Ver­zweiflung." Mit der Klimaschutz-Initiative Riedberg sammelte sie Unter­schriften für eine Umgestaltung. Parallel maßen Geografie-Studierende der nahen Uni die Temperaturen auf unterschiedlich gestalteten Plätzen. Dann spazierte die ­Initiative in den zuständigen Ausschuss des Stadt­parlaments und sagte: Der Platz ist unerträglich im Sommer, die Stadt hat eine Fürsorgepflicht, sie möchte jetzt bitte handeln, hier sind die Unterschriften, da die Mess­ergebnisse, und das hier ist unser Entwurf.

Tatsächlich wird die Stadt nun den Platz umgestalten: mit viel mehr neuen Bäumen, als die Initiative zu fordern sich getraut hatte. Und trotzdem wird auch der Wochenmarkt noch draufpassen.

Lesen Sie hier: Jochen Schmidt über Ehrgeiz und Klimaschutz in seinem Berliner Schrebergarten

Der vergangene Sommer war der heißeste in Europa seit mindestens 500 Jahren. In Darmstadt etwa waren es an 43 Tagen 30 Grad und mehr. "Was früher ein ­extrem heißer Sommer war, ist heute ein durchschnittlicher ­Sommer", sagt der Deutsche Wetterdienst, "aus extrem wurde normal."
Die Hitze ist belastend für viele, besonders aber für Kleinkinder, Herz-Kreislauf-Kranke, Alte. Für manche war der letzte Sommer sogar tödlich.

Und das ist erst der Anfang. Selbst wenn die Menschheit ab sofort kein Kohlendioxid mehr in die Atmosphäre abgäbe – der Klimawandel würde nicht abrupt stoppen, sondern zunächst weitergehen. Deshalb ist jetzt beides ­nötig: Klimaschutz und Klimaanpassung. Hier geht es um Anpassung, also um den Versuch, das abzufedern, was die Klimakrise schon angerichtet hat – Hitze, Dürre, ­Starkregen; und zwar abfedern mit Hilfe von Pflanzen.

Zum Beispiel mit Hilfe von Bäumen. Denn unter einem Baum ist es kühler als unter einem Schirm. Es müssen also mehr Bäume her.

Welche Bäume halten Hitze und Trockenheit aus?

Aber die klassischen Straßenbäume wie Sommerlinde oder Kastanie kommen mit der brutalen Hitze und ­Trockenheit nicht zurecht. Baumarten aus südlichen ­Ländern wie Italien und Spanien wiederum halten die hiesigen Frös­te nicht aus. Gesucht werden also Bäume aus dem Inneren von Kontinenten – denn da ist es sommers heiß und winters frostig. So wie in Südosteuropa, etwa in Bulgarien oder Rumänien.

Mit solchen nicht heimischen Arten experimentiert Susanne Böll seit über zehn Jahren, sie arbeitet bei der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau. Unter den Testkandidaten sind nah Verwandte wie die Silberlinde aus Südosteuropa, die Trockenstress aushält, oder exotische Bäume wie die Gleditschie (Lederhülsenbaum), ein anspruchsloses Gewächs aus Nordamerika, oder, ebenfalls vielversprechend, der Japanische Schnurbaum.

Aber mögen unsere Insekten die fremden Bäume? So genau hat das vorher noch niemand untersucht. Kein Wunder, sagt Forscherin Böll, "denn das ist irrwitzig aufwendig". Sie macht das nämlich mit ihrem Team: mit einer Hebebühne alle zwei Wochen in den Baumkronen die Fallen wechseln, die gefangenen Insekten bergen, sie vorsortieren und an die raren Fachleute für zum Beispiel Wanzen zur Feinbestimmung schicken.

Wurzelwerk mindestens so ausladend wie die ­Krone

Gute Nachricht: Es finden sich fast gleich viele Insekten­arten beispielsweise auf der heimischen Winterlinde wie auf ihrer südosteuropäischen Verwandten namens Silberlinde. Mit Geld von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt untersuchen sie jetzt auch noch die Insektenwelt auf Baumarten aus Nordamerika und Asien. So viel kann die Biologin übrigens schon sagen: Auf Ginkgo-Bäumen sei insektenmäßig "nix los".

Aber auch die Zukunftsbäume werden nur zu großen Schattenspendern, wenn ihre Wurzeln sich ausbreiten können. Für den Anfang braucht ein Baum wenigstens eine Grube von zwölf Kubikmetern, das sind oben zum Beispiel zwei mal vier Meter und anderthalb Meter in die Tiefe.

Das ist die offizielle Empfehlung, der aber oft nicht gefolgt werde, sagt Susanne Böll. Vielmehr ­würden ­Bäume in eine Grube von gerade mal ein mal einem ­Meter ­"geknörrt", davor und dahinter Autos und Asphalt – ­dabei ist das Wurzelwerk mindestens so ausladend wie die ­Krone. Selbst Fugenpflaster würde schon helfen, dass Wasser an die Wurzeln gelangt. Und ein Grünstreifen würde dann auch den Insekten helfen – die meisten Wildbienen-Arten ziehen ihren Nachwuchs im Boden groß.

Wo sollen da die Autos parken? Ein Blick nach Stuttgart: Bislang säumen nur Parkplätze die Metzstraße in einem Sanierungsgebiet. Viele Anwohner und Anwohnerinnen wünschen sich was Grünes. Und eine Sitzmöglichkeit, damit man nicht immer gleich zur Nachbarin in die Wohnung muss, wenn man sich unterhalten möchte. Andere aber wollen auf keinen einzigen Parkplatz verzichten.

Statt Bäumen: ein grünes Netz über der Straße

Das Landschaftsarchitekturbüro Kienleplan erdachte im Auftrag der Stadt eine Lösung: ein grünes Netz auf halber Höhe, das sich zum Beispiel als Gerüstbogen über den ­Straßenraum spannt. Berankt mit üppigem Blauregen oder mit Wildem Wein, beide brauchen nicht so viel Platz im Boden wie Bäume. Dazu Radparkplätze, lauschige Sitzecken und auch ein paar Bäume. Und nur ein Parkplatz weniger! Dank schräger Parkplätze auf einer Seite.

