Jesus und die Propheten
Wussten schon die ­Propheten von Jesu Geburt?
Jahrhunderte liegen zwischen den Verheißungen der alten Propheten und der tatsächlichen Geburt in Bethlehem. Das wirft doch einige Fragen auf
Wussten schon die Propheten von Jesu Geburt?
Lisa Rienermann
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
23.11.2018
3Min

Am Anfang steht ein Zweifel. Josef, dem Zimmermann, ist Maria zur Frau versprochen. Sie sind noch nicht zusammen gewesen, da zeigt sich, dass sie schwanger ist. Josef, den die Bibel "fromm und gerecht" nennt, plant, sie ohne Aufsehen zu verlassen. Doch im Schlaf erscheint ihm ein Engel. Das Kind, so sagt dieser, stamme vom Heiligen Geist und werde später sein Volk von den Sünden retten. Ein eigen­artiger Satz steht an dieser Stelle der Weihnachtsgeschichte des Evange­listen Matthäus. Das alles geschehe, damit sich ein Prophetenwort erfülle: "Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben", auf Deutsch: Gott mit uns (Mat­thäus 1,22 f. mit Bezug auf Jesaja 7,14).

Da darf, da muss man stutzen. Kann es einen solchen Sprung über die Zeiten überhaupt geben, liegen doch Jahr­hunderte – sechs bis sieben – zwischen der Lebenszeit der Propheten und der Geburt Jesu? Das müssen ja begabte Männer und Frauen sein, die so lange Zeit vor den Ereignissen ­wissen, was bevorsteht. Matthäus führt eine ­ganze Reihe solcher ­frühen Ankündigungen an: Was er über die Geburt Jesu und deren Umstände anführt, gilt ihm als Erfüllung alter Weis­sagungen.

Solch rückdatierte Prophetie ist auch heute sehr verbreitet. "Wir ahnten schon immer, dass dieses Kind einmal ein berühmter Mathematiker werden wird", sagen Eltern. "Schon als Kleinkind zeigt sie, dass sie andere mit­reißen kann." Oder: "Wir wussten von Anfang an, dass er mit seinen hochtrabenden Finanzplänen scheitern wird." Solche Voraussagen treffen mal zu, mal nicht. Ein gutes Maß an Menschenkenntnis hilft dabei, dass solche Voraussagen manchmal auch eintreffen, zumindest nicht völlig danebenliegen. Aber 700 Jahre Vorausschau – das kann und wird nicht funktionieren. Nebenbei: Wen Jesaja mit der Jungfrau meint, bleibt unklar.

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Durch den Artikel von Herrn Kopp bin ich in meinem Glauben verunsichert. In dem Artikel wird behauptet, dass die Propheten nicht in der Lage waren, die Geburt Jesu vorauszusagen. Das ist zunächst einmal natürlich richtig, weil die Propheten als ganz normale Menschen von sich aus nicht in der Lage waren, eine solche Schau in die Zukunft zu haben. Die Propheten in der Bibel sind aber allesamt von Gott berufene Menschen, denen Gott in besonderer Weise seinen Geist gegeben hat. Die Propheten hat Gott wissen lassen, was in der Zukunft geschehen soll. Die Aussagen des Evangelisten als rückdatierte Prophetie zu bezeichnen, ist aus meiner Sicht falsch. Sind denn die Predigttexte aus dem Alten Testament , die in der Adventszeit in den Predigtreihen vorgeschlagen sind, allesamt nur Texte, die man nicht auf die Geburt Jesu beziehen darf? Predigen denn die Pastoren, die einen Bezug zwischen den Texten der Propheten und der Geburt Jesu herstellen, etwas Falsches?

Antwort auf von Wilfried Dreyer (nicht registriert)

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Lieber Herr Dreyer,

die biblischen Propheten sind keine Hellseher oder Wahrsager, wie es sie in großer Zahl in den antiken Religionen gab. Sie sind vielmehr besonders begnadete Menschen, die dem intensiven Glauben und Hoffen der Menschen einen Ausdruck gaben. Gut wird diese Rolle der Propheten in dem Wortwechsel erkennbar: Propheten sagen nicht die Zukunft voraus, sondern sie sagen sie hervor. Das heißt, sie bekräftigen und bestärken die Menschen, an Gott zu glauben und Gutes zu tun. Dass viele Menschen die Geburt Christi als Erfüllung prophetischer Verheißungen erfahren, ist analytisch nicht zu erklären, zugleich aber ein besonders wertvoller Glaubensinhalt.

Eduard Kopp

Redaktion chrismon

Antwort auf von Leserbrief

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Sehr geehrter Herr Kopp,

durch Ihre Antwort an Herrn Dreyer bin ich in meinem Unglauben versichert. Erst erklären Sie die Vorstellung, Propheten seien Zukunftsvorhersager, für falsch. Als nächstes erklären Sie genau aus dieser falschen Vorstellung entsprungene Weihnachtsinterpretationen für einen wertvollen Glaubensinhalt. Die Klammer für dieses überraschende Eingeständnis bilden Sie über die Formulierung, dass die Propheten die Zukunft hervorsagen. Dieses inhaltsleere Wortspiel - bei Astrologen und Esoterikern durchaus beliebt - soll dann auch noch ein Hilfsmittel in der Bemühung um ein Eindämmen des christlichen Antisemitismus sein.

Da ist nachzuvollziehen, dass manch einer in solcher Not zu "Heilige Jungfrau Maria, hilf!" greift.

Traugott Schweiger

Antwort auf von Traugott Schweiger (nicht registriert)

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Lieber Herr Schweiger, ich hoffe, die Bedeutung Jesu hängt für Sie nicht an der "Vorhersagegenauigkeit" von Propheten.

Ihre Hoffnung, lieber Herr Kopp, kann ich umstandslos und gerne erfüllen. Dumm nur, dass ich die üblicherweise damit einhergehende zweite Hoffnung gerade nicht erfülle. Diese zweite Hoffnung besteht darin, Jesus aus anderen Gründen für bedeutungsvoll zu halten. Einschlägig wären da z.B. seine Bergpredigt oder sein Lebenswandel inklusive diverser Sichtungen beim Bier mit den damaligen Nichtarrivierten.

Ein vor 2 Jahrtausenden Verstorbener, von dem man so gut wie nichts weiß, hat von sich aus überhaupt keine Bedeutung. Da sich aber über diese ganze lange Zeit gewaltige Massen von Leuten, die Christenheit nämlich, immer auf ihn bezogen haben, ist er bedeutend. Die Bedeutung ist also eine von seinen Fans verliehene.

Diese untereinander höchst unterschiedlichen Bezüge weisen leider eine frappierende Gemeinsamkeit auf. Mit großer Treffergenauigkeit verpassen die Gläubigen die jeweils zu erfassenden Begebenheiten und Sachverhalte, indem sie den von ihnen so wertgeschätzten Jesus auf mannigfache Weise ins Spiel bringen.

Mein "Happy birthday"-Wunsch an den Jubilar, es möge ihm vergönnt sein, in der Versenkung der Geschichte zu verschwinden, wird sich sicher nicht erfüllen.

Trotzdem allerseits fröhliche Weihnachten!

Traugott Schweiger

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Sehr geehrter Herr Kopp,

Sie fassen die Weihnachtsgeschichte mit den Worten zusammen: "Eine jüdische Familie bekommt ein Kind, das ganz im jüdischen Glauben aufgeht, bis es dann eigene Wege geht und das Reich Gottes verkündigt". Ich bin versucht zu fragen, welche Weihnachtsgeschichte Sie eigentlich meinen, die des Matthäus oder die des Lukas - aber die Frage erübrigt sich. Was Sie schreiben, trifft auf keine der beiden zu. Sie selbst schreiben ja, dass Joseph offenbart wird, dass das Kind vom Heiligen Geist sei (Mt 1,20); bei Lukas wird es Maria offenbart (Lk 1,35). Beide sehen in der Schwangerschaft Marias die Erfüllung von Prophezeiungen des Jesajabuches: Matthäus ausdrücklich (Mt 1,22f. mit Bezug auf Jes 7,14), Lukas implizit: Die Anspielungen auf Jes 9,14 in Lk 1,31 ist z.B. in der Luther-Bibel 2017 angemerkt. Was hier erzählt ist, können Sie nicht mit den Worten umschreiben, dass eine jüdische Familie ein Kind bekommt. Die Texte sagen eindeutig, dass dieses Kind der seit langem erwartete Heilskönig (Messias) aus der Familie Davids ist, der auf Grund von verschiedenen Texten des Alten Testaments im damaligen Judentum erwartet wurde. Dahinter können Sie nicht zurück, ohne den Texten ihre Spitze abzubrechen. Jetzt sprechen Sie das Problem an, wie es Verheißungen geben kann, die Jahrhunderte vor der Erfüllung in der Geburt Jesu Christi ausgesprochen wurden. Dabei machen Sie leider Fehler: Sie sagen, dass Propheten keine Prognosen geben. Das ist nachweislich falsch, denn natürlich enthalten die Prophetenbücher auch Vorhersagen der Zukunft. Allerdings haben Sie insofern Recht, als die Propheten ursprünglich nicht Prognosen verkündigen, die sich erst Jahrhunderte später erfüllen sollen. Ihre Zukunftsvorhersagen beziehen sich eher auf die unmittelbare Zukunft, die für die Gegenwart relevant ist. Aber dabei ist es ja nicht geblieben: Die Worte der Propheten wurden aufgezeichnet und immer wieder neu auf die jeweilige Gegenwart bezogen. Teilweise fanden dabei Aktualisierungen statt, die in die Prophetenbücher eingetragen wurden: die wissenschaftliche Exegese spricht hierbei von "redaktionellen Fortschreibungen". Dahinter steht aber die Überzeugung, dass das schriftgewordene Prophetenwort als Wort Gottes auf spätere Situationen bezogen werden kann. Das heißt: Es geht nicht mehr um die Frage, was der Prophet selbst gesehen oder wie er seine Worte verstanden hat. Es geht darum, wie der heilige Text spätere Erfahrungen und Ereignisse verständlich macht. So kann man auch verstehen, warum sich Matthäus und Lukas auf Jesaja beziehen. Dass Maria, die nach allem, was wir über die früheste christliche Gemeinde wissen, für die ersten Christen noch eine Autoritätsperson war - gerade bei Lukas finden sich Hinweise darauf (Lk 2,19; Apg 1,14) - gewusst haben muss, dass es bei der Geburt Jesu nicht "mit rechten Dingen" zuging, weil sie "von keinem Manne weiß" (Lk 1,34), kann man kaum bestreiten. Von daher lag es auf der Hand, dass man in der Geburt Jesu die Erfüllung von Jes 7,14 fand. Selbstverständlich mag der Prophet Jesaja selbst an eine andere Jungfrau (oder junge Frau) und an ein anderes Kind gedacht haben, die für seine Zeit im 8. Jh. v. Chr. wichtig waren. Das aber war lange vorbei, die Prophezeiung stand aber immer noch im Prophetenbuch, und es stellte sich die Frage, ob und was sie der Gegenwart noch zu sagen hat. Und damit konnte sie - unabhängig davon, was der Prophet ursprünglich gemeint haben sollte - als Wort der Heiligen Schrift in der Geburt Jesu erfüllt gelten. Dasselbe gilt für Jes 9, das nach Lukas in der Geburt Jesu erfüllt ist: Das Prophetenbuch spricht davon, dass ein Kind geboren ist, das ein Friedenskönig sein wird. Wann und wo dieses Kind geboren ist, sagt das Buch nicht. Nach Lukas verkündigen die Engel den Hirten auf dem Feld, dass es Jesus ist (Lk 2,14 mit Anspielung auf Jes 9,5f; in der Luther-Bibel 2017 angemerkt). Diese Hirten auf dem nächtlichen Feld sind also offenbar "das Volk, das im Finsteren wandelt" und ein großes Licht sieht (Jes 9,1). Die Weihnachtsgeschichten sagen mit alledem nichts anderes als dass die Verheißungen der Prophetenbücher in der Geburt Jesu erfüllt sind. Das ist ihre Frohe Botschaft (=Evangelium). Sich das Evangelium sagen zu lassen, bedeutet in allererster Linie sich sagen zu lassen, dass die Erwartungen, die die prophetischen Texte schon seit Jahrhunderten genährt haben, in Jesus Christus erfüllt sind, und dass mit seiner Geburt die großartigen Friedenshoffnungen etwa von Jes 9 sich zu erfüllen begonnen haben. Allerdings muss man bis zur Erfüllung noch warten, woran uns das Kirchenjahr erinnert, in dem nach Weihnachten der Karfreitag und Ostern und schließlich der Ewigkeitssonntag folgen, an dem wir uns daran erinnern lassen, dass der Messias, der als Mensch geboren wurde, in der Auferstehung den Tod überwunden hat, wiederkehren und sein Friedensreich vollenden wird. Wer sich diese Hoffnungen von den biblischen Texten zusagen lässt, dem dürften wohl ihre Ausführungen zur jüdischen Familie, die ein Kind bekommen hat, das irgendwann einmal das Reich Gottes verkündigt, ziemlich dürftig vorkommen. Das Neue Testament sagt mir: Jesus Christus hat das Reich Gottes nicht verkündigt, sondern verwirklicht durch seine Auferstehung von den Toten (vgl. Mt 28,18; auch Röm 1,4), und Weihnachten feiern wir den Beginn dieser Verwirklichung, die mit seiner Menschwerdung beginnt, die ihn durch Tod und Auferstehung hindurch zum König der Welt gemacht hat - in Erfüllung dessen, was verschiedene prophetische Texte des Alten Testaments schon vorher gesagt haben. Das muss man denen schon sagen, die "Religion für Einsteiger" kennenlernen wollen. Anderenfalls sollten Sie direkt sagen, dass man dem biblischen Wort nicht trauen kann, sondern der aufklärerischen Demontage der Frohen Botschaft des Neuen Testaments folgen muss.

Antwort auf von Meik Gerhards (nicht registriert)

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Der Jesaja hat sich also irgendwas gedacht. Spätere Typen haben dann manches aufgeschrieben und diversen Jesajas zugeschrieben. Das ist alles halb so wild, denn es handelt sich um Heiligen Text, der "Erfahrungen und Ereignisse verständlich macht."

Dann hat eben der Herr Kopp auch die Weihnachtsgeschichten von Matthäus und Lukas "redaktionell fortgeschrieben". Oder darf er das nicht?

Fritz Kurz

Herr Kopp hat die Weihnachtsgeschichten von Matthäus und Lukas gar nicht fortgeschrieben. Wenn er sagt, dass es darum geht, dass "eine jüdische Familie ein Kind bekommt, das ganz im jüdischen Glauben aufgeht usw.", schreibt er eine andere Geschichte. Oder feiern Sie heute, dass eine jüdische Familie ein Kind bekommen hat, das später das Reich Gottes verkündigt hat? Meine Familie und ich feiern, dass der Friedenskönig gekommen ist, den die Prophetenbücher schon vorweg angekündigt hatten - und dass die Welt jetzt eine andere ist als vorher, weil mit dem Wirken, dem Tod und der Auferstehung Jesu das Reich Gottes schon begonnen hat. Alles das hat mit seiner Geburt begonnen wie das Kirchenjahr mit Advent und Weihnachten beginnt. - Ihr Problem mit meinem Beitrag scheint aber vor allem zu sein, dass ich Herrn Kopp darin Recht gebe, dass einzelne Prophetenpersönlichkeiten ursprünglich nicht Vorhersagen treffen wollten, die eine Zukunft ansagen, die erst Jahrhunderte später eintritt, sondern dass hier eine andere Ebene wichtig ist: die des Prophetenbuches, in das die Worte aufgenommen und in dem sie teilweise auch fortgeschrieben sind. Lesen Sie dazu die Verheißung der Jungfrauengeburt in Jes 7,14 in ihrem Zusammenhang. Dann fällt doch auf, dass diese Verheißung Teil einer Geschichte ist, in der Jesaja dem König Ahas Hinweise gibt, wie er sich in seiner Zeit angesichts des Angriffes zweier feindlicher Könige verhalten soll. Auch das Zeichen der Geburt des Kindes von der Jungfrau scheint ganz in diesen zeitgeschichtlichen Zusammenhang zu gehören. Dafür spricht v.a. Vers 17. Das ist die erste und ursprüngliche Ebene: Hier gibt der Prophet wohl keine Vorhersage, die erst Jahrhunderte später erfüllt wird. Das ist aber nicht alles: Die Geschichte wird im Rahmen eines Prophetenbuches erzählt - aber warum? Wenn es nur um das ginge, was Jesaja Ahas in seiner Zeit gesagt hat, hätte man die Prophezeiung gar nicht aufbewahren müssen. Sie wäre ja für spätere Zeiten gar nicht mehr aktuell. Offenbar hat derjenige, der die Geschichte aufgeschrieben hat - Jesaja selbst oder, um den von Ihnen gebrauchten Begriff zu benutzen: irgendein anderer "Typ" - in dieser Verheißung mehr gesehen als das, was sie innerhalb ihrer Zeit sagte. Damit kommt nun die Ebene des Prophetenbuches ins Spiel. Auf dieser Ebene geht es nicht mehr darum, die Worte der Propheten nur auf ihre Zeit zu beziehen. Was über Propheten und ihr Wirken in ihrer Zeit gesagt ist, bekommt typologischen Charakter, wird also zu einem allgemeinen Vorbild für spätere Zeiten. Dass Gott mit der Geburt eines Kindes von der Jungfrau ein Zeichen gibt, das sowohl ein Zeichen des Heils (Jes 7,16) als auch des Gerichtes (Jes 7,17) ist, ist also ein Vorbild für das, was in späteren Zeiten noch geschehen wird. Wann und wo sagt der Text nicht. Als Leser müssen wir also fragen, ob Gott dieses Zeichen jemals wahrgemacht hat, oder ob er es noch wahr machen wird. Der Sinn der Weihnachtsgeschichten ist es zu sagen: Ja, Gott, hat mit der Geburt Jesu das Zeichen wahrgemacht. Das feiere ich zu Weihnachten. Und damit fühle ich mich tatsächlich beschenkt. Von dem, was die heiligen Texte der Bibel verkündigen - nicht von der anderen Geschichte, die Herr Kopp erzählt.

