Du bist botenlos
Über abgelegte Pakete und Feedback "per Du".
Lena Uphoff
22.06.2021

Das ist doch eine frohe Kunde für den Kunden: Der Bote klingelt nicht mehr, sondern legt das Paket einfach am "Ablageort" ab – "ohne den Versuch der persönlichen Zustellung an der Haustür". Diese Botschaft erreichte mich schriftlich, ohne aufdringliche persönliche Präsenz. Und die Überschrift war klassisch bürokratisch mit "-ung-Wörtern" getextet, über deren Verwendung ich meine Begeisterung hier schon mehrfach zum Ausdruck gebracht habe: "Vereinfachung der Zustellung im Rahmen ihrer Ablagevereinbarung".

Lena Uphoff

Arnd Brummer

Arnd Brummer, geboren 1957, ist Journalist und Autor. Bis März 2022 war er geschäftsführender Herausgeber von chrismon. Von der ersten Ausgabe des Magazins im Oktober 2000 bis Ende 2017 wirkte er als Chefredakteur. Nach einem Tageszeitungsvolontariat beim "Schwarzwälder Boten" arbeitete er als Kultur- und Politikredakteur bei mehreren Tageszeitungen, leitete eine Radiostation und berichtete aus der damaligen Bundeshauptstadt Bonn als Korrespondent über Außen-, Verteidigungs- und Gesellschaftspolitik. Seit seinem Wechsel in die Chefredaktion des "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts", dem Vorgänger von chrismon im Jahr 1991, widmet er sich zudem grundsätzlichen Fragen zum Verhältnis Kirche-Staat sowie Kirche-Gesellschaft. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt kulturwissenschaftlichen und religionssoziologischen Themen. Brummer schrieb ein Buch über die Reform des Gesundheitswesens und ist Herausgeber mehrerer Bücher zur Reform von Kirche und Diakonie.

Während ich dies schreibe, sehe ich fünfzig Meter entfernt von meinem Fenster tatsächlich noch einen "Postkasten", der zweimal am Tag geleert wird. In hellem Gelb leuchtet er, so dass selbst sehbehinderte Menschen ihn entdecken können. Wann finde ich in meinem Briefkasten die Mitteilung, dass "dieses Aufnahmegefäß zur Vereinfachung der postalischen Transportierung" entfernt werden soll? Künftig würden die sogenannten "Briefe" selbst in wichtigen Angelegenheiten nicht mehr als Papierpost mit Unterschrift materiell angefertigt, sondern ausschließlich als E-Mail mit persönlichem QR-Code versandt.

Ich bin von gestern, wahrscheinlich sogar von vorgestern. Ich schätze persönlichen Kontakt. Und ich sehne mich – nicht nur in pandemischen Zeiten – nach persönlichen Begegnungen. Ein kurzes Geplauder mit der Bäckerin beim Brötchenkauf ist mir geldwert, so günstig die Aufbackware im Supermarkt auch sein mag. Und beim Metzger ist dies nicht anders, wenn er "Herrn Brummer" einen Witz erzählt, während er fach­kundig das Gulasch schnetzelt. Wir sind ­ "per Sie" und bleiben es. Formale ­Höflichkeit zerstört die Nähe nicht.

Seit wann wir "per Du" sind, weiß ich nicht

Dass mich ein Internet-Anbieter per Mail fragt, ob ich mit dem Angebot zufrieden bin, ist okay. Warum und seit wann wir "per Du" sind, weiß ich nicht. "Lieber Arnd, Deine ­Meinung ist uns wichtig! Nimm Dir bitte kurz Zeit für ein Feedback zu Deiner ­Erfahrung mit uns. Mit Deinen Antworten können wir unsere Produkte und Services immer weiter für Dich verbessern." Ich bin erst seit ein paar Wochen Kunde, habe bisher weder mit jemandem persönlich gesprochen noch telefoniert. Warum begegnet man mir also auf dem Duzfuß?

