Ich wusste lange nicht, was ich werden möchte. Aber dann durfte ich im Praktikum hinten im Streifenwagen mitfahren und dachte: Polizistin, das könnte zu mir passen. Wie die Beamten und Beamtinnen mit den Bürgern umgehen, bestimmt und zugleich freundlich, diese Mischung ist etwas ganz Besonderes. Und man weiß nie, was einen bei einem Einsatz erwartet. Man muss sich auf die Menschen einlassen können und dann trotzdem, auch wenn da eine aufgebrachte Stimmung ist oder jemand weint oder jemand verletzt ist, einen klaren Kopf bewahren, um die Situation zu regeln. Das finde ich super interessant.
Deshalb war ich auch gleich neugierig, als uns an der Polizeiakademie Niedersachsen das Projekt crimeic* von zwei Kriminologiestudenten vorgestellt wurde: Polizeischüler mailen sich mit Strafgefangenen. Eine Art Brieffreundschaft. Da möchte ich mitmachen, dachte ich, das ist ja ein ganz neues Feld! Weil wir noch nie in einer Justizvollzugsanstalt waren, bekamen wir eine Führung durch die JVA Wolfenbüttel. Ich fand es dort so bedrückend, dass ich sofort meine Stimme senkte.
Jetzt habe ich Briefkontakt zu einem Gefangenen. Anfangs hatte ich nur den Benutzernamen 03. Er meinte, 007 kennt er, James Bond, aber wer ist 03? Ich hab dann mit „James“ unterschrieben. Er hat das so angenommen. Dafür bin ich ihm dankbar. Ich wollte nicht, dass er weiß, dass ich weiblich bin. Er hat mir seinen Vornamen gemailt, aber auch ich weiß natürlich nicht, ob das sein richtiger Name ist.
Am Anfang wollte ich ihn unbedingt fragen, warum er inhaftiert ist. Aber dann dachte ich, nein, ich muss ihn nicht fragen. Wenn er es erzählen möchte, in Ordnung. Ein Mitstudent hat einen Mörder als Mailkontakt, der hat das gleich selber geschrieben. Mein Klient nicht. Mittlerweile ist es mir egal.
Ein Mann wie James würde nicht so oft "Oh" schreiben
Denn man bekommt dann ein anderes Bild von einem Menschen. Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn ich rausfände, dass er schon vier Frauen vergewaltigt hat. Und wenn er ein Betrüger wäre, hätte ich im Kopf: Ja, stimmt das denn, was er mir gerade erzählt? Vielleicht ist es besser, das alles nicht zu wissen.
Ein Kommilitone mailt sich mit seinem Klienten ellenlange Texte. Unsere Mails sind kurz, er kann auch nicht so gut Deutsch, er ist Italiener. Er macht sich immer viele Gedanken für einen Brief. Das finde ich sympathisch. Er schreibt alles auf Papier, und wenn ein Bediensteter Zeit hat, ihn in den Computerlernraum zu begleiten, tippt er dort die Mail.
Er schreibt mir, dass seine Familie ihn endlich besucht hat. Und ich schreibe, dass ich eine stressige Woche hatte wegen einer Kombiklausur – da können ja Fragen kommen zu Strafrecht, Verkehrsrecht, Grund- und Eingriffsrecht. Oder wir schreiben uns, was wir für Sport machen. Ich gehe gern laufen. Er kann derzeit nur ein bisschen kicken, aber er hat zehn Jahre Karate gemacht. „Oh, so lange“, antwortete ich. Irgendwann fiel mir auf, dass ich oft „Oh“ schreibe. Oh, wie schön! Oh, das ist aber weit weg! Ich glaube, ein Mann, also James, würde nicht so oft „Oh“ schreiben. Jetzt habe ich das etwas reduziert.
Ich finde angenehm an unserem Mailkontakt, dass wir ganz normal aneinander interessiert sind. Wenn ich sonst erzähle, dass ich Polizistin bin, heißt es gleich: Warum bist du denn bei der Polizei? Kannst du dich überhaupt gegen Größere durchsetzen, du mit deinen 55 Kilo? Viele denken, dass Frauen bei der Polizei bullig sind. Gehen die Leute blind durchs Leben? Natürlich, wenn ein Zweimetermann auf mich zukommt, bin ich körperlich unterlegen. Aber ich bin ja nicht alleine. Und unser wichtigstes Einsatzmittel ist die Stimme. Wenn ich meine Aufforderung klar und bestimmt rüberbringe, kann ich meist mehr erreichen, als wenn ich gleich körperlich aktiv werde.
