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Wenn alle mitreden wollen
Planung und Politik über die Köpfe hinweg? Geht nicht mehr! Der Stadtforscher erklärt, wie echte Bügerbeteiligung funktioniert.
Tim Wegner
12.06.2013

chrismon: Herr Petrin, auf Ihrer Internetplattform und bei Veranstaltungen fordern Sie Bürger zur Mitsprache auf. Warum?

Julian Petrin:
An einem Freitagnachmittag in der Schulaula Stellwände aufstellen, die Anwohner einladen und denken: Jetzt haben wir alle mitgenommen – das reicht nicht mehr. Stuttgart 21 war der Wendepunkt.

Was machen Sie anders?
Wir laden die Menschen nicht ein, wenn das meiste schon entschieden ist, sondern schieben die Diskussion vorher an.

Gelingt Ihnen das nur an der Elbe – Sie nennen sich „Nexthamburg“?
Wir sind in mehreren Städten aktiv, aber Hamburg ist unser Heimathafen. Hier haben wir bereits über 1000 Projektideen gesammelt, die wir zu einer Bürgervision für die Stadt von morgen zusammengetragen haben. Da sind viele sehr gute Ideen dabei, die wir mit unserer neuen Plattform Stadtmacher weiter begleiten wollen.

Zum Beispiel?
Manche Ideen sind ganz naheliegend, zum Beispiel eine Promenade an der Elbe gegenüber der City. Das wünschen sich viele Bürger, da hätte man einen tollen Blick auf die Stadt. Andere Ideen sind sehr überraschend, zum Beispiel die stromerzeugende Joggingstrecke. So etwas ist tatsächlich machbar. Und Manches ist auch umstritten, wie die City-Maut, die manche Bürger fordern. Die Ideensammlung ist eine riesige Fundgrube, aus der man sich noch Jahre bedienen kann.

Und in anderen Städten?
In Bremen soll ein neuer Verkehrsnetzplan entstehen, da haben wir eine Onlineumfrage mit 5000 Teilnehmern zustande gebracht.  Wir arbeiten aber auch zusammen mit dem Goethe-Insitut in Bangalore. Da sind die
Probleme viel größer als bei uns.

Wen bringen Sie miteinander ins Gespräch?
Am besten jeden mit jedem. Es steht ja nicht der Bürger gegen Investoren und Experten, sondern es gibt zahllose Experten. Da ist zum Beispiel ein Unternehmer, der Fahr­radwege baut. Der diskutiert mit dem radelnden Familienvater. Gemeinsam stößt man auf Planungsfehler, und zwar bevor die politische Entscheidung getroffen wird – eine „Zwischenvergewisserung“ sozusagen.

Ist das so viel anders als die Expertenanhörung im Verkehrsausschuss?
Es ist offener. Bei uns kann alles angesprochen werden. Auch scheinbar verrückte Visionen, wofür man in einer anderen Öffentlichkeit sofort etwas auf die Mütze kriegen würde. Bei uns entstehen daraus neue Ideen.

Und am Ende werden die Realität?
Natürlich nicht gleich, natürlich nicht immer. Partizipation heißt ja nicht „Wünsch dir was – und es wird gleich was“.  Aber wir ver­sprechen, dass die Ideen und Projekte, die bei uns entwickelt werden, ihren Weg in die Politik finden.

Ärgern Sie sich nie über Leute, der Ihre Bühne zur Selbstdarstellung nutzen?
Doch. Allerdings gibt es bei unseren Foren keine Grußworte, und niemand muss gewählt werden. Ich gebe aber zu, dass wir mit den lauten Stimmen manchmal ein Problem haben.

Wenn alles so gründlich besprochen wird – dauert die Planung dann Jahre länger?
Nicht unbedingt – denn im positiven Fall wird die Entscheidung von der Mehrheit getragen, und es gibt weder einen Baustopp  wie in Stuttgart noch einen Bürgerentscheid.

Was spricht gegen Bürgerentscheide?
Sie sind doch nur der Beweis dafür, dass nicht rechtzeitig miteinander geredet wurde. Bei Bürgerentscheiden gibt es immer Ver­lierer. Genau das wollen wir vermeiden.

Heute geht es um Bahnhöfe, Radwege, Großbauten. Wo wollen wir in zehn Jahren mitreden?
Es wird viel stärker um das soziale Mitein­ander gehen: Wie bringen wir Menschen aus verschiedenen Schichten miteinander ins Gespräch? Dafür brauchen wir neue, kreative Formen. Daran arbeiten wir.

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Mit großer Verwunderung haben wir das Interview mit Julian Petrin von nexthamburg in der Chrismon gelesen. Es entsteht darin der Eindruck, nexthamburg hätte die Entwicklung des Gängeviertels mitgestaltet. Dem ist jedoch nicht so und wir sind darüber verärgert. Eine unserer Mitstreiter_innen hat es so ausgedrückt: "Sich als bezahlte Pseudo-Partizipations-Agentur mit den Früchten ehrenamtlicher Arbeit schmücken: Pfui!!"

