Arnd Brummer, was ich notiert habe
Arnd Brummer ist Chefredakteur von chrismon
Foto: Sven Paustian
Gewieft! Sizilianer! Könnte auch ein Schwabe sein...
chrismon-Chefredakteur Arnd Brummer hat am Bodensee einen alten Bekannten getroffen - der Vorurteile hegt
Lena Uphoff
16.04.2016

Frühling am Bodensee. Rad fahren, rudern, aufs Wasser schauen. Ein paar Tage in der Heimat tun gut. Zur Abenddämmerung eine Runde in der Konstanzer Altstadt. Man könnte noch einen Happen essen und ein Gläschen Seewein nehmen. Auf der anderen Straßenseite grüßt fröhlich ein Wirtshausschild.

Die Speisekarte sieht gut aus. An der Tür prangt auf einem ­Täfelchen der Name des Inhabers: Roberto S. Den kenne ich doch! Robby! Beim Eintreten reicht ein Blickwechsel zwischen dem Mann, der an der Theke gerade ein Pils zapft, und mir. An seinem Stirnrunzeln und dem grinsenden Mund sehe ich, dass es ihm genauso geht wie mir. „Arnaldo!“ Ja, so hat er mich schon vor mehr als vierzig Jahren genannt. „In Italia heißen Arndi Arnaldo.“

Ich sitze kaum am Tisch, steht ein Gläschen Rotwein vor mir, und Robby knufft mich, nimmt Platz. Es ist wirklich einige Zeit vergangen, seit wir einander gesehen ­haben. Wir hatten uns dereinst kennengelernt, als wir gemeinsam Fußball spielten. Bei der DJK, der „Deutschen Jugendkraft“, dem katholischen Sportverein.

Robby will wissen, was ich so mache. „Giornalista! Überrascht mich nicht. So richtig arbeiten war deine Sache nie. Schreibe, schreibe, schreibe – nix gut für Muskeln. Habe schon beim Kicken gesehen: Arnaldo wird kein Maurer oder Koch!“ Und Robby?

"Steuern für Kriminelle - schreibst du das auch?"

Tja, der Mann mit den grauen Löckchen ist mächtig stolz. Seit ein paar Jahren gehört ihm das Restaurant. „Erst gepachtet, jetzt meines – ganz und gar!“ Daneben betreibt er einen Taxiservice und eine Reinigung. „Hatte noch Pizzadienst. Blöde Sache. Viel Arbeit, wenig Geld. Weg damit. Muss Familie ernähren.“ Zwei Töchter studieren. Der Sohn arbeitet im Ristorante mit.

Und dann wird er ganz leise, beugt sich vor, murmelt mir den Namen einer der teureren Wohngegenden am Stadtrand zu. „Habe Häusle gebaut. Nicht groß, aber schön. Blick auf Säntis.“

Respekt! Ja, Robby weiß, wie es geht. Meine anerkennenden Worte quittiert er mit einer Geste amüsierter Bescheidenheit. „Wer in Deutschland anpackt, kriegt Lohn! So war es mal. Jetzt aber kommen die Sch...flüchtlinge, denen steckt man das Geld ­in den A...! Unsere Steuern für Schmarotzer, Kriminelle! Wo kommen die denn her? Hä? Schreibst du das auch, Arnaldo? Mistkerle, mit drei Pässen und mehr!“ Robby redet sich in Rage.

"Ich bin integriert. Ich falle nicht auf"

Robby! Ich muss schon ziemlich laut werden. Damals, in den späten 60er Jahren, hatten wir im „Katholenclub“ lauter Gast­arbeiterkinder: Sizilianer, wie Robby einer ist, Spanier, Kroaten, Portugiesen. Und weißt du noch, was die Väter der gastgebenden Teams auf dem Land vom Spielfeldrand brüllten, wenn unsere C- oder B-Jugend zu Auswärtsspielen antrat? „Mafiadreckskerle! ­Spaghettifresser! Die wollen nur unser Geld, um es nach Sizilien zu schleppen oder dem Franco in Madrid seine Autobahn zu bezahlen.“ Oder: „Passt bloß auf die Mädels auf! Die legen alles flach! Und dann können sie nicht mal Alimente zahlen, die Italo-Anmacher!“

Im Himmel sind die Allerletzten

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Kleine Geschichten über die großen Themen des Lebens. Mal nachdenklich, meistens heiter, hintergründig und geistreich berichtet chrismon-Chefredakteur Arnd Brummer von Begegnungen und Beobachtungen, die nur scheinbar alltäglich sind. Wagt man mit Arnd Brummer den Blick hinter die Oberfläche, erschließen sich tiefe Einsichten in die großen Themen des Lebens.

