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Es gibt Filmszenen, die mir auffallen, weil ich den Krankenschwesternblick nicht abschalten kann. Ein Beispiel: In Das Fremde in mir (Deutschland 2008, Regie: Emily Atef) geht es um die junge Rebecca (Susanne Wolff), die nach der Geburt ihres Sohnes psychisch erkrankt. Wochenbettdepression – ist nicht selten. Beim Zusehen spürt man ihre Not in jeder Sekunde, die Schlaflosigkeit, die Verzweiflung darüber, dass sie das Baby nicht lieben kann. Irgendwann läuft Rebecca weg, fährt mit irgendeinem Bus bis zur Endstation, läuft in ein Waldstück, bleibt dort auf dem Erdboden liegen. Man ist so froh, sie in der nächsten Szene in einem Krankenbett zu sehen. Eine Krankenschwester wäscht ihr den nackten Oberkörper. Sie taucht den Waschlappen in eine Schüssel, wringt ihn aus, fährt über die Arme, den Rücken. Sie fragt Rebecca, wer sie ist. Diese ringt innerlich mit einer Antwort – und ich denke die ganze Zeit: Wann wird sie denn endlich abgetrocknet? Sie muss doch frieren! Das Handtuch kommt nie zum Einsatz. Ein echter Filmfehler, würde ich sagen...
Ein anderer Film, eine andere Szene: Ein kleines Heim für Demenzkranke im Norden Dänemarks. Pflegerinnen betreuen in Dagmarsminde zehn Menschen. Statt auf Beruhigungsstabletten setzen sie auf Zuwendung, auf Umarmungen, Massagen, Waldspaziergänge. Die Regisseurin Louise Detlefsen begleitete sie eineinhalb Jahre mit der Kamera. Ihr Dokumentarfilm Mitgefühl (Dänemark 2021) kam vor kurzem in die Kinos. Er zeigt, wie es vielleicht doch gehen kann: Alt und verwirrt sein, ohne die Würde zu verlieren. Pflegen, ohne zusammenbrechen. Die eine Szene, die ich meine, ist unspektakulär: Ein Ehepaar kommt neu in das Heim. Bei ihm beginnt eine Demenz, bei ihr ist diese schon fortgeschritten. Während seine Frau ins Bett gebracht wird, spricht eine Schwester den alten bärtigen Mann an: „Für Sie ist das ziemlich schwer, oder?“ Die beiden reden ein bisschen zwischen Flur und Bad. Eine zweite Pflegerin läuft vorbei, bleibt stehen und hört zu. Was ich denke: „Wieso läuft sie nicht weiter? Es ist ist doch schon jemand bei ihm.“
Finde den Fehler. Er liegt diesmal in mir – oder besser: in unserem Gesundheitssystem. Ich kenne es aus der Pflege nicht anders, als nur dann zu verweilen, wenn es absolut notwendig ist. Wenn jemand ruft, mich am Arm hält. Bloß keine Zeit vertrödeln! Großartig, dass es hier anders ist. Die Bewohner:innen in Dagmarsminde brauchen nur ein Minimum an Medikamenten, so heißt es im Film. Und das Heim sei nicht teurer als andere. Es ist aber auch in Dänemark die große Ausnahme.
Der Dokumentarfilm hat den Untertitel: „Pflege neu denken“. Für mich könnte er auch heißen: Pflege neu sehen – mit oder ohne Krankenschwesternblick.