Wir möchten Julian Petrin und nexthamburg nicht öffentlich attakieren. Daran haben wir kein Interesse. Aber weil wir hier im Gängeviertel unzählige Stunden ehrenamtlich daran arbeiten, dass dieses historische Viertel saniert wird und trotzdem lebendig und selbstverwaltet bleibt, ist es für uns wichtig, in der Öffentlichkeit entsprechend wahrgenommen zu werden. Ein Erfolg in dieser Sache war unter anderem die Anerkennung als "Ort der kulturellen Vielfalt" durch die UNESCO im letzten Jahr (in Deutschland gibt es bisher nur zwei Orte mit dieser Auszeichnung) und die Gründung der Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG: http://gaengeviertel-eg.de

Michael Ziehl, Vorsitz Aufsichtsrat Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG

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Lieber Herr Ziehl, in der Tat müssen wir den Absatz zum Gängeviertel richtig stellen. Next hamburg war dort sehr viel weniger beteiligt, als es hier den Anschein hat. Wir bedauern den Irrtum und entschuldigen uns für den Fehler. Unabhängig davon würden wir uns freuen, wenn die Diskussion über die Art und Weise von Bürgerbeteiligung hier an dieser Stelle weitergeführt wird und laden alle Interessenten dazu ein. Dorothea Heintze/chrismon.de

Zunächst auch von meiner Seite: Nexthamburg will sich auf keinen Fall mit fremden Federn schmücken. Die Sicherung des Gängeviertels als kultureller Ort ist allein der Verdienst der vielen Engagierten in der Initiative (und jetzt der Genossenschaft). Und – so meine Wahrnehmung – vielleicht noch der Abendblatt-Redakteure, die in bis dahin nicht gekannter Art Stellung für das Projekt bezogen haben und sicher dazu beigetragen haben, dass die Aktivitäten der Initiative bis weit in die bürgerlichen Milieus hinein Unterstützung fanden.

Zum Thema Pseudo-Partizipation: Ich denke, wir stehen mitten in einer Beteiligungs-Wende. Es wird uns die nächsten 10, 20 Jahre beschäftigen, wie wir das Verhältnis von direkter und repräsentativer Demokratie neu austarieren. Was manchen als Pseudo-Partizipation erscheint, sind aus meiner Sicht die dringend nötigen vielen Versuche, in konkreten Projekten die Spielräume für Mitwirkung neu auszuhandeln.

Ich finde den Begriff der Beteiligung durchaus problematisch für das, was Nexthamburg macht. Er suggeriert, dass es ein fest stehendes Anliegen gibt, ein zentrales Subjekt, dass andere beteiligt. Das ist bei Nexthamburg nicht der Fall. Und auch anderswo läuft es in immer mehr Prozessen gerade andersherum: Bürger formulieren ihre Anliegen und Projekte selber. Es sind die Fachleute und Politiker, die dann zur gegebenen Zeit "beteiligt" werden.

In diesem Sinne ist auch das, was Nexthamburg macht, streng genommen keine Beteiligung. Wir sind nicht repräsentativ, haben keinen Kuchen zu verteilen. Wir helfen unserer Community, ihre Ideen zu professionalisieren, versuchen ihnen eine Stimme zu geben und sie umsetzungsreif zu machen. Das ist unsere Rolle: ein Inkubator für Ideen und Themen, die im "normalen" Planungsgeschehen keine Chance hätten. Das ist eher Koproduktion als Beteiligung. Aber vielleicht ist das jetzt auch Begriffshuberei.

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Moin,
als Prozessbeteiligter möchte ich dazu sagen, Next Hamburg war als Partnerin der BSU (Behörde f. Stadtentwicklung und Umwelt) indirekt an dem Erhalt der Häuser im Gängeviertel beteiligt. Ob der Anteil Relevanz besitzt, muss nicht zwingend entschieden werden. Wie unten erwähnt, hat der Springer-Verlag mit dem Hamburger Abendblatt sicher einen unvergleichbar größeren Anteil an der Entwicklung. Ohne die mediale Unterstützung hätte das Projekt nicht die derzeit vorgefundene Entwicklung gemacht.

Dass das Projekt überhaupt, wenn auch eingeschränkte, Zustimmung bei den Verantwortlichen der Stadt fand, liegt zum einen in der Verortung als Historischer, und vermeintlich erhaltenswerter, Ort, als auch in der Einordnungsmöglichkeit des Projekts in die bestehende Kulturlandschaft Hamburgs.

Next Hamburg agiert ziemlich passgenau auf dieser Ebene. Die Einordnung von emanzipativen Bewegungen in den bürgerlichen Kontext. Sachlich ist es sicher falsch, das Unternehmen als verantwortlich für das Projekt aufzuzeigen, inhaltlich und verfahrenstechnisch geht das Gängeviertel aber sicher einen guten Weg um den eigenen Bestand dauerhaft sichern zu können. Die Distanzierung ist unnötig.

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Das in dem Interview aufgeführte Beispiel "Stuttgart 21" ist ein ganz schlechtes, das belegt ausführlich ein Artikel von jemanden, der sich diese von Julian Petrin postulierte Art der "Bürgerbeteiligung" einmal näher angeschaut hat:

"Trick 17 mit Selbstüberlistung
Warum die Beteiligung an der Schlichtung zu S21 ein Fehler war und wieso die Politische Mediation keine Alternative ist

Obwohl der Ausgang der sogenannten Streitschlichtung zum Stuttgarter Bahnhofsprojekt S21 ein Fiasko war und die BefürworterInnen ihr Vorhaben auf der ganzen Linie durchsetzen konnten, wird die Teilnahme daran noch immer nicht selbstkritisch infrage gestellt. Dabei wäre es an der Zeit, die Geschehnisse und insbesondere die Beteiligung an der Schlichtungsrunde politisch aufzuarbeiten, um für die Zukunft daraus zu lernen.