Bei der edition chrismon erhältlich (über die Hotline 0800 / 247 47 66 oder unter www.chrismonshop.de).

„Stopp, Arnaldo, stopp! Das ist doch uralter Quatsch! Das weiß vielleicht noch, wer über 80 ist! Und wir haben den Menschen bewiesen: Das ist auch unser Land! Lass uns aufhören zu streiten.“ Machen wir. Reden wir lieber über den Schorsch, den komischen Trainer. „Lebt noch“, berichtet Robby, „aber dement!“ Prost! Auf die alten Zeiten!

Am nächsten Morgen in der Bank. Der Geldautomat ver­weigert den Dienst. Auf mein Klingeln erscheint eine aparte junge Frau, Mitte/Ende zwanzig, im grauen Flanellkostüm. Sehr höflich und kompetent bringt sie den Automaten wieder in Gang. Ich versuche, ihren Namen auf dem Schild am Revers zu entziffern. „Müssen Sie nicht, ist arabisch. Sagen Sie ‚Hanna‘ – ist mein Künstlername.“ Wir kommen ins Gespräch. Ihre Familie ist seit acht Jahren in Deutschland. Obwohl Hannas Vater eher konser­vativer Muslim sei, erzählt sie, habe er akzeptieren müssen, dass sie eine Banklehre gemacht hat. Heute sei er stolz auf sie. Und selbst ihre offenen Haare, ihr tailliertes Kostüm ertrage er. „Ja ich bin integriert. Leute wie ich fallen nicht auf. Das ist einerseits schön, andererseits schade.“ Ich frage sie, ob sie den Wirt Roberto S. kenne. „Klar! Ein smarter Typ und ein gewiefter Geschäftemacher. Sizilianer eben! Könnte aber auch Schwabe sein!“

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Arnd Brummer trifft sich bei einem "Heimaturlaub" mit einem alten Kumpel, einem gebürtigen Sizilianer, der beim Plaudern über alte Zeiten über Flüchtlinge herzieht. Und der chrismon-Chefredakteur hält dagegen, indem er den Freund an ihn und seinesgleichen diskriminierendes Gerede deutscher Zeitgenossen in den 1960er Jahren erinnert. Diesem Beispiel sollte jeder von uns folgen, wann und wo auch immer gegen Flüchtlinge gehetzt wird.

Uwe Tünnermann

Lemgo

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Kaum zu fassen: eine "integrierte " Türkin, und auch noch ohne Kopftuch ! Da staunt man nicht schlecht. Mit dem großartigen "Künstlernamen" Hanna. Sehr fortschrittlich, sehr forsch. Und der Sizilianer "Robby", wohl auch ein Künstlername ? Italienisch ist das nicht, oder doch: Roberto , man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen ...wie in der Werbung. schmilzt wie Eis, so cremig und ...ach !
Die Schwaben vom Bodensee , ein bunt gemischtes Völlkchen.
[Anmerkung der Redaktion: Letzter Satz gelöscht]