Aber nun geht es nicht weiter. Denn von den anderen Fachämtern gab es erheblichen Widerstand, berichtet ­Miriam Schwarz, die zuständige Projektleiterin im Amt für Stadtplanung und Wohnen. Das Tiefbauamt wolle nicht, dass im Boden rumgebuddelt wird, da seien die Leitungen für Gas, Wasser, Strom, Breitband, ­Fernwärme.

Lesen Sie hier: Was uns psychologisch davon abhält, das Klima besser zu schützen

Überhaupt: Gehwege dürften nicht durch Begrünung ­schmaler werden. Dass in der Stadt viele Gehwege deutlich enger sind als vorgeschrieben, sei eben "historisch so gewachsen". Das Garten-, Friedhofs- und Forstamt wiederum habe zu wenig Gießpersonal; und dann müsse man die Rankpflanzen ja irgendwann auch schneiden, gehe alles gar nicht, man sei so runtergespart worden.

Erfindung: schnellwachsender Großschatten

Dabei ist die Not groß, und sie wird nicht kleiner. Gut, dass Nicola Stattmann sich des Problems angenommen hat, sie hat den schnell wachsenden Großschatten er­funden. Stattmann ist Produktdesignerin in Frankfurt am Main und also geübt darin, Lösungen zu entwickeln. Als sie las, dass die Städte viel mehr Grün bräuchten, um mit der Hitze klarzukommen, formulierte sie als Aufgabe: "Wir brauchen etwas, das unterirdisch keinen Platz beansprucht, aber auch wenig Platz im Straßenraum, so dass es sich auch für Innenstädte eignet; etwas, das nicht so langsam wächst wie ein Baum, das so viel Schatten und Grün bietet wie möglich, aber ohne Laubfegen und Rückschnitt, weil das alles von der öffentlichen Hand nicht zu bewältigen ist. Ach, und bezahlbar sollte es auch sein."

Die Lösung, die sie mit ihrem Team fand: Segel mit schnell wachsenden Pflanzen. Radwege und Plätze könnte man damit beschatten, ganze Schattenalleen bilden. Die Pflanzen wachsen in Kästen, die auf drei Meter Höhe ­zwischen den Streben angebracht sind, so dass Markt­stände oder Radwege drunter passen. Im April werden schnell wachsende saisonale Pflanzen in die Kästen gesetzt, die klettern dann in Windeseile in die feinen Textilnetze hoch und werfen ab Juni Schatten. Im Herbst sollen die Netze mitsamt der Pflanzen "geerntet" werden für Bioenergie oder Kompost, und zwar, bevor das erste Blatt fällt und die Stadt fegen müsste. Bewässert wird sparsam über einen "Schwitzschlauch".

"Jeder Quadratmeter Grün hilft"

Viele Pflanzen haben sie getestet, 22 sind gut geeignet – sie schaffen die Höhe, machen viel Biomasse, halten den Wind aus. Etwa die Glockenrebe aus Mexiko oder Indischer Spinat oder die Käsepflanze aus Asien. Wo immer sie davon erzählte, öffneten sich Türen, sagt Stattmann begeistert, viele machen mit.

Die Illertissener ­Staudengärtnerei Gaißmayer etwa hat mit ausprobiert und wird die Pflanzen vorziehen, das Senckenberg-­Institut will rausfinden, ob diese fremdländischen Blüten die für ­Insekten fatale Ernährungslücke im Sommer füllen könnten, wenn in den Parks nach dem Schnitt und erst recht bei Dürre sogar Gänseblümchen und Klee fehlen.

Die einen klettern, die anderen fallen kaskadenartig. Der Pflanzenvorhang an der Calwer Passage in Stuttgart macht einen bewegten, geradezu wuscheligen Eindruck. Auf dem Dach wächst noch ein waldiger Schopf. Entworfen von Christoph Ingenhoven und seinem Team und kürzlich erst fertig begrünt

Die Segel waren noch gar nicht auf dem Markt, da meldete sich schon der Geschäftsführer von 80 Kinder­gärten bei Nicola Stattmann: Man könne die Kinder im Sommer mittags nicht mehr nach draußen lassen, ein ­Drama; zwar bekämen sie von der Landesregierung ­enorme Zuschüsse für Sonnensegel, aber darunter würde sich die Hitze noch mehr stauen – ob er ihr ein paar ihrer Pflanzenwände abkaufen könne?

Leider erst 2024, noch viele Schritte müssen vor der Markteinführung getan ­werden – zuletzt zum Beispiel der Test der ganzen Anlage im Windkanal an der Uni Luzern.

Während Produktdesignerin Stattmann an den öffent­lichen Raum denkt und die Serienproduktion plant, kümmert sich Lara-Maria Mohr um die Privatleute, die begrünen wollen, aber nicht wissen, wie und wo. Mohr ist Leiterin für das Projekt "Frankfurt frischt auf".

Die Stadt am Main schießt bei Begrünungsprojekten bis zu 50 Prozent der Kosten zu – für Grünes an Fassaden, auf dem Dach, in Hinterhöfen. Da geht es manchmal recht klein­teilig zu, "aber jeder Quadratmeter Grün hilft", sagt Mohr. Sogar Hochbeete im Hof werden gefördert, wenn gar nichts anderes geht, und Projekte von Mietparteien – sofern der Vermieter zugestimmt hat.

Kommen dann mehr Insekten in die Wohnung?

Allereinfachste Variante, etwa in Innenstadtquar­tieren? "Den Boden ein bisschen aufmachen, im Schatten eine Pfeifenwinde setzen, ihr ein kleines Gerüst geben, so hoch, wie man später mit Anlegeleiter zum gelegentlichen Schnitt klettern will, gute Erde rein. An vielen ­Orten reicht das." Für sonnige Stellen könne man auch ­eine ­Kiwi ­nehmen oder die Blaue Passionsblume. Und falls man metertief auf Kriegsschutt stoße, stelle man eben ­einen Pflanz­kübel hin, mit Wasserspeicher und mindestens 100 Liter Volumen, damit er im Winter nicht durchfriert. Wenn es preiswert bleiben muss: Wer Leute mit Garten kennt – die freuen sich immer, wenn sie ihren Überfluss, etwa Sämlinge oder Ausläufer, in dankbare Hände geben dürfen.