Es scheint, als sitze die Enttäuschung und der Schock über die Niederlage immer noch so tief, dass ein Nachdenken über die Fehler blockiert ist. Offensichtlich will man sich nicht eingestehen, dass die Teilnahme an der Schlichtung den Anfang vom Ende einer politisch schlagkräftigen Bewegung markiert.

Alles das, was die Protestbewegung an politischem Druck und Widerstandskraft gegen S21 aufgebaut hatte, wurde von der Schlichtung zunichte gemacht.

Dabei war die reale Chance gegeben, dass die Bewegung das Großbauprojekt würde zu Fall bringen können.

Allein der Umstand, dass auf dem Höhepunkt der Proteste von der Landesregierung auf einmal eine Kehrtwende vollzogen und eine Schlichtungsrunde einberufen wurde, zeugt davon, dass sie mit dem Rücken zur Wand stand.
Das Projekt S21 stand auf der Kippe

Die Repressionsstrategie hatte nach dem "Schwarzen Donnerstag" am 30.9., dem Tag des brutalen Polizeieinsatzes im Schlosspark, ausgedient. Statt, dass sie zur Eindämmung des Protestes geführt hätte, befeuerte sie den Protest.

An 9.10.2010 kam es mit mehr als 150.000 Menschen zur größten Demo, die Stuttgart je gesehen hat. Der Protest hatte solche Ausmaße angenommen, dass sogar die Belegschaft des Stuttgarter Theaters sich mit der Bewegung solidarisierte. Selbst Teile der gutbürgerlichen CDU-Klientel kündigten ihrer Partei öffentlich die Gefolgschaft auf. Die Landesregierung hatte sich mit ihrem rücksichtslosen Stil diskreditiert.

In dieser Situation hatten Mappus und Co. nicht mehr die Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten, wollten sie nicht noch mehr politischen Schaden in Kauf nehmen. Ihnen blieb nur ein Ausweg: Ihr Heil in einer auf direkten Gesprächen orientierten Strategie zu suchen, bei der sie wohl selbst erst Vertrauen finden musste, dass sie aufgeht. Aber sie ging auf. Und zwar so vollständig, dass selbst arrogante CDU-Macht-Strategen, wie der Fraktionsvorsitzende Peter Hauk, Befürworter von Bürgerbeteiligungen wurden.
Die politischen Effekte waren:

+ Mit der Schlichtung bekam die Landesregierung wieder das Heft des Handelns in die Hand. Sie konnte fortan den Verlauf der öffentlichen Debatte bestimmen.

+ Die Dynamik des Widerstandes kommt zum Erliegen. Was die Repression nicht erreicht hatte, bewirkte die Schlichtung: Das Stillstandsgebot greift, es kehrt Ruhe ein an der Protestfront.

+ Widerständige Gruppen, die die Beteiligung an der Schlichtungsrunde ablehnten, wie die Parkschützer, konnten marginalisiert und als unbedeutend hingestellt werden.

+ Die Wut über die Selbstherrlichkeit und den autokratischen Regierungsstil der CDU-FDP Landesfürsten und ihrer Hofschranzen, die sich wohl am deutlichsten im tausendfach skandierten Wort "Lügenpack" niederschlug, fand keine Artikulationsmöglichkeit und Angriffsfläche mehr und versiegte.

+ Die Differenz verwischte. Die Unversöhnlichkeit der Standpunkte weicht dem Bild von KontrahentInnen, die beide nur das Beste wollen. Aus GegnerInnen werden KonfliktpartnerInnen.

+ Die Schlichtung fuhr den Spannungsbogen herunter. Die Aussicht, nun endlich mit seinem Anliegen gehört und von den Verantwortlichen ernst genommen zu werden, beruhigte die Gemüter.

+ Die Schlichtung stellte die Akzeptanz für S21 her. Hatte es der Widerstand vermocht, die politische Legitimation von S21 in Frage zu stellen, so eröffnete die Schlichtung den S21-LobbyistInnen, die Möglichkeit, diesen Prozess wieder umzukehren.

+ Grundsätzliche Fragen verschwanden von der Agenda. Die Schlichtung reduzierte den Konflikt auf technische Details und auf Fragen der Leistungsfähigkeit der Bahn. Systemfragen blieben ausgeklammert.

Dabei ging es bei S21 um weit mehr als um einen Bahnhof und die damit einhergehende Flächenzerstörung der Innenstadt.

Der Widerstand brachte die Grundsatzfrage auf: Wem gehört die Stadt? Wer entscheidet über ihre Geschicke?

Die Antwort lautete: wir, die BürgerInnen dieser Stadt. Eure Frechheit, gegen unseren Willen über unsere Stadt zu verfügen, lassen wir uns nicht gefallen! Damit stellte sie den politischen Herrschaftskodex infrage, nämlich, ob es der Bevölkerung gestattet sein darf, in wirtschaftspolitische Projekte, die von oben eingefädelt wurden, zu intervenieren und sich also in die Entscheidungshoheit der politischen Klasse einzumischen.