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Herzlichen Dank an Herrn Brummer für seine klärenden Worte und an Herrn Tünnermann für seinen Beifall genau an der richtigen Stelle. Wir leben in einer sehr liebenswerten Gesellschaft. Häuser mit schönem Ausblick für in der Konkurrenz erfolgreiche Gastwirte, Taxiunternehmer und Reinigungsbesitzer. Immerhin noch ein schickes graues Flanellkostüm für höfliche, kompetente, weibliche Bankangestellte. Alles in Butter, wenn nur diese unschöne Ausländerfeindlichkeit nicht wäre. Was tun? Die Antwort ist klar. Die täglich gelebte Anständigkeit, ohne die diese präparadisischen Zustände nicht zu haben wären, muss gekrönt werden von der Ächtung des Fremdenhasses. Also frisch ans Werk! Sehr beeindruckend, wie der Autor seinen Jugendfreund beschämt. Der ist ja gar kein richtiger Deutscher und hat sich genau wegen dieses problematischen Merkmals schon zweimal dessen zu enthalten, was auch dem echten Inländer nicht geziemt. Was geziemt sich nicht? Ausländer als besonders störende Elemente in der ansonsten sehr segensreichen Konkurrenz zu empfinden.
Also nochmals herzlichen Dank an die genannten Herren!
Lisa Müller

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Die umgekehrte Sicht. Es gibt in den einzelnen Wahlbezirken genügend Hinweise darauf, warum und wie abgestimmt wurde. Die Details zeigen es Ihnen. Denn schon die Aufnahme der Flüchtlinge ab 1944 erfolgte häufig konzentriert in einzelnen Städten und dort in neuen Baugebieten. Bis heute hat sich die daraus resultierende Sozialstruktur in groben Zügen erhalten. Die deutsprachigen Neubürger aus dem Sudetenland, Rumänien und dem übrigen Balkan wurden in vielen Vierteln und Strassen konzentriert. Häufig wurden für sie ganze Viertel erstellt. Oder sie bauten sich die Häuser auf günstigem Boden selbst. Von deren Tatkraft profitierte besonders Niederbayern. Ähnlich wurden auch die Rußlanddeutschen "verteilt". Diese Neubürger aus dem Osten und Südosten waren und sind häufig, aus welchen Gründen auch immer, stark konservativ motiviert und wählten bisher vielfach die CDU. Nach der Enttäuschung über die nahezu grenzenlose "Menschfreundlichkeit" der CDU wechselten viele von ihnen die Fronten. Die Details der einzelnen Wahlbezirke, in denen AfD und Alpha besonders hohe Gewinne haben, geben dazu Anhaltspunkte. So in Frankenthal, Germersheim, Lahr, Haßloch und in vielen anderen Orten. Man kann zwar nicht soweit gehen zu sagen, soviel östlicher (Polen!) umso konservativer, aber auch nur kleine Unterschiede in den Sozialstrukturen eines Ortes können Welten bewegen.

Keine der fünf bayerischen Vertriebenengemeinden, also Geretsried, Neugablonz, Neutraubling, Traunreut und Waldkraiburg, liegt in Niederbayern. Keine dieser Gemeinden ist durch verstärkte Aktionen des NSU, der Pegida oder sonstiger Organisationen Besorgter oder von der CDU Enttäuschter aufgefallen. Die CDU gibt es in ganz Bayern nicht. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Falls sich die CSU bundesweit ausdehnt, übrigens sofort am nächsten Tag. In kameradschaftlichem und deutschem Geist
Sepp Stramm

Antwort auf von Sepp Stramm (nicht registriert)

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Wundern nicht erlaubt!
Auf anderer Basis angewendet, wehren sich Analogien mit dem Gegenteil. Die CSU ist wesentlich konservativer als die CDU. Dort besteht kein Anlaß noch päpstlicher als die CSU zu sein um sie rechts zu überholen. AfD und Alpha werden deshalb vermutlich in Bayern auch nicht die Erfolge haben. Und was Niederbayern und die genauen Grenzen anbetrifft, so ist doch zu beachten, dass ein großer Teil Bayerns vor dem 2. Krieg vorrangig ein Agrarland war und die Flüchtlinge, die in erster Linie aus dem benachbarten Raum kamen, wesentlich zur Industriealisierung und der Bildung eines gewerblichen Mittelstandes beitragen haben.

Bayerns Umwandlung von einem Agrar- zu einem Industriestaat haben nicht die Flüchtlinge bewirkt, sondern große Männer wie Franz Josef Strauß. (Rhein-Main-Donau-Kanal, Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf) Ansonsten erstreckt sich heutzutage die nahezu grenzenlose Menschenfreundlichkeit der Bayern sogar auf die Preußen. Sollte das nicht auch sehr zu Bedenken Anlass geben?
Sepp Stramm