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Ich habe ein Rendezvous mit meinem Haus. Nur wir beide. Zur blauen Stunde. Seit dem Tag, als das Wasser kam, war viel los in Haus und Garten. Nicht dass es zuvor eine Eremitage gewesen wäre. Freunde und Freunde der Kinder kamen, eine nette Schornsteinfegerin schaute jährlich nach dem Rechten, Handwerker werkten, wenn wir sie riefen, Familienfeiern und kleine Partys gab es auch. Aber das Haus zwischen dem Neuenahrer Bahnhof und der städtischen Badeanstalt war kein Taubenschlag. Das wurde anders, nachdem die Wasser sich einigermaßen verlaufen hatten.
Viele gaben sich ein Stelldichein: Freunde von Freunden der Kinder, mit einem Busshuttle herangekarrte freiwillige Helfer, THW-Experten, eine fröhliche Truppe der Freiwilligen Feuerwehr Kirn (mit köstlichem Kirner Bier) und Reinhold aus der Nähe von Augsburg, der in zwei Tagen mit seinem Oldtimer-Minibagger unseren Garten vom Giftschlamm beräumte. Manche inspizierten fachkundig, andere schufteten bis zum Umfallen. Zuletzt war ein Trupp bulgarischer Abbrucharbeiter da. Sie veranstalteten einen infernalischen Maschinenlärm und entsorgten alles, was das Wasser nicht geschafft hatte: Putz, Bodenbeläge, Estrich, Türzargen, Wandfliesen.
Impresario der Aktion war der Gutachter der Versicherung. Es waren freundliche Männer, die melancholisch wurden, wenn ich sie auf ihre weit entfernt lebenden Familien ansprach. Matrosen auf dem Meer des Elends. Sie hinterließen die Baustelle mehr als besenrein. Wie geleckt trifft es ganz gut. Jetzt ist mein Haus ganz still und verlassen. Es riecht nicht mehr nach Schlamm, Schimmel und Gift. Es riecht auch nicht mehr nach zuhause. Es riecht steril.
Mein Haus will mich nicht inspirieren. Es bleibt stumm
Ich hatte Erwartungen mit dieser Begegnung verknüpft: In meinem Kopf sollen sich die Ausgaben von Schöner Wohnen, die ich in den Wartezimmern meines Vertrauens las, mit der fabelhaften Interieurs-Reihe des Taschenverlags verwirbeln und mir Bilder meines zukünftigen Zuhauses projizieren – wie auf dem Holodeck vom Raumschiff Enterprise. Doch mein Haus will mich nicht inspirieren. Es bleibt still und stumm. Statt Wohnvisionen zu sehen, kommt mir die Gläserne Frau aus dem Hygienemuseum in Dresden in den Sinn. Unter ihrer Kunststoffhaut lässt sich sehen, wie der Körper funktioniert. Lämpchen leuchten auf Knopfdruck und zeigen, wie alles zusammenhängt.
Auch mein Haus zeigt, wo Strom, Wasser und Wärme herkommen, sich verteilen und verzweigen. Die Haut ist weg. Die Wohnideen der Vorbesitzer mit anderen Bedürfnissen kommen zum Vorschein. Das Haus zeigt, was es war und was es wurde mit der Zeit. Während ich umherwandere, betrachte ich die Haustechnik so staunend, wie die Männer der Amsterdamer Chirurgengilde die Performance des Dr. Tulp auf dem Bild des großen Rembrandt van Rijn. Auf dem Gemälde seziert der Arzt die Hand eines Hingerichteten. Er führt vor, welche Bewegungen sie ausführen konnte, als der Mensch noch lebte. Alles ist noch da, nur das Leben ist entwichen.
Ich kann die Kupferlitzen der Stromleitungen berühren und an Absperrhähnen drehen: Nichts passiert. Heizungsrohre enden, ohne wärmen zu können. Maueröffnungen ohne Türen ordnen nichts mehr. Vom Wunderwerk aus Dresden und der niederländischen Kunst wandert der Gedankenstrom unwillkürlich zu den Körperwelten des Gunther von Hagens. Dabei wollte ich Wohnwelten. Doch sie bleiben mir verschlossen. Mein stolzes Haus lässt sich nicht überrumpeln. Das Alte ist vergangen, neues noch nicht geworden. Alles hat seine Zeit. Es ist Zwischenzeit.