In diesem Sinne meinte Bahnchef Grube, am 3. Oktober 2010 den Protest maßregeln zu müssen, indem er verkündete, ein Recht auf Widerstand gegen den Bahnhofsneubau gäbe es nicht, da in Deutschland die Parlamente Entscheidungen träfen und niemand sonst. (1)

Die Bewegung gegen S21 nahm sich bekanntlich das Recht zum Widerstand; und damit das radikaldemokratische Recht, den Baustopp gegen den Willen der Führungseliten selbst herbeizuführen. Das war die realistische Option. An dieser Machtauseinandersetzung entlang entschied sich, ob es gelingen würde, das Wahnsinnsprojekt zu Fall zu bringen.

Wer auf den Massendemos am Vorabend der Schlichtung die Kraft dieser Bewegung erlebt hat, war sich sicher, dass sie zu mächtig geworden war, als dass das Projekt S21 durchzusetzen gewesen wäre. Die Landesregierung saß in der Klemme, in die sie die Bewegung gebracht hatte. Mit der Beteiligung an der Schlichtung hat ihr die gleiche Bewegung die Brücke verschafft, wieder heraus zu kommen. Indem sie ihr diesen Gefallen getan hat, hat sie sich selbst entmachtet.
Politische Mediation als Antwort auf das Scheitern der Schlichtung?

Als wäre mit der S21-Schlichtung nicht anschaulich genug demonstriert worden, wie Protestbewegungen über den Runden Tisch gezogen werden, fand im April 2012 auf Initiative der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden und dem Friedensbildungswerk Köln eine Tagung in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung (2) statt, die sich ausgerechnet zum Ziel setzte, Schlichtungsverfahren zu optimieren.

Sie kommt zum Fazit: Den Vermittlungsweg einzuschlagen war an sich richtig, er wurde nur fehlerhaft durchgeführt.

Nach der Motto: Es beim nächsten Mal besser machen! empfehlen die Initiatoren die Politische Mediation als Alternative zur Schlichtung á la Geißler.

Als Ort hatte man und frau sich das Stuttgarter Rathaus ausgesucht. Rund 40 Personen, vornehmlich aus der Berufsgruppe der MediatorInnen aus den drei deutschsprachigen Ländern D/CH/A nahmen daran teil. Darunter waren aber auch VertreterInnen von Bürgerinitiativen aus Wien, Köln, Berlin, der Journalist Franz Schmidt, der ehemalige Richter des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofes, Lothar Fießelmann, die Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, Baden-Württemberg, Gisela Erler, sowie mit Hannes Rockenbauch (SÖS Stuttgart) und Brigitte Dahlbender (BUND) u.a. zwei TeilnehmerInnen der Schlichtungsrunde.

Motiviert war die Tagung zum einen von der Aussicht auf Aufträge. S21 habe bewirkt, dass die Zeit der Basta-Politik, des Durchregierens an der Bevölkerung vorbei, beendet sei. Folglich eröffne sich nun die Chance, demokratische Beteiligungsverfahren zu verbreiten; zum anderen von der Sorge, der Ruf ihres Metiers könnte durch den unbefriedigenden Ausgang der Schlichtung in Misskredit geraten und als untaugliches Mittel von den Sozialen Bewegungen verworfen werden. Dem galt es entgegenzuwirken, denn "die Bereitschaft, sich auf solche deeskalierenden Gespräche einzulassen, droht mit jedem weiteren missglückten Versuch zu schwinden." (3)

Ein wesentliches Anliegen dieser Tagung bestand deshalb darin, zu schauen, wie Bedenken und Skepsis innerhalb der Sozialen Bewegungen abgebaut werden können.

Diese wurde offensichtlich als Problemgruppe ausgemacht und als Hindernis für zukünftige erfolgreiche Mediationsverfahren angesehen. So gelte es, "alle gesellschaftlichen Gruppen für Mediation zu interessieren und auf ihre Vorbehalte und Erwartungen einzugehen. Gehört werden müss(t)en… insbesondere die sozialen Bewegungen und die Umweltverbände, deren Widerstand in der Regel die Vermittlungsbemühungen auslöst." (4)

So wie die Tagung konzipiert war, läuft sie auf das strategische Ziel hinaus, einerseits bei Politik, Verwaltung und Wirtschaft das Konzept der Politischen Mediation prominent zu platzieren und andererseits seine Akzeptanz in den Sozialen Bewegungen herzustellen.

Um Letzteres zu befördern, versucht man Gruppen aus den Sozialen Bewegungen nun einzubinden. Die InitiatorInnen arbeiten daran, "ein von weiten Teilen der sozialen Bewegungen mitgetragenes Dokument zu erstellen…" und bitten die angesprochenen Gruppen, eine Rückmeldung zu geben, "inwieweit ihr die darin enthaltenen Thesen euren Vorstellungen und Bedürfnissen entgegen kommen!", so in einer Rundmail von Anfang Oktober.