Laut Selbstauskunft feiern Sie Weihnachten aus zwei Gründen. Einerseits, weil Gott "mit der Geburt Jesu das Zeichen wahrgemacht" hat. Bei dieser Feier möchte ich nicht stören. Wenn Gott es für zielführend erachtet, erst Zeichen zu geben und diese dann erfüllen zu müssen, bin ich zwar über diese Umstandskrämerei verwundert, möchte Gott aber nicht bei seinem eigenartigen Vergnügen Steine in den Weg legen. Und wenn Menschen ausgerechnet darin einen Grund zum Feiern sehen, bin ich noch mehr verwundert, sehe aber keinen Anlass, Feiernde bei der Feier mit Fragen und Kommentaren zu belästigen.

Andererseits feiern Sie mit ihrer Familie Weihnachten, weil "die Welt jetzt eine andere ist als vorher". Das halte ich für einen gefährlichen Irrtum, dem nachzugehen mir wichtiger zu sein scheint als den berühmten Weihnachtsfrieden zu wahren. Was ist denn jetzt bitte an der Welt anders, seit der Immanuel geboren worden ist?

Der Jesaja gibt im syrisch-ephraimitischen Krieg seinem obersten Chef, dem König Ahas, am "Ende der Wasserleitung des oberen Teiches, zur Straße des Walkerfeldes" (Jes. 7.3 ELB) gottesbasierte Durchhalteparolen. So weit, so schlecht.

Im heutigen Syrien gibt es je nach Zählung ein bis fünf (Bürger)kriege. Alle Kriegsparteien, auch die christlichen USA, kämpfen jeweils für ihre Höchstwerte. Deren Pflege ist den jeweiligen Glaubensgemeinschaften aufgegeben. Was die auch sehr zuverlässig und gründlich machen, einschließlich der gerade zu Weihnachten obligatorischen Friedensappelle.

Der Trump zieht seine Truppen zurück aus politischem Kalkül, nicht wegen der zu Herzen gehenden Weihnachtspredigten. An der Welt ist nichts anders geworden. Sie feiern, "dass der Friedenskönig gekommen ist". Der ist nirgendwo gekommen, weder auf der Ebene, die in ihrer Zeit ist, noch auf der Ebene, wo es dann typologisch wird. Die Wirklichkeit, die übrigens nicht aus Ebenen besteht, weiß von keinem Friedenskönig.

Fritz Kurz

Mir geht es nicht darum, ein möglichst "besinnliches", vielleicht sogar rührseliges Weihnachtsfest zu feiern, wo man in der Familie ausnahmsweise mal nett zueinander ist. Und mir geht es auch nicht um letztlich sinnlose Friedensappelle, etwa von Seiten der großen Kirchen, die eigentlich schon verpufft sind, wenn sie ausgesprochen wurden.

Was Sie und mich unterscheidet, steckt wahrscheinlich in Ihrem letzten Satz, wenn Sie schreiben, dass die Wirklichkeit nicht "aus Ebenen" besteht. Damit meinen Sie offenbar, dass es nur die Wirklichkeit gibt, die wir alltäglich wahrnehmen. Diese Wirklichkeit hat sich tatsächlich nicht verändert wie Ihr Vergleich des syrisch-ephraimitischen Krieges mit den Kriegesereignissen in Syrien zeigt. Nur habe ich das auch nie behauptet.

Dass das, was wir "Welt" oder "Wirklichkeit" nennen, also: das Ganze dessen, was existiert, nur aus dem besteht, was wir alltäglich erleben, ist eine Glaubenshaltung - und zwar eine, die in der Menschheitsgeschichte relativ jung ist. Dass eine andere, höhere Wirklichkeit hinter dieser Welt steht, nämlich die Wirklichkeit Gottes, ist eine andere Glaubenshaltung - zu dieser Haltung bekenne ich mich. Da mir die alltägliche Erfahrung und das aus ihr abgeleitete empirische Wissen über diese umfassendere Wirklichkeit keine klaren Auskünfte geben - bis dahin, dass man die Existenz dieser Wirklichkeit sogar bestreiten kann, wie Sie es offenbar tun - kann ich nur aufmerksam auf Signale warten, die aus der Welt Gottes zu uns kommen. Dazu gehören für mich - im Einklang mit der Christenheit auf Erden - die Zeichen, die in den Prophetenbüchern als Wort Gottes angekündigt sind, und die in Jesus erfüllt sind. Das, was Sie "Umstandskrämerei" nennen, sehe ich als Zeichen, in denen Gott sich uns zu erkennen gibt. Damit ist die Welt unserer alltäglichen Erfahrung - sei es in Syrien, im Jemen oder anderswo auf der Erde - tatsächlich keine andere geworden als zuvor. Aber offen gesagt, überraschen Sie mich damit nicht. Schon die frühen Christen, die Apostel und die Verfasser des Neuen Testaments, haben das erlebt: Nicht wenige sind wie Petrus und Paulus den Märtyrertod gestorben, weil sie der damaligen Großmacht Rom politisch verdächtig waren. Rom ist in seiner Weltmachtpolitik wie zuvor Babylon oder die Diadochen Alexanders und heute die USA auch über Leichen gegangen. Ja, insofern hat sich die Welt nicht verändert. Aber warum wird denn die Botschaft, dass der Friedenskönig gekommen ist, seither immer noch in aller Welt verkündigt? Schon die Schüler der hingerichteten Apostel hätten doch ihre Verkündigung einstellen müssen, wenn es nach Ihrer Logik ginge. Weil zur Frohen Botschaft von Jesus Christus eben nicht nur die Geburt gehört, sondern auch sein Tod am Kreuz, den er selbst als Hingabe für die Schuld der Welt gedeutet hat (Mk 10,45; 14,22-26), und seine Auferstehung an Ostern - ohne die jegliche christliche Hoffnung sinnlos wäre (1. Kor 15,14). Die Auferstehung Christi ist aber wiederum ein Signal aus der Wirklichkeit Gottes, dem wir die Gewissheit entnehmen können, dass Gott das Friedensreich, das ebenfalls in den Prophetenbüchern verheißen ist, noch verwirklichen wird. Deshalb zieht Ostern den Rest des Kirchenjahres nach sich bis zum Ewigkeitssonntag - und das Neue Testament endet mit der Offenbarung des Johannes. In der Offenbarung ist übrigens viel von Kriegen und Verfolgungen die Rede, was noch einmal zeigt, dass die Christenheit seit jeher weiß, dass die alltäglich erfahrbare Welt noch immer so ist wie zuvor. Aber mit dem Kommen Jesu, des Friedenskönigs, ist sie doch eine andere geworden, weil damit aus der Wirklichkeit Gottes heraus eine neue Welt bereits begonnen hat. Und das ist für mich ein Grund zum Feiern.

Ich erwarte nicht, dass ich Sie damit überzeugen kann. Aber umgekehrt weiß ich nicht, warum man sich daran klammern soll, was uns als alltägliche Wirklichkeit begegnet und warum man es nicht zumindest einmal versuchen soll, sich auf die Wirklichkeit Gottes einzulassen. Wenn Sie wirkliches Interesse daran haben, was es mit Weihnachten auf sich hat, kann ich Ihnen nur raten, Ihre Vorbehalte - etwa warum Gott eine solche "Umstandskrämerei" betrieben haben sollte - aufzugeben und sich einmal offen darauf einzulassen, was Bibel und Kirche dazu zu sagen haben. Vielleicht entdecken Sie diese Weihnachtsfreude dann auch. Aber machen Sie es, wie Sie es wollen!

Zitat: "Aber umgekehrt weiß ich nicht, warum man sich daran klammern soll, was uns als alltägliche Wirklichkeit begegnet" Keine Sorge, dieses Ansinnen stelle ich nicht an Sie. Wenn Sie überzeugt sind, dass die lausige alltägliche Wirklichkeit nur im Vordergrund steht und dahinter oder darüber währenddessen in Gottes Wirklichkeit die Post abgeht, wäre das ja auch ein Fehler.

Zitat: "sich einmal offen darauf einzulassen, was Bibel und Kirche dazu zu sagen haben." Aber gerne doch!

Zitat: "dass die Christenheit seit jeher weiß, dass die alltäglich erfahrbare Welt noch immer so ist wie zuvor." Bingo!

Zitat: "Aber mit dem Kommen Jesu, des Friedenskönigs, ist sie doch eine andere geworden, weil damit aus der Wirklichkeit Gottes heraus eine neue Welt bereits begonnen hat." Ja wie nun? Haben wir nun drei Welten? Erstens die Alltagswelt, über deren Schlechtigkeit sich der geübte Christ keine Illusionen macht. Zweitens die Sonntagswelt Gottes, die nur von verstockten Atheisten geleugnet wird. Und drittens eine neue Welt? In der hat sich bisher trotz 2000 Jahre Geschichte allerdings noch nichts anderes abgespielt außer dieser zugegebenermaßen höchst spektakulären Auferstehung.

Und inwiefern ist denn die Alltagswelt eine andere geworden, wenn Gott jetzt glatt Schöpfer von drei Welten ist?

ich bitte um nähere Erläuterungen!

Fritz Kurz

Es ist sicher nicht sinnvoll, so wie Sie es jetzt tun, von "drei Welten" zu sprechen. Ich habe zwar die "Welt der alltäglichen Erfahrung" von der "Welt Gottes" unterschieden - aber damit sind verschiedene Bereiche oder Ebenen der einen Wirklichkeit gemeint, von der Sie gesagt haben, dass sie nicht aus "Ebenen" besteht. Christlicher Glaube ist zunächst Glaube daran, dass Gott die Erde und das Weltall und alles, was darinnen ist, geschaffen hat. Das ist also der Bereich der Wirklichkeit, der nicht aus sich heraus besteht - um es nicht so kompliziert auszudrücken, sagen wir eben: "die geschaffene Welt". Gott selbst ist dementsprechend der Bereich der Wirklichkeit, der nicht geschaffen ist. Einfacher ist es von der "Welt Gottes" oder der "Wirklichkeit Gottes" zu sprechen. Von der "neuen Welt", die Gott schaffen wird, ist schon im Alten Testament die Rede (Jes 24f.). Es handelt sich um eine Verwandlung der geschaffenen Welt, in der das Böse und der Tod besiegt sein werden. Dass eine solche neue Welt kommen wird, ergibt sich aus dem Glauben an den Schöpfer: Wer glaubt, dass der Schöpfer gut ist, muss auch glauben, dass er das Böse überwindet. Das gilt nicht nur für den jüdischen und christlichen Glauben, sondern auch für andere Religionen, die einen starken Schöpferglauben haben, z.B. den Zoroastrismus und den Islam. Die Rede von einer "neuen Welt" ist wieder ungenau. Besser wäre von einer "Vollendung der Schöpfung" zu sprechen. In der Bibel ist aber von einem "neuen Himmel" und einer "neuen Erde" die Rede (Offb 21,1) - also sprechen wir vereinfachend von einer "neuen Welt", ohne damit eine dritte Welt in dem Sinn, in dem Sie es sagen, zu meinen. Wir Christen unterscheiden uns von Juden, Muslimen und Zoroastriern dadurch, dass wir um die Auferstehung Jesu wissen, mit der die neue Welt schon begonnen hat. Die ist - wie Sie sagen - spektakulär. Dass in der "neuen Welt" sonst noch nichts passiert ist trotz 2000 Jahren Geschichte muss uns nicht wundern: Die Dimensionen der göttlichen Zeit sind andere als unsere. Die Welt, in der wir leben, ist aber doch eine andere geworden. Ich zum Beispiel ziehe meine Gewissheit des ewigen Lebens aus der Auferstehung Jesu. Sokrates hielt es bei allen Argumenten für die Unsterblichkeit der Seele letztlich wohl für unentscheidbar, ob es ein Fortleben der Seele gibt oder der Tod ein Verlöschen bedeutet. Er meinte freilich, man müsse vor beidem keine Angst haben. So mag man es sehen, wenn man nur die persönlichen Aussichten erwägt. Mir hilft aber die Gewissheit, dass die neue Welt Gottes mit Jesus Christus schon begonnen hat, auch dabei, die Not der alltäglichen Welt ohne Zynismus wahrzunehmen: Das Leiden hat nicht das letzte Wort, und die, die Leid zu verantworten haben, werden sich selbst vor Gott verantworten müssen. Dass dies ein rationaler Gedanke ist, ohne den alle Moral zusammenbricht, hat ein großer Denker wie Kant zumindest erspürt, auch wenn er selbst der christlichen Botschaft nicht trauen wollte. (Übrigens habe ich nie behauptet, dass Leute, die den christlichen Glauben oder den Gottesglauben allgemein ablehnen, verstockt sind wie Sie mir in Ihrer Rede von "verstockten (!) Atheisten" andeutungsweise unterstellen!) Ich traue der Botschaft von Weihnachten und Ostern. Daher wird mir zur Gewissheit, was Sokrates aus Vernunftschlüssen zu begründen versuchte, denen er aber im letzten vielleicht doch nicht traute, und was für Kant ein Postulat war: die Unsterblichkeit der Seele, die Freiheit des Menschen, der Sinn der Moral. Und weil Menschen seit Jesus Christus diese Gewissheit haben können, ist die Welt eine andere geworden, seit Christus geboren wurde, starb und auferstand.

Die Welt soll also anders geworden sein, seitdem Christus den in den Glaubensbekenntnissen beschriebenen Zyklus durchlaufen hat. Als Beleg führen Sie neue Gewissheit bezüglich der Unsterblichkeit der Seele, der Freiheit des Menschen und des Sinns der Moral an.

1.) Wer gerne eine Seele sein eigen nennt und der überdies kein Verfallsdatum gönnt, wird unter Berufung auf Jesu Auferstehung sicher seine Gewissheit finden. Dadurch hat er allerdings auch nicht das Geringste an irgendeinem Stückchen Welt geändert. Er hat einen Glauben bekräftigt.

2.) Die Freiheit von Menschen hängt davon ab, wer in den Knast muss oder aus ihm entlassen wird, wer Gefängnisse errichtet, auflöst oder stürmt, wer ökonomische Abhängigkeiten einrichtet, sie benutzt, an ihnen zerbricht oder sie beendet. Die philosophischen und theologischen Begründungen für Freiheit, deren Begrenzung, Verwirkung oder Ermöglichung sind Reflexionen zur Welt. Sie sind nicht die Welt.

3.) Moral und Sinn stehen hoch im Kurs. Wem Moral und Sinnstiftung nützen und wem sie schaden, wäre zu untersuchen. Bei der "Not der alltäglichen Welt" darauf zu achten, ob sie mit oder ohne Zynismus wahrgenommen wird, mag dem Weltbetrachter einen moralischen Pluspunkt einzubringen. Eine Änderung der Welt bedeutet das nicht. Die würde sich anbahnen bei der Ermittlung der Ursachen der Not. Die christliche Glaubensgewissheit, dass die Leidverantworter spätestens beim Jüngsten Gericht von Gott ihr Fett abbekommen werden, ist moralisch sehr beruhigend. Was zur Folge hat, dass die dem Leid Unterworfenen sich gefälligst mit dieser Vorstellung trösten sollen und das leider auch massenhaft tun. Nicht viel zum Lachen gehabt haben, aber sauber geblieben sein, lautet dann die stolze Devise. Daraus könnte man den ersten Hinweis entnehmen, wem die Moral, insbesondere die christliche, nützt.

Der Botschaft von Weihnachten und Ostern zu trauen bedeutet somit, die herrschaftsdienlichen Fehler der Philosophen auch noch zur göttlichen Höhe hinaufzujubeln. Damit bekommt die alte Welt eine nicht zu unterschätzende metaphysische Schützenhilfe. Das ist das glatte Gegenteil einer anderen Welt.