Lesen Sie hier: Wie Verzögerungsstrategien die Klimakrise verschärfen

Kommen dann mehr Insekten in die Wohnung? Das ist eins der Vorurteile, die Mohr immer wieder begegnen. "Natürlich sind in dem dichten Bewuchs auch Insekten drin", sagt sie, "aber die sind dort, weil ihnen der Lebensraum Pflanze gefällt. Und dann kommen schnell auch ­Vögel und futtern die Insekten weg. Eine ­Wandbegrünung ist ein kleines Ökosystem für sich. Vielleicht verirrt sich ein Insekt mal nach innen, aber die krabbeln nicht ­scharenweise rein."

Fassadengrün spart Geld

Aber ist Begrünung nicht sehr teuer? Nein, sagt die Beraterin. Preiswert ist alle Begrünung, die sich im Boden weitgehend selbst versorgen kann, und nicht in Kästen und ganzen Beeten weit oben an der Wand wächst, das ist die Luxusvariante, die man eher an großen Bürogebäuden sieht. Aufwendig sind erst recht so spektakuläre Projekte wie das Geschäftshaus Kö-Bogen II in Düsseldorf, das mit 30 000 jungen Hainbuchen gespickt ist, oder der ­einstige Flakbunker in Hamburg, auf dem in windiger Höhe ­gerade eine ganze Gebirgslandschaft entsteht.

Im Normalfall aber spart Fassadenbegrünung ­sogar Kosten. "Eine von Pflanzen beschattete Fassade hält ­länger", sagt Professorin Nicole Pfoser von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, eine profunde Kennerin und Erforscherin aller Varianten von Gebäudebegrünung. Bei schnellem Wechsel von Sonne und Wolken gebe es Temperaturunterschiede bis zu 40, 50 Grad – "das lässt Materialien extrem leiden". Pflanzen schützen vor diesen extremen Temperaturunterschieden. Natürlich auch vor Hagel und Regen.

Efeu nur, wenn die Wand keine Risse hat

Genauso schützt ein Pflanzenbehang die Menschen im Gebäude vor Hitze. In Wien wurde das wissenschaftlich nachgewiesen. Auf der Fassade der "Magistratsabteilung 48", das ist das Bürogebäude des Amts für Abfallwirtschaft und Straßenreinigung, sitzen dicht an dicht Pflanzkästen mit Katzenminze, Federnelke, Schafgarbe, Thymian, Blaugräsern, nur die Fenster sind frei. Im Sommer spart man seitdem 45 Klimakühlgeräte mit jeweils acht ­Stunden Laufzeit ein und im Winter reduziert sich der Wärme­verlust um bis zu 50 Prozent

Aber sind manche Pflanzen nicht gefährlich, Efeu zum Beispiel? Efeu ist eine selbst­klimmende Pflanze, sie haftet also mit ihren Füßchen direkt an der Fassade. Dafür muss die Oberfläche fugen- und rissfrei sein, sagt Nicole Pfoser, am besten wäre ein anderthalb Zentimeter dicker Putz, wie man ihn früher immer angebracht habe.

Ansonsten nehme man besser eine Gerüstkletterpflanze – also etwa Kletterrose, Geißblatt, Waldrebe. Bei manchen kann das "Gerüst" auch nur ein Seil sein. Bei den Gerüstkletterpflanzen gibt es sehr viel Auswahl, sogar "vertical farming" ist möglich, mit Kiwi, Bohnen, Kürbis, Wein . . . Übrigens: Auch für gedämmte Wände gibt es mittlerweile Ranklösungen.

"Lowtech ist die Zukunft"

Und noch ein Einwand wird häufig vorgebracht: dass man sich um Lebewesen dauernd kümmern müsse. Das ist ­genau die richtige Frage für Marco Schmidt in Berlin, Fachmann für klimagerechtes Bauen. Klar, bei ­Pflanzen muss man mal die Bewässerung nachstellen oder sie ­gelegentlich schneiden, aber das sei kein Vergleich zur Technik: "Da haben Sie ständig was zu reparieren."

Schmidt hat über Jahre alle Daten erhoben beim Institut für Physik in Berlin Adlershof: Dort sorgen an einigen Fassaden Pflanzen für Sonnenschutz, an anderen automatisch hoch- und runterfahrende textile Blenden. Die Wartung der konventionellen Technik kostet 16 000 Euro im Jahr, die Pflege der Begrünung nur 1300 Euro.

In der Kolumne "Klimazone" schreibt Nils Husmann über Menschen und Ideen, die Hoffnung machen

"Wir müssen von den Hightechlösungen runter", sagt der Diplomingenieur. Moderne Bürobauten seien eigentlich gar nicht mehr zu bewirtschaften, "riesige Lüftungsanlagen, immer noch größere Fenster, auch deswegen steigt der Kühlungsbedarf laufend – das ist viel zu viel Technik." Lowtech ist die Zukunft, sagt er. Aber bislang könne man sich in den Bauantragsprogrammen, wo es ja auch um die Energiebilanz geht, einen Sonnenschutz durch Pflanzen nicht anrechnen lassen. Auch deswegen scheuten viele ­Planer und Planerinnen vor Begrünung zurück.

Mit Pflanzen gegen Randalierer

Preiswerter also kann es mit Pflanzen sein. Und sogar gegen Randale wirkt Grün, beobachtete Forscherin Nicole Pfoser in Paris. Dort hat der Architekt Edouard François 2004 einen zehnstöckigen Sozialwohnungsklotz begrünt: Auf den umlaufenden Balkonbalustraden sind 380 weiße Töpfe einbetoniert, darin Bambus (heute würde er heimische Pflanzen setzen, sagt er). Seitdem kommt ständig Besuch vorbei beim "Tower Flower", Architekturfachleute, aber auch interessierte Laien.

Die Menschen, mit denen Nicole Pfoser dort gesprochen hat, empfänden die tolle Begrünung und das Interesse der anderen daran als eine Form von Wertschätzung. Auch die gesunkenen Krimi­nalitätsraten führt Pfoser darauf zurück. Das Quartier habe sich beruhigt. Und rundum fingen die Leute anderer Häuser an, ihre Balkons zu begrünen, sagt sie.