Unterstellen wir der Initiative die gute Absicht, ein aus ihrer Sicht fortschrittliches Vermittlungsmodell in die Debatte einbringen zu wollen, damit dieses als Verfahren anerkannt wird und sich im öffentlichen Diskurs durchsetzt, dann bleibt die grundsätzliche Frage: Ist das Instrument der Politischen Mediation überhaupt geeignet, politische Auseinandersetzung dieser Art zu lösen?

Diese Grundsatzfrage stellen die Initiatoren nicht, sie setzten sie voraus. Ob auf Dialog- oder Schlichtungsangebote einzugehen ist, wird nicht zur Diskussion gestellt. Stattdessen versucht man, das Konzept der Politischen Mediation den Sozialen Bewegungen von außen einzupflanzen.

Die Grundsatzfrage wird von vielen Gruppen aus guten Gründen und schlechten Erfahrungen negativ beantwortet. Nicht, weil die Politische Mediation bislang noch keine reale Bewährungsprobe hatte, wie MediatorInnen gerne anführen, sondern weil die Ziel- und Strategievorstellungen auseinandergehen.
Politische Auseinandersetzungen sind keine zwischenmenschlichen Konflikte!

Die Politische Mediation ist ein Konzept, welches das Verfahren und die Haltung der Mediation auf den politischen Bereich anzuwenden versucht.

Das heißt, hier wird ein Konfliktverständnis auf politische Prozesse übertragen, das bei der Vermittlung von zwischenmenschlichen Konflikten angewendet wird. Diese Übertragung geht nicht; schon weil die Prämisse verkehrt ist, politische Auseinandersetzungen seien wie Konflikte zwischen Menschen oder Gruppen zu behandeln. Was für die Klärung eines zwischenmenschlichen Konfliktes wertvoll und heilsam ist, funktioniert nicht bei politischen Konflikten, denn die Rahmenbedingungen sind grundverschieden.

Nichtsdestotrotz wird hartnäckig versucht, sich mit diesem Konzept im politischen Raum zu profilieren. Welche Blüten das treibt, zeigt die Forderung nach "Einbeziehung der Gefühls- und Beziehungsebene", wie sie nach Ansicht von Christoph Besemer, einem der Hauptinitiatoren der Tagung, die Schlichtung vermissen ließ:

"Ein Konflikt - zumal dieses Eskalationsgrades - besteht nicht nur aus einem Informationsdefizit und sachlichen Kontroversen. Eine große Rolle spielen auch elementare Gefühle wie Ohnmacht, Wut, Hass, Verzweiflung etc., welche den Kontakt zur Gegenseite belasten. Diese Emotionen treiben die Eskalation an und bleiben als verbitternde Erfahrung zurück. Nicht nur, was nicht ausgesprochen ist, wird zu Gift, wie Heiner Geißler einmal F.J. Strauß zitierte, sondern auch nicht verarbeitete schmerzliche Gefühle und unversöhnte Feindschaft." (5)

Abgesehen davon, dass die Anleihe bei Strauss via Geißler reichlich befremdlich stimmt - was hier gefordert wird, ist eine andere Veranstaltung.

Nicht, dass es z.B. sinnvoll gewesen wäre, das Trauma der Geschehnisse um den Schwarzen Donnerstag aufzuarbeiten, aber dies als goldenen Weg zur Lösung einer politischen Auseinandersetzung auszugeben, bedeutet, am Thema vorbei zu argumentieren. Ein politischer Konflikt besteht nicht aus eskalierten Emotionen, die entstehen als (logische) Folge, sondern zuallererst aus Interessengegensätzen, wie z.B. Schutz und Erhalt des Parks versus Realisierung hoher Gewinne durch Vermarktung der freiwerdenden Flächen und nachfolgender Immobilienprojekte.

Sein Ratschlag nimmt sich geradezu peinlich aus, wenn man sich ernsthaft vorstellt, die Verantwortlichen, wie Mappus, die Polizeieinsatzleitung, Wasserwerferbesatzung etc. würden auch nur einen Moment dazu bereit sein, sich auf einen solchen emotionalen Klärungsprozess einzulassen.

Die hier zugrunde liegende Vorstellung ist, durch die Aufarbeitung der emotionalen Blockaden würde der Weg frei für Lösungen auf der Sachebene. In dieser Logik ist es nur folgerichtig, einen politischen Konflikt als Problem verhärteter Fronten anzusehen. Aber selbst wenn sich am Ende alle die Hände halten würden, würde das nichts an den Positionen ändern. Die MediatorInnen übersehen, dass die Auseinandersetzung um S21 ein gesellschaftlicher Richtungsstreit ist, an dem mächtige Interessengruppen mitstricken und im Hintergrund die Fäden ziehen.

Die ProtagonistInnen von S21 sind RepräsentantInnen dieser Interessen und von ihnen wird erwartet, dass sie entsprechend bestmögliche Ergebnisse erzielen.
Wie unverträglich die Konzepte sind, wird besonders in der Gegenüberstellung des Konfliktverständnisses von Gewaltfreier Aktion und Mediation deutlich:

+ Hat die Gewaltfreie Aktion die Tendenz zur Ausweitung des Konfliktes, dadurch, dass möglichst viele auch bislang Unbeteiligte mobilisiert werden sollen, so geht es in der Mediation umgekehrt um die Eingrenzung des Konfliktes und der Lösung auf die unmittelbar Betroffenen.