Fritz Kurz

Was Sie schreiben, erinnert mich bestens an Diskussionen mit marxistisch orientierten Kommilitonen, die es während meiner Studienzeit noch gab. Es soll wohl kritisch sein, hat mich aber schon damals nicht überzeugt. Zum einen wird der Mensch hier in einem politisch-ökonomischen Tunnelblick wahrgenommen. Zum anderen scheinen schon die Grundlagen unreflektiert. Der Tunnelblick zeigt sich etwa bei Ihrem Verständnis menschlicher Freiheit, wenn Sie dabei nur an Gefängnisse und ökonomische Abhängigkeiten denken. Unreflektiert scheint mir Ihre Position da, wo Sie vermeintlich sicher zwischen der "Welt" und "Reflexionen zur Welt" unterscheiden. Ich nehme Ihnen nicht ab, dass Sie hier wissen, wovon Sie sprechen. Oder können Sie erläutern, wo die Grenze zwischen der "Welt" und "Reflexionen zur Welt" verläuft bzw. wie Sie die "Welt" ohne Reflexion wahrnehmen können? Freiheit scheint ja auch für Sie ein Wert zu sein - sonst würden Sie ja der Philosophie keine "herrschaftsdienenden Fehler" ankreiden -, aber können Sie sagen, was Freiheit Ihrer Meinung nach ist, wenn philosophische Begründungen zur Freiheit etc. nur "Reflexionen zur Welt", aber nicht "die Welt" sind? Sie werfen der Botschaft von Weihnachten und Ostern vor, "die herrschaftsdienlichen Fehler der Philosophen zur göttlichen Höhe hinaufzujubeln". Das scheint mir ein Stereotyp aus einer bestimmten Richtung aufklärerischer (dann auch marxistischer) Religionskritik zu sein, das mit guten Gründen hinterfragt werden kann. Aber viel mehr interessiert mich, wem denn Ihre Position dient. Sie werfen der christlichen Botschaft vor, eine Vertröstung derer zu sein, die in dieser Welt Leid tragen und zu kurz kommen. Offenbar vermuten Sie hinter dieser Botschaft ein Interesse des Machterhalts. Wem aber soll Ihre Botschaft von der einen (nicht definierten und nicht interpretierten) Wirklichkeit und der einseitigen Wahrnehmung des Menschen als politisch-ökonomischem Subjekt dienen? Der Befreiung der Massen? Aber wie sollte die aussehen und wie sollte sie ohne Etablierung neuer Herrschaftsstrukturen vor sich gehen und abgesichert werden? Wo der Marxismus - an den Ihre Position mich erinnert - bisher ans Ruder gekommen ist, hat nicht die reine Menschenfreundlichkeit und Interessenlosigkeit geherrscht. Es wurde vielmehr totalitäre Herrschaftsstrukturen etabliert.

Sie haben oder machen sich ein Problem mit der Relation von Reflexion und ihrem Inhalt, also dem Verhältnis von Nachdenken und dem, worüber nachgedacht wird? Da kann ich gerne behilflich sein.

Der Kuchen ist deutlich und problemlos zu unterscheiden vom Nachdenken über den Kuchen. In den Kuchen können Sie nämlich beißen, in das Backrezept oder das Testurteil jedoch nicht. Sie können sogar den Kuchen genießen, ohne den Begriff Kuchen zu kennen. Wer aus einem Kulturkreis ohne Kuchen kommt, beißt dann eben hierzulande in den seltsam aussehenden und süß schmeckenden Auflauf hinein.

Das Nachdenken über den Kuchen setzt jedoch im Regelfall den Begriff Kuchen voraus. Nur im Regelfall jedoch deswegen, weil weder der Kuchen noch sein Begriff den Menschen von Gott geschenkt wurden, sondern beide sich entwickelt haben. Und falls Sie über die beliebte Frage stolpern sollten, wer zuerst da war, der Kuchen oder sein Begriff, kann ich Sie auch hier beruhigen. Da kann beides passieren. Die Dinosaurier sind deutlich älter als der Begriff Dinosaurier. Den Begriff Mondfahrt hingegen hat es jedoch schon lange vor der ersten bemannten Mondlandung gegeben.

Mit der Welt und der Freiheit ist es auch nicht anders. Sehr wohl ist zu unterscheiden zwischen der Welt und dem Nachdenken über sie. Ein verbreitetes Beispiel, über die Welt nachzudenken, geht so: Am Anfang schuf Gott das Erschaffene und das Unerschaffene. Das Erschaffene nannte er Welt. Das Unerschaffene, das er soeben erschaffen hatte, nannte er praktischerweise gleich nach sich selbst, nämlich Gott. Da merkte Gott, dass ihm so doch manche auf die Schliche kämen. Deswegen griff er zur Formulierungsbürste und sprach: Die Christen glauben an mich, der ich die Welt erschaffen habe und selber unerschaffen bin.

Deutlich von diesem Nachdenken über die Welt ist die Welt zu unterscheiden. Dass diese Unterscheidung selber nur mit einem Begriff von Welt geht, trifft zu. Macht Ihnen das ein Problem? Wenn ja, welches bitte?

Auch bei der Freiheit ist zwischen ihr selber und der Reflexion über sie sehr wohl zu unterscheiden. Wenn eines Tages alle Aufklärer, Marxisten und sonstige Teufelsanbeter im Knast sitzen sollten, geht ihnen die Freiheit ab. Das Nachdenken darüber ändert nichts daran. Das gilt ganz unabhängig davon, wie die Reflexion selbst ausfällt: Klammheimliche Freude, ausgearbeitete Differenzierung oder der empörte Aufschrei über angeblich himmelschreiendes Unrecht. Wer sitzt, der sitzt.

Technischer Hinweis: Falls wir diesen munteren Gedankenaustausch fortsetzen, von mir aus übrigens gerne, werde ich meine nächste Antwort erst Ende nächster Woche geben können. Falls sich Unerwünschtes bei mir einstellt, worüber ich nicht verfügen kann, könnte die Diskussionspause sogar bis zur Mitte Februar dauern. Sie merken, ich unterscheide auch hier zwischen meiner Zukunft und dem Nachdenken über meine Zukunft. Sollten Sie damit nicht klar kommen, sagen Sie mir bitte warum!

Fritz Kurz

Antwort auf von Fritz Kurz (nicht registriert)

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Sehr geehrter Herr Kurz,

da das Ende der Woche erreicht ist und Sie vielleicht wieder ansprechbar sind, möchte ich Sie nur einmal bitten, darüber nachzudenken, ob Ihr Vergleich mit einem Kuchen und der Welt nicht zu kurz greift. Sie schreiben: "Der Kuchen ist deutlich und problemlos zu unterscheiden vom Nachdenken über den Kuchen". Das ist zweifellos richtig. Auch sind Ihre weiteren Ausführungen, dass man nicht in ein Backrezept beißen kann und dass man einen Kuchen auch verspeisen kann, ohne den Begriff des Kuchens zu kennen, unbestreitbar richtig. Nun gibt es aber Gegenstände des Nachdenkens, die komplexer sind als ein Kuchen. Dazu gehört die Welt. Sie schreiben, mit der Welt (und der Freiheit - aber die lassen wir hier mal auf sich beruhen) sei es nicht anders als mit einem Kuchen: "Sehr wohl ist zu unterscheiden zwischen der Welt und dem Nachdenken über sie". Den Satz möchte ich bestreiten. Ich glaube nicht, dass Sie über die Welt - wenn wir darunter so etwas verstehen wie die Wirklichkeit als ganze - so nachdenken können wie über einen Kuchen. Ich bin überzeugt, dass niemand über die Welt nachdenken kann, ohne sich schon vorher Gedanken darüber gemacht zu haben, was er darunter überhaupt verstehen will. Ist die "Welt" das empirisch erforschbare Universum, in dem wir leben? Das wäre ein Standpunkt, den man als "Materialismus" (der angesichts der Physik des 20. Jhs. gar nicht mehr so vertreten werden kann wie manche im 19. Jh. glaubten), "Naturalismus" oder "Monismus" bezeichnen könnte. Oder gibt es eine selbstständige geistige Welt, die der - im weitesten Sinne - materiellen Welt vorangeht? Das wäre ein Standpunkt, den man als "Idealismus" bezeichnen würde. Aber wie Sie es auch halten wollen. Diese Vorentscheidung müssen Sie fällen, wenn Sie über die Welt als ganze nachdenken wollen. Damit ist das, was sie "Welt" nennen, nicht klar von dem zu unterscheiden, wie Sie über die "Welt" denken.

Da die Welt und der Kuchen nicht identisch sind, muss auch das sachgemäße Nachdenken über die Welt andere Ergebnisse zeitigen als das Sinnieren über das Backwerk. In diesem Punkt widerspreche ich Ihnen nicht.

Kritik übe ich allerdings an: "Ich bin überzeugt, dass niemand über die Welt nachdenken kann, ohne sich schon vorher Gedanken darüber gemacht zu haben, was er darunter überhaupt verstehen will." Das ist erstens ein Widerspruch in sich. Wenn das Nachdenken über die Welt ein voriges Nachdenken zur Voraussetzung hat, dann muss auch dieses vorige Nachdenker einen Vorläufer gehabt haben. Dieses Argument lässt sich unbegrenzt fortsetzen. Interessierte Mitleser unseres Dialogs können unter dem Fachausdruck "unendlicher Regress" nähere Informationen dazu einholen. Dann kann nie ein zutreffender Gedanke über die Welt zustande kommen.

Zweitens ist dieses Argument auch bei nur einmaliger Anwendung irrig. Jeder, der über irgend etwas nachdenkt, auch und gerade über die Welt, sollte sich frei machen von Vorurteilen der Art: "Ich will von dem Gegenstand meines Denkens ein bestimmtes Verständnis haben." Wozu soll denn das Nachdenken noch taugen, wenn bereits der Entschluss zu einem festgelegtem Verständnis gefasst wurde?

Ob es eine der Welt vorangehende eigenständige geistige Welt gibt oder diese Vorstellung ein Fehler ist, könnte Ergebnis von Nachdenken und Diskussion sein. Als verpflichtende Vorentscheidung ist es ein klassisches Vorurteil und zwar in beiden Richtungen.

Fritz Kurz

Sie beschreiben m.E. ganz richtig, dass wir uns bei unserem Nachdenken über die Welt letztlich in einer paradoxen Situation befinden. Ein voraussetzungsloses Nachdenken gibt es nicht. Wer letzte Begründungen für sein Nachdenken sucht, gerät in einen "unendlichen Regress" bzw. verfällt dem "Münchhausen-Trilemma". Dem kann man nicht entgehen. Das heißt allerdings noch nicht, dass das Nachdenken insgesamt nutzlos ist, denn immerhin mögen sich ja aus dem Nachdenken Hinweise ergeben, die unsere Grundeinstellung zur Welt ändern. So mag ein Naturalist, der vorerst nur die vorfindliche Welt als existent gelten lässt, durch Nachdenken über mathematische Gegenstände zum Idealisten werden, der davon überzeugt ist, dass z.B. das Reich der Zahlen Ausdruck einer idealen Welt ist, die der vorfindlichen Welt vorausgeht und diese bestimmt. Allerdings: Wenn er sich dieser idealistischen Überzeugung anschließt, wechselt er die Rahmenbedingungen seines Nachdenkens; eine voraussetzungslose Weltanschauung hat er dann aber noch immer nicht. Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt: Manche mögen vom Idealisten zum Naturalisten oder Materialisten werden. Weil wir es nicht schaffen, ein objektives Verständnis der Welt zu erarbeiten - das aus vorurteilsfreien Urteilen hervorgeht und ein sicheres Fundament für alles weitere Nachdenken bereitstellt -, sind wir immer auf Vorentscheidungen angewiesen - und diese sind letztlich Glaubensentscheidungen. Als Christ habe ich damit kein Problem. Mir ist klar, dass ich mit dem Glauben an Gott eine massive Vorentscheidung fälle. Ich erfahre mich aber von Gott und seinem Wort immer wieder in diesem Glauben gehalten. "Teneo quia teneor": "Ich halte fest, weil ich gehalten werde". Damit bin ich nicht allein: Diese Glaubenserfahrung haben viele andere ebenfalls gemacht. Ich urteile über niemanden, der diese Glaubensentscheidung nicht fällt. Aber die Alternative des Naturalismus, der nur die vorfindliche Welt als existent annimmt, ist keineswegs objektiver, so dass ich mir wünsche, dass Naturalisten bzw. Atheisten zugeben, dass auch sie eine Glaubensentscheidung gefällt haben - im Prinzip wie ich, nur in die andere Richtung. Eine Haltung, die ohne Glaubensentscheidung auskommt, wäre wohl nur ein konsequenter Skeptizismus oder Agnostizismus. Ich habe aber große Zweifel, ob sich eine solche Haltung praktisch durchhalten lässt. So muss man doch z.B. ethische Entscheidungen fällen. Und da ist, etwa an den "Rändern des Lebens" (Abtreibung; Sterbehilfe etc. - um gleich zu den extremen Beispielen zu gehen), eine Vorentscheidung nötig, ob das Leben von Gott geschaffen ist oder ob das Leben, auch das eines jeden Einzelnen, aus Zufall entstanden ist. Wer hier gar keine Glaubensentscheidung in die eine oder die andere Richtung fällt, kann auch keine ethische Entscheidung fällen. Ein verantwortlich selbstbestimmtes Leben ist dann aber nicht möglich.

Objektive Weltbetrachtung soll nicht möglich sein? Wieso denn? Klar, wenn man überzeugt davon ist, dass man sowieso an etwas glauben muss, dann ist die Objektivität tatsächlich im Eimer. Deswegen rate ich ja davon ab, sich selbst als ohnmächtigen Sklaven angeblich unvermeidlicher Voraussetzungen zu sehen.

Ob da ein Gott ist, der festhält, oder ob diese Vorstellung ein folgenreicher, brandgefährlicher Irrtum ist, lässt nicht nur die fatalistische Reaktion zu: "Ach Gott, die einen glauben an ihn, die anderen lassen es eben bleiben." Über die Gottesfrage lässt sich mit Argumenten streiten. Früher kam statt des Arguments der Scheiterhaufen zum Einsatz. Später ging man sich aus dem Weg. Heute macht man auf Friede, Freude, Eierkuchen. Der Klarheit in der Sache dient das alles nicht.

Die Kritik an der Vorstellung, da sei ein Gott, als eine Glaubensentscheidung hinzustellen, ist der beliebte Versuch, diese Kritik eben nicht mit dem Gegenargument zu kontern, sondern grundlos als Glaubensentscheidung zu diffamieren.

Wer mit Argumenten bestreitet, dass Asterix lebt, tut ziemlich was anderes, als selber einen weiteren Asterix-Band in die Welt zu setzen.

Fritz Kurz

Bei Ihrem Beitrag frage ich mich, wo Sie eigentlich leben. Ich meine damit nicht Ihren Wohnort, sondern die geistige Welt, in der Sie sich aufhalten. Offensichtlich ist es für Sie selbstverständlich, dass objektive, also voraussetzungslose, Weltbetrachtung möglich ist. Das ist eine Position des 18. und 19. Jh.s, die aber nach den Erkenntnissen der Philosophie, Mathematik und Physik des 20. Jh.s meines Wissens niemand mehr ernsthaft vertritt. Selbstverständlich kann man über die Gottesfrage mit Argumenten streiten - und wenn Sie meine bisherigen Beiträge gründlich lesen, dürften Sie merken, dass ich mich z.B. auf Kants sog. "moralischen Gottesbeweis" bezogen habe ebenso wie auf das platonische Argument, dass die Gegenstände der Mathematik als Zugang zu einer geistigen Welt verstanden werden können, die unabhängig von der materiellen vorfindlichen Welt ist. Schönes Beispiel für Letzteres: Wir beide würden hier nicht miteinander kommunizieren, wenn Leibniz nicht das binäre Zahlensystem entwickelt hätte, ohne das es keinen Computer gäbe. Für Leibniz war dieses System aber ein Gottesbeweis. Er hat einen Aufsatz darüber an den Kaiser von China geschrieben, um ihn vom Monotheismus zu überzeugen. Also: Selbstverständlich gibt es Argumente für den Gottesglauben - auch gegen den Gottesglauben. Wenn Sie nun der Auffassung sind, dass sich diese Frage ganz objektiv und ohne Vorentscheidungen - d.h. auch: ohne Glaubensentscheidungen - diskutieren lässt, dann bin ich nur dann bereit, Sie ernst zu nehmen, wenn Sie den Worten Taten folgen lassen. Belegen Sie doch Ihre Überzeugung, dass kein Gott ist und dass der Gottesgedanke ein "brandgefährlicher Irrtum" ist mit einer klaren, objektiven Argumentation, die selbst ohne Glaubensentscheidungen auskommt! Das würde "der Klarheit der Sache" dienen, und nach Wittgenstein, Gödel, Heisenberg und anderen bedeutenden Denkern des 20. Jh.s wäre es eine philosophische Revolution. Da Sie es sich nicht verkneifen können, an den Scheiterhaufen zu erinnern, der früher Argumente ersetzen konnte, möchte ich zwar nicht mit der Erinnerung an den Gulag und Christenverfolgungen in atheistischen Systemen kontern, aber darauf hinweisen, dass ein Nobelpreisträger wie Heisenberg in der DDR zwar Vorträge halten konnte, zu denen aber nicht öffentlich eingeladen werden durfte, weil man die Quantenphysik als "bürgerlich" diffamierte. Hintergrund war, dass die moderne Physik die Idee einer objektiven wissenschaftlichen Weltanschauung prinzipiell untergräbt, die der Marxismus-Leninismus für sich in Anspruch nahm.
Zeigen Sie also gegenüber diesen und anderen Erfahrungen, dass Ihre Worte mehr sind als unbedachtes Gerede und legen Sie Ihre Argumente schlüssig dar!