Die "Waldspirale" in Darmstadt aus Recyclingbeton mit 105 Wohnungen wurde von Friedensreich Hundertwasser gestaltet. Auf dem Dach wachsen Linden, Buchen, Ahornbäume

Wer einmal üppig begrünte Häuser gesehen hat, ist meist begeistert: "So was will ich auch." Die tippitoppi Weinberankung, die man am Gasthof im Weinbaugebiet gesehen hat, wie toll ökologisch das sei! Oder die violette Blütenfülle eines Blauregens – wie am Rathaus in Riesa – , wie herrlich wäre das vor dem eigenen Fenster!

Wer dann nach Beratung sucht, landet womöglich auf der informativen Internetseite des Leipziger Familienbetriebs Fassadengrün, der Seilsysteme und Pflanzen anbietet. Die zehn Mitarbeiter machen "Heimarbeit nach sächsischer Tradition", erzählt Firmengründer Sven Taraba. Er ist ein Pflanzenbegeisterter mit realistischer Nüchternheit. Deswegen zeigt er auf der Homepage auch gruselige Fotos von Efeuranken, die sich unter Dachschindeln gezwängt haben und sie anheben, oder von einem Blauregen, der ein Regenfallrohr würgt wie eine Anakonda.

Wenn der Blauregen wie eine Anakonda würgt

Blauregen sei nun mal ein extrem wuchs­freudiger Schlinger, sagt Taraba, das dürfe man nicht verschweigen. Auch Pflanzen wie Efeu oder Wilder Wein bräuchten ein wachsames Auge und Schnitt. Aber auch harm­losere ­Gewächse müsse man beobachten.

"Früher war klar", sagt er, "Gehölze müssen straff ­gezogen und geschnitten werden – so wie man die ­Menschen zurückgeschnitten und geformt hat." Heute sei das Zurechtstutzen in der Kindererziehung verpönt, zu Recht, sagt er, der mit seiner Frau acht Kinder hat. "Aber eine Pflanze in die Welt setzen, ans Haus, und dann staunend zugucken, was passiert, wenn ich sie ganz ­authentisch wachsen und loslegen lasse – das funktioniert nicht so gut."

Privatleuten rät er, besser nur das Erdgeschoss be­grünen, so dass man überall hinkommt. "An einer Anlegeleiter hochzukraxeln, und dann wippt die auch noch und biegt sich durch, das ist nicht für jeden was." Und Neulinge, die Früchte ernten wollen, sollten nicht zu ­Spalierobst für Äpfel und Birnen greifen, "das ist Liebhaberei für Leute im Vorruhestand, die sich ein neues Hobby suchen". Besser eine Weinrebe pflanzen, das sei erfolgversprechender.

Dass die Städte grüner werden, dass an allen ­Fassaden was wächst, das würde sich Sven Taraba wirklich ­wünschen. Weil das schöner sei. Weil man was für die Biodiversität tue. Aber fürs globale Klima bringt die Dachbegrünung mehr, sagt er.

Sogar Schrägdächer kann man begrünen

Flachdächer zu begrünen, ist nicht kompliziert, aber Schrägdächer? Da gab es bislang nur recht aufwendige Lösungen – mit allerlei Matten und Folien. Das muss einfacher und preiswerter gehen, fand Dirk Kieslich aus Plettenberg, einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen. Ein quirliger Typ, der eine Erfindung nach der anderen raushaut.

Als er seinen Nachwuchs wickelte, erfand er eine Windel mit integriertem Entsorgungsbeutel und nun eben eine begrünte Dachpfanne. Mit zwei Freunden gründete er die Firma Mygreentop. Das Besondere: Die Pfanne hat ­einen bepflanzten Kasten drauf, und weil sie aus ­recyceltem Kunststoff ist, wiegt sie nicht mehr als ein konventioneller Ziegel.

Der Stadt so viel Grün wie möglich zurückgeben wollten Ingenhoven Architects mit der acht Kilometer langen Hainbuchenhecke rund um das Geschäftshaus Kö Bogen II in Düsseldorfs Mitte. Das dürfte Europas größte Grünfassade sein

Noch beginnt Kieslichs Geschäft erst zu laufen – aber wenn in einer Straße solch ein Gründach gedeckt werde, kämen gleich die Leute aus der Nachbarschaft an und fragten interessiert, weil sie demnächst ihr Dach sanieren wollen. "Das ist wie ein Virus", sagt Kieslich. Die Wartung sei unaufwendig, alle zwei Jahre müsse man mal nachgucken, ob nicht Vögel Bäume gesät haben – aber das checkten Dachdeckfirmen heute oft unkompliziert per Drohnenflug.

Lesen Sie hier: Können wir uns mit erneuerbarer Energie versorgen?

Schon lang Erfahrung gibt es dagegen mit dem ­Begrünen von Flachdächern. Doch trotz Förderung wurde 2021 nur knapp jedes zehnte neue Flachdach begrünt, wie der Bundesverband GebäudeGrün herausfand. Oft sind das dann Garagendächer. Meist werden dort wüstentaugliche Dickblattgewächse gepflanzt, vor allem Sedumarten; die wachsen auf einer zehn Zentimeter dicken Schicht von Substrat. Man nennt das eine "extensive" Begrünung.

Garagendach-Begrünung pimpen!

Viel besser als nichts, aber auch nicht so richtig toll, meinen die Landschaftspflege-Professorin Elke Hietel und der Klimaschutz-Professor Oleg Panferov von der Technischen Hochschule Bingen. Denn diese Gewächse sind genau deshalb wüstentauglich, weil sie bei Hitze ihre Poren schließen, so dass sie kein Wasser verlieren – aber so entsteht natürlich auch keine Verdunstungskühle. Und so wirklich insektenfreundlich ist diese Art Bepflanzung auch nicht, sondern ziemlich mono.

Wie könnte man die vorhandene ­Garagendach-Begrünung trotz des ­dünnen Bodens ein wenig aufpimpen? Die Lösung: ein ganz klein ­bisschen Wasser ändert viel. Dann steigt sofort die Artenvielfalt – bei Gewächs wie Getier. Aber wie ließe sich so ein "semi-intensives Dachgrün" bewerkstelligen?

