chrismon: Vor fast 20 Jahren erarbeitete der InterAction Council, ein Kreis von ehemaligen Staats- und Regierungschefs, die „Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten“: Man soll unter anderem alle Menschen menschlich behandeln, Gutes fördern, Böses meiden, sich für die Würde anderer einsetzen. Eigentlich selbstverständlich, oder?
Aleida Assmann: Leider ist diese Erklärung völlig in Vergessenheit geraten. Solche Pflichten der Mitmenschlichkeit standen aber schon bei den alten Ägyptern hoch im Kurs: Sie rühmten sich, dass sie den Nackten gekleidet und dem Durstigen etwas zu trinken gegeben haben. Sie wussten, dass Menschen bedürftig und auf den Schutz anderer angewiesen sind.
Das findet sich auch im Christentum.
Ja, es gibt das Gebot der Nächstenliebe und die Werke der Barmherzigkeit, man unterstützt Kranke, Schwache und Ausgegrenzte. Diese Haltung steht im Zentrum des Christentums, aber sie ist kein Alleinstellungsmerkmal in der Geschichte der Menschenpflichten. Sie steigern das uralte Prinzip, dass der Stärkere sich zurückhält zugunsten des Schwächeren.
Sie meinen die goldene Regel?
Genau. Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Diese Regel gilt in allen Religionen, in allen Kulturen. Wenn man Kinder aufwachsen sieht, erlebt man genau das Gegenteil. Wie du mir, so ich dir – das ist das erste Spiel, das im Sandkasten gespielt wird. Der Egoismus ist in den Menschen drin. Aber die große Kulturleistung besteht darin, den Egoismus zu zähmen und umzukehren in diese goldene Regel.
###mehr-extern###Es gibt sie seit Jahrtausenden – und sie wirkt trotzdem nicht?
Menschen haben eben beide Kräfte in sich, Egoismus und Altruismus. Und die Kulturen stärken mal die eine, mal die andere Seite. In der westlichen Welt ist nicht die Seite der Kooperation gestärkt worden, sondern immer die Seite des Wettbewerbs. Was in unserer Kultur zählt, ist die Förderung des Individuums, der Leistung und Konkurrenz. Das Ergebnis ist ein freigesetzter Egoismus, der das Gemeinwohl nicht immer im Blick hat.
"Die Umgangsregeln müssen an Schulen und Universitäten gelernt werden"
Für den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, der damals zu den Unterzeichnern gehörte, war das 1997 ein Grund für die Formulierung der Menschenpflichten.
Die Staatsmänner schickten damals diese Erklärung der Menschenpflichten als eine notwendige Ergänzung zu den Menschenrechten an die Vereinten Nationen, wo sie in einer Schublade verschwanden. Heute brauchen wir sie nötiger denn je. Denn mit der großen Zahl neuer Migranten verstärkt sich auch die Vielfalt der Religionen und Kulturen. Damit wir diese Vielfalt leben und achten können, brauchen wir einen Konsens über gegenseitigen Respekt und praktische Grundregeln friedlichen Zusammenlebens.
Und wie würden Sie sie verbreiten?
Sie müssen wie eine Hausordnung bekannt gemacht, gelernt, umgesetzt und weitergegeben werden – in den Schulen und den Kindergärten, an Universitäten und in Vereinen – überall, wo Menschen zusammenkommen.
Welche Menschenpflicht gefällt Ihnen am besten?
Die goldene Regel. Die ist 5000 Jahre alt, und es gibt sie in allen Kulturen. Mit ihr kann man überall anfangen. Zumal in einer Zeit, in der sich Verachtung und Hass ausbreiten und offene Gewalt zunimmt. Vor 20 Jahren sprach man vom „Kampf der Kulturen“, aber es war noch nicht absehbar, dass unsere Gesellschaft und Demokratie daran zerbrechen können. Jetzt brennt es an vielen Orten, und wir brauchen eine Feuerwehr, die nicht erst kommt, wenn ein Asylbewerberheim in Flammen steht. Wir müssen, um zu überleben, die einfachen Regeln des Zusammenlebens stärken. Dafür kann das Abc der Menschenpflichten eine Stütze sein.
Zuwendung zum Mitmenschen macht glücklich
Sehr geehrte Damen und Herren !
Schön, dass Frau Prof. A. Assmann an die für ein harmonisches Miteinander besonders wichtige „Goldene Regel“ erinnert !
„Was du nicht willst, was man dir tut, das füg auch keinem anderen zu.“
Niemand will fehlende Hilfsbereitschaft, mangelnde Rücksicht- und Anteilnahme. Niemand will Neid, Hass und Zorn, Angeberei, Missgunst und Unfreundlichkeit.
Jeder möchte beachtet werden, möchte Zuwendung und Anerkennung, nicht zuletzt gute Umgangsformen.
Die genannte Regel, positiv verfasst, ähnelt dann dem Biblischen: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“
Ein Altruist ist demnach immer zugleich ein kleiner Egoist, macht ihn doch die Zuwendung zum Mitmenschen auch selbst glücklich.