Aber gerne doch, lieber Herr Gerhards! Sie bieten eine beeindruckende Phalanx von Gestalten und Kompetenzen auf, die Sie alle als Kronzeugen dafür aufführen möchten, dass objektive Weltbetrachtung eitler Wahn sei. Leibniz und der Kaiser von China, Gödel und Heisenberg, ganz generell die Mathematik und Physik des 20. Jahrhunderts, selbst unser Computergebrauch müssen da ran. Wir können das jederzeit gerne vertiefen. Mit welchem der Gödelschen Unvollständigkeitssätze möchten Sie denn anfangen? Ich überlasse Ihnen die Wahl.

Schneller kommen wir aber in der Sache wohl voran, wenn ich mir Ihren Gott näher anschaue. "Ich erfahre mich aber von Gott und seinem Wort immer wieder in diesem Glauben gehalten." Sie glauben an Gott und im Gegenzug sorgen Gott und die Bibel dafür, dass Sie auch weiterhin an Gott glauben. Und zwar auf dem Weg einer Erfahrung. Welche Erfahrung haben Sie denn da gemacht?

Fritz Kurz

Sie haben sicher Recht: Eine Diskussion über Gödel - die sicher beim Ersten Unvollständigkeitssatz beginnen müsste - würde den Rahmen dieses Forums sprengen. Ich habe ihn als Beispiel dafür genannt, dass selbst auf dem Gebiet des mathematischen Formalismus, wo man glaubte, ein aus sich heraus konsistentes logisches System aufbauen zu können, mit Annahmen gearbeitet werden muss, die innerhalb des Systems nicht entscheidbar sind. Wenn das Ihrer Meinung nach falsch ist, widersprechen Sie zumindest kurz. Leibniz habe ich als Beispiel dafür genannt, dass es Argumente für den Gottesglauben gibt. Allerdings fehlt in meinem Beitrag wohl ein Satz: Leibniz Annahme, das binäre Zahlensystem sei ein Beweis für die Existenz und Einzigkeit Gottes, funktioniert nur, wenn der Gottesglaube also solcher vorausgesetzt ist und dann sozusagen argumentativ eingeholt wird. Ich wollte an dem Beispiel zeigen, dass die Argumente für oder gegen Gott bereits Vorentscheidungen über die Existenz Gottes voraussetzen. Das Umgekehrte ließe sich für Feuerbach zeigen. Und vor dem Hintergrund kann ich mir eben nicht vorstellen, dass Sie Wort halten und Beweise gegen die Existenz Gottes vorbringen können, die ohne entsprechende Vorentscheidungen auskommen. - Jetzt aber zu Ihrer Frage nach der Erfahrung. Ich bin überzeugt: Wenn man sich darauf einlässt, dass Gott da ist und dass ihm auch an uns Menschen gelegen ist - Sie sehen: eine Vorentscheidung, ohne die es aber ohnehin nicht geht! -, und wenn man bereit ist, die Bibel nicht nur mit kritischen Augen und mit ständigen Vorbehalten zu lesen, sondern sie als das Buch zu lesen, durch das Gott mit uns reden will, dann kann sich aus der Bibel eine Gewissheit Gottes erschließen, die auch in Krisenzeiten immer wieder erneuert werden kann. Auch biblische Worte, die man nicht versteht oder unsympathisch findet, können sich erschließen und dann den Glauben fördern. Ich habe zum Beispiel lange Zeit mit dem christlichen Glauben gehadert, weil mir vieles darin unlogisch erschien. Die klassischen Fragen: Warum lässt Gott so viel Leid in der Welt zu und schickt Jesus, um durch seinen Tod und seine Auferstehung den Tod und damit letztlich alles Leid zu besiegen? Ich glaube, Sie haben solche Fragen oben auch geäußert und als merkwürdigen "Aufwand" bezeichnet. Mir hat dann das biblische Wort geholfen, dass der, der sein Leben um Jesu willen verliert, das Leben finden wird. Mir hat sich das Wort so erschlossen, dass ich begriffen habe, dass ich selbst mein Leben zu sehr in der Hand behalten wollte, indem ich mit dem christlichen Glauben gehadert habe, weil er nicht meiner Logik entsprach. Ich begriff, dass ich meine Zweifel zurückstellen musste (für mich: mein Leben verlieren), um mich von Gott bzw. von Jesus tragen lassen musste. Das hat sich mir aus dem biblischen Wort erschlossen - und dahinter bin ich seitdem nie mehr zurückgefallen. Diese Erfahrung bezeichne ich als Getragenwerden durch Gott. Wobei nicht nur ich solche Erfahrungen gemacht habe, sondern auch viele andere Christen. Die Erfahrung hat also - um wieder etwas mathematischer zu werden - einen "Häufigkeitswert", was mir den Mut gibt, darüber zu sprechen und sie nicht als reines Privaterlebnis zu betrachten.

Antwort auf von Meik Gerhards (nicht registriert)

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Sie schreiben von unentscheidbaren Annahmen. Die Mathematik kennt so etwas nicht. Es gibt unentscheidbare Aussagen. Das sind Aussagen, die weder bewiesen noch widerlegt werden können. Und es gibt Annahmen. Das sind Aussagen, die bei einer bestimmten Beweistechnik, dem indirekten Beweis nämlich, zu Beginn des Beweises als wahr angesehen werden. Der Fortgang des Beweises führt zu einem Widerspruch, woraus folgt, dass die Anfangsaussage falsch und ihre Verneinung somit bewiesen ist. Schließlich kann man Annahme noch als Synonym für Vermutung verwenden.

Auch fernab von der Mathematik würde ich eine "unentscheidbare Annahme" zurückweisen. Das ist bestenfalls ein weißer Schimmel.

Mit dem ersten Gödelschen Unvollständigkeitssatz könnte eine "unentscheidbare Annahme" auf dem Wege eines Missverständnisses verbandelt sein. Der Satz besagt, dass es in wichtigen mathematischen Theorien Aussagen gibt, die nicht bewiesen werden können, obwohl sie wahr sind. Der naheliegende Gedanke könnte sein, diese Aussage zu den Axiomen dazuzuschlagen. Dann ist zwar diese Aussage trivialerweise beweisbar, aber dafür gibt es in dieser erweiterten Theorie andere Aussagen, die nicht bewiesen werden können, obwohl sie wahr sind. Das ist der Clou des Gödelsatzes. Also ist durch dieses Dazufügen nichts Wesentliches gewonnen.

Sie haben die Vorstellung, man müsste den Gottesbeweisen oder -Widerlegungen noch irgendwelche Vorentscheidungen dazufügen, damit sie wirksam seien. Für dieses Vorgehen sehen Sie sich im Wege der Analogie durch den Gödelsatz legitimiert. Nein, das wäre dieses Missverständnis.

Zweites Thema: Erfahrung. "Wenn man sich darauf einlässt, dass Gott da ist und dass ihm auch an uns Menschen gelegen ist" dann führt das dazu, dass "Ich begriff, dass ich meine Zweifel zurückstellen musste". Gott zwingt also dazu, Zweifel zurückzustellen. Da würde ich Gott einen groben Brief schreiben. Zweifel gehören ausgeräumt, nicht zurückgestellt.

"was mir den Mut gibt, darüber zu sprechen und sie nicht als reines Privaterlebnis zu betrachten". Keine Sorge, gegen Ihren missionarischen Direktzubiss habe ich keine Einwände wegen der Direktheit. Gegen den Inhalt schon.

Fritz Kurz

Antwort auf von Fritz Kurz (nicht registriert)

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Ich weiß, dass es bei Gödels Unvollständigkeitssatz um Aussagen geht, die nicht beweisbar sind, obwohl sie wahr sind. Interessant finde ich aber die Frage, ob es sich dabei um ein Phänomen handelt, das nur für mathematische Theorien gilt oder ist es auch auf andere Gebiete anwendbar, auf denen etwas bewiesen werden soll? Anders gesagt: Kann man Gödel als ein Modell dafür heranziehen, dass - etwa Gottesbeweise - immer unbeweisbare Annahmen voraussetzen? Sie wissen wahrscheinlich, dass sich auch Gödel selbst mit dem ontologischen Gottesbeweis beschäftigt und herausgearbeitet hat, dass die Aussage, dass ein göttliches Wesen notwendigerweise existiert, logisch herzuleiten ist, vorausgesetzt dass die von Gödel angeführte Definition Gottes ("Göttlich ist ein Wesen, falls es alle positiven Eigenschaften besitzt") akzeptiert wird. Ist die Beschäftigung mit dem Gottesbeweis vielleicht ein Hinweis darauf, dass Gödel mathematische Einsichten als Modell für Beweise auch auf anderen Gebieten ansah? Wenn man das verneinen müsste, hätte ich mit Gödel kein gutes Beispiel genannt. Das ändert aber nichts daran, dass für Leibniz oder andere Gottesbeweise der christlichen Tradition zutrifft, dass bei ihnen Vorentscheidungen vorausgesetzt sind, und der Beweis diese Vorentscheidungen rational untermauert. Ich bin auch nach wie vor davon überzeugt, dass es auf vielen Gebieten der Forschung wie des Lebens nicht anders ist. Ich erinnere mich z.B. daran, dass der Physiker Walter Thirring in einem Seminar sagte, in der Wissenschaft müsse man mehr glauben als in der Kirche. Aber gehen wir zum Thema "Erfahrung": Ja, Zweifel müssen überwunden werden, vielleicht können sie auch ausgeräumt werden. Nach meiner eigenen und der Erfahrung vieler anderer geht das im Glaubensleben aber nicht, ohne sie zunächst zurückzustellen. Das ist kein "missionarischer Direktzubiss" - und das kann es auch nicht sein, weil ich darüber überhaupt nur geschrieben habe, weil ich den Eindruck hatte, dass Sie wissen wollten, wie ich meinen Glauben begründe. Ob Sie bereit sind, sich trotz Zweifeln auf den Glauben erst einmal einzulassen, um dann - so Gott will - zu erfahren, dass Ihre Zweifel an Bedeutung verlieren oder ausgeräumt werden, das entscheiden Sie natürlich selbst. Mir liegt nichts an einem "Zubiss" wie mir auch nichts daran liegt, sie zu "diskreditieren", weil ich der Überzeugung bin, dass auch ihre nichtreligiöse, vielleicht atheistische, Einstellung Vorentscheidungen enthält. Die Diskreditierung hatten Sie mir in einem älteren Beitrag vorgehalten. Aber wenn Sie die Argumentation eines Christen ständig in dieser negativen Weise bewerten - warum führen Sie überhaupt diesen Dialog mit mir? Hat Sie irgendjemand genötigt, sich auf einer kirchlichen Seite zu Wort zu melden. Aber wenn Sie es tun, dann kann es Sie ja kaum wundern, wenn Sie Antworten aus christlicher Sicht bekommen.

Gödels Gottesbeweis benötigt einiges mehr als nur die von Ihnen angegebene Definition 1. Nämlich:

Definition 2: Eine Eigenschaft eines Wesens heißt wesentlich, wenn alle weiteren Eigenschaften dieses Wesens daraus notwendig folgen.

Definition 3: Ein Wesen existiert notwendig, wenn alle seine wesentlichen Eigenschaften notwendig sind.

Axiom 1: Jede Eigenschaft ist entweder positiv oder nicht positiv.

Axiom 2: Was notwendig eine positive Eigenschaft enthält, ist selber positiv.

Axiom 3: Göttlichkeit ist eine positive Eigenschaft.

Axiom 4: Jede positive Eigenschaft ist notwendig positiv.

Axiom 5: Die Eigenschaft der notwendigen Existenz ist positiv.

Sollen wir über dieses Wesen diskutieren? Falls ja, gerne. Als Einstieg wäre https://www.atheisten-info.at/infos/info2052.html
geeignet. Oder wollen wir über den Gott diskutieren, den Sie in Ihrem Erfahrungsbericht angeführt haben? Oder ist Ihre Behauptung, diese beiden Götter wären dieselben?

"...dass bei ihnen Vorentscheidungen vorausgesetzt sind, und der Beweis diese Vorentscheidungen rational untermauert." Ein Beweis ist dazu da, strittige Fragen zu klären. Wenn hingegen eine Entscheidung getroffen wurde - die Umbenennung in Vorentscheidung ändert nichts daran -, gibt es nichts mehr zu beweisen, weil die Entscheidung gefallen ist.

"Hat Sie irgendjemand genötigt, sich auf einer kirchlichen Seite zu Wort zu melden." Nein, ich bin freiwillig, vorsätzlich und frohen Mutes hier.

"kann es Sie ja kaum wundern, wenn Sie Antworten aus christlicher Sicht bekommen." Ich wundere mich nicht, ich freue mich sogar darüber. Über manche Sorte von christlicher Antwort besonders. Schließlich bin ich zum Diskutieren hier.

Mein hässliches Diktum vom missionarischen Direktzubiss bezog sich nicht speziell auf Ihre Aufforderung, Zweifel zurückzustellen. Damit meine ich, dass wir im Rahmen der Artikelserie "Religion für Einsteiger" diskutieren, deren Akquisestrategie für neue Gläubige deutlich anders angelegt ist als Ihre direkte Aufforderung, es doch mal mit Gott zu probieren. Wie bereits gesagt, mich stört diese Direktheit keineswegs.

Fritz Kurz

Ich kenne Gödels Gottesbeweis schon lange und weiß, dass er mehr benötigt als die eine von mir zitierte Definition. Allerdings geht es ja darum, den ontologischen Gottesbeweis mit Mitteln der Modallogik nachzuvollziehen - und beim ontologischen Beweis ist die Gottesdefinition zentral. Das ist bei Anselm so, auch bei Leibniz, und Leibniz ist Gödels Stichwortgeber. Bei der von Ihnen genannten Seite wundert mich etwas, dass Leibniz' ontologischer Gottesbeweis gleich zu beginn als "gescheitert" bezeichnet wird, dann aber behauptet wird, der ontologische Gottesbeweis Gödels gelte nach wie vor als unwiderlegbar. Wer hat das denn je behauptet? Wenn Leibniz nicht funktioniert, funktioniert Gödel auch nicht. Die Funktion beider hängt davon ab, ob man 1. das Gute und das Sein zusammendenkt (das Böse ist dann das weniger oder sehr wenig Gute), ob man 2. den Gedanken eines absoluten Guten, von dem alles andere abhängt, für sinnvoll oder gar denknotwendig hält, und ob man 3. dafür votiert, dass dieses absolute Gute das ist, was wir "Gott" nennen. Wenn Sie diese Voraussetzungen - die platonische Denktradition - teilen, dann leuchtet Gödels Definition 1., dass das gottähnlich ist, was alle positiven Eigenschaften besitzt, z.B. ein. Wenn Sie die Voraussetzungen nicht teilen, brauchen Sie sich über den Rest keine Gedanken mehr zu machen. Wenn wir ernsthaft über den Beweis diskutieren wollten, müssten wir, bevor wir Gödels Schlussverfahren nachvollziehen, über die philosophischen Voraussetzungen diskutieren. Wahrscheinlich kennen Sie auch die sympathischen Diskutanten vom "ketzerpodcast" bei "YouTube" (das "sympathisch" meine ich hier ernst, ich kenne die Leute allerdings nur aus ihren Diskussionsmitschnitten im Netz, aber da wirken sie so). Von denen gibt es auch einen Beitrag zu Gödels Gottesbeweis - aber da merkt man völlig, dass Ihnen die philosophischen Voraussetzungen völlig fremd sind, so dass sie letztlich damit gar nichts anfangen können. Was uns beide angeht, so
gehe ich davon aus, dass wir uns über diese Voraussetzungen nicht werden einigen können. Eine wirkliche Diskussion erübrigt sich wohl. Was die Identität des Gottes, von dem Gottesbeweise handeln, mit dem Gott meines Glaubens und meiner Erfahrung angeht, so würde ich sie selbstverständlich behaupten. Aber das finden Sie seit dem Mittelalter in jeder christlichen Dogmatik. Nur bleibt der Gott der Gottesbeweise auf einer philosophischen Ebene, setzt also - jedenfalls dem Anspruch nach - keine spezielleren Gotteserfahrungen, nicht einmal eine Näherbestimmung im Sinne einer bestimmten Religion voraus. Die philosophischen Gottesbeweise sollten Juden, Muslime und philosophische Theisten ohne konfessionelle Ausrichtung gleichermaßen überzeugen. Für Christen sind sie der Versuch, den Glauben an Gott mit den Mitteln des Denkens rational einzuholen. Dass die Gottesbeweise Vorentscheidungen enthalten und letztlich auch Annahmen, die als solche nicht beweisbar sind, ist völlig unbestritten. Darüber können Sie sich in jedem philosophischen Lexikon unter dem Stichwort "Gottesbeweis" informieren. Wenn ein Beweis für Sie keine Vorentscheidungen enthalten kann, sind die Gottesbeweise tatsächlich keine Beweise in ihrem Sinn. Dennoch sind sie nicht überflüssig, da es ja auch rationale Vergewisserungen und Klärungen von Vorentscheidungen geben kann. Dass ich Sie auffordere, es mit Gott zu versuchen, ist aus meiner Sicht deshalb sinnvoll, weil der lebendige Gott in den philosophischen Formulierungen der Gottesbeweise immer etwas Abstraktes bleibt. Gott kennenlernen, heißt, mit ihm reden und sich ihm öffnen. Das haben manche Denker allerdings auch gewusst. Für Thomas von Aquin war die philosophische Frage nach Gott der Vorhof, der religiöse Umgang mit Gott dann der Tempel selbst, in dem er eigentlich lebte. Schön, dass Sie diese Direktheit nicht stört - und nochmal: Verstehen Sie es bitte nicht als "Zubiss". Es gehört dazu, wenn ich über meinen Glauben an Gott reden soll - und wenn Sie fragen, kann und möchte ich es, nicht als "Akquisitionsstrategie", sondern als Antwort auf Ihre Frage, nun einmal nicht verschweigen.