Die Studierenden der TH Bingen ­entwickelten in einem Forschungsprojekt eine so einfache automatische Dachbewässerung, dass auch Normalmenschen das preiswert hinbasteln könnten: mit einem Regenwassertank, einer Aquariumpumpe für rund zehn Euro, einer Zeitschaltuhr für die Bewässerung, einem Perlschlauch zur Tröpfchenbewässerung – fertig.

Ein paar Pflanzen haben sie in Bingen auf ihren Probe­dächern eingesetzt, der Rest kam als Samen von selbst herbeigeflogen. Und so blühten da zum Beispiel ­Oregano, Thymian, Karthäusernelke, Schafgarbe, Zittergras, ­Lavendel, Grasnelke, Mädesüß, die Ästige Graslilie und der Ährige Ehrenpreis . . . Ein neuer Lebensraum für ­Insekten war entstanden. Professorin Elke Hietel erinnert daran: Das Arten- und Insektensterben ist die schlimme Zwillingskrise der Klimakrise.

Nur die Schwammstadt kann Starkregen standhalten

Wozu man Gründächer und überhaupt alle Grün­flächen außerdem noch braucht und zwar dringend, das kommt erst ganz allmählich ins Bewusstsein: Man braucht diese bewachsenen Flächen zum Aufsaugen von Stark­regen. Denn der ist eine weitere Folge des Klimawandels. Die ­Kanalisation kann das viele Wasser nicht fassen, die ­Gullys laufen über, Keller werden überschwemmt, schließlich Wohnungen. Große Schäden, viel Verzweiflung.

Die Lösung heißt "Schwammstadt". Gemeint ist damit eine Stadt – aber auch Städtchen und große Dörfer ­brauchen eine Lösung – , die so wasseraufnahmefähig ist wie ein Schwamm: mit wenig asphaltiertem Boden, dafür vielen Wiesen und grünen Senken, wo sich das Wasser sammeln und dann versickern und verdunsten kann.

Diese Vision des Lüneburger Platzes "Am Sande" soll Lust auf Zukunft machen. Entwickelt haben das Szenario (mit begrüntem Kirchturm!) Leute von Klimaentscheid, Stadtverwaltung und der Denkfabrik Reinventing Society

Kopenhagen ist mit der Umgestaltung zur Schwammstadt weit voraus. Als die Stadt in einem Starkregen 2011 fast absoff, war das so ein Schock, dass die Bürger und ­Bürgerinnen nun bereitwillig einen teuren Maßnahmen­plan ­finanzieren: den Wolkenbruch-Plan (Skybrudsplan).

Überall werden Senken ausgebaggert, sogar ganze ­Straßen aufgegeben und in Grünflächen verwandelt, in denen sich das Wasser unschädlich sammeln kann; ­Plätze ­bekommen eine leichte Neigung, damit das Wasser bloß nicht in die Häuser läuft. Außerdem legt man unter­irdisch kleine ­Sammelbehälter an, aus diesen Rigolen können sich dann in Trockenphasen die Bäume bedienen.

Auch in deutschen Stadtplanungsämtern kennt man den Begriff Schwammstadt mittlerweile – realisiert wird der Schwamm aber meist nur bei Neubauvierteln oder bei der Sanierung bestehender Plätze.

Duschwasser lässt Pflanzen auch bei Dürre überleben

Das Gegenteil gibt es leider auch immer ­häufiger: zu wenig Regen. Vergangenes Jahr herrschte in vielen Regionen Deutschlands wochenlang eine heiße Dürre, in manchen Gegenden sogar monatelang. Mehr ­Schatten und Verdunstungskühle durch Pflanzen wären schön gewesen. Aber woher hätten die Wasser bekommen? ­ In Stuttgart goss man Pflanzen testweise mit dem Dusch­abwasser von Bauarbeitern.

Die Bauarbeiter, die die Tunnel für den unterirdischen Bahnhof "Stuttgart 21" bohrten, waren in einer dreigeschossigen Containeranlage untergebracht. Und weil bei Containern die Rohre gut zugänglich sind, probierten hier Fachleute aus Wissenschaft sowie Gartenpraktiker, wie sich "Grün" und "Blau" neu verbinden ließen, also Bepflanzung und Bewässerung:

Die Container wurden begrünt mit dicht bepflanzten Modulen; das "Grau­wasser" aus Duschen und Waschbecken leitete man in eine ­Pflanzenkläranlage, wo Bakterien sich am leicht verschmutzten Abwasser gütlich taten; Haare waren schon vorher rausgefiltert worden; eine UV-Lampe erledigte eventuell noch vorhandene Keime. Danach erfüllte dieses "Klarwasser" alle Anforderungen. Den Pflanzen bekam es.

Was im Kleinen ausprobiert wurde, soll nun im Großen umgesetzt werden: im Rosensteinviertel, das auf dem ehemaligen Bahngelände entsteht. Ob die Bauträger der Wohnhäuser dann doppelte Leitungen finanzieren, also für Frischwasser und aufbereitetes Grauwasser, bezweifelt Bernd Eisenberg, der das Projekt "Interess-I" geleitet hat, aber aus öffentlichen Institutionen werde man wohl Handwaschwasser bekommen.

Warum nicht lauschige Gärten auf Dächern anlegen!

Ist nun mal so: "Wenn man mehr Grün in der Stadt haben will, muss man sich auch um das Blau kümmern. Und Grauwasser aus ­Duschen und Waschbecken gibt es auch in Trockenzeiten."

Die Bauarbeiter wurden natürlich auch gefragt, wie sie die Begrünung fanden. Sie waren angetan – weil die Blechbuden nicht so heiß wurden, weil der Lavendel in die Zimmer duftete, weil es schön aussah.

