Weihnachten für alle Fälle
Weihnachten für alle Fälle
Antonia Hrastar
Weihnachten für alle Fälle
Auch dieses Jahr wird Weihnachten sein. Aber anders. Vielleicht sogar nur am Telefon. Trotzdem inniglich. Was alles wäre möglich?* chrismon hat sich umgehorcht, landauf, landab.
Tim Wegner
privat
23.11.2020

Weihnachten, das ist immer Besuchsmarathon. Aber jetzt, wenn ein Besuch zu riskant wäre? Man könnte sich eine Woche vor Weihnachten aller Kontakte enthalten, sich also in eine Vorquarantäne begeben – nach sieben Tagen könnte man es dann wagen, alte Menschen zu besuchen, mit Vorsicht. Wobei das nicht klappt, wenn man auf der Arbeit viele Kontakte hat oder Schulkinder im Haushalt. Bliebe nur ein Besuch auf dem Balkon. Oder ein Spaziergang. Oder Weihnachten am Telefon . . . (* Die Ideen in diesem Text orientieren sich an dem, was bei Redaktionsschluss Anfang November erlaubt war.)

Mit Papa sprechen

Was wäre da möglich, zum Bei­­spiel mit dem einsamen alten Vater? Oliver Lorscheid, Eventmanager im hessischen Oberursel, muss ein ­wenig nachdenken. Dann fällt ihm ein Miniatur-­Event ein: Man könnte dem Vater ein Päckchen schicken. Das macht er während des Telefonats auf. Er findet darin zum Beispiel ­einen Tannenzweig, einen Stern, ein Weihnachtsgebäck, vielleicht einen Piccolo. Dann sagt man: "Jetzt mach mal den roten Umschlag auf!" Er zieht den Text von "O du fröhliche" raus. Könnte man jetzt zusammen singen. Dann zündet der Vater die mitgeschickte Kerze an – natürlich sind auch Streichhölzer beigelegt, damit er nicht aufstehen und rumsuchen muss. Und nun den blauen Umschlag öffnen – ein Foto von Weihnachten letztes Jahr, als man zusammen ­feierte. "Das wird bestimmt emotional", sagt Oliver Lorscheid, ­"da muss man sich nicht sehen und ist doch bei­einander."

Schreibt Briefe!

Weihnachtspost ist immer wichtig, aber dieses Jahr besonders und für besonders viele Menschen, sagt Stefanie Radtke. Sie ist Pfarrerin im Dorf Eime bei Hildesheim und nebenher auf Youtube zu sehen, bei "Anders Amen". Mit Weihnachtspost meint sie persönliche Post, nicht Briefe/Mails mit gleichem Inhalt für alle. "Es geht an Weihnachten nicht um Pakete und Geschenke, sondern darum, dass sich jemand hingesetzt hat und sich ­Mühe gegeben hat, um Worte zu finden. Weihnachtspost sagt: Hey, du bist mir wichtig, du bist mir nicht egal."

Im Gefängnis hat man Erfahrung mit Briefen, "denn wir haben hier immer Weihnachten auf Distanz", sagt Barbara Zöller, Seelsorgerin in der Hochsicherheits-Justizvollzugsanstalt Butzbach in Hessen. Jetzt, in Corona-Zeiten, schreiben die Männer noch öfter als eh schon, denn viele Besuche sind ausgefallen. Wer keinen Besuch bekommt, darf nun zweimal im Monat eine Stunde lang skypen. Dann halten die Kinder das Bild hoch, das sie für Papa gemalt haben. Vorher hat ein Beamter überprüft, dass nur die angemeldeten Personen am an­deren Ende sind. Drei Skypeplätze wurden eingerichtet wegen der Pandemie, nicht viel für 440 Gefangene.

Wenig Platz in der Kirche?

Wegen des erforderlichen Abstands dürfen in den Kirchen nur noch ­wenige Plätze besetzt sein. Es gilt Maskenpflicht und Singverbot, und man muss sich vorher anmelden. Will man so Weihnachten feiern? ­Einige Gemeinden wollen. Aber wenn dann ein junges Paar mit Kinder­wagen vor der Tür steht – kann man da ­sagen: "Kein Platz in der Herberge für ­euch"?

