Schauspieler Matthias Brandt
Ein Leben ohne Humor? "Undenkbar!"
Foto: Dirk von Nayhauß
"Dinge passieren, weil sie passieren sollen. Oder eben nicht"
Gefühle kann man nicht dosieren, sagt Schauspieler Matthias Brandt. Von Liebe gebe es verschiedene Formen
Dirk von Nayhauß
22.05.2016

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Dann, wenn ich nicht irgendwelchen Anforderungen ausgesetzt bin. Wenn ich mich nicht verhalten muss. Meine Arbeit fängt oft sehr früh an, aber ich stehe zwei Stunden eher auf, damit ich nicht das Gefühl habe, gedrängt zu werden. In den zwei Stunden tue ich so, als hätte ich Zeit. Ich lese, höre Musik – ich mache Dinge, die um vier Uhr morgens absurd sind, aber so beginnt der Tag mit einer Phase, von der ich das Gefühl habe, ich bestimme sie selbst. Ich werde äußerst ungern in meiner Zeiteinteilung eingeschränkt, das kann mich irre machen, ich werde dann sehr bockig.

Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Ich bin evangelisch getauft und mit achtzehn aus der Kirche ­ausgetreten. In meinem Elternhaus spielte die Kirche keine große Rolle. Heute bin ich im allerbesten Sinne ein Agnostiker, das heißt: Ich bin mir nicht sicher. Ich finde es beeindruckend, Menschen zu begegnen, die absolut sicher und gefestigt in ihrem Glauben sind. Das muss toll sein, weil es eine Art von Gemeinschaft schafft, zu der ich eben nicht gehöre. Momentan erlebe ich das nicht als Mangel, aber ich weiß ja nicht, was mir im Leben noch widerfährt. Und ich habe durchaus das Gefühl, dass nicht alles in meiner Hand liegt. Es kennt doch jeder so eine Empfindung, dass Dinge passieren, weil sie passieren sollen – oder eben nicht passieren, weil sie nicht passieren sollen. Dieses Gefühl ist mir sehr vertraut.

Muss man den Tod fürchten?

Das Sterben fürchte ich. Habe ich Menschen begleitet, hatte ich immer den Eindruck, als ob dies der schwerste Gang ist, den wir zu gehen haben. Ich habe noch niemanden erlebt, der sich leicht verabschiedet hat. Man hört das immer, dass Leute sagen: „Ja, jetzt ist gut, jetzt kann ich gehen.“ Mir ist das noch nicht begegnet. Ich habe immer nur erlebt – und zwar egal, wie alt sie waren – dass sie nicht gehen wollten. Dass sie sich vielleicht aus Schwäche gefügt haben und sich nicht mehr wehren konnten. Aber wenn sie mehr Kraft gehabt hätten, dann hätten sie sich gewehrt.

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Die vorbehaltlose, nicht zweckgebundene, die nicht an Leistungen emotionaler oder sonstiger Art geknüpft ist. Meine Mutter hat mich bedingungslos geliebt, denke ich. Ihre Zuneigung habe ich nicht in Portionen erfahren, sondern in gewisser Weise maßlos – und sie wollte nichts dafür haben. Das war kein Tauschgeschäft und schon mal ein guter Start. Die Liebe zwischen Erwachsenen ist dann ja eine kompliziertere Angelegenheit, weil man sehr gern etwas zurückhaben will für diese Investition, die soll sich ja ­lohnen. In dem Maschinchen sind wir alle drin. Ich glaube, man kann sich nur bemühen. Die Liebe zum eigenen Kind ist natürlich wieder etwas ganz anderes. Bei meiner Tochter wüsste ich gar nicht, was sie tun müsste, damit ich sie nicht mehr liebe. Diese Liebe zum eigenen Kind hat auch etwas mit der Verschwendung von Gefühlen zu tun. Man muss sie nicht dosieren, sondern kann sich sicher sein: Davon ist unbegrenzt da.

Was bedeutet Heimat für Sie?

Ich könnte gar nicht so genau sagen, woher ich komme. Ich bin geborener Berliner, bin aber in Bonn aufgewachsen, und als ich dort weggegangen bin, gab es relativ schnell keine Verbindungen mehr dahin. Neulich habe ich mir die Orte meiner Kindheit in Bonn wieder angeguckt, aber spürte weder Wehmut noch Abneigung. Ich kam als Fremder. Heimat ist aber auch ein aufgeladener Begriff. Mein Zuhause ist mein tägliches Leben, mein konkretes Umfeld, die Menschen, mit denen ich verbunden bin. Und meine Sprache. Es wäre für mich schwer, nicht in meiner Sprache leben zu können, das würde mir viel nehmen, das wäre ein Riesen­problem. Natürlich könnte ich mich irgendwie verständigen, aber ich hätte immer das Gefühl, dass ich das meiste nicht verstehe.  

Wie wäre ein Leben ohne Humor?

Undenkbar. Meine Mutter hat während ihrer Demenzerkrankung einen eigenen Humor entwickelt, das hat uns wahnsinnig geholfen. Nicht dauerhaft, weil die Krankheit eine extreme Belastung war, aber immerhin gab es Phasen, in denen der Humor eine Möglichkeit der Distanzierung schaffte. Meine Mutter hat mich zum Beispiel gefragt: „Bist du dein großer Bruder?“ Beantworten Sie das mal. Ich musste total lachen. Und sie hat dann auch gelacht. Wir hatten im Humor eine große Verbundenheit. Wir haben ­eigentlich immer gelacht.

© X-Verleih. Matthias Brandt spielt den Verleger des Hauptcharakters Stefan Zweig in "Vor der Morgenröte"
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Gutem Tag,

eine wundervolle Aussage über die Liebe,die sicher nicht nur mich sehr berührt hat.
Dieser Schauspieler hat schon in vielen Rollen gezeigt,was wirklich gute Kunst ausmacht.
Als Mensch, Sohn und Vater  - sind seine Sätze einfach wunderschön.
Besten Dank dafür.

Marion Detzler

Hessen

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Matthias Brandt, Agnostiker - nicht alles in seiner Hand. Kein Anhänger der Urknalltheorie.

Seine Mutter hat ihn bedingungslos geliebt, kein Tauschgeschäft wie oft unter Erwachsenen.

Gutes startup. Keine Moral und kein Gott vonnöten.

Dirk von Nayhauß hat sechs richtige Fragen gestellt und M. B. sechs gute  Antworten gegeben.

Zu Tod, Gott, Liebe, Lebendigkeit, Heimat und Humor.

Elend zeitigt auch Komik wie Thomas Mann wußte, oder auch Humor wie seine demente Mutter Rut bewies.

Beider Brandts Jüngster und Bester.

Matthias zu Recht aufs Titelbild.

Mit Dank und Gruß

Joachim Schoenfeld

Neumünster