Grün ist attraktiv, Grün zieht magisch an", sagt Nicole Pfoser, die Expertin für Gebäude­begrünung. Deshalb versteht sie nicht, ­warum bei Neubauten reihenweise die ­Chance verpasst werde, die Dächer zu ­begrünen und dann auch gleich als nutzbaren Garten zu gestalten. "Denn wer einmal auf so einem Dachgarten stand . . . "

Sie war mit ihren Studierenden auf dem Dach des Genossenschaftsbaus "wagnis4" mit seinen 53 ­Wohnungen in München. Ein ausgedehnter Dachgarten mit Gemüsehochbeeten, Holzdeck, Ölweiden, Liegemöbeln, Blumen, Grillplatz, lauschigen Rückzugsecken. "Boah, haben meine Studierenden gesagt, hier würde ich gerne meine Kinder großziehen!"

Eine erste Version des Textes erschien am 11. April 2023.

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Liebe Chrismon-Redaktion,

mit dem Artikel zur Stadtbegrünung ist Frau Holch wieder einmal eine prima Reportage gelungen! Ich habe mit Interesse gelernt, was alles bedacht, geplant und finanziert werden muss, wenn man so etwas im großen Stil für ganze Städte plant. Im kleinen Stil habe ich in den letzten Jahren einfach unsere Glyzinie (Blauregen in weiß) die Hauswand hochranken lassen. Ohne städtische Anträge, ohne aosgekügelte Bewässerung, ohne professionelles Seilsystem - und übrigens fast ohne Insekteninvasion im Haus. Dafür mit gefühlt einer Million Bienen im Sommer und mit einer Schnittschere an einer Teleskopstange, die mir allerdings akrobatisches Geschickt beim Schneiden abverlangt. Und mit milde kopfschüttelnden Nachbarn, die erst sagten, "der Manuel spinnt", dann für viel Geld ihre Fassaden renovierten und schließlich fragten, wie ich das mit dem "grünen Zeug" eigentlich gemacht habe.

Mit freundlichem Gruß

Manuel Metzler

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Alles richtig möchte man sagen wenn mehr Grün in den Städten gefordert wird. Die Notwendigkeit ist unbestritten, alle Erkenntnisse sind da, es fehlt nur noch die Umsetzung. Aber: Es fehlt auch die kritische Würdigung. Nicht hemmungsloses Begrünen hilft und die unreflektierte „Verunkrautung“ von Stadt widerspricht ihrem eigentlichen Charakter eben nicht Natur sondern Stadt zu sein. Höhepunkt mangelnder Reflexion ist die Zukunftsvision von Lüneburg. Das Bild zeigt alle Elemente einer bloßen Idylle. Auf dem schmalen Platz finden sich ein Bächlein, eine Fahrspur für Elektrofahrzeuge, Straßencafés, ein begrünter Kirchturm (der damalige Baumeister wird sich im Grabe umdrehen) und alles dekoriert der Computer mit Menschen unter dreißig, in luftiger Garderobe, der Himmel ist natürlich blau mit Schäfchenwolken. Die Höhepunkte: Im Hintergrund ein Riesenrad und im Himmel, man glaubt es kaum, ein (etwas misslungener) Zeppelin. Mit diesen Insignien ist die Idylle dann auch komplett. Wir brauchen aber nicht diese verklärten und verniedlichenden Visionen, wir brauchen eine Gesellschaft und eine Politik, die endlich die Grenzen des Wachstums zeigt und auf eine andere Zukunft vorbereitet.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Michael Zirbel

Antwort auf von Dr. Michael Zirbel (nicht registriert)

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Was auf den Tisch kommt, muß vorher erzeugt werden. Die Idylle des eigenen Schlafzimmers kann man nicht auf die Arbeitswelt übertragen. Wird dann in Lüne-burg von der Luft gelebt? Auch in Phantasialand muß gearbeitet werden. Davon ist aber in diesen Heiligenscheinwelten kein Platz. Und mit dem Ergebnis unserer Arbeit messen wir uns über den Preis mit den Malochern in Asien. Die dortigen Welten, kul-turellen Ansprüche und Hochhaussiedlungen sind der Maßstab an dem wir uns über den Konsum selbst messen. Statt dessen wird in Landliebe, Landlust und anderen Wohlfühloasen und kirchlichen Gemeinschaften eine Welt vorgekaukelt, die sie selbst mit ihren Ansprüchen nie realisieren können. Von Bachblüten kann man ein Volk nicht ernähren und auch die Anthroposophen plagt irgendwann der Hunger, der nicht mit den bildlichen Wünschen von Lüneburg gstillt werden kann. Aber wie es so schön heißt, die Hoffnung stirbt zwar zuletzt, sie macht aber nicht satt. Mit ihr allein stirbt man dagegen zuerst.

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Sehr geehrte Redaktion,

chrismon ein Architekturmagazin, in dem uns Grün-Fantasten weis machen wollen, eine Stadthölle aus Glas, Stahl und Beton in ein grünes Paradies zu verzaubern? Wie diese größte Bausünde Frankfurts, das Bankenviertel.
Es wäre allemal beglückender, Bilder von der wieder aufgebauten Frankfurter Altstadt mit ihren entzückenden Fachwerkfassaden abzubilden, als wuchernde Hängegewächse wie in Stuttgart, die bereits braune Lücken haben. Die eng gebauten historischen Gassen und Höfe der Altstadt spenden Schatten und vermindern die Aufheizung der Stadt. Kletterrosen und begrünte Wohngärten haben zudem eine belebende Wirkung. Man kann es, wie in Düsseldorf, auch zu weit treiben (lassen).

