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Das Wichtigste am Reisen ist das, was man verpasst. Was man gerade nicht gesehen hat, bleibt besonders fest in der Erinnerung – als ein offenes Versprechen, als eine Hoffnung auf einen zweiten Besuch.
So in diesem Sommer, auf der Fahrt in den Norden Portugals, diesen heißen, armen, einsamen, traumhaften Norden. Eher durch Zufall von der mittelgroßen Straße auf eine deutlich kleinere gewechselt, viele Kurven und Schwünge entlang und steil hinauf in ein verloren wirkendes Bergdorf. Und doch wohnen hier Menschen, sehr besondere noch dazu: die letzten Marranen.
Verborgene Juden im Norden Portugals
Ein halbes Jahrtausend ist es her, dass Juden aus Spanien hierher flohen. Die allerkatholischsten Könige hatten die Rückeroberung ihres Reiches abgeschlossen. Ängstlich und grausam um „Reinheit der Lehre und des Blutes“ besorgt, zwangen sie die Juden (und auch die Muslime) zur Taufe oder trieben sie außer Landes. Wer sich von ihnen taufen ließ, um bleiben zu dürfen, stand fortan unter verschärfter Beobachtung. Viele der Juden flohen in den Norden Europas, einige aber über die Grenze nach Portugal. Doch auch dort setzte bald die Verfolgung ein. Nur in diesem Bergdorf im Nordosten konnten die Bedrängten sich halten. (Obwohl: In Portugal spricht man nicht von Osten und Westen, dazu ist das Land zu schmal, sondern nur von Norden, Mitte und Süden). Als Selbstversorger in unwegsamem Gelände, auf armem Grund und Boden, steinig, hoch und abgelegen, mit langen Wintern und hölleheißen Sommern, dafür aber vergleichsweise unbeobachtet und frei.
Fünfhundert Jahre lebte hier so eine krypto-jüdische Gemeinde: nach außen hin katholisch getauft, für sich weiterhin in der Religion der Mütter und Väter. 1989, als in Deutschland die Mauer fiel, wurde sie als eigenständige Religionsgemeinschaft anerkannt. 1996 erhielt sie – dank der Unterstützung jüdischer Glaubensgeschwister aus dem Ausland – eine eigene Synagoge, dazu ein Museum, wurde Teil eines Netzwerks historisch-jüdischer Orte in Portugal.
Weil die Zeit zu kurz war: Ich komme wieder!
Es ist Mittagszeit. Wir gehen mit langsamen Schritten herum, eng an den Außenwänden der niedrigen Häuser, um ihren kostbaren Schatten auszunutzen. Es ist sehr heiß und ganz leer. Wir treffen auf einen jungen Mann mit Kippa auf dem Kopf, der uns den Weg zur Synagoge weist: ein kleines, unscheinbares, modernes Gebäude und doch ein großartiges Symbol. Eine alte Frau, ganz in Schwarz, geht an uns vorüber. Eine Marranin? Wir trauen uns nicht, sie zu fragen. Das Museum hält eine lange Siesta – zu lang für uns. Wir müssen weiter, sonst kommen wir zu spät zu unserer Unterkunft ganz oben im Norden.
Wie gern wäre ich geblieben, hätte das Museum besucht, alles angesehen und durchgelesen, viel mehr erfahren, die Synagoge von innen besichtigt, mit Menschen gesprochen. All das habe ich verpasst. Nicht einmal ein richtiges Foto habe ich gemacht. (Das Bild oben stammt aus einem nördlicheren Dorf.) Aber ich weiß: Irgendwann komme ich zurück und hole alles nach. Vielleicht lässt mich „chrismon“ eine Reportage darüber schreiben. Bis dahin habe ich ein Ziel, einen Fluchtpunkt für meine Tagträume oder etwas Schönes, woran ich denke, wenn ich nachts nicht schlafen kann.