+ Orientiert die Gewaltfreie Aktion darauf, Druck zu entfalten und Gegenmacht einzusetzen, um den politischen Gegner zur Aufgabe seiner Pläne zu bringen, ist die Mediation bemüht, einen Ergebnisoffenen Dialog zu führen, bei dem eine einvernehmliche Lösung aller Beteiligten angestrebt wird.

+ Beinhaltet die Gewaltfreie Aktion die strukturellen Machtverhältnisse zu verändern, so werden bei der Mediation Lösungen innerhalb der strukturellen Machtverhältnisse gesucht.

+ Ist es für die Gewaltfreie Aktion programmatisch, eine Eskalation latenter und struktureller Konflikte herbeizuführen und damit strukturelle Gewalt sichtbar zu machen, so steht für die Mediation umgekehrt die Deeskalation und die Lösung offener Konflikte auf der Tagesordnung.

+ Richtet sich die Gewaltfreie Aktion gegen die Seite des Unrechts und klagt sie die politisch Verantwortlichen an, heißt es bei der Mediation: Keine Schuldzuweisungen und Bewertungen!

+ Braucht gewaltfreier Widerstand die Überzeugung, das moralisch bessere zu vertreten, wird man bei der Mediation darüber aufgeklärt, dass jede Seite ihre Wahrheit hat und alles relativ ist.

+ Sehen gewaltfreie AktivistInnen die Ursache des Konfliktes in der Gegenseite, so werden Konflikte in der Mediation als Verstrickungen angesehen, an denen alle beteiligt sind.

+ Rufen Gewaltfreie AktivistInnen dazu auf, das Unrecht/den Missstand zu bekämpfen, wird von der Mediation das Ziel erklärt: Wir müssen zum Frieden mit allen kommen.

Als Erwiderung auf die offensichtliche Tatsache, dass Gewaltfreie Aktion und Mediation in zwei gegenläufige Richtungen weisen, wird mitunter angeführt, dass man sie nicht in Konkurrenz zueinander sehen müsse, sondern als Ergänzungen. Der Widerspruch würde sich dann auflösen, wenn man gewissermaßen arbeitsteilig vorginge: Zuerst schafften Protestbewegungen die Voraussetzungen, um die Machtasymmetrie zu nivellieren und den notwendigen Druck zur Einberufung von direkten Gesprächen zu erzeugen, dann träte die Mediation auf den Plan und führe den Vermittlungsprozess in den Zielbahnhof.

Auch in den Diskussionen der Mediatorentagung wird an manchen Stellen zugestanden, dass die Verhandlungsbereitschaft von PolitikerInnen oder InvestorInnen nicht durch gutes Zureden hergestellt wird, sondern erst von Protestbewegungen provoziert wird. Gewaltfreie Aktion als Vorspiel des eigentlichen Hauptaktes also? Vorher harte Linie, danach weiche Linie?

Nein. Mediation konterkariert den Erfolg von Widerstand.
Schlichtungen entlegitimieren!

Ob Schlichtung, Runde Tische, Dialoge oder Politische Mediation, wie immer sie bezeichnet werden, dort, wo es sich um prestigeträchtige und milliardenschwere Großprojekte handelt, darf man sicher sein, dass sie als Lenkungs- und Steuerungsinstrumente eingesetzt werden. Nicht erst die S21-Schlichtung hat vorexerziert, wie es den Führungseliten gelingt, über diesen Hebel politischen Protest aufzufangen und in eine diskursive Bahn zu ihren Gunsten zu lenken.

Mit der S21-Schlichtung hat man sich auf das Terrain der herrschenden Politik begeben, wo vorprogrammiert war, dass man verlieren würde. Es war falsch, sich auf diesen Prozess einzulassen.

Es war eine Überschätzung zu glauben, die Überlegenheit der eigenen Argumente sei so groß, dass man im Wettstreit obsiegen werde und weitere Teile der Bevölkerung würde überzeugen können. Tatsächlich suggerierte das Setting der Schlichtung als öffentlicher Faktencheck, hier würden zwei Lager die Chance auf einen fairen Wettstreit der Argumente erhalten.

Man übersah aber, dass nicht Argumente den Ausgang bestimmen, sondern die Machtmittel der Beeinflussung, die auf Seiten der S-21 BefürworterInnen waren. Solche, wie die in schöner Regelmäßigkeit erhobene wirksame Drohung, im Falle des Scheiterns kämen Regressansprüche der beteiligten Firmen in Milliardenhöhe auf die Landesregierung zu. Oder solche, wie die, dass die Bahn AG der Auftraggeber des Schweizer Instituts war, das den Stresstest durchführte, der die Leistungsfähigkeit des unterirdischen Bahnhofs im Vergleich zum Bestehenden überprüfen sollte.

Gar nicht zu reden davon, dass der Schlichtungsbeauftragte der Landesregierung, Heiner Geißler, die Regie führte, mit dem, davon kann man ausgehen, schon im Vorfeld abgesprochen wurde, was dabei herauskommen sollte.

