Meine verheimlichte Familiengeschichte
Und plötzlich hab ich einen großen Bruder
Als Journalistin will Claudia Keller über den Kirchlichen Suchdienst berichten. Was als Recherchetermin beginnt, wird ein Ausflug in die eigene Familiengeschichte
Claudia Keller mit ihren Bruder Gerhard Voglsam
Claudia Keller mit ihren Bruder Gerhard Voglsam
Paul Kranzler
25.05.2016
13Min

Der Sonntagberg mit der Wallfahrts­kirche war immer da. Als Kind sah Gerhard vom schäbigen Haus der Großmutter zu ihm hinauf. Als er ein Auto hatte, ist er mit Kumpels Wettrennen hochgefahren, heute schaut er vom Wintergarten seines Hauses auf den Berg. Gerhard beugt sich über das Geländer der Ausflugsplattform und macht den Reiseführer: Dort hinten liegt Wien, dort drüben Linz. Hier unten ist Kematen. Gerhard und Helga haben keine Kinder. Vielleicht bin ich ein bisschen wie eine Tochter für sie.

Bis vor kurzem interessierte mich Öster­reich nicht sonderlich. Wo Niederöster­reich liegt, hätte ich nur ungefähr angeben können. Ich wusste nichts von Kematen an der Ybbs und einem Sonntagberg. Ich wusste nichts von Gerhard Voglsam. "Jetzt nehmen Sie sich am besten mal bei den Händen", ruft der Fotograf. Gerhards warme Finger fühlen sich vertraut an in meiner kalten Hand und zugleich unangenehm fremd.

Pfarrämter halfen Hunderttausenden Familien

Angefangen hat alles an einem Montag im Juni 2015. Ich bin Journalis­tin und schreibe viel über Kirchen. "Mach doch mal was über den Kirchlichen Suchdienst", hatte die Kollegin gesagt. "Die hören bald auf, vielleicht kannst du bei einer letzten Recherche dabei sein." Also hatte ich mich mit den Mitarbeitern verabredet, im Internet recherchiert, Fragen vorbereitet. Doch als der Termin naht, habe ich keine große Lust. Tags zuvor bin ich aus dem Urlaub zurückgekommen. Als ich die knarzenden Treppen in dem schicken alten Haus in der Münchner Innenstadt hochsteige, liege ich in Gedanken noch am Strand.

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Es ist schön. aber wozu muss ich darüber so einen langen Artikel schreiben ? Ist Ihr Bruder vor Gott mehr wert als meiner ? Das sehe ich nicht ein.
Viele Grüße.

Ich entschuldige mich: ich freue mich natürlich, dass es andere Meinungen und Erfahrungen zum Thema gibt. Die Stärken der Autorin allerdings liegen nicht im Erzählerischen, deshalb meine Kritik.

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Ich finde diesen Artikel schön und bewegend. Das Leben steckt doch voller Überraschungen!

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Liebe Frau Keller, wir haben ein Geschwisterpaar als Adoptivkinder, die auch als Erwachsene ihre Ausgangsfamilie kennengelernt haben. Sie können sich also vorstellen weshalb ich ihren Artikel Wort für Wort gelesen habe. Viele emotionale Parallelen - einfach großartig! Schmunzeln mußte ich im letzten Halbsatz auf S. 37, denn ich wusste schon was für ein Wort auf der nächsten Seite kommt und welcher Fehler sich da eingeschlichen hat. Kinder bekommen die Hälfte der Gene von jedem Elternteil, es wird aber jedes mal neu gemischt! Geschwister teilen sich deshalb 1/2 x 1/2 x 2 = 1/2 = die Hälfte, Halbgeschwister 1/2 x 1/2 = 1/4 = ein Viertel der Gene, was einem Verwandtschaftsgrad 2. Grades entspricht. Dies sollte jedoch die Verbundenheit bei ca. 30.000 bedeutsamen Genen nicht schmälern, zumal sich Emotionen im Gegensatz zu Genen schlecht mit Wahrscheinlichkeitsrechnungen messen lassen. Ich war 25 Jahre als humangenetisch beratender Arzt tätig und darf ihnen das ohne jeden Anflug von Überheblichkeit sagen - und - es gibt nicht mehr!

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Ich würde Sie gerne treffen, mir ist fast dasselbe passiert.
Www.kulturbruecke-paris-berlin.com

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Das sind Storys aus dem Leben und ich kann ähnliches berichten. Fand durch Zufall 3 !! Halbschwestern ! Wer es selber erlebt hat kann nachvollziehen was da EMOTIONAL abgeht. Charakteristisch ist das große Schweigen dieser Zeit.
Mittlerweile habe ich mich zur Expertin für Ahnenforschung entwickelt und sehr viel erfahren. Ich freue mich für Frau Keller und Ihren Bruder. Sie kann mich gerne kontaktieren.

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Liebes chrismon-Team,               

wieder einer Ihrer berührenden Artikel - Frau Keller schildert mit wenigen Sätzen präzise die Atmosphäre nach dem Krieg: Fragen sind tabu, und durch meine gesamte Kindheit und Jugend in Nürnberg (!) zog sich das sichere, aber verstörende Gefühl, dass etwas nicht stimmt.      

Danke für ihren Bericht und ich freue mich mit ihr über das Geschenk - und auf die nächste chrismon.

Ihre Ellen Riese