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Vor einigen Wochen ärgerte ich mich in der Wohnlage über Menschen, die die schöne Idee des gemeinschaftlichen Bauens beschädigen, indem sie mit ihren fertigen Wohnungen spekulieren. Gibt es da wirklich kein rechtliches Gegenmittel?
Ich bekam eine Mail von der Rechtsanwältin Angelika Majchrzak-Rummel aus Schwabach. Oh doch, schrieb sie mir, da gäbe es schon Möglichkeiten, doch die seien einfach noch viel zu unbekannt. Wir telefonierten mehrmals und als Ergebnis gibt es nun dieses Interview - und was wirklich großartig finde - ein von Angelika zur Verfügung gestelltes Formular mit Muster-Formulierungen für juristische Verträge. Vielen Dank dafür!
Hier nun das Interview:
Frau Majchrzak-Rummel, Sie sind Anwältin für Zivilrecht, beraten aber mittlerweile auch viele Baugruppen, wie kam das?
Ich habe zunächst in der Geschäftsführung bei einem Bauträger gearbeitet, bevor ich mich als Anwältin selbstständig gemacht habe. Seit 30 Jahre berate ich rund um den Themenkomplex „Immobilien“ die unterschiedlichsten Beteiligten. Vor 10 Jahren begann ich mich privat für alternative Wohnformen zu interessieren und gründete mit Freunden eine lokale Bürgerenergiegenossenschaft. Der Wunsch zu gestalten und wachsendes Spezialwissen beeinflussten sich wechselseitig, so dass mittlerweile die juristische Steuerung vom Projekten mein Tätigkeitsschwerpunkt ist.
Was für Gruppen kommen zu Ihnen?
Es fragen bei mir an...
die Initiative, die nur eine Vision hat...
die Gruppe, die schon lange gemeinsam ein Grundstück sucht...
oder Menschen in einem Bestandsobjekt, die enttäuscht sind oder eine Insolvenz befürchten...
Viele Initiativen wissen häufig selber nicht, wer in der Gruppe grundbuchrechtlich gesichertes Eigentum will oder wer nur ein Nutzungsrecht realisieren kann oder will. Im Zuge meiner Rechtsformberatung muss ich erst ermitteln, worauf sich die Gruppe einigen will:
- Baugruppe mit hohem Kapitaleinsatz, die später eine WEG werden will,
- Genossenschaft oder GmbH & Co.KG mit gemeinschaftlichen Eigentum und mittelgroßen Kapitaleinsatz
- Menschen, die ein Mietprojekt ohne Eigenkapitaleinsatz wünschen
In den aktuellen Krisen sind Baugruppen rückläufig. Derzeit gibt es die Tendenz, die solidarische Finanzierung durch die Gesellschaft mit Einzelvorteilen (Wertsteigerung von Immobilien beim Ausscheiden über Abfindungen nutzen) zu kombinieren. Vielfach ist die Genossenschaft nicht interessant, „weil man ja nur den Geschäftsanteil bekommt und nicht an der Wertsteigerung partizipiert“. Die GmbH&Co.KG ist wegen des Gestaltungsspielraumes mit gleichzeitiger Haftungsbegrenzung relativ beliebt - aber auch sehr komplex und teuer. Ich lehne aber Mandate ab, wenn ich einen Missbrauch von Rechtsformen vermute und die geplanten Konstruktionen undurchsichtig werden.
Angelika Majchrzak-Rummel
Eines der wichtigsten Ziele all dieser Gruppen ist: In Gemeinschaft leben. Kann man das „verordnen“ – gar durch Verträge unterstützen?
Was heißt „in Gemeinschaft leben“? Geht es darum, über den Beitritt der Mitbewohner*innen zu entscheiden? Geht es darum, eine möglichst homogene Gruppe zu behalten? Ich persönlich denke, dass Diversität herausfordernd, aber bereichernd ist. Auch traue ich mir nicht zu, Menschen nach Gesprächen zu beurteilen. Wenn wir alle so große Menschenkenntnis hätten, gäbe es keine Scheidungen. Ich finde es besser, Eckdaten festzulegen, die zur „praktischen Gemeinsamkeit zwingen“ und jeder überlegt sich beim Beitritt, ob er/sie diese objektiven Bedingungen akzeptiert.
In Nutzungs-/bzw. Mietverträgen können nicht nur Grundmiete und die üblichen Betriebskosten vereinbart werden. Für das, was ein Wohnprojekt sonst noch bietet, können Umlagen in Euros ausgewiesen werden (für Nutzungsmöglichkeit der Gemeinschaftsräumen/-flächen, für Gemeinschaftsaktivitäten, für gemeinsame Mobilitätsangebote, ...). Durch persönliches Engagement bzw. Arbeitseinsätze können die Umlagen oder Betriebskosten gesenkt werden. Juristisch und psychologisch ist es wichtig, positive Anreize zum gemeinsamen Tun zu setzen. Wer nicht mitmacht, muss zahlen.
Wo kann das festgehalten werden?
In der Teilungserklärung und über die Hausordnung lassen sich „praktische Gemeinsamkeiten“ verankern. Die Teilungserklärung gilt automatisch für alle, also auch die, die später als neue Eigentümer einer Wohnung einsteigen. Insofern kann der „Spirit“ eines Projektes erhalten bleiben, auch wenn es keinen Einfluss auf die Personenauswahl von Käufer und Mieter gibt. Für jemanden, der nur schön und preiswert wohnen will, ist das Projekt dann zu anstrengend oder zu teuer. Wer die Verpflichtung akzeptiert, ist willkommen.
Lässt sich ein Vorkaufsrecht in einer Baugemeinschaft für Mitglieder etablieren?