Auch die evangelische Gemeinde im Ham­burger Stadtteil Nienstedten wollte zunächst nur ­drinnen feiern – in ihrer schönen barocken Fachwerkkirche. Denn so viele Leute hatten gesagt: Wenn wir die Kirche betreten, mit dem Baum, den Lichtern, der Krippe – dann ist Weihnachten! Also sollte es viele Kurzgottesdienste hintereinander ge­ben. Aber wie man auch rechnete, es ­würde nicht reichen. Also doch raus. "Wir nehmen jetzt viel Geld in die Hand und beauftragen Ver­anstaltungs­techniker für die Übertragung des Gottesdienstes auf eine große Leinwand draußen", sagt ­Pastor Tilmann Präckel. Bonus für die draußen: Sie dürfen singen. Und auf einmal sagen viele Gemeindemitglieder: Ach, dann wollen wir lieber gleich auf den Platz!

Hoffnung aus der Tüte

Schon im Frühjahr, als Gottesdienste verboten waren, hat man sich ganz neu kennengelernt. Pastorin Stefanie Radtke im Dorf Eime beobachtete, dass die Leute auf ihren ­Spaziergängen plötzlich alles im Schaukasten der Kirche lasen. "Und ich hatte gehofft, dass diese Schaukästen aussterben", seufzt die Mittdreißigerin, "jetzt muss ich unseren doch wieder dekorieren!" Andererseits habe sie nun "20 fleißige Friedhofsbienen": Statt zum Kegeln gehe man jetzt auf den Friedhof, ­die Wege jäten und die Leichenhalle neu verputzen.

Auch in Groß Flottbek, einem Stadtteil von Hamburg, stromerten ­während des Lockdowns auf einmal Menschen um die Kirche, rasteten auf dem ­mäßig attraktiven Vorplatz, setzten sich auf die Kirchenstufen. Pas­torin Katja Richter und ihr Pfarrteam begannen nun ihrerseits, den Vorplatz zu befüllen – mit "Hoffnung aus der Tüte": Tütchen mit Blumensamen und biblischen Hoffnungsversen, aufgehängt an einer Wäscheleine. Schließlich öffnete man die Kirche auch werktags. Und immer mehr Leute trauten sich über die Schwelle, mittlerweile gibt es geradezu ein Stammpublikum. In der und um die Kirche sei heute viel mehr Leben, sagt Katja Richter. Logisch, dass sie an Weihnachten für mehrere Andachten durch den Stadtteil ziehen werden, mit Pritschenwagen, Lautsprechern und Musik.

Mit Sprühkreide und Security

Für große Outdoor-Gottesdienste muss überraschend viel beachtet werden: Die Leute sollten auch dann noch was vom Geschehen sehen können, wenn alle ihre Regenschirme aufspannen; womöglich braucht man Profis für Licht und Ton; und reicht der Platz überhaupt für ein paar Hundert Menschen? Gibt man allen, die man wegschicken muss, ein Give-away? Auf dem Boden müssen mit Sprühkreide die Abstände markiert werden, und eigentlich sollte irgendwer kontrol­lieren, ob die Leute die Abstände auch einhalten – schafft man das mit Ehrenamtlichen? Gäbe es "kirchenkompa­tible" Security? Die Vorbereitung eines Freiluftgottesdienstes braucht locker dreimal so viel Zeit, ist die Erfahrung von Katharina Gralla vom Gottesdienstinstitut der Nordkirche.

"Gefilmte Gottesdienste sind langweilig!"

Nico Ballmann findet es "heilsam", dass das kirchliche Standardweihnachtsprogramm dieses Jahr nicht "abgespult" werden könne. Der 33-jährige Pastor und sein Kollegium im Kölner Stadtteil Bickendorf wollen neben einem Frischluftgottesdienst auch einen Onlinegottesdienst anbieten. Denn kommen in einen ihrer "normalen" Gottesdienste rund 100 Menschen, nehmen an ihren Onlinegottesdiensten an die 600 Menschen teil. "Das ist eine Zuschauerzahl, die wir nicht ignorieren können", findet Nico Ballmann.