Sie würden gerne über etwas diskutieren, über das nichts Größeres diskutiert werden kann? Da bin ich sofort dabei. Einstieg:

1.) Der Tor sprach in seinem Herzen: "Ich habe so viele Euros auf meinem Konto, dass darüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann." Was passiert mit diesem Toren? Er landet entweder im Knast wegen Kontoüberziehung in betrügerischer Absicht oder er wird unter Pflegschaft gestellt, weil er seine Alltagsgeschäfte offenbar nicht mehr führen kann.

2.) Der Tor sprach in seinem Herzen: "Ich habe Gott in meinem Herzen, über den hinaus nichts Größeres gedacht werden kann." Was passiert mit diesem Toren? Er wird Philosophie- oder Theologieprofessor (möglicherweise erst nach einer Zeitreise um 200 Jahre in die Vergangenheit).

Fragen: Treffen 1.) und 2.) zu? Wenn ja, was können wir daraus schließen bezüglich der Gesellschaft, wo solches beides möglich ist?

Fritz Kurz

Ganz einfach: Wir schließen daraus, dass Gott als das, "über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann", eben nicht mit Euros verglichen werden kann. Die Kritik, die Sie vorbringen, ist tatsächlich schon etwas über 200 Jahre alt. Schon Kant bringt in der Kritik am ontologischen Gottesbeweis Geld ins Spiel. Damals waren es noch Taler. Dabei ist die Gottesdefinition, die dem ontologischen Argument zu Grunde liegt, aber nicht richtig ernst genommen. "Das, über das hinaus nichts größeres gedacht werden kann", ist nicht irgend ein Seiendes in der Welt, sei es ein Haufen Taler, ein Kontostand in Euro oder eine Kiste mit guten Zigarren - alles das kann man sich größer oder kleiner vorstellen und ebenso kann man es sich existierend oder nicht existierend vorstellen. "Das, über das hinaus nichts größeres gedacht werden kann", ist dagegen der Grund des Seins und - entsprechend platonischer Tradition - das Gute schlechthin. So notiert übrigens auch Gödel in den philosophischen Notizen zu seinem Gottesbeweis, es sei unmöglich, die Formulierung "alle positiven Eigenschaften" in seinem Gottesbeweis einfach mit "gut" wiederzugeben. Es gehe um das Gute ohne jeden Mangel bzw. das "Perfektive" (ich zitierte aus dem Gedächtnis, aber hoffentlich richtig). Ein Kontostand in Euro ist sicher kein "Perfektives" in diesem Sinn. Also: Mit Ihrem Argument ist dem nicht beizukommen, und ich komme auf die Fragen zurück, die ich in meinem letzten Beitrag formuliert habe. Ist es sinnvoll, vielleicht sogar denknotwendig, ein solches schlechthin Gutes oder Seiendes als Grund allen Seins zu denken? Darüber muss man sich klar werden, wenn man sich ein Urteil über den ontologischen Gottesbeweis bilden will. Und wenn man das ablehnt, muss man diesen Beweis natürlich auch ablehnen. - Im Übrigen habe ich mittlerweile im Netz gefunden, dass es offenbar christliche Kreise gibt, die sich auf Gödels Gottesbeweis als endgültige mathematische Bestätigung der Existenz Gottes berufen. Das ist natürlich Unsinn. Ich verstehe jetzt aber, wogegen sich die von Ihnen genannte Atheisten-Seite wendet, wenn sie behauptet, dass manche Gödels Beweis für unwiderlegbar hielten. Das stimmt natürlich tatsächlich nicht: Es hängt an der oben genannten Grundentscheidung. Und um nochmal auf den Unvollständigkeitssatz zurückzukommen: Dass ein vollkommen Gutes anzunehmen ist, ist doch wohl - jetzt auf den Gottesbeweis bezogen - eine Aussage, die innerhalb der Theorie nicht bewiesen werden kann. Vergleichbare Voraussetzungen machen alle anderen Gottesbeweise und Beweise gegen die Existenz Gottes doch wohl auch. Darauf wollte ich mit meiner Erwähnung Gödels ursprünglich hinaus.

Antwort auf von Meik Gerhards (nicht registriert)

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"Wir schließen daraus, dass Gott als das, "über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann", eben nicht mit Euros verglichen werden kann". Da könnte es sich um einen Fehlschluss handeln. Wer sich mit dem Konstrukt "Grund alles Seins" beschäftigt, also postuliert, es gäbe so einen Universalgrund, sollte sich vielleicht mal den Gründen für wesentliche Aspekte des Seins zuwenden. Solche Aspekte wären Dürftigkeit und Überfluss, der Zwang, von einem Job leben zu müssen, die Freiheit, kreativ Arbeitsplätze zu schaffen, zu gestalten und zu vernichten, Krieg und Frieden als Zivilist, Soldat, General oder Staatslenker erleben zu dürfen oder zu müssen. "Geld" ist sicher nicht der Grund dafür. Die Verfasstheit der Gesellschaft als eine, in der die erfolgreiche Geldvermehrung sichergestellt sein muss, jedoch schon. Der oder die Gründe für das Sosein machen vielleicht den vermuteten Grund für das Überhauptsein uninteressant.

Auf die schnöden Taler zu verweisen soll die Gottesdefinition nicht ernst nehmen. Ich fürchte, Anselm und die Verfechter des ontologischen Gottesbeweises nehmen ihre eigene Gottesdefinition nicht ernst. Einerseits "aliquid quo nihil maius cogitari possit", dann aber einen faustdicken Göttervergleich hinlegen im Fortgang des der Form nach indirekten Beweises. Das nimmt die Definition nicht ernst. Zwei so Göttereumel (der existente und der nur vorgestellte) am Maßstab der Vollkommenheit zu vergleichen nimmt weder die Gottesdefinition noch die Bedeutung des Begriffs vollkommen ernst.

"Ist es sinnvoll, vielleicht sogar denknotwendig, ein solches schlechthin Gutes oder Seiendes als Grund allen Seins zu denken?" Das ist weder denknotwendig, noch sinnvoll, sondern falsch.

Der Grund unserer Diskussion, die immerhin Teil allen Seins ist, liegt im Interesse an der Sache und den unterschiedlichen Meinungen dazu. Selbst wenn eine unserer Meinungen dazu dem schlechthin Guten entsprungen sein sollte, kann es die gegenteilige Meinung gerade nicht sein. Also habe ich vorentscheidungsfrei gezeigt, dass Gott als Grund allen Seins ein Irrtum ist.

Wetten, Sie halten diesen Irrtum für einen Irrtum?

Fritz Kurz

Wenn ich das, was Sie selbst einen "Irrtum" nennen, für einen Irrtum halten soll, sind wir uns ja offenbar einig.
Tatsächlich haben Sie gar nichts gezeigt, vor allem nicht vorentscheidungsfrei. Einen irgendwie nachvollziehbaren Gedankengang kann ich in Ihrem Beitrag nicht erkennen, sondern ein paar flache Stereotype, besonders dort wo Sie das Interesse am Grund des Seins und den Gründen für wesentliche Aspekte des wahren Seins gegenüberstellen. Sie wissen sicher genauso gut wie ich, dass sich sowohl die Kirchen als Organisationen als auch Einzelne aus christlicher Grundüberzeugung immer sozial und auch politisch engagiert haben, um die Verhältnisse in dieser Welt zu verbessern. Insofern ist der Gegensatz, den Sie hier aufbauen, ein flaches Stereotyp aufklärerischer und in dieser Tradition dann auch marxistischer und anderer Religionskritik. Was Sie zu Anselm und dem ontologischen Gottesbeweis schreiben, sieht mir nicht so aus, als wollten Sie überhaupt auch nur verstehen, worum es den Vertretern dieses Arguments geht. Sie haben ja auch vorher schon gesagt, dass Ihnen offenbar die Gründe des Soseins in dieser Welt wichtiger sind als der Grund des Überhauptseins. Mir bleibt immer noch schleierhaft, warum Sie sich dann überhaupt in einem Forum zu Wort melden, das sich religiösen Fragen widmet. Vielleicht halten aber auch Sie es für einfacher, sich über den Grund des Überhauptseins zu unterhalten als über konkrete Fragen des Lebens in dieser Welt. Wo es um die Sicherstellung der Geldvermehrung in der Gesellschaft, um Jobs, von denen man lebt, um Krieg und Frieden geht, da werden die Dinge nämlich gleich viel komplexer und man kann sich mit konkreten Maßnahmen - auch sehr gut gemeinten - ganz schnell die Finger schmutzig machen. Wenn man das erst einmal begriffen hat, dann stellen sich vielleicht die Fragen nach dem Grund des Überhauptseins ganz neu, z.B. nach dem Sinn menschlichen Lebens, der einen auch in der Verstrickung in die ernsten Probleme des gesellschaftlichen und des täglichen Lebens des Einzelnen, trägt. Bei Ihnen glaube ich aber, an einigen Stellen eine Provokationslust wahrzunehmen, die auf mich eher einen "halbstarken" oder "pubertären" Eindruck macht - ich gebe nur einen Eindruck wieder und behaupte nicht, dass es so ist. Sollte das aber tatsächlich der Fall sein, könnte man vielleicht daraus schließen, dass Ihnen der Ernst der Fragen, die Sie selbst ansprechen - sowohl im Blick auf den Grund allen Seins als auch im Blick auf die Gründe des Soseins in dieser Welt - noch gar nicht aufgegangen ist. Wie gesagt: Es ist nur ein Eindruck, der sich nicht zuletzt aus Ihrem letzten Beitrag ergibt. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich hier falsch liege. Aber Sie können es ja auch zeigen, dass es Ihnen nicht nur um oberflächliche Provokation geht, indem Sie zu ernsthaftem Diskutieren zurückkehren.

die Sie da bieten.

"Einen irgendwie nachvollziehbaren Gedankengang kann ich in Ihrem Beitrag nicht erkennen". Sorry, da war ich wohl zu schnell. Also ausführlicher: Sie haben sich dazu entschieden, in Übereinstimmung mit ebenso altehrwürdigen wie unzutreffenden philosophischen Vorstellungen, EINEN Grund für alles Sein zu postulieren. Wenn das Sein aber nicht ein harmonisches Ganzes, sondern ein durchaus von Widersprüchen geprägtes Ensemble ist, dann müsste dieser EINE Grund gleichzeitig Grund für beide Seiten des Widerspruchs sein. Das kann aber nicht sein. Wenn ich bei der Suche nach dem Grund für den Frieden auf genau dasselbe komme, was ich als Grund für den Krieg ansehe, dann habe ich entweder den Grund für den Krieg oder den Grund für den Frieden oder beide Gründe verpasst. Jetzt klar? Statt Krieg und Frieden hatte ich unsere Diskussion als Erläuterungsbeispiel gewählt.

".....um die Verhältnisse in dieser Welt zu verbessern." Haargenau! Statt die Verhältnisse zu analysieren, sich von vornherein auf ihre Seite schlagen, und sie so großartig finden, dass man sie sogar noch verbessern will. Um diese herrschaftsdienliche Funktion des Glaubens geht es. Haben Sie Dank für Ihre an Klarheit nichts zu wünschen übrig lassende Stellungnahme!

"Mir bleibt immer noch schleierhaft, warum Sie sich dann überhaupt in einem Forum zu Wort melden, das sich religiösen Fragen widmet." Das hatten wir schon. Ich bin immer noch der Meinung, dass man auch mit Gläubigen diskutieren kann und sie nicht von vornherein als hoffnungslose Fälle abschreiben muss.

"ganz schnell die Finger schmutzig machen" In der Tat. Welcher Schmutz, welche Finger, wie kommt der Schmutz auf die Finger? Ist Händewaschen, Finger abhacken oder sich ins Religiöse flüchten der heiße Tipp?

"dann stellen sich vielleicht die Fragen nach dem Grund des Überhauptseins ganz neu, z.B. nach dem Sinn menschlichen Lebens" Die berühmte Frage nach dem Sinn des Lebens ist keine Frage, sondern eine in Frageform gebrachte falsche Antwort. Diese falsche Antwort lautet ausführlicher: Liebe gewöhnliche Zeitgenossen, nehmt Eure Interessen nicht ernst, sondern erfindet hinter, über, unter und neben euren Interessen eine Chimäre namens Sinn des Lebens. Den müsst ihr dann suchen, finden, verlieren und wiederfinden. Damit seid ihr voll beschäftigt. Das tröstet dann darüber hinweg, dass eurer schnöden Interessenwahrnehmung im Regelfall wenig Erfolg beschieden ist.

Fritz Kurz

"Wenn ich bei der Suche nach dem Grund für den Frieden auf genau dasselbe komme, was ich als Grund für den Krieg ansehe, dann habe ich entweder den Grund für den Krieg oder den Grund für den Frieden oder beide Gründe verpasst. Jetzt klar?" - Das wäre dann klar, wenn Krieg und Frieden (oder analog dazu: Tod und Leben, Krankheit und Gesundheit etc.) gleichen Wert hätten. Das behauptet aber niemand. Wir setzen das Leben, die Gesundheit, den Frieden als Normalfall; den Tod als Negation, die Krankheit und den Krieg als Störung, die man verhindern oder beheben bzw. allenfalls als notwendiges Übel zu rechtfertigen sucht. Die von Ihnen genannte "altehrwürdige Tradition", einen Grund für alles Sein anzunehmen, d.h. die platonisch-christliche Tradition, geht vom Staunen über die Tatsache des Seins und des Lebens aus, von der Freude am Leben, von der Intuition eines Lebenssinns. Die Negationen und Störungen sind dann auf Freiheitsgrade und Mängel innerhalb der vorfindlichen Welt zurückzuführen, die ihrem Ursprung nicht gleich ist und sich gegen ihn wenden kann. Das ist christlich gesprochen "Sünde" bzw. philosophisch gesprochen die drei Übel (metaphysisch, physisch, moralisch) der Leibniz'schen "Theodizee". Wir gehen hierbei von Voraussetzungen aus, die letztlich im Lebensvollzug begründet und damit zutiefst existentiell sind - könnte jemand leben, der Tod, Krankheit, Krieg als Normalfall setzt? - und kommen von daher durchaus zu einem rational durchsichtigen Erklärungsansatz. Die Frage, die letztlich bleibt, ist, ob die zugrundeliegende Sinn-Intuition nicht ein Irrtum ist. Wer einen naturalistischen Ansatz vertritt, wird das verneinen. Hier geht es um die Frage, welchen methodisch abgesicherten Grad Erkenntnisse haben müssen, damit man sich darauf einlassen kann. Darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Aus einer langen Diskussionserfahrung sage ich noch einmal, dass man hier ohne Glaubensentscheidungen nicht auskommt. Aber mit so einfachen, flachen Argumenten wie Sie glauben kann man die platonisch-christliche Denktradition nicht aushebeln. Wahrscheinlich wäre sie sonst auch nicht so oft von intelligenten Menschen vertreten worden. Das ist z.B. das, was ich bei Ihnen als "halbstark" empfinde: Ohne die Komplexität der Dinge verstanden zu haben (jedenfalls erwecken Sie den Eindruck), mal mit schlichten Einwänden drauf hauen, ohne sich zu fragen, warum intelligente Leute auch anders gedacht haben.
Ich habe geschrieben: ".....um die Verhältnisse in dieser Welt zu verbessern." Und damit habe ich Ihnen eine große Freude gemacht, denn Sie antworten: "Haargenau! Statt die Verhältnisse zu analysieren, sich von vornherein auf ihre Seite schlagen, und sie so großartig finden, dass man sie sogar noch verbessern will". - Jedoch: Wie man Verhältnisse, die man für verbesserungswürdig, teilweise sogar für verbesserungs-notwendig hält, zugleich "großartig" finden kann, müssten Sie mir erklären. Hier scheint mir Ihr Satz in sich widersprüchlich zu sein. Vor allem: Was ist Ihre Alternative? Die Verhältnisse dieser Welt nicht, wo nötig, verbessern, sondern - ganz abschaffen? Oder bei der Analyse bleiben? Wobei das letztlich Untätigkeit bedeuten wird. Und schließlich: Was sind die Maßstäbe Ihrer Analyse. Setzen Sie dabei Krieg und Frieden, Tod und Leben, Krankheit und Gesundheit auf eine Ebene wie Sie es in Ihrer Kritik an der platonisch-christlichen Tradition tun? Oder würden Sie dem Frieden, dem Leben, der Gesundheit in den von Ihnen angestrebten Maßnahmen zur Gestaltung der Welt einen Vorzug einräumen? Sollte letzteres zutreffen, würde ich Sie bitten, dass Sie diesen Vorzug auch begründen.
"Welcher Schmutz, welche Finger, wie kommt der Schmutz auf die Finger? Ist Händewaschen, Finger abhacken oder sich ins Religiöse flüchten der heiße Tipp?" - Der Schmutz kommt schnell auf die Finger, sobald Sie in einer komplexen politischen Frage eine Entscheidung fällen. Dann stellen sich oft Konflikte, aus denen Sie nicht so einfach herauskommen: Thema Kohleausstieg (Klimaschutz contra Arbeitsplätze); Thema: Flüchtlingskrise (Asylrecht contra Identitätsprobleme der eingesessenen Bevölkerung und Leistungsfähigkeit des Sozialstaats - weltpolitische Hintergründe hier einmal ausgeblendet) usw. usf. Um eine "Flucht ins Religiöse" kann es demgegenüber gar nicht gehen, weil auch der religiöse Mensch, der Verantwortung übernimmt, aus diesen Problemen gar nicht aussteigen kann - selbst wenn gewisse Sonntagsreden von Pastoren und Kirchenfürsten auf Grund von schlichter Moralpropaganda manchmal diesen Eindruck erwecken. Der religiöse Mensch kann aber in seiner Verstrickung in die verschiedenen Ansprüche in der Vergebungs- und Erlösungsgewissheit Trost finden.