Eigentum ist ein Grundrecht. Jeder kann grundsätzlich sein Eigentum verkaufen oder vermieten. Sie müssten für jede Einheit Vorkaufsrechte für jeden Eigentümer der anderen Wohnungen vereinbaren. Das wäre ein absolutes Wirrwarr im Grundbuch und bringt praktisch nur wenig, da für die Ausübung des Vorkaufsrechtes nur wenig Zeit und Spielraum bleibt.
Aber die Kommune als Grundstückverkäufer kann eine Spekulation durch Regelungen im Kaufvertrag verhindern, z.B. durch:
- Bauverpflichtung mit Wiederkaufsrecht oder Vertragsstrafe
- Verpflichtung zur Selbstnutzung für 10 Jahre mit Vertragsstrafe
- und die Vertragsstrafe(n) als Grundschuld absichern.
Welche Fehler beim Kauf eines Grundstücks oder in den Verträgen werden immer wieder gemacht?
Viele Notare kennen Bauträgermodelle oder private Verkäufe. Doch es gibt eben viel mehr - nur dafür fehlt es an einem grundsätzlichen Erfahrungs- und Wissensaustausch unter uns Jurist*innen. Genau das ist das Ziel meines eigenen Blogs: Ich möchte Wissen vermitteln und Fachleute miteinander vernetzen.
Warum ist die Lernkurve so niedrig?
Im Internet finden sich viele tolle Projektbeschreibungen, aber wurden diese Projekt jemals realisiert? Welche Probleme zeigten sich erst später? Neutrale Evaluation von Projekten findet kaum statt, über die schwarzen Schafe redet keiner öffentlich. Ich könnte mir vorstellen, dass ein Austausch im geschützten Raum helfen würde, aus Erfahrungen anderer zu lernen. Hin und wieder bieten Beratungsstellen auch Veranstaltungen zum Konfliktmanagement an.
Genau diesen geschützten Raum bieten Sie an?
Ich kann neutral und fachkundig beraten, da ich weder im Projekt persönlich, noch am Erfolg finanziell beteiligt bin. Ich muss nichts "schönreden". Durch die Vielzahl der Projekte und die langfristige Perspektive (von der Vision zur Realisierung bis zum laufenden Betrieb mit Tod und Konflikte) biete ich Tipps aus der Praxis für die Praxis.
Wie können sich "junge" Baugruppen gegen Menschen schützen, die nicht selber im Objekt wohnen sondern den günstigen Wohnraum später vermieten oder verkaufen wollen?
Neben der Teilungserklärung, die abstrakt das Gemeinschaftseigentum und die Gemeinschaftsordnung für viele Jahrzehnte regelt, gibt es den Auseinandersetzungsvertrag. In diesem Vertrag werden die einzelnen Einheiten den Mitgliedern der Baugruppe zugewiesen. Es werden auch abschließend alle (Zahlungs)Pflichten der Gesellschafter*innen untereinander abgeglichen. Es wäre denkbar, die ähnliche Regelungen aus dem Kaufvertrag (Erstwohnsitzbindung mit Vertragsstrafe) zu übernehmen. Normalerweise kann selbstgenutzter Wohnraum im 3. Jahr ohne Gefahr der Spekulationssteuer frei veräußert werden. Es wäre also gut, die Selbstnutzung über einen Zeitraum von 5 bis 10 Jahre durch eine schuldrechtliche Vereinbarung abzusichern. Dies könnte im Auseinandersetzungsvertrag geregelt werden.
Die GbR dürfte dann aber nicht liquidiert werden. Da es für Baumängel eine Mängelhaftung von 5 Jahre gibt und die Gewährleistungsbürgschaft meist auf den Namen der GbR läuft, gibt es gute Gründe die GbR neben der WEG mindestens 5 Jahre parallel laufen zu lassen.
Erfahrungsgemäß sind Baugruppen am Ende der Realisierungsphase aber so „platt“, dass diese Urkunde nicht mehr ernst genommen wird. Ich bin mir nicht sicher, ob die Mehrheit in dieser Phase die Gefahr überhaupt erkennt - wenn sie nicht explizit darauf hingewiesen wird.
Ihr wichtigster Rat an entstehende Gruppen?
Fragen, Fragen, Fragen, gerne auch einzelne Mitglieder bestehender Gruppen. Viele Städte haben mittlerweile Beratungsstellen etabliert, davon haben Sie in diesem Blog ja auch schon viele vorgestellt.
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Soweit das Interview mit Angelika, der ich noch mals herzlich für ihre Initiative und ihre Arbeit danke. Hier ein paar Wohnlage-Beiträge zu Infos in Hamburg, Köln, Frankfurt, München und Tübingen. Hilfreich ist immer auch das Forum Gemeinschaftliches Wohnen und das Netzwerk Immovielien. Und wie immer gilt: Wenn Ihr Fragen oder Anregungen habt: Schreibt mir - dann kommt vielleicht mal eine Beitrag über Euer Projekt, Eure Fragen....
Die Wohnlage geht in eine kleine Weihnachtspause und ist am 12. Januar 2023 wieder da.
Hallo Frau Heintze,
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Hallo Frau Heintze,
danke für Ihren Blog, ich lese den von Anfang an.
Und wie Sie richtig schreiben: Viele, die in anderen, unkonventionellen Wohnformen leben wollen, fangen immer wieder von vorne an. Ich engagiere mich in einem Bauprojekt und merke, dass wichtige Infos rund um Bauen, Recht, Kosten oft nur den Eingeweihten zugänglich sind, weil viel zuviel Wissen vorausgesetzt wird. Deshalb: Bitte mehr solche Infos, die runtergebrochen sind auf den Wissensstand von Menschen, wie Sie und ich es sind…
Schöne Grüße
Paul Kruse