Auf einer Veranstaltung mit Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke in Weimar, Mai 2023.
Eine AfD-Kundgebung in Weimar
Sascha Fromm/Thüringer Allgemeine
Autoritarismus
"Jetzt gibt es viel mehr Hass" 
Die Wiener Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl warnt vor einer Radikalisierung konservativer Kräfte. Ist unsere Demokratie in Gefahr?
Constantin LummitschLena Uphoff
14.09.2023
6Min

Frau Strobl, Sie üben als Politologin auf X (ehemals Twitter) sehr aktiv Kritik an Rechtsextremismus. Wie viel Hass begegnet Ihnen dort?

Natascha Strobl: Ich bin schon sehr lange auf Twitter, ich finde, es ist eine hervorragende Plattform, um in Echtzeit internationale politische Reaktionen mitzubekommen und sich auszutauschen. Aber die Stimmung hat sich in den letzten zwei, drei Jahren verändert. Früher waren noch häufiger kontroverse Diskussionen möglich, jetzt gibt es dort viel mehr Hass.

Sie werden auf X oft beschimpft und erhalten dort Morddrohungen.

Ich habe die Drohungen nicht nur auf Twitter erhalten. Ich vermute, die Drohungen kommen aus einem kleinen Personenkreis. Aber auf Twitter verbreiten sich Hassbotschaften sehr schnell, daher fällt es hier besonders auf.

Gibt es bei Rechten eine neue Lust am Hassen?

Lust trifft es gut, es ist ein Reinsteigern, ein Rausch, in den sich radikale Konservative und Rechtsextreme begeben. Die Resonanz auf den Hass hat sich aber verändert. Man schließt sich durch rechte Hasskommentare nicht mehr gesellschaftlich aus, sondern genießt auf einmal Rückhalt, quer durch die Gesellschaft. Es gibt Vernetzungen in konservative als auch in stark libertäre Kreise. Verbindende Themen sind Hass auf das Gendern oder die Infragestellung des Klimawandels. Es wird von Verschwörungen fantasiert, etwa von einer angeblichen Klimadiktatur. Diese Positionen sind jetzt auch außerhalb der extremen Rechten anschlussfähig geworden.

Christopher Glanzl

Natascha Strobl

Die Politologin Natascha Strobl wurde 1985 geboren. Sie lebt in Wien. Sie schreibt auf X (ehemals Twitter) und in zahlreichen Büchern über Neue Rechte.

Sie sprechen von radikalen Konservativen. Was unterscheidet die von Rechtsextremen?

Das sind Parteien, die eigentlich traditionell konservativ sind. Klassische Volksparteien eben. Ein Teil von ihnen radikalisiert sich in Krisenzeiten nach rechts und übernimmt die Sprache und Inhalte der extremen Rechten. Ich denke da an die Republikaner in den USA, die ÖVP in Österreich, die FIDESZ in Ungarn, aber auch die Tories unter Johnson in UK.

Ein wütender Mob stürmte in den USA das Kapitol oder drang in Deutschland bis zum Reichstag vor. Warum scheint es zunehmend Menschen zu geben, die die Demokratie abschaffen wollen?

Lange Zeit standen Konservative für Stabilität im politischen System, für die soziale Marktwirtschaft. Ein Teil der Konservativen merkt aber nun, dass das System bröckelt, dass es nicht mehr weitergeht wie bisher. Diesen Wandel wollen einige Konservative für eine autoritäre Wende nutzen. Sie wollen weniger Demokratie, weniger Sozialstaat, mehr Herrschaft von oben nach unten. Sie wollen das Recht des Stärkeren.

Laut einer aktuellen Umfrage des Beamtenbundes haben nur noch 27 Prozent der Deutschen Vertrauen in den Staat. Sind die Menschen zivilisationsmüde?

Ich würde es eine Hegemoniekrise nennen. Das bedeutet, dass Selbstverständlichkeiten verloren gehen: Der innere Zusammenhalt in der Gesellschaft wird schwächer – und es wird unklar, wie es weitergeht. Der Staat kann den Konsens nicht mehr herstellen. Es gibt einen Verlust der staatlichen Autorität. Aber dieser Vertrauensverlust ist ungleichmäßig verteilt. Das Militär genießt immer noch ein hohes Vertrauen, aber laut zahlreicher Studien haben viele nur ein geringes Vertrauen in die Regierung, in die Opposition, in Parteien im Allgemeinen. Und wenn man in die Organe, direkt oder indirekt, kein Vertrauen hat, ist das ein Problem für eine Demokratie.

Was war zuerst da – die Vertrauenskrise oder die Demokratiefeindlichkeit?

Die westlichen Nachkriegsdemokratien waren recht robust. Es gab zwar immer wieder Krisen und Gruppen, die den Staat auf die Probe stellten. Aber immer mehr Macht wurde an den Markt abgegeben, ich denke da an die Privatisierungswellen unter Margaret Thatcher und Ronald Reagan, an die Privatisierung der Bahn oder die Zerschlagung der Gewerkschaften in Großbritannien. Oder die amerikanischen Massenentlassungen bei der Flugsicherheit. Alles Auswirkungen, die wir nach wie vor spüren. In dieser Zeit entstanden private Parallelstrukturen, die staatliche Aufgaben übernahmen. Wenn man einmal die Zügel aus der Hand gibt, ist es schwierig, wieder demokratische Interessen durchzusetzen, etwa bei der Vermögenskonzentration. Deshalb brauchen wir eine Wende, um das Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Wir brauchen Kräfte, die es ernst meinen mit dem demokratischen Regieren. Das bedeutet, dass Politiker den demokratischen Strukturen und Institutionen verpflichtet sein sollen, statt Klientelpolitik für die eigenen Großspender zu betreiben.