"Wir setzen das Leben, die Gesundheit, den Frieden als Normalfall; den Tod als Negation, die Krankheit und den Krieg als Störung" Von Vorurteilen dieser Art rate ich ab. Dadurch verpasst man nämlich gerade, was es mit Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit, Frieden und Krieg auf sich hat.

Das Leben hat sich in einem sehr langwierigen Prozess, der in wichtigen Teilen noch unbekannt ist, aus der unbelebten Materie entwickelt. Es ist blanke Ideologie, das Leben als Normalfall zu bezeichnen. Bei den höheren Lebewesen, insbesondere bei homo sapiens, ist kaum etwas so sicher und normal wie der Tod. Wer stirbt, erleidet nicht die Störung eines Normalfalles namens Leben, sondern zeigt, was normal ist und was nur als Vorurteil taugt.

Bei Krieg und Frieden ist die Vorstellung vom Frieden als Normalfall noch irreführender. Alle maßgeblichen Staaten halten sich Militärapparate, die sie einsetzen. Die Zivilgesellschaften, hier insbesondere die christlichen Kirchen, bedienen die ihnen zukommende ideologische Pflege dieser Normalität des Militärs, in dem sie heftig zum Frieden mahnen und ansonsten dafür sorgen, dass anständige Bürger anständig Steuern zahlen, anständige Berufe wie den des Soldaten ausüben und anständige Kriegsgründe jederzeit abgerufen werden können.

Das Ergebnis ist bekannt. Weltweit laufen jederzeit satte Stückzahlen von Kriegen. Als Frieden geht dann durch, wenn aktuell nicht geballert wird, aber alles daran gesetzt wird, bei der nächsten Schlächterei auf der Siegerseite zu stehen.

Gesundheit als Normalfall und Krankheit als Störung? Nein, die Gesundheit der Zeitgenossen wird vernutzt, um sehr angebbare Ziele durchzusetzen. Das ist die aktuelle Normalität.

"Wie man Verhältnisse, die man für verbesserungswürdig, teilweise sogar für verbesserungs-notwendig hält, zugleich "großartig" finden kann, müssten Sie mir erklären."

Sie machen das doch gerade vor. Sie halten die platonisch-christliche Tradition für ziemlich großartig, wegen der Sünde kann man aber doch nicht die Hände in den Schoß legen. Ansonsten weiß jedes Schulkind und jeder anständige Mensch, dass Marktwirtschaft und Demokratie unschlagbar großartig sind, leider aber noch immer Probleme bestehen, die mit viel gutem Willen gelöst werden müssen.

"Der religiöse Mensch kann aber in seiner Verstrickung in die verschiedenen Ansprüche in der Vergebungs- und Erlösungsgewissheit Trost finden."

Völlig richtig. Wem allerdings nicht die Tröstung der Gläubigen, sondern der unnatürliche Tod, der Krieg und die systematische Gesundheitsschädigung der Zeitgenossen ein Anliegen ist, sollte sich nicht in die Vergebungs- und Erlösungsgewissheiten platonisch-christlicher Machart verstricken lassen. Statt dessen klären, was es mit Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit, Frieden und Krieg auf sich hat. Das kann er nur, wenn er nicht mit dem Vorurteil beginnt, dass eine sei normal und das andere eine Störung.

Fritz Kurz

Das ist nun einmal die Kernfrage: Idealismus oder Naturalismus? Was Sie vertreten, ist ein naturalistischer Ansatz, bei dem die Welt nun einmal so aussieht, wie Sie sie beschreiben. Dass sich das Leben aus einem langen Prozess aus unbelebter Materie entwickelt hat, ist ja auch unstrittig. Die Frage, um die es geht, ist die, ob dieser Prozess zufällig abgelaufen ist oder ob dahinter ein höherer Zweck steht. Die Naturwissenschaft, wie sie sich seit dem 16./17. Jh. entwickelt hat, kann darin nur Zufall sehen - aber auch das ist keine wirkliche objektive Entscheidung, weil dahinter die Entscheidung steht, Finalursachen wie sie die aristotelische Logik annimmt, nicht zu akzeptieren. Operativ - also im Kontext der wissenschaftlichen Theoriebildung - ist diese Entscheidung sinnvoll, in jedem Fall legitim. Aber wir kommen damit wieder darauf zurück, was wir schon vor einigen Wochen angesprochen haben: Es ist nicht abgesichert, dass damit ein Urteil über die Gesamtwirklichkeit möglich ist. Die menschliche Sinnintuition steht z.B. dagegen. Und wer sagt, dass diese Intuition unzulässig oder illusionär ist? Die Wissenschaft kann dazu letztlich gar nichts sagen, weil es ihren Forschungsbereich überschreitet. Und was Sie und mich angeht: Ich habe gar nichts dagegen, dass Sie einen naturalistischen Ansatz vertreten. Ich bin nur der Auffassung, dass Sie sich täuschen, wenn Sie diesen Ansatz für selbstverständlich halten, weil auch Sie - wie ich bereits sagte - hier eine Glaubensentscheidung gefällt haben.
Die Religion hält im Übrigen nicht nur Tröstungen der Gläubigen bereit, sondern stiftet auch immer wieder Zuwendung zur Welt, die sie ja (jedenfalls die Religionen der westlichen Tradition, beim Buddhismus etwa müsste man hierzu anderes feststellen) als gut, gewollt und sinnvoll unterstellt. Es gibt nicht nur "Vergebungs- und Erlösungsgewissheiten", sondern auch z.B. das Gebot der Nächsten- und Feindesliebe und das der Achtung vor der Schöpfung. Von denjenigen, die ich hier schon mehrfach erwähnt habe, ist Leibniz ein gutes Beispiel für einen tiefreligiösen Menschen, der zugleich auf verschiedensten Gebieten in der Welt tätig war bis hin zur Erfindung der hannoverschen Brand- und Hagelversicherung, die vielen Menschen bei entsprechenden Schäden helfen sollte. Was ist dagegen zu sagen? Bei Ihren ganzen Stellungnahmen zu den Fragen der Welt, Krieg, Frieden, Demokratie, Marktwirtschaft höre ich immer eine sehr grundsätzliche Kritik heraus. Alles ist irgendwie ganz schlecht und offenbar gar nicht akzeptabel. Können Sie da vielleicht einfach mal konkreter werden. Ist Demokratie und Marktwirtschaft, die auch ich im Grundsatz bejahe, für Sie ein ideologisches Konstrukt zur Durchsetzung ganz anderer Interessen? Und wenn ja - was schließen Sie daraus? Wie soll man damit umgehen?

"Die Frage, um die es geht, ist die, ob dieser Prozess zufällig abgelaufen ist oder ob dahinter ein höherer Zweck steht." Ja, dies ist die korrekt dargestellte Frage. Ihre Antwort lautet: Diese Frage kann nur per Glaubensentscheid beantwortet werden. Sie haben beim Glaubensentscheid Ihr Kreuz bei "Gott steht hinter allem" gemacht, ich habe das Kreuz beim "Nein" gewählt und leugne überdies, überhaupt in der Wahlkabine gewesen zu sein. Das Kreuz an falscher Stelle würden Sie mir notfalls sogar noch verzeihen, die geleugnete Stimmzettelabgabe aber nicht.

Hier liegt ein Irrtum vor. Ein solcher verpflichtender Glaubensentscheid hat nie stattgefunden. Sie würden zwar gerne ein solches Glaubenszwangsreferendum durchführen lassen. Die Beteiligung daran lehne ich ab. Die Frage, wie die kosmologische, die geologische und die biologische Evolution verlaufen sind, hat sich durchaus ohne Stimmurne im Pfarramt beantworten lassen.

Das Weltall, die Erde und das Leben auf ihr haben sich entwickelt, ohne dass es Hinweise, auch nicht vage, vorläufige oder sonstige, auf einen hinter der Evolution stehenden höheren Zweck gäbe. Im Gegenteil. Evolutionslehre in einem Satz zusammengefasst lautet: Da sitzt keiner, der lenkt.

Wer das bestreitet, sollte seine Einwände vortragen. Ich werde sie sorgfältig durchlesen.

Zu den Gerüchten gehört es, die Naturwirte hätten es bloß vergessen oder aus Verstocktheit unterlassen oder wären unzuständig, nach dem großen Lenker Ausschau zu halten. Nein, der hinter allem stehende Zweck müsste einen Inhalt haben, sonst wäre es kein Zweck. Wie lautet bitte dieser Inhalt? Woran zeigt er sich?

Die causa finalis des Aristoteles ist ein Gemenge von Erkenntnissen über das Zusammenspiel von Körperteilen von Lebewesen, die der Biologie durchaus bekannt sind und von Irrtümern, die hauptsächlich die Physiker bereits widerlegt haben. Ein unsachliches Femegericht der Naturwirte über die Finalursachen insgesamt hat nicht stattgefunden.

Wem es nicht passt, dass sich die Welt ohne Gott entwickelt hat, kann sich seinen Gott dazuerfinden. Er sollte aber darauf verzichten, denen, die diese Dazuerfindung nicht mitmachen wollen, die Teilnahme an einem nicht zu umgehenden Glaubensentscheid anzudichten. Die Welt samt dazuerfundenem Gott schließlich Gesamtwirklichkeit zu nennen, verleiht Gott auch nicht mehr Wirklichkeit.

"Leibniz ... Erfindung der hannoverschen Brand- und Hagelversicherung, die vielen Menschen bei entsprechenden Schäden helfen sollte. Was ist dagegen zu sagen?"

Dagegen ist zu sagen, dass moderne Versicherungen ein Bombengeschäft für die Versicherungsgesellschaften darstellen und keine Wohltätigkeitsveranstaltungen für die Versicherungsnehmer sind. Sollten Sie aus dieser meiner mal wieder voll- oder "halbstarken" Bemerkung "eine sehr grundsätzliche Kritik heraushören", dann beglückwünsche ich Sie zu Ihrem durchaus korrekten Gehör.

"Ist Demokratie und Marktwirtschaft, die auch ich im Grundsatz bejahe, für Sie ein ideologisches Konstrukt zur Durchsetzung ganz anderer Interessen?" Demokratie ist kein ideologisches Konstrukt, sondern eine Herrschaftsform. Marktwirtschaft ist auch kein ideologisches Konstrukt, sondern ein Oberbegriff zu einer Reihe von Produktionsverhältnissen.

"Alles ist irgendwie ganz schlecht und offenbar gar nicht akzeptabel." Mit gut, akzeptabel und schlecht begäbe man sich auf das sehr beliebte Feld der moralisch-ethischen Wertung. Wie wäre es mal damit, ganz vorentscheidungsfrei darauf zu achten, wie Demokratie und Marktwirschaft funktionieren, wer welchen Schaden und welchen Nutzen davon trägt und wessen Begeisterung für diese beiden heiligen modernen Kühe somit angebracht ist und wer sich mit dieser landesüblichen Begeisterung ins eigene Fleisch schneidet? Zieht man dann noch in Betracht, dass auch Gott ein Fan von freien Wahlen, gelungenen Geschäften und zuwendungsvoller Betreuung der dabei notwendig anfallenden Opfer ist, könnten die zwei bisher unverbundenen Stränge der Diskussion Berührungspunkte finden.

Aus persönlichen Gründen wird mein nächster Beitrag erst in ca. einer Woche verfasst werden können.

Fritz Kurz

Wenn ich Ihren Hinweis am Schluss richtig verstehe, müssten Sie nun wieder in der Lage sein, hier weiterzulesen. Ich weiß allerdings nicht, ob es Sinn hat, unsere Diskussion weiterzuführen. Ich sehe darin keinen Zweck mehr, weil ich den Eindruck habe, dass Sie überhaupt nicht willens, vielleicht aber auch nicht in der Lage sind, über die Dinge, über die Sie hier schreiben, ernsthaft nachzudenken. Sie unterstellen mir z.B., dass ich ein "Glaubenszwangsreferendum" durchführen will. Das ist Unsinn. Was sollte mir daran liegen, Sie zu einem Referendum zu zwingen? Der Zwang zu dem, was ich "Glaubensentscheidungen" oder "Vorentscheidungen" nenne, liegt in der Sache selbst. Deshalb sind Sie - wie wir alle - genötigt, eine entsprechende Entscheidung zu fällen, wenn Sie ein Urteil über die Welt als Ganze bzw. ihren Sinn fällen wollen. Und das machen Sie die ganze Zeit - wobei auch Ihre Entscheidung gegen einen Sinn der Welt eine solche Vorentscheidung ist. Ich kenne genügend Menschen, die entschieden irreligiös sind, sich z.T. auch als entschiedene Atheisten bezeichnen, und die dies sehr wohl wissen, weil sie nachdenklich genug sind. Bei Ihnen ist das anders. Sie schreiben auch: "Das Weltall, die Erde und das Leben auf ihr haben sich entwickelt, ohne dass es Hinweise, auch nicht vage, vorläufige oder sonstige, auf einen hinter der Evolution stehenden höheren Zweck gäbe. Im Gegenteil. Evolutionslehre in einem Satz zusammengefasst lautet: Da sitzt keiner, der lenkt". Gehen wir nun einmal davon aus, dass Sie unter "Evolutionslehre" eine Theorie verstehen, die die Entwicklung der Welt, des Lebens und der Arten aus rein immanenten Kausalursachen erklärt. Dann wäre der Satz, dass diese Evolutionslehre keinen Zweck bzw. keinen, der lenkt, feststellen kann, so banal wie der Satz: "Man wird nass, wenn es regnet". Ich erkenne an, dass Sie mich nicht mit solchen Banalitäten langweilen. Sie sagen etwas viel Spannenderes: Die Evolutionslehre besage, dass da keiner ist, der lenkt. Dieser Satz ist aber falsch, weil Sie damit eine Aussage über eine Finalursache treffen - wenn auch in der Form, dass die Evolutionstheorie gezeigt habe, dass es diese Finalursache nicht gibt. Wie aber die Evolutionslehre, wenn sie von vornherein Finalursachen gar nicht berücksichtigt, ergeben kann, dass es keine Finalursachen gibt, bleibt bei Ihnen offen. Was Sie hier machen - ohne sich dessen bewusst zu sein - ist nichts weiter als Folgendes: Sie geben einen Eindruck wieder, der präzise ausgedrückt lautet: "Das Evolutionsgeschehen sieht so aus, als ob da niemand wäre, der lenkt". Damit wird es schon wieder langweilig, denn dass dieser Satz viel für sich hat, wird jeder unterschreiben, der sich je ernsthaft mit der Evolutionstheorie beschäftigt hat. Es bleibt aber im Blick auf die Finalursache die viel grundsätzlichere Frage: Ist die Evolutionstheorie tatsächlich in der Lage, Aussagen über die Welt als Ganzes zu treffen? Wie zum Beispiel erklärt sie, dass aus unbewusster Materie Lebewesen wie wir Menschen hervorgegangen sind, die weit über ihren Lebenshorizont hinaus transzendieren, die eine Sinnintuition und eine Gerechtigkeitsintuition entwickeln, die aber völlig haltlos sind (allenfalls ein illusionärer Schein, der vielleicht einen Überlebensvorteil bedeutet), wenn das menschliche Leben aus einem ziel- und damit letztlich sinnlosen Evolutionsprozess hervorgegangen ist. Der Wissenschaftstheoretiker Holm Tetens hat vor einigen Jahren bemerkt, dass der Naturalismus darin ein erhebliches Defizit hat, dass für den Menschen als selbstbezügliches Subjekt mit seinen Sinnfragen im Rahmen des Naturalismus kein Platz ist. Tetens ist daher zum Vertreter eines theistischen Idealismus geworden ("Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie", 2015), obwohl er sich nach wie vor nicht als Christ bezeichnet. Es ging also um einen Wechsel in der philosophischen Grundeinstellung, also den "Glaubensentscheidungen", die jedem Urteil über die Welt als Ganzes vorausgehen. Man muss auf diesem Weg sicher nicht dahin kommen, wohin Tetens gekommen ist - also etwa dahin, wo wir Vertreter der christlich-platonischen Tradition schon vorher standen -, aber ich glaube, wenn man wirklich nachdenklich an die Dinge herangeht, kann man die Probleme, die er sieht, nicht mit steilen Behauptungen abweisen. Sie scheinen sich dagegen sogar darin zu gefallen, Behauptungen - etwa über das, was der Evolutionslehre zu entnehmen ist - aufzustellen, ohne sich über Voraussetzungen und Konsequenzen dessen, was Sie sagen, bewusst zu sein. Bleiben Sie dabei, wenn es ihnen guttut. Aber erwarten Sie nicht, dass man Sie damit als ernsthaften Gesprächspartner würdigt.