Mit freundlichen Grüßen

Axel Spellenberg

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Anscheinend herrscht auch beim Klimaschutz eine Art Neusucht. Altes ist einfach total uncool. Käme sonst jemand bei tausenden Quadratkilometern Betonflächen auf die Idee, eine historische Altstadt überwuchern zu lassen? Oder ziehen da am Ende hinter den Kulissen Tourismusleute auf der Suche nach neuen Vermarktungsmöglichkeiten die Strippen? Motto: „Lüneburg – das Angkor Niedersachsens“?
Wider besseres Wissen erhöht die Politik gleichzeitig den wirtschaftlichen Druck auf bestehende grüne Oasen in deutschen Großstädten. Ein Beispiel aus dem aktuellen bundesdeutschen Grundsteuer-Gruselkabinett: Da hat sich in einem zentrumsnahen Mischgebiet hinter Häusern ein baumbestandener alter Garten erhalten. Während in der Nachbarschaft auch die rückwärtigen Grundstücke durch Gewerbe- und Bürobauten, Parkplätze und großflächige Tiefgaragen vielfach bis auf den sprichwörtlich letzten Quadratmeter versiegelt sind und ausgebeutet werden, verbessert der Garten das Kleinklima im Häuserblock. Für die Besitzer hat er allerdings letzten Endes keinerlei wirtschaftlichen Nutzen, profitieren davon tun Anwohner und Umwelt, nicht zuletzt weil dort kein Tropfen Regenwasser in die Kanalisation abgeleitet wird. Aber weil die Nachbarschaft ihre Grundstücke aus heutiger Sicht in verantwortungsloser Weise ausgenutzt hat, wird für den Garten bei der Grundsteuer ein aberwitziger Bodenrichtwert von mehreren tausend Euro angesetzt – pro Quadratmeter! Wie lange kann sich so ein „Millionenobjekt“ noch halten? Und dieselben Politiker, die solchen ökologisch-steuerpolitischen Irrsinn durchgewinkt haben, schwadronieren über Schwammstadt und Klimaschutz…
Dr. Rolf Schmidt

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Es wäre schon viel geholfen, wenn jeder Balkonbesitzer seine Balkons mit Blumenkästen ausstatten würde, um sie zu bepflanzen. Man sollte allerdings den Aufwand und die Kosten dafür nicht unterschätzen. Dies ist sicher einer der Gründe, warum ein großer Teil der Balkone nicht bepflanzt wird. Auch die Stadtverwaltungen könnten noch mehr dafür tun, dass die Städte insgesamt grüner wirken. Dies unterbleibt häufig aus Kostengründen.

Allerdings ist das von Ihnen angeführte Beispiel aus Düsseldorf, das Bauwerk des Architekten Ingenhoven, geradezu kontraproduktiv. Wie ein grüner Klotz steht es inmitten einer wichtigen Einkaufsstraße. An den kleinen Menschlein auf dem Foto können sie vielleicht ermessen, wie massiv dieser Bau das ganze Umfeld dominiert. Das ist besonders bedauerlich, weil die beiden Architektur-Ikonen Düsseldorfs, das Stadt-Theather (die Fassade wird auf dem Foto gerade saniert) und das Drei-Scheiben-Haus (auf dem Foto nicht zusehen) von dem Baukörper völlig erdrückt werden. Leider hat man als Begrünung die Hainbuche gewählt, die höchstens 5-6 Monate in Jahr grün ist. Den Rest des Jahres sieht man nur braunes Gestrüpp, durch das die mangelhaft montierte Verrohrung hindurch scheint. Das grüne Dreieck auf dem Foto darf im Moment wiedermal nicht betreten werden, weil die Grasnarbe durch den fehlenden Kontakt zum Erdreich sehr empfindlich ist. Gewässert werden die beiden Anlagen mit dem Trinkwasser der Stadt Düsseldorf, dass durch Uferfiltrat des Rheins gewonnen wird. Bekommen wir wieder heiße Sommer, muss die Entnahme (wie bereits in der Vergangenheit) des Trinkwassers aus dem Uferfiltrat wegen Niedrigwasser des Rheins stark eingeschränkt werden. Die Bürger dürfen dann z.B. keine Autos mehr waschen. Ob dann es dann noch reicht, die
30.000 Hainbuchen in ihren Plastikkästen zu bewässern, ist sehr fraglich.

Dr. Hannelore Sánchez Penzo

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Liebe Frau Holch,
dieser Artikel ist großartig! Geballte Information über Projekte, die schon vor Jahrzehnten von Erfolg gekrönt waren, über Ideen, die man Dank der heutigen Erkenntnisse nicht weiter verfolgen würde, bis hin zu vielversprechenden Großprojekten in deutschen und europäischen Städten.
Statt in dieser Richtung weiterzudenken, gibt es immer mehr Versiegelung auf privaten Grundstücken, weil viele keine Lust mehr haben auf Gartenarbeit – aber trotzdem ein eigenes Häuschen wollen. In den Wohnstraßen breiten sich anthrazitfarbene oder leuchtend weiße (zumindest für einige Wochen) Steingärten aus, in deren Mitte womöglich noch ein Rhododendron thront. Oder Vorgärten mit Kunstrasen, täuschend echt. Alternativ Gabionen rund herum ums Grundstück.
Mich haben die Philosophie von Hundertwasser und die vertikalen/hängenden Gärten schon vor Jahrzehnten begeistert. Aber es bleibt noch immer bei Einzelprojekten. Ich frage mich daher wie Sie, warum die Menschen an den entscheidenden Schnittstellen nach wie vor so zögerlich sind. Ständig gibt es wohl die Bedenkenträger, die Konservativen, die Angst um Renommee und Wählerstimmen, die alle auf der Stelle treten lässt. Warum überzeugen die Erfolge nicht, spätestens das finanzielle Fazit der Kosten-Nutzen-Rechnung? Läuft das alles viel zu schleppend, weil Vorgaben „von oben“ fehlen? Mir scheint, dass es gerade in Deutschland immer wieder besonders schwierig ist, Neues zu wagen, genehmigen zu lassen und umzusetzen. Ist es die Bürokratie, an der permanent etwas scheitert? Andere Länder haben uns häufig so viel voraus, seien es Stadt- und Verkehrsplanung, Schulsysteme etc.
Es braucht viel mehr Mut bei Politikern und Stadtentwicklern und endlich ein Vorpreschen, bei jedem Bauprojekt den grünen Aspekt grundsätzlich mitzudenken und auch gesetzlich zu initiieren (siehe Heizungen).
Viele Grüße
Karen Brunkhorst

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Bei der Begrünung der Städte gibt es ein großes Problem: Grün braucht Wasser, und das nicht zu knapp. Wasser kostet Geld und der Strom für die Wasserpumpen auch.

Wenn wir in Zukunft viele Wochen, vielleicht auch mal zwei Monate und mehr keinen Regen haben, dann stirbt das Grün. Das passiert gerade jetzt in Hamburg in diesen Tagen nach nur zwei Wochen praller Sonne.