Die Politische Mediation schafft keine Abhilfe. Im Gegenteil, sie ist politisch abträglich und irreführend. Sie versucht, einem mehrfach gescheiterten Ansatz neues Leben einzuhauchen. Was als Verfahren "auf der Basis eines herrschaftsfreien Dialogs" proklamiert wird, trägt dazu bei, die Herrschaft der Verhältnisse zu stabilisieren und den Instrumentenkasten manipulativer Techniken zu verfeinern. Das Konzept der Politischen Mediation passt vortrefflich zusammen mit der sog. "Politik des Gehörtwerdens" (6) die die grün-rote Baden-Württembergische Landesregierung zu ihrem Markenzeichen erklärt hat.

Regieren wird immer mehr zur Sache der "soft skills". Durch Beteiligung und Einbindung, durch "Kommunikation auf Augenhöhe", durch das "Hören" von "elementaren Gefühlen" sollen Spannungen abgebaut und Konflikte vermieden werden. Protest und Empörung wird so schon an der Haustüre abgefangen.

Die Erfahrungen mit Dialogen, Mediationsverfahren und Runden Tischen sind überall davon gekennzeichnet, dass sie zur Tolerierung und Akzeptanzbeschaffung und damit wesentlich zur Durchsetzung der ursprünglichen Pläne beigetragen haben. Nirgendwo wurde als Ergebnis einer Mediation ein Projekt fallen gelassen. Bürger sollen "konstruktiv" mitarbeiten, das heißt, sie dürfen bei der Ausgestaltung mithelfen, aber keineswegs ein Projekt grundsätzlich in Frage stellen. Nein Danke!

Es geht darum, diesen Verfahren die Zustimmung zu entziehen. Statt dass Beteiligungsverfahren immer weiter mit schönen Worten aufgeladen und neue Hoffnungen in aussichtslose Wege kultiviert werden, sollte auf Seiten der Sozialen Bewegungen eine Diskussion über deren politische Implikationen geführt werden.

Es braucht das herrschaftskritische und kluge Bewusstsein einer BI Lüchow Dannenberg, die sich von keinem Umwelt- oder sonstigen Ministern, egal welcher Couleur, hinters Licht führen lässt und fadenscheinige Dialogangebote konsequent ausschlägt.

Wenn es auch auf absehbare Zeit weiter Gruppierungen der Sozialen Bewegungen geben wird, die sich auf staatliche Gesprächsofferten einlassen, darf es nicht wieder passieren, dass diese zur Durchsetzung zerstörerischer Projekte funktionalisiert werden.

Es bleibt zu hoffen, dass ein immer größer werdender Teil der Sozialen Bewegungen sich dem Mitspielen verweigert und damit klarmacht: Ihr handelt nicht in unserem Namen. Dass ihr dort verhandelt, wird von uns nicht gebilligt - damit diese staatlich gelenkten "Runden Tische" entlegitimiert werden und ins Leere laufen."

http://www.graswurzel.net/373/s21.shtml

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Werte Christenheit. Lieber Michael Ziehl. Sorry, aber ich möchte schon Julian Petrin und sein Unternehmen zurechtrücken und das könnte sich wie "schlechtmachen" lesen. Aber: Dieses "Interview" ist programmatisch für die nexthamburg GmbH, die mit Sprechblasen Geld verdient. Denn die Petrintruppe ist keine Partizipationsini im probono-Modus, sondern ein Unternehmen, das Rendite erwirtschaften will und muss. Als die Stadt händeringend jemanden gesucht hat, der wenigstens in die Nähe von kritischen Bürgern kommt, hat Petrin so lang: "hier" gebrüllt, bis der Senat den Kleinen Maulwurf in ihr Programm einbezogen hat. Gut dotiert, versteht sich. Seit dieser Zeit spielt Petrin bei den kritischen Inis, die er inhaltlich absaugt, den Doofen und bei der Stadt den Schlauen. Ergebnis: ein Auskommen, das auf Seifenblasen basiert und ein Lehrauftrag. Der letzte der die Stadt so vorgeführt hat, hieß Peter Kabel, hatte angeblich das Internet erfunden und trägt auch 10 Jahre nach dem fetten Crash, den er mit seiner Internetblase hinlegte und von dem sich manch ein Mitarbeiter nur schwer erholt hat, den Titel "Prof" vor sich her, dem man ihm hier in Hanseatenhausen hinterhergeworfen hatte.

Als sich Petrin vor gut 15 Jahren bei mir beworben hat, um eine Ausbildung zum Ideenscout zu machen, hab ich ihm gesagt (freundlich natürlich), dass ich ihn für eines sehr selbstbezogenen Schnacker halte, daran hat sich offensichtlich nix geändert. Doch, heute würde ich ihn dabehalten, um Stadt und Land vor mentalem Unheil zu bewahren.

Ich weiß, sachlich geht anders, aber Gott ist mein Zeuge, das musste gesagt werden. Sonst laufen hier noch mehr Leute mit Heiligenscheinen rum, die ihn weder stehen, noch zustehen.