Antwort auf von Meik Gerhards (nicht registriert)

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"Sie scheinen sich dagegen sogar darin zu gefallen, Behauptungen - etwa über das, was der Evolutionslehre zu entnehmen ist - aufzustellen, ohne sich über Voraussetzungen und Konsequenzen dessen, was Sie sagen, bewusst zu sein." Ich kann Sie beruhigen. Die Konsequenz aus der Evolutionslehre ist mir sehr wohl bewusst. Es ist die Widerlegung des Schöpferglaubens. Dumm nur, dass sich eben diese Konsequenz bei den Gläubigen noch nicht herumgesprochen hat. Aber dem christlichen Prinzip Hoffnung folgend kann eine Diskussion wie unsere nicht schaden.

"Wie zum Beispiel erklärt sie.... Sinnintuition und eine Gerechtigkeitsintuition". Die Evolution verhindert keineswegs, dass Menschen sich systematische, langanhaltende und brutale Denkfehler leisten. Die Sinnsuche und Sinnfindung ist so einer. Dazu hatte ich mich schon kurz geäußert. Wer gerechten Lohn fordert, wenn er mehr Geld bräuchte, begeht auch so einen Fehler. Das beschert ihm gerade keinen Vorteil im Konkurrenzkampf der freien Bürger.

"Wie aber die Evolutionslehre, wenn sie von vornherein Finalursachen gar nicht berücksichtigt, ergeben kann, dass es keine Finalursachen gibt, bleibt bei Ihnen offen." Ihr Fehler ist, dass Sie der Evolutionslehre unterstellen, sie würde Finalursachen, besser bekannt unter der Bezeichnung teleologisches Denken, grundlos unberücksichtigt lassen. An Ihrer Seite haben Sie den Gottsucher (Selbstbezichtigung nachzulesen unter http://re-visionen.net/interview-holm-tetens/ )Holm Tetens, der gar über ein "Postulat vom exklusiven Zugang der Wissenschaften zur Wirklichkeit" zu klagen weiß. ( http://www.information-philosophie.de/?a=1&t=7251&n=2&y=1&c=1 )

Das teleologische Denken haben die Naturwirte nicht aus Nachlässigkeit, Böswilligkeit oder sonstiger Charakterschwäche aus dem Verkehr gezogen, sondern mit guten Gründen. Wer die Planetenbewegungen mit dem "Weiß-wozu" erklären wollte, also einer Finalursache, nämlich damit, dass die Planeten zur Ehre des vollkommenen Gottes eine vollkommene Bahn, die Kreisbahn, vollführen, scheiterte daran, dass es eben keine Kreisbahnen sind, sondern Ellipsen.

Jetzt kann man einwenden, da sei eben eine falsche Finalursache bemüht worden. Wie lautet dann aber bitte die richtige Finalursache? Weil noch keiner eine überzeugende Finalursache gefunden hat, ist es kein Fehler der Naturwirte, sondern gewonnene Erkenntnis, dass die Planetenbewegungen sich mit der physikalischen Teildisziplin Mechanik erklären und nicht mit einem wie auch immer gearteten "Weiß-wozu".

Was für die Planetenbewegung gilt, hat sich auch in allen anderen Fällen, in denen Finalursachen gegen Kausalursachen antraten, als richtig herausgestellt. Den Finalursachen wird also nicht Unrecht getan, sondern sie sind widerlegt.

Und wenn einer eine Finalursache finden sollte, die die Entwicklung von Sternen, Gebirgen oder Viechern erklärt, wird er von den Naturwirten nicht in Verschiss getan werden, sondern bekommt einen Nobelpreis am goldenen Bande.

Ob Sie unsere Diskussion fortsetzen wollen, entscheiden Sie ganz alleine. Ich diskutiere gerne mit Ihnen, da Ihre Beiträge immer auch Passagen enthalten, die zur Sache gehören.

Fritz Kurz

Den Eindruck, dass Sie nicht wirklich denken, kann ich mir jedenfalls nicht verkneifen. Das ist schon allein deshalb der Fall, weil Sie ständig Dinge unterstellen, die gar nicht gesagt sind. Nehmen wir den Satz: "Das teleologische Denken haben die Naturwirte nicht aus Nachlässigkeit, Böswilligkeit oder sonstiger Charakterschwäche aus dem Verkehr gezogen, sondern mit guten Gründen". Wer hat irgendwem "Nachlässigkeit", "Böswilligkeit" oder "Charakterschwäche" vorgeworfen? Tatsache ist dennoch, dass die Naturwissenschaft nicht teleologisch denkt - und dass sich das soweit durchsetzen konnte, hat mit der Neigung des neuzeitlichen Menschen zu tun, nach Möglichkeit nur noch Dinge gelten zu lassen, die methodisch beweisbar sind. Und das ist bei teleologischen Aussagen (Finalursachen) nun einmal nicht der Fall. Das kann man nüchtern feststellen, ohne irgendjemandem Böswilligkeit zu unterstellen. Und wenn Sie schon solche Kategorien einführen wollen, dann hat sich die Konzentration auf das methodisch beweisbare geistesgeschichtlich nicht nur - aber auch - deshalb durchgesetzt, weil religiöse Autoritäten, die sozusagen für die finalursächlichen Erklärungen zuständig waren, durch die Religionskriege im Gefolge der Reformation selbst diskreditiert hatten. Wenn es hier also so etwas wie Charakterschwäche gibt, ist sie jedenfalls zunächst eher auf der Seite religiöser Autoritäten bzw. von Herrschern, die im Namen der Religion Politik gemacht haben, zu sehen als bei den Naturwissenschaftlern bzw. bei skeptischen Philosophen, die nur das wissenschaftlich Beweisbare gelten lassen wollten. Aber alles das nützt doch in der konkreten Diskussion gar nichts. Der Glaube, dass die Wissenschaften die Welt umfassend erklären können, ist doch mittlerweile als Naivität entlarvt. Da bin ich - wie Sie richtig feststellen, wie ich aber schon längst selbst geschrieben hatte - in der Tat mit Holm Tetens einer Meinung. Eines der Kernprobleme, an dem eine umfassende wissenschaftliche Erklärung der Welt scheitert, ist das Ich-Erleben des Menschen, also die subjektive Erfahrung, die Sinnintuition etc. Darauf zielt schon das berühmte "Ignorabimus" von E. Dubois-Reymond aus dem Jahre 1872 (in dem Vortrag: "Über die Grenzen des Naturerkennens"). Wenn Sie nun mehr drauf haben als - ohne jede Begründung - die Sinn- und Gerechtigkeitsintuition des Menschen oder gar seine Ich-Erfahrung als "systematischen, langanhaltenden und brutalen Denkfehler" zu bezeichnen, dann widerlegen Sie dieses seit fast 150 Jahren im Raum stehende "Ignorabimus" oder weisen Sie auf jemanden hin, der es widerlegt hat. Wenn Sie das können, dann haben Sie das Recht, sich über Holm Tetens und mich zu erregen, wenn wir das "Postulat vom exklusiven Zugang der Wissenschaft zur Wirklichkeit" ablehnen. Im Übrigen bin ich auch erstaunt, dass Sie so locker die "Widerlegung des Schöpferglaubens" als Konsequenz der Evolutionstheorie hinstellen. Natürlich gibt es Bücher wie die "Schöpfungslüge" von R. Dawkins, das übrigens m.E. eine der besten allgemeinverständlichen Darstellungen der Evolutionstheorie enthält, aber in seinen philosophischen Konsequenzen genausowenig denkerisches Bemühen zeigt wie Ihre Stellungnahmen hier. Immerhin haben weder Charles Darwin noch Ernst Mayr, also bedeutende Vertreter der Evolutionstheorie, aus dieser Theorie so klar die Konsequenz der Widerlegung des Schöpferglaubens gezogen - jedenfalls soweit mir Äußerungen von diesen beiden zum Thema bekannt sind. Beide haben zwar gegen den Schöpferglauben votiert, Mayr hat sich sogar ausdrücklich als Atheist bezeichnet. Beide haben aber deutlich gemacht, dass es sich hierbei um ihre persönliche Glaubensentscheidung handelt - obwohl man sich schon zu Darwins und erst recht zu Mayrs Zeiten schon offen zum Atheismus bekennen konnte. Der langen Rede kurzer Sinn: Ich sehe bei Ihnen wirklich keine Bemühungen um ein ernsthaftes Nachdenken und Diskutieren über die Fragen, die uns hier beschäftigen, sondern sehr viel Voreingenommenheit, die Sie sich nicht bewusst machen wollen oder können, und letztlich auch Phrasendrescherei. Was also sollte ich von einer weiteren Diskussion mit Ihnen erwarten?

Also reden wir über die Sinnintuition. Unstrittig dürfte sein, dass der Begriff Sinn mehrere Bedeutungen hat. Wenn mir etwas in den Sinn kommt, hätte ich auch sagen können, mir ist etwas eingefallen. Diese Bedeutung ist jetzt wohl irrelevant. Auch der Sinn eines Verkehrszeichens, im Regelfall ein verkehrsrechtliches Gebot oder Verbot, kann in unserer Diskussion außer Betracht bleiben.

Gemeint ist die Bedeutung des Begriffes Sinn, wenn vom Sinn des Lebens oder dem Sinn der Gerechtigkeit oder dem Sinn der Freiheit die Rede ist. Diese Sorte von Sinn bringen Sie nun mit dem Begriff Intuition zusammen, der selber sehr vielgestaltig ist. Damit wir nicht aneinander vorbeireden, möchte ich von Ihnen einfach wissen, welche Vorstellungen Sie damit verbinden.

Soll Sinnintuition in Abgrenzung zur Sinnerkenntnis stehen? Soll diese Abgrenzung derart erfolgen, dass Sinn sowieso nur intuitiv erfasst werden kann und nicht auf dem üblichen Weg, wie man sonst etwas erfasst, nämlich durch Erfahrung, Begriffe und Diskussion oder andere Formen des Austausches? Oder haben Sie die Vorstellung, dass Sinn durchaus erkannt werden kann wie andere Objekte der Erkenntnis, es aber besonders begabte Menschen gibt, die ohne Nachdenken zum gleichen Ziel kommen können auf Grund ihrer intuitiven Fähigkeiten?

Was darf ich mir vorstellen, wenn Sie von Sinnintuition schreiben?

Damit mein Beitrag nicht nur aus der Bitte um Begriffsklärung besteht, ein kleiner Hinweis: Es gibt bekanntlich den Autoaufkleber "Ohne Gott ist alles sinnlos". Der Aufkleber trifft ins Schwarze. Allerdings ganz anders als diejenigen, die ihn knapp über dem Auspuff anbringen, es sich üblicherweise denken.

Fritz Kurz

Antwort auf von Fritz Kurz (nicht registriert)

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Natürlich geht es nicht um etwas, das mir in den "Sinn" kommt, auch nicht um die fünf "Sinne", mit denen wir die Dinge um uns herum wahrnehmen. Der "Sinn eines Verkehrszeichens" ist allerdings schon eher relevant. Der Sinn eines Gegenstandes ergibt sich aus einem Kontext, der den Gegenstand gleichsam umfasst: Der Sinn eines Verkehrszeichens aus der Notwendigkeit, Verkehrsströme zu regulieren - die Verkehrsströme bilden den umfassenden Kontext des Zeichens; der Sinn eines Füllfederhalters ergibt sich aus umfassenden Kontexten, die die Technik des Schreibens verlangen und damit dieser Technik und der dazugehörigen Gerätschaften Sinnfülle verleihen. "Sinn" in dieser Bedeutung (um nicht kalauerhaft zu sagen: "Sinn in diesem Sinne") hat also mit umfassenden Kontexten zu tun und mit der Erfüllung, die aus diesen Kontexten heraus empfangen wird. Ohne den Menschen nun mit einem Werkzeug oder einem Gegenstand vergleichen zu wollen, können Sie das auf den "Sinn des Lebens" beziehen. Das menschliche Leben benötigt Kontexte, aus denen es Sinn empfängt. Das sind soziale Kontexte wie Familie oder Freundeskreis, aber auch die berufliche Tätigkeit. Das sind alltägliche Erfahrungen: Einsamkeit macht krankt und wird in unserer atomisierten Gesellschaft bald vielleicht zu einer Art Volkskrankheit; Ausscheiden aus dem Berufsleben durch Jobverlust oder Ruhestand stürzt viele Menschen in Krisen, die als Sinnkrisen beschrieben werden können. Soweit so gut. Aber der Mensch lebt auch mit dem Bewusstsein, dass die sozialen und beruflichen Kontexte ihrerseits Grenzen haben, die wiederum ihren Sinn zweifelhaft sein lassen. Die letzte Grenze ist die Frage, nach dem Sinn der Welt und des Lebens überhaupt. Das heißt auf den hier verwendeten Sinnbegriff bezogen: Ist die Welt überhaupt in einen weiteren Kontext einbezogen, aus dem sie Sinnerfüllung empfängt? Wenn das so ist, dann haben auch die kleineren, alltäglichen Sinnbezüge (Familie, Beruf, Hobbies etc.) einen Sinnkontext - wenn das nicht so ist, ist tatsächlich letztlich alles sinnlos. An dieser Stelle kommt die Sinnintuition ins Spiel, deren Vorhandensein sich aus folgender Beobachtung erschließt: Wir - das heißt: jedenfalls die meisten Menschen - führen unser Leben so, als gäbe es einen letzten umfassenden Sinn. Wir bejahen nicht nur unsere engeren Lebenskontexte, sondern wir bejahen das Sein, an dem wir durch unser Dasein Anteil haben. Anders gesagt: Wir bejahen das Leben. Um etwas aufzunehmen, das ich vor einigen Wochen schon geschrieben habe: Wir erkennen in unserem Lebensvollzug dem Sein einen Vorrang vor dem Nichtsein und daraus folgend: dem Leben vor dem Tod, der Gesundheit vor der Krankheit zu. Versucht man das denkerisch zu fassen, heißt das: Eine abstrakte Logik könnte zwar Sein und Nichtsein, Leben und Tod etc. als gleichwertig (oder gleichwertlos) betrachten - das wäre aber eine Logik, die unserer Art des Lebens nicht gerecht wird. Die platonische Grundorientierung, die das Sein und das Gute identifiziert und ihm einen unabweisbaren Vorrang einräumt, hat darin ihren - lebensnahen - Grund. Warum wir das Sein und das Leben bejahen, ist aber letztlich nicht aus Erkenntnis zu begründen. Wir gehen intuitiv davon aus, dass unser Leben einem umfassenderen Kontext angehört, dass es auf einem guten Grund aufruht, aus dem es mit Sinn erfüllt wird. Deshalb: "Sinnintuition", die - wie Sie schreiben - nicht durch Begriffe oder Diskussionen gewonnen werden kann, auch nicht durch eine Erfahrung, die uns tiefere Erkenntnisse vermittelt. Sie ist vor allen diesen kognitiven Zugewinnmöglichkeiten dar. Um nun das Platonische noch durch das Christliche zu ergänzen: Der Glaube an Gott, der sich auch aus Quellen religiöser Erfahrung sowie geschichtlicher Erfahrungen wie des Lebens, Wirkens und Auferstehens Jesu Christi speist, bejaht diese Sinnintuition, identifiziert aber den guten Grund, von dem unser Leben seine Sinnerfüllung empfängt, mit dem lebendigen Gott. Von diesem Gott erwarten wir dann auch, dass er uns die Erfüllung, nach der sich unser Leben sehnt - und die in dieser Welt immer nur in Ansätzen zu finden ist - letztlich auch schenken wird. Aber auch darüber hatten wir uns schon ausgetauscht: Weil Weihnachten war, ist auch Ostern gewesen (Auferstehung Jesu als des "Erstlings der Verstorbenen") und wird auch die Vollendung der Welt kommen. Diese ganze Art des Denkens und Glaubens scheint mir letztlich nicht nur ein Bekenntnis zu Gott zu sein, sondern auch eines zum Menschen. Die Sinnintuition scheint - auch wenn nicht alle Menschen sie tatsächlich teilen - jedenfalls idealiter zum Menschsein zu gehören. Wird sie als handfester oder gar brandgefährlicher Irrtum bezeichnet, wie Sie es tun, dann erklärt man im Grunde das Menschsein insgesamt für etwas Verfehltes, letztlich vielleicht für einen Irrweg der rein zufällig sich vollziehenden Evolution. Diese Entscheidung liegt nahe, wenn man davon ausgeht, dass die Wissenschaft in der Form, wie sie seit der frühen Neuzeit betrieben wird, der exklusive Zugang zur Wirklichkeit ist, vor der sich alles andere ausweisen muss. Die Frage nach dem Sinn des Leben kann diese Wissenschaft nicht beweisen. Was haben wir aber davon, wenn wir - obwohl wir Menschen so leben, als hätte das Leben einen Sinn - hier für die Exklusivität der Wissenschaft votieren? Das leuchtet mir überhaupt nicht ein - obwohl ich von der Wissenschaft und ihren Erkenntnissen fasziniert bin. Wissenschaft ist wirklich faszinierend. Aber sie ist nicht alles!