Auch mein Inhaftierter könnte mich fragen, wieso ich bei der Polizei bin. Aber er entscheidet sich, mich zu fragen, wie’s mir geht. Und ich frage nicht, warum er in Haft ist, sondern wie seine Woche war. Wir gehen ohne Schubladendenken miteinander um. Normal eben.
Protokoll: Christine Holch
wirklich unbefangene Kommunikation
Die incognito-Kommunikation per Email wie im vorliegenden Fall zwischen einer Polizistin und einem Strafgefangenen ist eine gute Methode, sich unbefangen auszutauschen. Andererseits, gehört zur Kommunikation nicht auch das Gespräch von Angesicht zu Angesicht und auch die Taten, die ein Mensch vollzogen hat, also letztlich die gegenseitige rückhaltlose Offenheit!? Würde eine wirklich unbefangene Kommunikation nicht von vornherein den Menschen so nehmen müssen, wie er ist, und auf dieser Voraussetzung das Gespräch zu entwickeln suchen?
Friedhelm Buchenhorst, Grafing
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Es geht um ein studentisches
Es geht um ein studentisches Projekt und um benötigte Spenden. Mehr nicht.
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Anonymität
Guten Tag Herr Buchenhorst,
Sie haben gewiss Recht, dass das Gespräch von Angesicht zu Angesicht die elementarste Form der Kommunikation ist. Solche Hilfsangebote gibt es allerdings bereits seit vielen Jahrzehnten – Einzelpersonen wie Gruppen besuchen regelmäßig die Gefängnisse in der Bundesrepublik. Solche Besuche aber setzen Zeit und Mobilität voraus. Bereits deswegen ist eine Onlinebegleitung eine kostengünstige und zeit- wie ortsunabhängige Möglichkeit, sich Gefangenen zuzuwenden.
Abgesehen von diesen Aspekten bietet eine Anonymität der Begleitung eine besondere Perspektive des gegenseitigen Öffnens – insoweit kann man auf die jahrzehntelangen Erfahrungen der Telefonseelsorge sowie die sich seit wenigen Jahren etablierenden Onlinebegleitungen im Bereich der Trauerverarbeitung verweisen.
Wie weit sich die Häftlinge oder auch die Begleiter öffnen, sollte der Entwicklung des jeweiligen Kontakts überlassen werden. Die Häftlinge befinden sich immerhin mitten im Straferleben und werden durch Therapeuten in den Vollzugsanstalten regelmäßig mit ihren Taten konfrontiert. Es ist häufig eine Erleichterung für Inhaftierte, zwischendurch nicht nur über die begangene Straftat definiert zu werden. Im Übrigen sei gesagt, dass andere Onlinebegleiter durchaus andere Erfahrungen gemacht haben: Manchmal kam es bereits am Anfang des Kontakts zu Gesprächen über die Tat oder Taten, die in den Strafvollzug geführt haben, manchmal kam es dazu, nachdem sich über Wochen eine Vertrauensbasis gebildet hatte.
Wir bedanken uns für Ihren Leserbrief und stehen Ihnen jederzeit für Rückfragen zur Verfügung.
Es grüßen herzlich
Peter Lutz Kalmbach und Tim Krenzel
(Projektleiter von crimeic.de)
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Um der Fairness halber, melde
Um der Fairness halber, melde ich mich auch noch zu Wort. Mein kategorischer Kommentar bezog sich auf den Leserbrief vom 1. Febr. Ich befürchtete die Fortsetzung einer der vielen mehr oder weniger unsinnigen Diskussionen auf dieser Plattform. Freut mich, dass Sie, als Projektleiter sich geäußert haben.
Zur Anonymität und Vorurteilsfreiheit kann ich nur sagen, dass Unvoreingenommenheit sicher ein Plus ist, aber die Anonymität schützt keineswegs vor Vorurteilen, im Gegenteil.
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Kontakt zu Gefangenen
Sehr geehrter Herr Kalmbach, sehr geehrter Herr Krenzel,
vor Jahrzehnten fragte ich einmal, ob Bedarf an einem brieflichen Austausch mit Gefangenen besteht. Damals kam eine unentschiedene Antwort.
