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„Das gehört sich nicht“ war ein Standardsatz meiner Mutter, häufig ergänzt und verstärkt durch den Hinweis: „Das tut man einfach nicht.“ Meiner Pubertät geschuldet fand ich das höchst nervig und spießig – und kommentierte ihre Äußerungen mit verdrehten Augen und demonstrativem Aufseufzen. Heute bin ich überzeugt, dass mehr Anstand nicht nur weltweite Finanzkrisen verhindert hätte, weil dann – auch elterliche Weisheit – ehrlicherweise nur verkauft und gekauft worden wäre, was man verstehen oder bezahlen kann. Aber schon im Allerkleinsten sorgt Anstand für wohltuendes Zusammenleben. Denn alle Kritik an falschem Verhalten hat als positive Folie das, was man tut, was sich gehört.
Zum persönlichen Anstand, den meine Eltern mir beigebracht haben, gehört es, zu grüßen, Bitte und Danke zu sagen, abzuwarten, bis andere ausgeredet haben, aufzustehen, wenn ein alter oder ein Mensch mit Behinderungen einen Platz benötigt, und überhaupt Respekt vor Älteren an den Tag zu legen. Es ist doch einfach schön, wenn man auf der Straße mit Bitte und Dank nach der Uhrzeit fragt. Angenehm, wenn eigene höfliche Erkundigungen nach dem Weg von Bus- oder Straßenbahnfahrern charmant beantwortet werden. Ich freue mich, wenn mich jemand am Arbeitsplatz oder sogar in Briefen und Mails nicht mit einem saloppen „Hallo“, sondern förmlicher oder herzlicher anspricht.
Ein anständiger Mensch: kein spießiger Kleinbürger oder dümmlicher Mitläufer
Alles bloße Äußerlichkeiten? Nein, die Außenseite einer inneren Haltung, die andere Menschen achtet und darauf schaut, dass sie nicht übersehen, beschämt, gedemütigt oder ungerecht behandelt werden. Anstand ist mehr als bloße Höflichkeit oder Etikette. Ein anständiger Mensch: das ist kein spießiger Kleinbürger oder dümmlicher Mitläufer, sondern einer, der freiwillig und aus eigener Überzeugung sich dafür entscheidet, menschlich mit anderen umzugehen. Bei meiner Hausbank erlebe ich Anstand – wenn mir mein Berater für private oder dienstliche Anlagen nur etwas empfiehlt, was er selber genau kennt und präzise einschätzen kann.
Ich kenne viele Unternehmer, die anständig sind – sie wissen, dass das die Grundlage von Vertrauen ist. Einem anständigen Menschen kann ich vertrauen – das macht das Leben einfacher. Der Türke nebenan verkauft mir beste Bioware und sagt mir auch, wenn etwas eben nicht ungespritzt oder unbehandelt ist. Ich muss nicht jedes Mal neu alles umdrehen und überprüfen. Der Anstand meines Gemüsehändlers erleichtert mir das Leben. Das tun auch die, die im Ausland aus Überzeugung ihre Blumen, Fußbälle und Teppiche mit Rücksicht auf Arbeiter und Arbeiterinnen – und ohne Kinderarbeit – produzieren. Ihre Marken kann ich unbesorgt kaufen, wenn mir daran gelegen ist.
Anständig ist meine Kollegin, wenn sie ehrlich mit mir umgeht, auch wenn es unbequem wird. Anstand – das ist nämlich auch kräftiger Widerstand. Es kostet etwas, anständig zu sein. Gelegentlich die Sympathie anderer, wenn man nicht bei ihren Hetzereien gegen Kollegen oder Chefs mitmacht. Manchmal nächtliche Ruhe oder die Gesundheit, wenn ich an die denke, die sich gegen neue Nazis engagieren und dafür von ihnen drangsaliert und verfolgt werden. Aber wer anständig ist, kann nicht anders. Er oder sie bleibt bei der eigenen Überzeugung. Übrigens: Schamlos sind bloß die Unanständigen. Wer Anstand hat, kann sich auch schämen, vor allem für sich selbst.
Regeln im Alltag
Anstand sollte man doch von `Berufschristen' (Pfarrer) auch erwarten dürfen - aber - gibt es `in der Kirche' wirklich Grundsätze,
die dieses auch einfordern? (natürlich sind die `Un-Anständigen' durchaus in der Minderzahl - und manchmal sogar durch ihre Amtsaufgaben gezwungen, Un-Anständig zu handeln, wenn sie z.B. Vorgesetzte in
Organisationen sind, die Menschen beschäftigen
Es gibt daher zwischen Pfarrern und Ehrenamtlichen durchaus `Reibereien' - die auch geklärt werden können - aber es gibt keine schriftlich festgelegte `Charta' - in der Regeln fixiert sind, was nicht geht - und welche Rechte Ehrenamtliche haben sollten - `Anstand' wäre auch ein Beschwerdesystem innerhalb von Kirche/n, das ehrenamtlich Tätige nicht abhängig macht von kirchlichen Amtsträgern, die sich dahinter verschanzen (können).
Es gibt (innerhalb von Diakone-Organisationen) zwar Grundsätze, wie Organisationen arbeiten soll/ten , aber keine Grundsätze, die festlegen,
dass z.B. Hauptberufliche und Ehrenamtliche eine Schlichtungsstelle
anrufen können sollten, wenn Konflikte entstehen
-Anstand wäre, Ehrenamtliche nicht in `Nacht-und-Nebel' Aktionen aus ihren Ämtern rauszuekeln
-Anstand wäre, Ehrenamtliche auch als Briefschreiber ernst zu nehmen, aber von kirchlichen Ämtern kann man wohl nur die Obrigkeits-Haltung erwarten - die auch noch Trost spendet, wenn man rausgebüxt wird
(kennen Sie eine kirchliche Vorgabe, die kirchliche Ämter dazu anhält,
kritische Anfragen so zu beantworten, dass die Situation darin auch
im Sinne des Schreibendenden betrachten werden könnte?)