Georg Möller
Ideenscout

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Ich schließe mich der Kritik von Herrn Ziehl an. Darüber hinaus möchte ich auf die Frage, was gegen Bürgerentscheide spricht, antworten: Dass der Gewinner immer der Senat ist. Im Zweifelsfall kann der Senat den Bürgerentscheid evozieren und bekommt am Ende immer seinen Willen. Das beste Beispiel dafür ist immer noch der Buchenwald in Iserbrook, den 80% der BürgerInnen erhalten wollten, der aber dennoch abgeholzt wurde. Das ist symptomatisch für die sogenannte Partizipation in Hamburg. Trotz des vehementen Protests gegen die Moorburgtrasse wurde bei der Planung der Mitte Altona die von Vattenfall beantragte Trasse als Fakt vorausgesetzt. Die Proteste wurden ignoriert. Die Beteiligung sah dann so aus, dass man bei dem Bodenbelag hätte Vorschlage machen dürfen. Inzwischen ist es sehr unrealistisch geworden, dass diese Trassenplanung noch durchkommt. Ein entscheidender Grund dafür dürfte auch die Einwendung von Blohm & Voss sein. Mit Partizipation hat das nichts zu tun.

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Ach bitte nein, was Hamburg als nächstes braucht, dafür wird sich hoffentlich auch ein anderer Wortführer finden. Wenn der in CDU-Zeiten ach so geliebeten Stadtentwickler Urbanista seine Spaßfraktion im Projekt NextHamburg so hinstellt, als hätten die studentischen Hilfskräfte von ehedem etwas in Sachen Bürger-Beteiligung geleistet, ist das Geschichtsklitterung. Von Altona bis Wandsbek ist "Dialog" eine Phrase geblieben, mit viel Brimborium um kurze Strohfeuer, folgenlos, teuer, viel Hochglanzpapier, aber letztlich Alibi bezirklicher und investitionswütiger Planer, die sich den Teufel um eingeforderte Alternativen scheren. NextHamburg spielt halt eine Rolle, sollen sie auch, ohne deren Veranstaltungen würde mir was fehlen, und das die Firma ihr Credo an die geänderten politischen Verhältnisse anpaßt, geschenkt, ein durchsichtiges aber verständliches Manöver. Nur, warum soll nach dieser Historie irgendwer glauben, Nexthamburg könne Sachwalter für Bürgerbeteiligung und stadtplanerische Kompetenz sein? Nein nein, Politik macht man mit gescheiter Selbstwahrnehmung und offenem Visier - das vorstehende Interview zeigt davon nichts.

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Sehr geehrte Damen und Herrn,

die Bildbeschreibung zur Abbildung über dem o.g. Artikel hat mich doch sehr irritiert: "Vorher lief zu wenig: Bürgerproteste nach Bahnhofsumbau".

Ich weiß nicht genau, in welcher Welt Sie leben, habe aber festgestellt, dass Ihre Redaktion in Frankfurt am Main beheimatet ist. Das ist von Stuttgart aus gesehen nicht völlig aus der Welt.

Eigentlich müssten Sie also mitbekommen haben, dass in Stuttgart mit dem Bonatzbau des Kopfbahnhofs zwar ein potentielles Weltkulturerbe teilweise abgerissen, ein ebenfalls denkmal- und naturgeschützter Schlossgarten mit zahlreichen mehrhundertjährigen Baumriesen gerodet, die Innenstadt Stuttgarts durch die Beseitigung weiterer denkmalgeschützter Bauten verschandelt wurde und weiterhin werden wird, der umweltfreundliche öffentliche Personennahverkehr durch dilettantische Änderungen des S-Bahn-Verkehrs als Vorbereitung für spätere Baumaßnahmen völlig aus dem Fahrplantakt gebracht und der Aufenthalt im öffentlichen Raum in Stuttgart durch eine völlig unverhältnismäßige Polizeipräsenz den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt nachhaltig vergällt wurde.

Nur - ein Bahnhof wurde hier bislang nicht umgebaut! Man hat noch nicht einmal damit angefangen, weil auch nach bald 20jähriger Planung zahlreiche Genehmigungen immer noch nicht erteilt werden konnten, weil selbst die bislang erteilten zahlreichen Ausnahmen zur Umgehung gesetzlicher Vorschriften für den Schutz von Fahrgästen und Anwohnern sowie der kostbaren Mineralwasservorkommen nicht ausreichen, sondern immer neue Sondererlaubnisse beantragt werden. Für zwei von sieben Bauabschnitten gibt's noch nicht einmal eine allererste Baugenehmigung.

Von einem Bahnhofsumbau und vor allem von Bürgerprotesten, die danach stattgefunden hätten, kann also keine Rede sein.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dies in der nächsten Ausgabe korrigieren und vor allem zukünftig solche Falschinformationen vermeiden würden.
Wenn Sie im Zweifel sind, wie es um Stuttgart 21 bestellt ist, empfehle ich Ihnen diese Internet-Seite http://iststuttgart21schonfertig.de/.
Hier erhalten Sie jederzeit Auskunft und vermeiden so zukünftig Fehler bei der Einschätzung, ob ein Bürgerprotest sich gegen ein bevorstehendes oder gegen ein bereits fertig gestelltes Projekt wendet.

Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich Stuttgart 21 von allen desolaten deutschen Großprojekten dadurch unterscheidet, dass zu allem Übel bei diesem Projekt auch noch ein funktionierender Bahnknoten und das Zentrum einer - trotz Ihres schlechten Rufes - lebens- und liebenswerten Stadt zerstört werden.

Mit freundlichen Grüßen

Sabine Reichert