Lässt sich gegenwärtig sagen, wie ausgeprägt ein Briefkontakt mit Gefangenen nachgefragt wird? Ich denke besonders daran, dass Gefangene meist eines Tages entlassen werden und dann davor bewahrt werden sollten nicht zu wissen, wohin sie sich wenden könnten.
Ich schreibe gerne Briefe. Außerdem gehört es zur Nächstenliebe Gefangene zu besuchen (in diesem Fall: ihnen zu schreiben). Welche Auswahlkriterien für die Gewährung eines brieflichen Austausches gibt es?
Schon heute vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit,
freundliche Grüße
Friedrich Bartholomäus
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Begleitung im Strafvollzug
Sehr geehrter Herr Bartholomäus,
zunächst möchte ich mich auch im Namen von Herrn Kalmbach für Ihre Zuschrift bedanken, die uns sehr gefreut hat.
Im Kontakt mit den Inhaftierten haben wir erfahren, dass unsere „onlinegeführte Brieffreundschaft“ von den Inhaftierten als wohltuend empfunden wird und es ihnen große Freude bereitet, sich mit den Begleiterinnen und Begleitern von „crimeic“ auszutauschen. In diesem Zusammenhang bringe ich gerne ein Zitat von einem Inhaftierten, welches aus einem Besuch in der JVA stammt und möglichst wortgetreu wiedergegeben wird: „Im Knast fühlt man sich nutzlos. Mir gibt es Sinn, mit jemanden zu schreiben, der sich für mich interessiert.“ Ich finde, dass das Zitat deutlich macht, wie gut den Inhaftierten das Schreiben während ihrer Inhaftierung tut. Jeder der sich gesellschaftlich engagiert, sei es im täglichen Alltag oder auch in der freiwilligen Begleitung im Strafvollzug, setzt sich zum Wohle der begleitenden Menschen, deren Angehörigen ein und bietet so Raum für Begegnungen, die den eigenen Horizont erweitern und eine persönliche Bereicherung für jeden Einzelnen darstellen kann. Wir sind ganz ihrer Meinung und halten es für sinnvoll, den Gefangenen durch das Schreiben ein zusätzliches Resozialisierungs- und Hilfeangebot zu geben. Daher überlegen wir bereits jetzt, wie wir nach der Evaluierung und Auswertung des Projekts eine dauerhafte Etablierung der Onlinebegleitung im Strafvollzug finanziell, personell und logistisch in einem realistischen Rahmen ermöglichen können.
Wer im E-Mail-Zeitalter lieber eine herkömmliche Brieffreundschaft mit Inhaftierten sucht, kann sich u.a. auf der Internetseite „Jailmail“ nach Briefkontakten umschauen. Dort suchen Inhaftierte mit ihrer Annonce nach Kontakten von Drinnen nach Draußen. Weitere Kontakte sind noch über „Knastzeitschriften“ möglich, die in nahezu jeder JVA von einer Gefangenenredaktion herausgegeben werden. Dort findet sich häufig eine Seite mit Kontaktbitten. An Kriterien ist ein solcher Briefwechsel nicht gebunden. Jeder darf sich daran beteiligen. Darüber hinaus freut sich jede JVA über ehrenamtliche Mitarbeiter und würde sich über Ihre Anfrage bestimmt freuen.
Herr Kalmbach und ich stehen Ihnen natürlich gerne und jederzeit für Rückfragen zur Verfügung; gerne schreiben Sie uns über info(at)creimeic.de.
Einige letzte Sätze über Ihre Motivation Gefangenen zu schreiben: Es ist in der Tat so, dass es viele Gefängnisinsassen gibt, die keine Kontakte nach draußen haben, die nie Besuch erhalten und auch keinen Anruf und auf die auch niemand wartet, wenn sie entlassen werden. Für solche Menschen ist es eine Wohltat, einen Brief zu erhalten. Und ganz gewiss helfen solche Kontakte, dass solche Verurteilten davor bewahrt werden, wieder in kriminelle Muster zu verfallen. Kommunikation ist eben auch ein Beitrag zur Resozialisierung und Prävention.
Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute und sende Ihnen herzliche Grüße!
Tim Krenzel
(Projektleiter von crimeic.de)
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