Das sei nicht persönlich gemeint, ließ mich Fred wissen, ein netz­erfahrener Nachbar, mit dem ich "per Du" bin. "Das ist ein amerikanisches Unter­nehmen. Da es im englisch­sprachigen Teil der Welt nur ‚you‘ und kein ‚Sie‘ gibt, kommunizieren die mit ihrer Kundschaft eben so." Überzeugte mich nicht. Denn auch dort ist es aufdringlich, die Leute mit dem Vornamen anzusprechen. "Dear Mister Brummer", übersetzt in "Lieber Herr Brummer, Deine Meinung ist uns wichtig", hätte ich verstehen können.

"Jetzt sei doch nicht so kleinlich", raunzte mich Fred an. "Wärest du Papst oder Kaiser, würde man akzep­tieren, dass du mit ‚Eure Heilig­keit‘ oder ,Majestät‘ angesprochen ­werden willst. Und außerdem müsstest du dich nicht über die Paketpost-­Botschaft ­ärgern. Du hättest dann ja persönliche Zusteller, die sich ver­beugen und dir das Päckchen reichen." Recht hat er! Prost! Öffnen wir die Flaschenpost, gefüllt mit Wein, Bier oder Most!

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Auch ich fühle mich da doch so manchesmal "verulkt"! - Selbst die Wahlbehörde schrieb mich mit "du", klein geschrieben, an.
Alles für die sog. "smart"-Generation, die aber auch "ALLES GUT" findet. Ohne jegliche Differenzierung scheinbar.
Lieber ein persönliches SIE denn ein wischi-waschi-DU!
Detlev Niemeier (69),
old wise man - out of time ?!

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Guten Tag Herr Brunner,
Zunächst: ich schätze Sie und habe schon manchen Vortrag von Ihnen als bereichernd im Denken genossen.
Verwundert war ich über Ihren letzten Beitrag in der chrismon 7/8-2021 zum „per Du“. Ich habe lange Zeit international gearbeitet und es genossen, selbst den Bischoff von Helsiki Irja oder den MP Ian Lucas in London mit dem Vornamen anreden zu können. Die Kommunikation war einfacher und es entstand schnell eine kommunikationnähe, die im Deutschen so schnell älter verstellbar ist. Sie sind auch ein weitgereister Mann mit Erfahrung. Deshalb hat mich diese Positionnierung gewundert.
Mit freundlichen Grüßen
Hansjörg Mandler, Gladbeck

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Lieber Herr Brummer,
in Bezug auf Ihren Artikel in Chrismon 07/08 2021 meine ich:
Es ist bodenlos, wie die Pest des Marketing - Duzens grassiert.
Nein, es sind nicht nur amerikanische Unternehmen, die das englische YOU als deutsches DU interpretieren.
Wenn jemand in meinem bayerisch-ländlichen Dorfladen zu mir als Kundin DU sagt, ist das regional und dialektal akzeptabel. Wenn REWE, PIXUM, ROSSMANN und andere Firmen mich duzen und auf meinen Widerspruch die Erklärung anbieten, man wolle mit Kunden "auf gleicher Augenhöhe kommunzieren", finde ich das anbiedernd, bestenfalls gedankenlos, vielleicht sogar infantil einem Pseudo-Jugend-Kult folgend, und in unserem Sprachraum bisher / bis vor kurzem nicht üblich.
Nein, ich lege keinen Wert auf besondere Ehrerbietung. Ich gebe ganz einfach den Widerstand gegen eine, in meinem Wertesystem, sprachliche Unsitte nicht so einfach auf. Wenn mich deswegen jemand als "von gestern" bezeichnet, muss ich zugestehen, ich zähle zu den Senior*innen dieser Gesellschaft. Ich weiß, dass Sprache und Gesellschaft sich verändern. Ich weiß aber auch, dass ich als Kund*in eigentlich als König*in betrachtet und nicht mit dümmlicher Anmache belästigt werden sollte.
Die saloppe bayerische Reaktion hieß früher: "Mir ham ned mitanand g'schussert." Wir haben nicht (als Kinder) zusammen Schusser = Murmeln gespielt, wir kennen uns nicht gut genug, als dass Sie mich duzen dürften. Demnächst versuche ich vielleicht mal den Gegenangriff und duze zurück. Ob ein REWE - Manager da so erbaut wäre ?
Mit allerhöflichsten Grüßen
Ursula Breuel