Katja Heddinga
Der Hirsch lechzt nicht mehr
Luthers Bibelübersetzungen – darf man die heute ändern? Man muss! Aber mit Vorsicht und mit Gefühl für die Gegenwart
10.11.2014

Durchsicht nennen sie das: als würden sie bloß mal ein bisschen drin herumblättern. Dabei drehen sie jedes Wort der Bibel mehrfach um, die 50 evangelischen Theologinnen und Theologen. Und vieles von dem, was der große Sprachschöpfer Martin Luther formuliert hat, wird 2016, wenn die Neuübersetzung vorliegt, sehr anders klingen. Dann wird die Frau keine „Gehilfin“ des Mannes mehr sein, und der Hirsch „lechzt“ nicht mehr, sondern er schreit.

Hat Paulus wirklich nur Männer gemeint, wenn er von seinen Brüdern sprach?

Ausgerechnet Luthers Bibelübersetzungen – darf man die verändern? Ja, aber nur behutsam, sagt der Leipziger Professor Christoph Kähler, der das Über­setzungsprojekt steuert. „Der Wortlaut darf nur verändert werden, wo es die Treue zu den biblischen Zeugen erfordert.“ Also nur dort, wo der ursprüngliche Sinn der Texte deutlicher werden soll. Das hat übrigens Martin Luther selbst schon so gehalten. Schließlich hatte er kein zeitloses Kunstwerk schaffen, sondern die Bibel für Menschen seiner Zeit übersetzen wollen, in ihre Sprache, in ihre Lebenswelt. Bis zu seinem Tod hat ­Luther mit seinen Mitarbeitern regelmäßig nach besseren Formulierungen, besseren Bildern gesucht.

Nicht anders die heutigen Theologen. Sie fragen: Hat Paulus wirklich nur Männer gemeint, wenn er von seinen Brüdern sprach? Ist heute noch zu verstehen, was eine „Wehmutter“ ist? Es geht auch darum, übertriebene Modernisierungen auszubügeln. Noch in den achtziger Jahren sind manch wunderbare Luther­vokabeln aus der Bibel getilgt worden. Trotzdem sind sie nie aus dem liturgischen Sprachschatz verschwunden: Luthers „selig“ ist so viel schöner als das funktionale „gerettet“. Anderes hat, wie die Forscher herausfanden, Luther wohl falsch übersetzt: Gott hat kein Bleilot in ­ der Hand, sondern waffentaugliches Zinn, um Gericht über sein Volk zu halten (Amos 7,7).

Hesekiel 3,12

Und der Geist
hob mich empor,
und ich hörte hinter
mir ein Getöse
wie von einem großen
Erdbeben. (1984)

Im Hebräischen wird für „Geist“ und „Wind“ derselbe Begriff verwendet. Aber „Wind“ entspricht Luthers Textversion von 1545 – und passt hier viel besser.

Und ein Wind
hob mich empor,
und ich hörte hinter
mir ein Getöse
wie von einem großen Erdbeben. (2017)
 

Brief des Jakobus 2,1

Liebe Brüder,
haltet den Glauben an
Jesus Christus, unsern
Herrn der Herrlichkeit,
frei von allem Ansehen
der Person. (1984)

Die inklusive Sprache wird häufiger verwendet, nicht durchgängig, aber zum Beispiel bei der direkten Anrede in Briefen oder zu Beginn von Textabschnitten. 

Meine Brüder und Schwestern,
haltet den Glauben an
Jesus Christus, unsern
Herrn der Herrlichkeit,
frei von allem Ansehen
der Person. (2017)
 

Römerbrief 10,10

Denn wenn man
von Herzen glaubt,
so wird man gerecht;
und wenn man mit
dem Munde bekennt,
so wird man gerettet. (1984)

Luther verwendete das Wort „selig“, das erst 1975 in „gerettet“ geändert worden war. Nun soll es wieder „selig“ heißen, da dies als typischer Begriff der Luthersprache erhalten bleiben soll.

Denn wer mit dem
Herzen glaubt,
wird gerecht; und
wer mit dem Munde
bekennt, wird selig. (2017)
 

1. Buch Mose 2,18

Und Gott der HERR sprach:
Es ist nicht gut, dass der Mensch
allein sei; ich will ihm eine
Gehilfin machen, die um ihn sei. (1984)

Schon in der Lutherbibel von 1984 wurde der abwertende Begriff der „Gehilfin“ durch eine Anmerkung erklärt. Nun wird auch der Haupttext geändert.

Und Gott der HERR sprach:
Es ist nicht gut, dass der Mensch
allein sei; ich will ihm eine
Hilfe machen, die ihm entspricht. (2017)


1. Buch Mose 35,17

Da ihr aber die Geburt
so schwer wurde, sprach
die Wehmutter zu ihr:
Fürchte dich nicht,
denn auch diesmal wirst du
einen Sohn haben. (1984)

Nur an zwei Stellen in der Lutherbibel von 1984 tauchte der Begriff „Wehmutter“ auf, an anderer Stelle war von Hebammen die Rede. Und das ist heute leichter zu verstehen.

Da ihr aber die Geburt
so schwer wurde, sprach
die Hebamme zu ihr:
Fürchte dich nicht,
denn auch diesmal wirst du
einen Sohn haben. (2017)


Psalm 42,2

Wie der Hirsch lechzt
nach frischem Wasser,
so schreit meine Seele,
Gott, zu dir. (1984)

Die Lutherbibel 2017 kehrt zum schreienden Hirsch zurück, weil so auch Luther 1545 formuliert hatte. Außerdem spielt ein kirchenmusikalisches Argument eine Rolle: Die populäre Vertonung des Psalms durch Felix Mendelssohn Bartholdy lässt den Hirsch ebenfalls schreien, nicht lechzen.

Wie der Hirsch schreit
nach frischem Wasser,
so schreit meine Seele,
Gott, zu dir. (2017)
 

Johannesevangelium 11,25

Jesus spricht zu ihr:
Ich bin die Auferstehung
und das Leben.
Wer an mich glaubt,
der wird leben,
auch wenn er stirbt. (1984)

Warum zurück zur alten Formulierung? Dieser Vers ist im ursprünglichen Wortlaut Luthers von 1545 sehr viel bekannter und beliebter als in seiner späteren Version.

Jesus spricht zu ihr:
Ich bin die Auferstehung
und das Leben.
Wer an mich glaubt,
der wird leben,
ob er gleich stürbe. (2017)

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Das Alte Testament ist 1984 nicht bearbeitet worden, daher sind die Bezugsangaben der AT Stellen mit 1984 nicht korrekt

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Was ist nur aus der guten alten historisch-kritischen Exegese geworden?
Haben die Verantwortlichen mal ihr Vorverständnis geprüft? Wer solche wirren Kriterien an die Übersetzung anlegt -Mendelsohn ist schon ne ganze Weile nicht mehr "populär" , Inklusions-Paradigma, etc., dem ist nicht zu trauen.
Im Geiste Luthers -im "Winde" assoziiert einen deutlich anderen Kontext :) Nicht rumdoktern, neu übersetzen. So haben es die Reformatoren gemacht.
Das hier braucht kein Mensch!