Wie könnte diese Wende aussehen?

Mir haben die politischen Bewegungen in den USA sehr imponiert, die rund um Bernie Sanders entstanden sind. Da ging es nicht nur darum, einen Kandidaten ins Amt zu hieven, sondern Politik von unten zu machen. Aber auch in Lateinamerika und im Iran gibt es einen Hunger auf Demokratie, oft getragen von Frauen, die sich gegen Unterdrückung und Gewalt wehren. Konsequent demokratisch agieren heißt, den Einfluss despotischer Herrscher und Regime auch in Europa zurückzudrängen, man denke nur an die Gaslieferungen aus Russland. Es heißt aber auch, dass die wirtschaftliche Sphäre nicht in der Hand von ein paar Superreichen sein kann, sondern alle am erwirtschafteten Wohlstand teilhaben können. Und zwar so, dass es keine Existenzsorgen gibt.

Die AfD profitiert in Umfragen von der Vertrauenskrise in die Demokratie. Was finden die Wähler so gut an der immer radikaler werdenden Partei?

Die AfD bietet keine Lösungen an, aber ein Ventil für die Wut der Menschen. Die AfD sagt: Wir sind die Opposition, die anderen sind eine einzige große Einheit. Diese rechtspopulistische Pose beherrscht die AfD sehr gut. Jedes Mal, wenn die AfD moralische Grenzen überschreitet, regen sich die demokratischen Kräfte auf – zu Recht, aber die Aufregung nutzt die AfD gezielt, um sich von den anderen abzugrenzen, nach dem Motto: Schaut her, wir sind die einzigen, die außerhalb stehen, wir sind die einzig wahre Partei, um Protest auszudrücken. Ein Beispiel sind sicherlich die Corona-Maßnahmen. Es gab viel differenzierte Kritik, aber die AfD hat sich mit der Frontalopposition eins gemacht, so dass sie so tun konnte, als wären sie die einzigen gewesen, die dagegen sind.

Mit moralischer Grenzüberschreitung hat auch Donald Trump Erfolge gefeiert – und könnte sogar erneut ins Weiße Haus einziehen. Obwohl er lügt, Frauen belästigt und Superreiche mit Steuersenkungen beschenkt. Warum wollen ihn trotzdem so viele Wählerinnen und Wähler als Präsidenten haben?

Dazu gibt es viele politpsychologische Überlegungen. Oft übersieht man Trumps speziellen Charme. Wenn man sich seine Reden anschaut und analysiert, ist es so: Man kann ihn auf die Bühne stellen. Er ist ein Entertainer. Es kommt an, weil es nicht die trockenen Politikerreden sind, sondern weil er sehr assoziativ redet. Das ist etwas, was viele Politiker davor nicht gemacht haben, die natürlich sehr seriös, sehr sachorientiert, sehr kalt rüberkommen. Viele Wähler wollen eben keinen akademischen Vortrag hören, sondern sich dem Redner nahe fühlen. Er vermittelt Nähe und Zugehörigkeit. Das stimmt natürlich nicht, das zeigt seine ganze Biografie oder der Fakt, dass er vor allem von der fossilen Industrie unterstützt wurde.

Trump teilt mit den europäischen Rechten die Grausamkeit gegenüber Flüchtlingen und sozial Schwachen. Warum wählen das so viele Menschen?

Man kann sich an Grausamkeit berauschen. Man kann sich daran über andere erhöhen. Man kann sagen: Wir sind gut und die anderen nicht. Das hat was mit Entmenschlichung zu tun, das sind alles Prinzipien, die wir auch aus dem historischen Faschismus kennen, diese Lust an der Grausamkeit würde ich sogar als Kernelement von Faschismus beschreiben, ohne zu sagen, dass Trumpismus jetzt Faschismus sei. Aber das geht in eine Richtung, in der Menschenmengen so verhetzt sind, dass es sehr schnell in Gewalt übergehen kann, wenn man mit dieser Lust und dieser Offenheit gegen andere Menschen hetzt. Das haben wir auch schon teilweise gesehen. Nicht zuletzt am 6. Januar in Washington. Und das ist natürlich ein Problem.

Wie kann man in der Familie den radikalisierten Onkel wieder zum Demokratie-Freund machen?

Im Gespräch bleiben. Miteinander reden. Nicht unfreundlich werden. Fragen, woher die Verschwörungserzählungen herkommen. Nach Quellen fragen und sich austauschen. Oft wird herauskommen, dass es eher um eine generelle Unzufriedenheit geht. Wenn es irgendwie zumutbar ist, sollte man zu radikalisierten Verwandten und Freunden nicht den Kontakt abbrechen. Der persönliche Kontakt ist immer noch das beste Mittel gegen die Radikalisierung.

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Das Problem, mit dummen Menschen kann man nicht diskutieren. Manche Menschen haben halt ihren Kopf nur zum Hütetragen. Bei den Kopftüchern schweige ich lieber.

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Warum warnen die Autoren von Chrismon manisch immer nur vor Rechtsextremismus und „rechter Hetze“, während:

- Linksextremisten mit Hämmern Menschen ihre Knochen zertrümmern?

https://www.focus.de/magazin/archiv/links-terror-opfern-mit-hammer-gelenke-zertruemmert_id_136755344.html

- die Generalbundesanwaltschaft 95% der Terrorverfahren gegen Islamismus führt? Während der Rechtsextremismus lediglich 3% der Verfahren ausmacht.

https://www.welt.de/politik/deutschland/article239937699/Generalbundesanwalt-Bedrohung-durch-islamistischen-Terrorismus-am-groessten.html

Die Faktenlage ist eindeutig.
Warum wird also die Realität der Gefahr durch Linksextremismus und Islamismus so gezielt ignoriert?