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Warum straft Gott mich so?
Ein Mann hat seine Tochter missbraucht, eine Frau kann sich den Diebstahl eines Stücks Brot nicht verzeihen. Wie leben mit der Schuld? Und was hat Krankheit damit zu tun?
privat
31.01.2023

Krankheit als Strafe Gottes, das war für mich lange ein Gedanke aus der Vergangenheit, überholt, lieblos und längst theologisch widerlegt – bis ich Klinikseelsorgerin wurde.

Nun hörte ich regelmäßig die Frage: „Warum ich, warum habe ich diese elende Krankheit?“ Und erstaunlich oft schloss sich die vorwurfsvolle Überlegung an: „Was habe ich denn nur Schlimmes getan, warum werde ich so gestraft?“

In meinen ersten Monaten im Krankenhaus habe ich dann sofort engagiert widersprochen und von meinem Gottesbild, meinem Glauben an einen mitleidenden, liebenden Gott erzählt. Bald spürte ich jedoch, dass meine leidenschaftlichen Worte nicht gehört wurden und ein offenes Gespräch eher erschwerten.

Und so wurde ich ruhiger und schweigsamer, wenn ich den Gedanken eines strafenden Gottes hörte. Und gab damit offensichtlich ganz unterschiedliche Schuldgeschichten Raum.

Ich habe an Hinrichtungen teilgenommen

Ein ehemaliger Soldat erzählte von seiner Teilnahme an Hinrichtungen. Die lebenslange Beruhigung, dass er auf Befehl gehandelt habe, reichte im Alter nicht mehr. Eine Frau konnte sich nicht verzeihen, einem anderen Hungernden ein Stück Brot geklaut zu haben.  

Ein junger Mann hatte als Kind getan, was Kinder trotz aller Warnungen eben tun, nämlich plötzlich den Stuhl weggezogen. Seine ehemalige Mitschülerin ist lebenslang auf den Rollstuhl angewiesen.

Ein Vater hatte seine Tochter missbraucht. „Nur ein einziges Mal, ich war so betrunken“, beteuerte er mehrfach, wusste aber selbst, dass dies nichts änderte. Schuld gibt es wirklich, es ist mehr als nur ein Gefühl. Mit solchen Schuldgeschichten durch das Leben gehen zu müssen, ist schwer. Sehe ich die eigene Krankheit als Strafe Gottes, scheint sie endlich einen Sinn zu haben. Selbst eine brüchige Erklärung ist offensichtlich leichter zu ertragen als die Sinnlosigkeit einer schweren Krankheit. Und endlich scheint es die ersehnte Möglichkeit zu geben, durch das Ertragen der Strafe etwas von der Schuld abzubauen.

So gesehen kann ich mittlerweile schon verstehen, warum die unselige Verbindung von Schuld und Krankheit nicht einfach weggeredet werden kann. Sie bleibt aber trotzdem grundfalsch.

Gibt es so etwas wie Vergebung

Wir brauchen andere Hilfemöglichkeiten gegen die oft unerträgliche Last von Schuld und wir haben diese auch. Schuldbekenntnis, Beichte und Schuldvergebung sind tief in unserer Tradition verankert. Als Kirche haben wir aber eben auch leider eine lange ungute Geschichte mit Schuld und Vergebung. Wir ahnen heute wohl nur das Ausmaß von Machtmissbrauch, wie sehr Schuld und Schuldgefühle ausgenutzt wurden. Wir wissen um eingeredete Schuldgefühle wegen fehlender Perfektion und Reinheit oder wegen angeblich „falscher“ Sexualität.

Es macht Menschen klein, wenn sie sich schuldig fühlen. Aus gutem Grund ist das traditionelle Schuldbekenntnis daher in vielen unserer Gottesdienste kaum noch wahrnehmbar.  

Aber ich bin mir heute nicht mehr sicher, ob das so richtig ist. Ich frage mich, ob wir damit nicht die Menschen alleine lassen, die unter ihrer Schuld leiden. Es ist doch klare reformatorische Erkenntnis, dass es keine Heiligen gibt. Schuld gehört zu unserem Leben, aber eben auch die Hoffnung auf Vergebung.

Wie gut, dass wenigstens die Bitte des Vater Unser unveränderlich zu unseren Gottesdiensten und unserem täglichen Leben gehört: „Vergib uns unsere Schuld“.

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Kolumne

Karin Lackus

Als Klinikseelsorgerin und Krebspatientin kannte Pfarrerin Karin Lackus den medizinischen Alltag unterschiedlichen Perspektiven und hat darüber gebloggt. Ende April 2023 ist Karin Lackus gestorben. Der Blog bleibt online, und in Absprache mit den Angehörigen haben wir im Blog noch einige Texte veröffentlicht, die Karin Lackus vor ihrem Tod verfasst hat.