Schließlich ist es ja auch Aufgabe jedes einzelnen, auf sich aufzupassen, sich zu schützen und alles zu tun, um „Schaden an Leib und Seele“ zu vermeiden.
Mit freundlichen Grüßen und guten Wünschen zu Weihnachten
Gabriele Gottbrath, Rektorin i.R., Gladbeck
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Beitrag "Was du nicht willst, das man dier tut..."
In Matthäus 7,12 formuliert es Jesus umgekehrt (positiv) "Alles, was ihr wollt, dass die Leute euch tun sollen, das tut ihnen auch." Übrigens, das symbolträchtige Bild von den sich umarmenden Mänteln in der Garderobe gefällt mir ausgesprochen gut, es sagt mehr als viele Worte.
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Warum sagt niemand die ganze Wahrheit?
Zitat: "...Egoismus und Altruismus. Und die Kulturen stärken mal die eine, mal die andere Seite. .... Was in unserer Kultur zählt, ist die Förderung des Individuums, der Leistung und Konkurrenz. Das Ergebnis ist ein freigesetzter Egoismus, der das Gemeinwohl nicht immer im Blick hat".
Das sollte ergänzt werden. Ganz sicher, unsere derzeit anerkannte Kultur stärkt vorrangig den Egoismus und die Forderung nach FUN. Zweifellos waren der Konsum und der Wohlstandswahn entscheidende kapitalistische Triebfedern. Aber diese Motive sind wahrlich nicht neu. Wer hat denn wann zusätzlich damit begonnen, für diese Entwicklung die Büchse der FUN-Pandora mit pseudomoralischen Begründungen zu öffnen? Vor über 60 Jahren begann mit der ideellen Herrschaft der Progressiven das Zeitalter des nahezu ungebremsten Egoismus. Zwar war eine Änderung der verstaubten Nachkriegszeiten bitter notwendig, aber Änderungen nur um der Veränderung Willen und ohne eine gute bestätigte Gegenkultur zu haben, ist ein Vabanquespiel mit der Gesellschaft.
Schon ganz vergessen, dass sich seit damals die Balance der Rechten und Pflichten gegenüber dem Staat zugunsten der Rechte erheblich verschoben haben? Fun war als neues beherrschendes Lebensziel angesagt. Die Berufe sollten keine Erfüllung geben. Arbeit und Geld wurden zu einem notwendiges Übel um den täglichen FUN-Anspruch zu befriedigen. Lust- und Frust-Käufe, kann es einen größeren Unsinn geben, als diesen persönlichen moralischen Offenbarungseid? Am fernen Horizont leuchtete schon die 30 Stundenwoche mit der Tendenz zum möglichst ewigen Urlaub. Sport im Verein, womöglich noch mit der Anmaßung von Pflichten? Da ist es doch viel angenehmer, sich in Studios gegen hohe Beiträge der eigenen Pflichten zu entledigen. Selbst noch kochen? MacDonalds macht es einfacher. Eine Mitarbeit in ehrenamtlichen kommunalen Körperschaften? Igittegitt. Familienpflichten? Ein (beruflicher) Umzug lässt leicht alle Bande reißen. Die ganze Entwicklung wurde dann auch noch verniedlicht und verbrämt mit der grenzenlosen Liberalität und der persönlichen Freiheit bis an die Grenzen der Freiheit des Nächsten. Ein Ergebnis ist auch die ausufernde Anrufung der obersten Gerichte, um die persönlichen eigenen Rechte zu sichern. Das geht dann hin bis zu einer Einzelfallgesetzgebung.
Der Einzelne ist sich selbst genug und der Staat, die Gesellschaft hat dafür zu dienen. Mein Haus ist meine Burg. Allenfalls braucht man noch ein widerspruchsloses Haustier, um sich den eigenen Egoismus bestätigen zu lassen. So kann man es auch sehen, wenn mangels anderer persönlicher Alternative auch selbst die tierische Zuneigung gut tut. Mit eigener Leistung ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu sein, warum das denn? Die Mehrheit des Volkes ist zum Glück nicht so! Aber der zunehmende Egoismus kostet Gemeinsinn.
mit pseudomoralischen Begründungen
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Das Volk liegt richtig.
Lieber Herr Ockenga, Sie haben mal wieder den Nagel auf den Kopf getroffen. "Die Mehrheit des Volkes ist zum Glück nicht so!" Richtig, das gesunde Volksempfinden lebt ungebrochen fort. So unerhörte Ansprüche wie Spaß am Leben haben da nichts verloren. Mutti steht am Herd und kocht tagein tagaus. Die Wohnung ist durchaus nicht meine Burg, sondern die Miete frisst mehr als die Hälfte des Lohns auf. Und die Klofrau ist deswegen Klofrau, weil im Beruf Erfüllung winkt.
Sepp Stramm
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