Grund für den Erfolg: Sie filmen nicht Gottesdienste ab – "so was ist unglaublich langweilig". Sondern sie fragen zu einem Thema Leute auf der Straße und zeigen das als "Einspieler", es gibt moderne Musik, im Chat kann man während des ­Gottesdienstes Fürbitten schreiben, der Pfarrer redet höchstens vier Mi­nuten lang, besser nur zwei – und alles zusammen dauert 35 Minuten. Ganz wichtig sei eine warme Atmosphäre. Gar nicht gehe schlechtes Design und billiges Material, sagt Ballmann, der auch auf Instagram unterwegs ist als @einschpunk.

Und danke für die Kirchensteuer!

Nicht wenige Kirchenmitglieder gehen nur ein einziges Mal im Jahr in die Kirche: an Weihnachten. Von manch regelmäßigem Kirchgänger werden sie herablassend "U-Boot-Christen" genannt. Ganz anders dagegen schaut die niedersächsische Dorfpastorin Stefanie Radtke auf die vielen Menschen im Weihnachtsgottesdienst: mit Dankbarkeit. "Manche Kirchenmitglieder holen sich von der Kirche das ganze Jahr nichts ab, nur an Weihnachten. Da versuchen wir, alles zu geben, damit sie für ein Jahr auftanken können. Wir sagen ihnen mit einem schönen Weihnachtsgottesdienst Danke für die Kirchensteuer!"

Stimmt, sagt Pastorin Emilia Handke, die in Hamburg die Fachstelle "Kirche im Dialog" leitet. "Wir sind unseren Mitgliedern sehr dankbar, die nicht austreten, uns kaum in Anspruch nehmen und damit auch die Res­sourcen für die anderen vorhalten – denn wenn einen alle 3000 Ge­meindemitglieder wegen Seel­sorge anrufen würden, das könnte eine Pfarrerin gar nicht bewältigen."

Drive-in auf dem Parkplatz

"Der rheinische Winter ist Regen, Regen und noch mal Regen", sagt Schulpfarrer Ralf Herbertz in Kerpen, der Stadt im Braunkohlerevier zwischen Köln und Düren. Unvorstellbar für Herbertz, die Leute im Regen stehen zu lassen. Deshalb Drive-in-­Gottesdienste auf dem Parkplatz des Gymnasiums. (Die wenigen Nichtmotorisierten be­kämen ihren Gottesdienst dann am ersten Feiertag gemütlich in der ­Kirche.) "Im Auto können die ­Leute nach Herzenslust toben, beten, ­singen und mit Lichter­ketten für Atmosphäre sorgen." Der Gottesdienst vorn wird über ­eine ­gemeinsame Frequenz ins Auto übertragen. Billig sei das nicht, man ­brauche einen Dienstleister ­dafür, "aber so haben wir viele Leute glücklich gemacht. Die sagen sich dann: Die Kirche hat sich was einfallen ­lassen, find ich gut, bleib ich doch noch ein Jahr dabei."

Tim Wegner

Christine Holch

Die chrismon-Chefreporterin Christine Holch weiß nicht, was in Frankfurt an Weihnachten möglich sein wird. Ob wohl jemand mit ihr Laterne läuft? Auf jeden Fall hat sie schon Boden­malkreide besorgt.
privat

Antonia Hrastar

Die Illustratorin Antonia Hrastar besucht sonst an Weihnachten fünf Haushalte. Diesmal ist sie eigentlich ganz froh, allein mit Kerze und all den Modell­figuren zu feiern.

Weihnachten als Wandertag

"Wir können kein Weihnachten ohne Singen", sagt Pastorin Julia Koll in Bienenbüttel im Landkreis Uelzen, schon deswegen müsse man raus. Wie gut, dass es die evangelischen Posaunenchöre gibt, diese mobilen "Allwetterorgeln". Deutschlandweit stehen für Weihnachten über 100 000 evangelische Bläser und Bläserinnen bereit. Einige werden auch bei den Mini­teams mitmachen, die Julia Koll zusammenstellt. Die ziehen dann Weihnachten über die Dörfer, um zwölf Mal exakt denselben Gottesdienst abzuhalten – mit kurzer knackiger Predigt, viel Singen, Vaterunser, ­Segen. Auch ein Holzesel soll dabei sein. "Es ist doch ein rechtes Eselsjahr", findet die Pastorin, "wir trotten alle so belastet unseren Weg entlang."

