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„Machen Sie doch einfach in die Windel, wenn Sie so leiden, weil sie auf Toilette müssen“, diesen freundlichen Rat bekam eine vornehme alte Dame von einer Altenpflegerin, nachdem sie über eine Stunde auf Hilfe gewartet hatte. Die Frau erzählte mir Wochen später davon, immer noch fassungslos.
In ihrer Klage war kein Vorwurf enthalten, sie wusste, wie viel Pfleger*innen rennen und leisten und tun. Trotzdem erlebte sie die Situation als unerträglich und demütigend.
Gut erinnere mich auch an die harschen Worte eines Patienten, der seine Pflegebedürftigkeit kaum ertragen konnte. Niemand könne doch alles alleine machen, wir brauchen doch einander, mal mehr, mal weniger, so ähnlich hatte ich als Klinikseelsorgerin zu trösten versucht. „Sie haben gut reden, warten Sie mal ab, wie sich das anfühlt, wenn Sie Hilfe brauchen und niemand hat Zeit “, antwortete er mir bitter.
Das lange Warten nach dem Klingeln
Auf Pflege angewiesen zu sein ist allein schon eine große Herausforderung. Gesund und selbstständig habe ich mir ehrlicherweise nicht vorstellen können, wie es ist, von einem jungen Mann professionell gewaschen zu werden. Es geht, ich hatte das Glück vieler guter Erfahrungen. Pflege auf Augenhöhe ist möglich und eine wunderbare menschliche Hilfe.
Aber es braucht nicht viel, um Hilfebedürftigkeit völlig anders zu erleben. Wenn ich eine Stunde lang heftigen Druck auf der Blase ertragen muss, dann hämmert mir jede Minute ein, dass ich eine Last bin, dass andere wegen mir an ihre Grenzen kommen. Das Gefühl, immer die eine zu viel zu sein, die jetzt schon wieder etwas will, ist zermürbend. Wer ständig wartet und vertröstet wird, fühlt sich klein und lästig.
Es ist einfach eine menschliche Katastrophe, wenn zu wenig Pflegende für zu viele Patient*innen da sein sollen. Dieser Pflegenotstand hat gleich zwei tiefdunkle Seiten.
Pflegende können nicht noch schneller rennen
Viele Pflegende können nicht mehr, wollen nicht mehr, sind ausgelaugt und erschöpft. Zugespitzt durch die Corona-Pandemie kommt die gesamte Berufsgruppe an ihre Grenzen und macht lautstark auf ihre Situation aufmerksam. Prämien für die Pflege sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein und freundliches Klatschen auf den Balkonen reicht da mit Sicherheit nicht.
Doch den verletzlichen Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, helfen solche kurzfristigen Maßnahmen erst recht nicht. Denn keine Prämie und kein Härtezuschlag können erreichen, dass die zu wenigen Pfleger*innen noch schneller rennen.
Es braucht schlicht und ergreifend mehr Menschen, die den Beruf erlernen und auch auf Dauer in der Pflege arbeiten wollen.
Ein Patentrezept, wie dieser Beruf wieder attraktiver werden kann, habe ich nicht. Und wenn ich gut begründete Forderungen der Pflege nach mehr demokratischen Entscheidungsprozessen im Klinikalltag, besseren Aufstiegsmöglichkeiten und weniger Dokumentation höre, denke ich an dicke Bretter, die da noch zu bohren sind.
Aber: Die beste Wertschätzung der Arbeit ist und bleibt eine angemessene Bezahlung.
Diese Forderung ist sofort umsetzbar, ohne lange Vorbereitung. Es eilt, denn in der jetzigen akuten Situation ist weder den Pfleger*innen, noch den Pflegebedürftigen zuzumuten, noch lange auf bessere Zeiten zu warten.
Und wer auf Pflege angewiesen ist, wartet doch jetzt schon jeden einzelnen Tag mehr als genug.