Antwort auf von Meik Gerhards (nicht registriert)

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Haben Sie Dank für Ihren nachvollziehbar aufgebauten Beitrag! Er macht Sinn. Das heißt, er erfüllt einen Zweck. Der Zweck ist, Ihren Standpunkt klar zu machen.

Da ich den letzten Schluss Ihrer Überlegungen, die grundsätzliche Beschränktheit und Mangelhaftigkeit der Wissenschaft, nicht teile, ist es meine Aufgabe, in der Argumentationskette mindestens einen, möglicherweise mehrere, Irrtümer aufzuzeigen.

Schon der erste Schritt scheint mir unzutreffend zu sein. Der Füllfederhalter hat keinen Sinn, der sich aus einem Kontext ergeben würde. Der Füller ist Mittel für sehr unterschiedliche Zwecke. Der Privatmann benutzt ihn zum Schreiben. Darauf spielen Sie an. Das kleine Kind, das den Füller auf Vaters Schreibtisch findet, nutzt ihn zum Spielen und verletzt sich vielleicht daran. Beim Verkauf des Füllers im Einzelhandelsgeschäft ist der Füller Mittel zum Zweck des Geschäftsinhabers, Gewinn zu machen. Verliert der Kunde den Füller auf dem Weg nach Hause, ist dies für den Käufer sehr ärgerlich, für den Verkäufer sehr erfreulich, denn jetzt muss erneut ein Verkauf über die Bühne gehen. Für die Erben des inzwischen verstorbenen Füllfederhalterbesitzers ist der Füller ein Gegenstand, der entsorgt werden muss.

Es macht also keinen Sinn, um auch dieses Wortspiel zu verwenden, dem Füller überhaupt einen Sinn zuweisen zu wollen und es gibt auch keinen Kontext, aus dem sich ein Sinn ableiten ließe. Es gibt hingegen die unterschiedlichen Interessen verschiedener Menschen, gemessen an denen der Füller dann nützlich, schädlich oder unerheblich ist.

Deshalb verbietet sich auch der Analogieschluss: "Der Füller hat einen Sinn, also auch das menschliche Leben."

Um unsere Beiträge nicht zu lang werden zu lassen und dadurch mögliche Mitleser abzuschrecken, gehe ich jetzt noch nicht auf die weiteren Punkte Ihrer Argumentation ein, die mir kritikbedürftig erscheinen, sondern möchte Ihnen erst Gelegenheit zu einer Erwiderung meiner Kritik Ihres Ausgangspunktes geben.

Fritz Kurz

"Deshalb verbietet sich auch der Analogieschluss: 'Der Füller hat einen Sinn, also auch das menschliche Leben'". Das ist zweifellos richtig, hat aber mit dem, was ich geschrieben habe, nichts zu tun. Sie hatten gefragt, was ich mit "Sinnintuition" meine und in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass "der Begriff Sinn mehrere Bedeutungen hat" (so in Ihrem vorletzten Beitrag). Z.B. - so hatten Sie gesagt - könne man davon sprechen, dass "mir etwas in den Sinn kommt". Das sei aber offenbar nicht gemeint. Ich habe nur über den Sinn von Füllfederhaltern raisonniert, um zu erläutern, welchen Sinn-Begriff ich verwende, wenn ich vom "Sinn des Lebens" spreche. Und der entspricht - in der Tat analog zum Sinn des Füllfederhalters - der Einordnung in einen umfassenderen Kontext, aus dem Sinn empfangen wird. Aus dem Sinn von Füllfederhaltern schließe ich aber nicht auf den Sinn des Lebens. Wohl aber weise ich darauf hin, dass wir unser Leben so führen als gebe es einen Sinn, der sich aus einem umfassenderen Kontext ergibt, der letztlich über innerweltliche Kontexte (Familie, Hobbies, Beruf) hinausgeht. Und ich plädiere für eine christlich-platonische Grundposition, weil sie diese "Sinnintuition" unserer Lebensführung ernstnimmt. Was Sie mir unterstellen, macht mich lächerlich - vor allem aber Sie selbst, weil jeder Mitleser, wenn es hier solche geben sollte, leicht feststellen wird, dass Sie mir eine dämliche Position unterschieben, die ich gar nicht habe. Ich kann nur noch einmal feststellen, dass es mit Ihrer Art, über die Dinge nachzudenken und zu diskutieren, nicht weit her ist. Reichlich oberflächlich sind auch Ihre Ausführungen zum Thema: "Der Füllfederhalter ist Mittel zu sehr unterschiedlichen Zwecken". Dass der Federhalter auch ein Mittel ist, mit dem Kaufleute Geld verdienen, wenn sie damit handeln, ist banal. Die meisten Gegenstände, zu welchem Zweck sie auch immer dienen mögen, können zur Ware werden, mit der auch Geld verdient wird. Aber Sie bleiben mit Ihrer Abneigung gegen Sinnfragen so sehr an der Oberfläche, dass Sie völlig übersehen, dass schon der Kauf eines Federhalters mit dem Sinn des Geräts zu tun hat. Warum kauft sich jemand einen Füllfederhalter? Wahrscheinlich, weil er damit schreiben will! Damit gewinnt der Federhalter seinen Sinn zuletzt doch aus dem Kontext des Schreibens. Wäre das Gerät zum Schreiben untauglich, wäre es nicht verkäuflich. Weder der Hersteller noch der Händler könnten damit Geld verdienen. Ich kann Ihre Beispielsammlung sogar noch weiterführen: Ein Füllfederhalter kann z.B. auch als Erbstück in einer Familie weitergegeben werden. Dann wurde vielleicht seit Generationen nicht mehr damit geschrieben. Er ist nur noch ein Andenken an den Urgroßvater. Aber auch hier muss gefragt werden: Warum besaß der Urgroßvater den Füllfederhalter? Wahrscheinlich, weil er damit geschrieben hat. Wäre das Gerät dazu nicht tauglich gewesen, hätte der Urgroßvater es entsorgt, der Federhalter wäre nie zum Erbstück geworden. So leicht ist mein Federhalterbeispiel also nicht auszuräumen. Auch Ihrem Beispiel, dass sich ein Kind mit einem Federhalter verletzen kann, fehlt jede Sachdienlichkeit, weil es sich ganz offenbar um eine unsachgemäße, damit aber sinn-lose Umgangsweise mit dem Gerät handelt. Ich kann Sie nur noch einmal bitten: Versuchen Sie einfach, etwas mehr nachzudenken.

Sie werfen laufend - ob vorsätzlich oder fahrlässig, weiß ich nicht - Sinn und Zweck durcheinander. Dadurch versteigen Sie sich in Ihrem Bemühem um die Sinnpflege zu Aussagen, deren Lächerlichkeit Ihnen dann selber aufgeht. Von mir aus muss das nicht sein.

"der Sinn eines Füllfederhalters ergibt sich aus umfassenden Kontexten" ist so eine Albernheit. Wenn Sie den Zweck des Füllfederhalters meinen, das Schreiben, dann benötigen Sie keine umfassenden Kontexte, sondern das Wissen eines Grundschülers, wie man mit dem Ding umgeht.

Wenn Sie umfassende Kontexte bemühen, dann wollen Sie das Schreibgerät tatsächlich zum Sinnträger machen und es wäre an Ihnen, diese Lächerlichkeit auszuräumen.

"schon der Kauf eines Federhalters mit dem Sinn des Geräts zu tun hat." Keineswegs. Der landesübliche Kunde im Schreibwarengeschäft ist nicht auf Sinnsuche, sondern will ein Schreibgerät. Er hat einen Zweck, keinen Sinn im Sinn.

"Wohl aber weise ich darauf hin, dass wir unser Leben so führen als gebe es einen Sinn". Das dürfte ein Irrtum sein. Sonst gäbe es nicht die laufenden Ermahnungen von Sinnliebhabern wie Pfarrern und Psychologen, sich gefälligst auf Sinnsuche zu machen, dem eigenen Leben einen Sinn zu geben und nicht sinnlos in den Tag hinein zu leben.

Vor dieser geforderten Sinnhaftigkeit blamiert sich dann jeder Zweck, den Menschen tatsächlich verfolgen. Wer nichts anderes will, als mit seinem überschaubaren Lohn und seiner noch überschaubareren Rente über die Runden zu kommen, hat in Sinnfragen schwer gepatzt.

Bei der Frage, welchen objektiven Zweck die Sinnprediger mit ihrer permanenten Sinnpredigt verfolgen, würde das ernstzunehmende Denken einsetzen. Weit vor diesem etwas anspruchsvollen Programm müssten aber wenigstens Sinn und Zweck gedanklich sauber getrennt werden.

Würden Sie zumindest dabei bitte mithelfen?

Fritz Kurz

Antwort auf von Fritz Kurz (nicht registriert)

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Wenn Ihnen so sehr daran liegt, Sinn und Zweck sauber zu trennen - was ich nicht für möglich halte - sollten Sie damit beginnen. Also: Was nennen Sie "Zweck" und was, sauber davon getrennt, "Sinn". Im Übrigen glaube ich nicht, dass es ein Irrtum ist, dass wir unser Leben so führen, als hätte es einen Sinn. Ihr Gegenbeispiel überzeugt mich nicht. Sie schreiben: "Wer nichts anderes will als mit seinem überschaubaren Lohn und seiner noch überschaubareren Rente über die Runden zu kommen, hat in Sinnfragen schwer gepatzt". Schon darin, dass jemand "über die Runden kommen will", steht dafür, dass er eine Sinnintuition hat und es letztlich doch um mehr geht als ums "über die Runden kommen". Menschen, die die Sinnintuition verlieren, suchen nicht mehr über die Runden zu kommen. Natürlich gibt es das - aber es ist glücklicherweise nicht der Normalfall. Wo die Sinnintuition verlorengeht, stürzen Menschen ab, im Extremfall bis in den Suizid.
Aber das ist jetzt sehr weit. Ich habe Ihnen erläutert, welchen Sinnbegriff ich zu Grunde lege, wenn ich von "Sinnintuition" spreche. Jetzt erläutern Sie mir doch bitte, was Sie unter "Sinn" und "Zweck" verstehen.

"Was nennen Sie "Zweck" und was, sauber davon getrennt, "Sinn"."

Der wichtigste Unterschied: Zwecke entstammen der Wirklichkeit, Sinnerfindungen und Sinnzuweisungen sind Produkte der Fantasie. Nichts gegen einen heiteren Roman, in dem geheimnisvolle Kontexte, Grenzüberschreitungen und sinntragende Füllfederhalter vorkommen. Aber Einspruch gegen die Verwechslung einer solchen Fantasiebetätigung mit der Erklärung der Wirklichkeit.

Dem Ursprung aus der Fantasie ist es geschuldet, dass der berühmte Sinn des Lebens seine auffallenden Konjunkturen und Provenienzen hat. "Dem Führer ein Kind schenken" war mal der Sinn des Lebens einer Frau. Wenn gehorsame Selbsteinordnung ins christliche Heilsgeschehen zum Lebenssinn erklärt wird, ist offenbar ein Christ der Sinnproduzent.

Beim Füllfederhalter scheinen wir uns immerhin soweit einig zu sein, dass er ganz unterschiedlichen Zwecken dienen kann, darunter dem Schreiben und dem Reibach machen. Unklar bleibt in Ihrer Replik allerdings, warum es sachundienlich sein soll, wenn ich darauf hinweise, dass er auch als gefährliches Spielzeug genutzt werden kann. Ich vermute, er kann sogar als Mordwaffe genutzt werden, sicherlich als Tatmittel zur vorsätzlichen Körperverletzung. Da Sie dem Füller einen Sinn andichten wollen, ist es dann vielleicht unter der Würde das Füllers, auch zu solchen Schandtaten herangezogen werden zu können? Das wäre dann allerdings weder ein Problem des Füllers noch mein Problem, sondern ein Hinweis darauf, dass Sinnzuweisungen Willkür und somit sachundienlich sind.

Sie beklagen überdies, ich bliebe mit meinen Erläuterungen zu den unterschiedlichen Zwecken des Füllers an einer Oberfläche. Welche Tiefen wollen Sie denn ausgemacht haben? Welche Erkenntnisse haben Sie dort gewonnen, die mir an der Oberfläche entgangen sein sollen?

Beim angeblich sinntragenden Füller könnte man es beim Schmunzeln belassen. Das Lachen vergeht einem aber beim nächsten Punkt Ihrer Erläuterung zur Sinnintuition:

"Das menschliche Leben benötigt Kontexte, aus denen es Sinn empfängt. Das sind soziale Kontexte wie Familie oder Freundeskreis, aber auch die berufliche Tätigkeit."

Der Beruf ist keine Sinntankstelle für "das menschliche Leben". Der Beruf ist in der modernen, also demokratisch betreuten kapitalistischen Gesellschaft, eine im Regelfall ziemlich belastende, üble Abhängigkeit und Zwangslage für alle die, die nicht genügend Zaster auf dem Konto haben, um davon leben zu können, indem sie andere für sich arbeiten lassen.

Familie und Freundeskreis, also das berühmte Privatleben, sind ebenfalls keine empfehlenswerten Anpirschplätze für den angeblich benötigten Sinn. Die Privatsphäre wird gepriesen als der Ort, wo all das, was einem im Job versagt wird, plötzlich geboten werden soll. Das haut zwangsläufig hinten und vorne nicht hin. Deshalb ständiges Gejammere über die hohen Scheidungsraten, lange Wartelisten bei den Psychoonkeln und -tanten, und eine Fülle von Ratgebern, wie man es im trauten Heim und Bett richtig treiben soll. Und selbstverständlich viele Ermahnungen, den richtigen Sinn von Balkonblümchen, Windeln wechseln und ausgewachsenen Ehekrächen nicht zu verpassen.

Da ich mutmaßlich wieder übel an der Oberfläche geblieben bin, sehe ich Ihrer Erwiderung aus den Tiefen des Tiefsinnsees mit Interesse entgegen.

Ihre angedeutete Suizidtheorie von der verlorenen Sinnintuition stellt die Wirklichkeit in gefährlicher Weise auf den Kopf. Wer die Sinnintuition vergeigt hat, soll also besonders Gefahr laufen, sich selbst zu meucheln.

Nein, die ganze Sinnhuberei führt zu einer grotesken Fehlwahrnehmung der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die dann nur noch zulässt, sich selbst die Kugel zu geben. Wenn alles voller Sinn trieft, man selber aber nicht mal mehr die Miete aufbringen kann, dann muss man die Fehler wohl selber gemacht haben. An dieser Stelle taucht dann regelmäßig eine besondere christliche Gemeinheit auf, im Tröstergewand, versteht sich. "Gott hat solche Nullen wie dich besonders lieb." Nach der sprachpolizeilichen Überarbeitung wird daraus: "Menschen in Schwierigkeiten dürfen sich der besonderen Wertschätzung durch Gott sicher sein."

An der Sinnstiftung klebt jede Menge Blut.

Fritz Kurz