Seit Jahren reicht der Regen nicht mehr aus, die Trinkwasservorräte im Boden zu ergänzen. Der Kampf ums Wasser hat bereits begonnen (Streit zwischen Hamburg und Niedersachsen, im vergangenen Jahr Trinkwasser-Rationierungen in vielen Gemeinden). Es wäre ein Irrwitz, Stadtgrün zu bewässern.

Wenn der Regen kommt, dürften es Sturzregenfälle sein. Wenn Regen aber auf ausgetrocknete Erde fällt, kann er nicht aufgenommen werden und fließt einfach weg, überschwemmt vielleicht ein paar Gegenden, aber versickert nicht, füllt die Wasserreserven also nicht auf.

Bäume in der Stadt haben ein weiteres Problem, wie sich inzwischen vielerorts zeigt. Städte sind nämlich auf Sand gebaut: Sand als Unterlage für Straßenbau und als Schüttung um Ver- und Entsorgungsleitungen. Sand speichert aber kein Wasser!

Warum nimmt sich niemand ein Beispiel an den Städten in den heißen Zonen Europas und der Erde?

Die meisten Städte in Südeuropa und in Nordafrika haben gerade **kein** Grün in den Städten. Die Einwohner wissen warum. Denn Wasser ist dort viel zu teuer, um es für Stadtgrün zu vergeuden. Stattdessen sind die Häuser hell und strahlen die Wärme zurück. Dazu sorgen Innenhöfe für den nötigen Schatten und die Kühle. Es gibt zwar Parks, aber die sind die meiste Zeit des Jahres auch nur braun.

Für Deutschland heißt das, Städte entkernen, um Platz für Schatten zu schaffen. Dazu Luftschneisen, wozu man das eine oder andere Gebäude abreißen könnte. Zukünftig sollte man vielleicht nicht so kompakt bauen, dafür höher. Kompakte Städte erhitzen sich stärker, Hochhäuser sorgen für besseren Luftaustausch – wobei Städteplaner genau berechnen müssten, wie Hochhäuser zueinander stehen und wie sie geformt sein müssen, um den besten Luftstrom zu gewährleisten (Frankfurt wäre ein schlechtes Beispiel, Melbourne, Singapur oder auch Manhattan wären gute Beispiele).

Segel, wie im Artikel benannt, helfen auch vor zu viel Hitze. Dafür stattdessen Solarzellen zu nutzen, ware allerdings noch nützlicher. Segel müssen aus Kunststoff bestehen, von denen Wind und Regen Mikroplastikteile herauslösen, die war auch nicht haben wollen. Naturstoffe zerfallen in der UV-Strahlung oder verrotten im Regen.

Grüße

Es ist nachahmenswert mit vielen Worte und Ideen die Papierblätter zu füllen, damit nicht die Blätter von den Bäumen fallen. Nur schade, dass sich viele dieser wunderbaren Gedanken im Ergebnis widersprechen. Was haben wir denn gewonnen, wenn wir im Energiewunderland leben, mit billiger Energie temperiert leben, mobil sind und vieles billig haben um dann der Schöpfung den freien Lauf zu lassen? Das schöne Bild von Lüneburg ist eine Fatamorgana. Wo arbeiten denn die Menschen in den gezeigten Idealkommunen? Wo kommen die Rohstoffe her, wenn alles auch einmal erneuert werden muss? Dafür in schönster Umgebung freudig vermehrt. Kein Wort hört man von den Werteverantwortlichen dazu, wie sie sich denn die Welt in 100 Jahren vorstellen. Auch wenn sie das Wunder der nachhaltigen Billigenergie wider Erwarten erreicht haben. Die Energie ist z. Zt. der Mangel Nr. 1, Mangel Nr. 2 ist die Unplanbarkeit der Temperaturen, Mangel Nr. 3 sind die Kippunkte und mit ihnen die Veränderungen der Weltmeere, Mangel Nr. 4 ist in vielen Gegenden die Unregierbarkeit, Mangel Nr. 5 sind Gewalt und Kriminalität. Mangel Nr. 6 sind die nicht mehr zu überblickenden Megazentren. Mangel Nr. 7 ist ein Konsum, der uns aller Ressourcen beraubt, Mangel Nr. 8 ist die Überbevölkerung. Mangel Nr. 9 ist das Wasser. Mangel Nr. 10 ist der Platz. Wir haben noch genug, aber in anderen Ländern wird der Platz knapp. Die Statistik (Wiki) der weltweiten Einwohner pro QKM zwingt unsere Türen zur Öffnung. Und was glauben bei uns die Supernaiven? Dass man alle Probleme lösen kann, wenn auch wirklich alle Menschen den Vorschlägen folgen. Allein diese Voraussetzung ist ein Widerspruch in sich. Alle wissen das, und sie setzen dennoch das Wunschkonzert fort. Dass das "Volk" in guter Hoffnung leben möchte ist verständlich. Aber die Parteien, Gesellschaftswissenschaftler und ganz besonders alle Religionen sollten nicht schweigen, wenn sie tatsächlich Verantwortung (>> eine möglichst gute Antwort auf Fragen) tragen wollen und für die Folgen dann auch einstehen. Aus Angst vor den Antworten zu schweigen und stattdessen mit Glauben zu beschwichtigen ist unredlich.

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HITZESOMMER

Ist das Klima oder Wetter?
So fragen schwitzende Städter.
Der Beton wirkt hier als Therme,
heizt sich auf und speichert Wärme.

Für Gesundheit und Wohlergeh'n,
lasst stehen Bäume und Alleen.
An allen Straßen soll es blüh'n,
unsere Städte brauchen Grün.

Wetter ist himmlische Wahrheit;
der Wetterbericht bringt Klarheit
mit der Isobarenkarte,
Heiligtum der Wettersparte.

Ob im Osten oder Westen,
das Wetter ist nicht vom Besten.
Die Sommer trocken und zu heiß,
im Winter fehlen Schnee und Eis.

Azorenhoch und Islandtief,
der Wettergott treibt's intensiv.
Die Omega-Wetterlage
macht Sommertage zur Plage.

Von Meck-Pomm bis nach Baden
wird die Sonne uns kräftig braten.
Ob nun Wetter oder Klima,
öfters mal Regen wär' prima.

Rainer Kirmse , Altenburg

Sonnige Grüße aus Thüringen