- Anstand wäre, wenn kritische Situationen in Konfliktbearbeitungs-systemen geklärt werden könnten
- Anstand wäre, wenn Ehrenamtliche auch Schutz-Rechte hätten
und nicht auf das Rechtssystem des Staates zurückgreifen bräuchten, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen
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Falls diese Vorwürfe `unanständig' klingen sollten bitte ich Sie
einfach, Ihnen die Nachweise liefern zu können - evtl. wird
das Thema `Anstand' schon schwieriger werden?
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Segensreicher Anstand
Zitat aus dem Artikel: "Heute bin ich überzeugt, dass mehr Anstand nicht nur weltweite Finanzkrisen verhindert hätte". Finanzkrisen werden also von unanständigen Kreditgebern und Kreditnehmern - zum Kredit gehören nämlich immer zwei Seiten - in die Welt gesetzt. Und das in ziemlich genau angebbaren Branchen, Ländern und Zeitpunkten. Ein Jahr zuvor waren die freiheitlichen Marktteilnehmer also noch anständig und dann bricht die Unanständigkeit aus. Interessant! ______________________________ Zitat: "Ich kenne viele Unternehmer, die anständig sind". Das gehört sich wohl auch so für einen Unternehmer. Was sollen sonst bloß die Unternommenen von ihm denken? _________________________________ Zitat: "Ein anständiger Mensch: kein spießiger Kleinbürger oder dümmlicher Mitläufer". Eine sehr richtige Bemerkung! Er war kein Kleinbürger, sondern Sohn des Rektors des Wittelsbacher-Gymnasiums in München. Mitläufer war er auch keiner, sondern bekleidete hohe, verantwortungsvolle Ämter. Vom Segen des Anstandes war er auch zutiefst überzeugt, wie sein berühmtes Zitat belegt: "Dies durchgehalten zu haben, und dabei - abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen - anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte". Wie hieß dieser glühende Liebhaber des Anstandes bloß?
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Mit Anstand
kann man sogar ein KZ führen. Die Posener Rede beweist das. Sehr schön, Iwan.
Was mich stutzig macht, ist die intellektuelle Arglosigkeit der Autorin. Oder sollte man befürchten Dummheit? Glaubt sie das wirklich, was sie schreibt, oder will sie andere glauben machen. Warum dann aber? Soll womöglich alles so bleiben wie es ist? Ein jeder kehre vor seiner eigenen Tür, dann gibt's auch keine Finanzkrise mehr. Fürstenerziehung für Banker. Im Geburtsland von Marx und Brecht kann das nur verstanden werden als Appell an die Blödesten, still zu halten. Deposuit potentes de sede et exaltavit humiles. Die Herrschenden vom Thron stürzen - so hoffnungsfroh war mal Christentum... Lang ist's her.
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Hoffnungsfrohe Kehrwoche
EBSW schrieb am 16. Juni 2013 um 22:23: "Ein jeder kehre vor seiner eigenen Tür, dann gibt's auch keine Finanzkrise mehr." Satirische Bemühungen stehen hier auf verlorenem Posten. Diese Sicht der Gesellschaft meint es brutal Ernst. Vom trauten Familienkreis bis zum Weltkrieg ist alles unter moralischen und psychologischen Gesichtspunkten zu betrachten. Siege und Niederlagen der Insassen der aktuellen Gesellschaft sollen erklärt werden als Ergebnis psychischer Kräfte und gewertet werden als gut oder böse. Insofern erscheint es mir auch unerheblich, ob ein Autor solcher Ansichten selber von dem überzeugt ist, was er schreibt, oder nicht. Diese Denkweise ist so vorherrschend, weil sie es sowohl denen, die die Niederlagen gepachtet haben, wie auch den anderen ermöglicht, sich fern aller Erkenntnis in den Verhältnissen einzurichten. _____________________________ Zitat: "Soll womöglich alles so bleiben wie es ist?" Ich fürchte, es steht noch schlimmer. Die Verhältnisse sollen laufend verbessert werden. Was bereits großartig ist, strebt nach immer neuen Höhepunkten dieser Großartigkeit. __________________________ Zitat: "Die Herrschenden vom Thron stürzen - so hoffnungsfroh war mal Christentum... Lang ist's her." Das Christentum als ursprünglich toller Einfall, der dann leider den Bach runtergegangen ist? Da hätte ich Zweifel. Vielleicht war es auch schon vor 2 000 Jahren eher ein gefährlicher Irrtum, auf die Frucht des Leibes der späteren Himmelskönigin zu setzen. Die Humiles werden nicht umhinkommen, die Potentes höchst eigenhändig aus ihren Sedes zu depositieren, sonst bleibt alles wie es ist, nämlich eine Frage des Anstandes. Die Antwort darauf ist bekannt.
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Wahrheit
Finanzkrisen verhindern???
Nee, Krieg den Konsum- und Spekulationstempeln, "gebt dem Kaiser was des Kaisers ist", und kippt die "Tische der Geldwechsler", damit Gott / die Vernunft des Geistes "wie im Himmel all so auf Erden" den Mensch und (s)eine Seele zur Entfaltung bringt.
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