Eine Viertelstunde in jeder Straße

Noch kleiner, noch coronasicherer plant Marie-Luise Karle, Pfarrerin im Freudenstädter Vorort Wittlens­weiler: In jeder Straße wird es um 17 Uhr ­eine viertelstündige Andacht geben. So müsse niemand abge­wiesen werden wie bei Marktplatz­gottesdiensten mit ihren Platzkarten und Zäunen. "An Weihnachten ­brauche ich doch das Gefühl, willkommen zu sein", sagt die 35-Jährige. Nun sucht sie rund 60 Einzelpersonen oder Familien, die die vorbereiteten kleinen Andachten halten. Und es lässt sich gut an, viele junge Familien seien begeistert; und der Ortschaftsrat will Holzbäumchen zum Aufstellen bauen, damit man sieht, dass man hier richtig ist. Wer mit den Straßenandachten nichts anzufangen weiß, kann später zu ihr in den Christnachtgottesdienst mit Musik kommen.

Um was geht es an ­Weihnachten eigentlich?

An Weihnachten feiert die Christenheit, dass Gott ein Mensch geworden ist. Manche Weihnachtslieder sagen es in wenigen Zeilen, etwa dieses: "Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde nieder, wo wir ­Menschen sind; kehrt mit seinem Segen ein in jedes Haus, geht auf allen Wegen mit uns ein und aus; ­ist auch mir zur Seite still und unerkannt, dass es treu mich leite an der lieben Hand."

Die Armen und Einsamen nicht vergessen

Was viele Gemeinden dieses Jahr ausfallen lassen müssen: in geheizten Räumen gemütlich die Köpfe zusammenzustecken und sich was er­zählen. Das sei nicht zu verantworten. In Leipzig aber wird "Weihnachten fürs Volk" auch dieses Jahr stattfinden – denn der Kirchenraum ist eine geräumige alte Messehalle. Es werden allerdings nicht die üblichen 500 Menschen, darunter etwa 50 Kinder, kommen können, sondern vielleicht 150 – wenn das Gesundheitsamt zustimmt. Wer nicht reinkommt, kriegt vor der Tür ein Geschenk.

Auch in Stuttgart wird es vielleicht wieder das schwäbische Heiligabendessen geben: Saitenwürstle mit ­Kartoffelsalat – aber nicht im Haus der Diakonie, sondern auf der Straße und ohne Tische. "Es wird kurz sein und nicht kuschelig", sagt Birgit Auer, Bereichsleiterin Stadtmission. Rund 900 Menschen feiern jedes Jahr in "Evas Stall" Heiligabend. Wie viele es dieses Jahr sein dürfen, wird die Stadtverwaltung erst zwei Wochen vor Weihnachten mitteilen. Aber ein Geschenk bekommen alle, wie immer finanziert von treu Spendenden, diesmal ist es auf Wunsch von vielen ein Rucksack, gefüllt mit Erfreulichem und Praktischem wie Duschgel oder Dosenwurst.

Schön aufpassen auf die Kirche!

Auch wenn die Weihnachtsgottesdienste draußen stattfinden, viele Kirchen werden als Orte der Stille geöffnet sein – man kann dann ­"Stationen" abschreiten, also den Weihnachtsbaum anschauen und die Krippe, eine Kerze anzünden, einen Segensspruch mitnehmen... Nun werden überall Leute fürs "Kirche­hüten" gesucht. Katja Richter in Hamburg-Flottbek stellt erfreut fest: "Auch Familien, die sonst nur zu ­Hause Weihnachten feiern, finden das Kirchehüten attraktiv – einfach um eine Stunde in der Kirche zu sein."

Alle feiern, eine trauert?

Was ist, wenn Weihnachten ist, und vor zwei Wochen ist der Partner gestorben? Was ist, wenn die Kinder zu den Festtagen nicht nach Hause kommen? Wenn die Familie sowieso immer streitet, oder wenn man sehr schlechte Erinnerungen an Weih­nachten hat? Reinhard Feuersträter weiß, wie bang manchen Menschen vor Weihnachten ist. Der katholische Diakon leitet die Seelsorge des Kranken­hauses St. Elisabeth und St. Barbara in Halle. Er findet: ­"Tränen passen zu Weihnachten. Da ist es auch dunkel und mitten in der Nacht, da ist keine heile Welt."

Deshalb bot er im vergangenen Jahr mit seinem Team erstmals eine "Tränenweihnacht" an. Die Einladungskarten verteilte er auch in Apotheken und Arztpraxen. So arbeitet ­er schon immer: Seelsorge gibt es nicht nur für die Kranken im Kranken­haus, sondern für jeden und jede in der Stadt, unabhängig vom ­Glauben. Der Begriff Seelsorge sei hier positiv besetzt, sagt er, hier in Halle, wo ­gerade noch 13 Prozent der ­Menschen Mitglied einer christlichen Kirche sind.

Rund 70 Menschen kamen zur "Tränenweihnacht". Sie schrieben auf Kärtchen, mit welchem Gefühl sie heute hier sind, und hängten die Kärtchen an den Weihnachtsbaum. Dann hörten sie die Weihnachtsgeschichte – und was sie heute bedeutet. Zum Beispiel dies: sich auf einen Weg machen, den man doch gar nicht gehen will, etwa durch die Trauer, so wie Maria und Josef von ­Nazareth nach Bethlehem gehen ­mussten. Und wie schwer es sein kann, das "Fürchte dich nicht" eines Engels anzu­nehmen, wenn gerade alles zum Fürchten ist.

Am Ende durften sie aus der ­Krippe einen kleinen Engel aus Ton mitnehmen, als Wegbegleiter. Der Gottesdienst endete mit diesen ­Worten: "Gestärkt sind wir: Die Nacht können wir aushalten, weil wir das Licht gesehen haben." Auch dieses Jahr soll es eine "Tränenweihnacht" geben, im Saal statt in der Krankenhauskapelle.

Weihnachten allein daheim

Vielleicht ist alles schiefgegangen – zu viel Corona, oder man hat verpasst, sich wo anzumelden, oder man ist einfach schlecht drauf. Jetzt sitzt man da, allein. Aber ein ganz klein bisschen Weihnachten möchte dann doch sein. Nur wie? Eine Möglichkeit wäre, einen Gottesdienst online oder im Fernsehen zu verfolgen. Oder ­eine offene Kirche zu suchen und dort Baum zu gucken, Krippe zu gucken ...

Alles zu viel Aufwand? Was wäre das kleinstmögliche Zuhause-Weihnachten, wie ginge ein winziger Weihnachtsmoment? Pastorin Katja Richter in Hamburg rät: eine Kerze anzünden, einen Moment nichts tun, nichts denken, gucken, was passiert. "Wenn die Tränen kommen, dann kommen die Tränen, und wenn ich mich frei fühle, fühle ich mich frei. Das Sitzen in Stille, und wir reden nicht von Minuten, nur von ­Sekunden, ist so was Besonderes, dass auf jeden Fall was passiert mit einem."

Auch ein Gebet kann kurz sein. Ein Stoßseufzer, ein Amen. "Wir können nicht immer aktiv beten", sagt Dorothea Hillingshäuser vom Zentrum Verkündigung in Frankfurt. Es tue deshalb gut zu wissen, dass bereits das Seufzen ein Gebet ist. Wichtig sei das bewusste Innehalten.

Man könnte sich auch bekreu­zigen. Doch, das dürfen auch Evangelische, Martin Luther selbst hat es empfohlen. Mit den Fingerspitzen Stirn, Brustbein, linke Schulter, rechte Schulter berühren, dann die Hände vor der Brust falten. Ent­weder traditionell dazu murmeln: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Oder auch: Gott ist bei mir. Immer. Amen.

Singen, zuhause - wenigstens das!

Man kann auch am Schreibtisch singen oder auf dem Sofa vor sich hinsummen. Text vergessen, Melodie weg? Diese Links helfen weiter! Ganz schlicht: Advents- und Weihnachtslieder. Und hier singt Kantor Arnd Pohlmann aus Kornwestheim vor - immer nur eine Strophe, aber dafür alle Lieder aus dem evangelischen Gesangbuch (Württemberg): eingesungen.de.

In der App cantico.me gibtʼs die Sammlung "Der klingende Adventskalender".
Und hier Lieder zum Ausdrucken.

Wandernde Kerzen

Was wäre, wenn die Menschen wegen Corona nicht zu größeren ­Gottesdiensten zusammenkommen dürfen? Es gäbe noch das "Friedenslicht", ­dieses Zeichen für Hoffnung. Das wird jedes Jahr in Bethlehem entzündet und in einer explosions­sicheren Lampe per Flugzeug nach Österreich gebracht. Pfadfinder:innen verteilen das Licht dann in Europa.

Es könnten noch viel mehr Gemeinden als bislang das Friedenslicht ausgeben, in Fuß­gänger­zonen, vor Kirchen. Und wenn dann überall Menschen mit Laternen, Lampions oder Kerzen­bechern herumgingen, langsam und andächtig, und einander grüßten mit "Frohe Weihnachten" oder mit ­"Gesegnete Weihnacht" – dann könnte man sich auch auf Distanz verbunden fühlen. "Ich bin das Licht der Welt", sagt Jesus im Johannes­evangelium: "Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben".

Sterne überall

Mit "mobiler Kirche" kennt sich ­Nicole Schally aus – im Neubau­gebiet ­City Park in Karlsruhe gibt es nämlich keine Kirche. Dafür eine Teilzeitpfarrerin mit immer neuen Ideen. "Ich werde mich in die Innenhöfe einladen lassen und dann dort mit Bollerwagen samt Krippe stehen, bestimmt finde ich auch noch jemanden mit einem Instrument", so stellt sie sich das vor. Die Menschen werden auf den Balkonen stehen, die Wunderkerzen abbrennen, die sie im Briefkasten gefunden haben, sie ­werden die Weihnachtsgeschichte hören und singen. Danach wird die Pfarrerin durchs Quartier streichen und mit Kreide Sterne auf den Boden ­malen, dazu gute Weihnachtswünsche.

Und dann alle Glocken gleichzeitig

In Frankfurt am Main kann man, zu normalen Zeiten, Weihnachtsstimmung auf der Straße erleben: Da gibt es an Heiligabend um 17 Uhr das "Stadtgeläut" – exzessives Glocken­läuten aller Innenstadt­kirchen, eine halbe Stunde lang, so dass die ­Menschen von Kirche zu ­Kirche wandern können. Das ginge auch anderswo, meint Jan Hendrik Stens vom Vorstand des Deutschen Glockenmuseums. Die Kantorin könnte einen kleinen Konzertplan erdenken, so dass die Küsterinnen in den Sakristeien genau wissen, wann sie den Schalter für welche Glocke drücken. Die ältes­te Glocke finge an, dann mischt man kleine und immer größere dazu. In Frankfurt gibt es das Stadtgeläut in diesem Jahr jetzt doch nur online – Corona! Aber eine schöne Idee ist es doch, vielleicht funktioniert sie woanders. Man könnte ja auch vom Fenster aus zuhören.

* Stand Anfang Dezember

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Ich bin berührt und beeindruckt von dem Engagement und den vielfältigen Ideen. Danke für diesen langen und wichtigen Text! Danke allen Verantwortlichen und Ehrenämtlern, die sich in einem solchen Maße hier einbringen.
Und danke an Chrismon. Für mich immer noch und immer wieder die redaktionell beste Zeitschrift inklusive kritischem und offenem Journalismus. Man merkt, dass dabei Menschenfreunde wirken.

Ihnen allen eine behütete Vorweihnachtszeit!

Sandra T.

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Sehr geehrte Damen und Herren,
die vielen Ideen zur Gestaltung des kirchlichen Hochfestes Weihnachten in Corona-Zeiten erscheinen rührend hilflos : Wandernde Kerzen, Drive-In-Gottesdienste, Straßenkurzandachten,... Glauben die Kirchenvertreter wirklich, dass das zielführend ist, um Christen in der Kirche halten zu können ? Wie man das Mysterium des Glaubens, das Heilige, für die Menschen wieder erfahrbar macht, wie man ihnen das Befremdliche des Religiösen näher bringt, davon liest man von den bemühten PastorInnen nichts. Mit den Äußerlichkeiten kann man vielleicht U-Boot-Christen bespaßen, aber die leuchtende Kraft des Evangeliums, das Kommen Gottes in diese Welt, wird eher verdunkelt.
Stefan Kaisers, Gießen