15.11.2010

Der Moment, in dem ich mich endgültig größenwahnsinnig fühlte, kam auf dem Schlosshof. Es war ein wunderbarer Frühlingstag, ich war mit dem Mann, der mir ein paar Wochen vorher einen Heiratsantrag gemacht hatte, unterwegs, um einen Ort zu finden, an dem wir unsere Hochzeit feiern wollten. Erste Zweifel an meinen Vorstellungen zur Festgestaltung hatten sich bereits gemeldet, als uns eine Dame durch einen prachtvollen Landgasthof geführt hatte. Nämlich als die Dame erwähnte, dass die Leihgebühr für die Stuhlhussen aus Damast pro Stück sieben Euro betrage. Bis dahin hatte ich nicht gewusst, dass ein Wort namens "Stuhlhusse" überhaupt existiere.

Und nun stand ich im Innenhof eines mittelalterlichen Schlosses mit Türmchen und Sälen mit Fresken an der Decke, und eine andere Dame erläuterte, dass das Brautpaar während des Empfangs "wie ein Königspaar" auf den verschnörkelten Balkon treten könne, um das Wort an die unten versammelten Gäste zu richten. Wir nickten verständnisvoll, ja klar, wie ein Königspaar, und schwiegen betreten. Wenig später saßen wir in einem sehr bodenständigen Biergarten und waren froh, Stuhlhussen und Schnörkelbalkon hinter Kettenbrücke und Schlossgraben zu wissen. Wir ahnten beide, dass wir übertrieben hatten.

Ich dachte an den Wahnsinn der letzten Wochen zurück, die ich vor allem mit Standesamt-, Brautkleidgeschäft-, Juwelier-, Copyshop-, Kirchen- und Druckereibesuchen gefüllt hatte. In meinem Kalender standen Sachen wie "Probe-Essen", "Probe-Druck", "Probe-Makeup" und "Probe-Frisur". Seit dem Antrag hatte mein Alltagsverhalten etwas Manisches bekommen, ich gerierte mich, als würde ich das Organisationskomitee zur Ausrichtung einer Fußballweltmeisterschaft leiten.

Zu meiner Verteidigung muss ich sagen: Ich bin da keine Ausnahme. In unserem Freundeskreis wird seit einigen Jahren fleißig geheiratet, die Feste gerateneigentlich immer zu pompösen, minuziös durchgeplanten Spektakeln. Immerhin sah unsere Planung weder Hochzeitskutsche noch Hochzeitstauben-Service und Zaubershow vor. Und es geht noch schlimmer: Neulich las ich ein Interview mit einem sogenannten "Wedding Planer", der erzählte, er würde zurzeit für verschiedene Brautpaare unter anderem an einem choreografierten Tanz von Mensch und Pferd und einem Wasserballett arbeiten.

Ich musste an ein Gespräch mit meinem Vater denken, das stattfand, nachdem ich vom formvollendeten Heiratsantrag am Gardasee berichtet hatte. Papa hatte hämisch gegrinst und gesagt: "Verlobt. Soso. Macht man wieder so, ja?" Dann hatte er von seiner Hochzeit erzählt: ohne Kirche, weil beide aus der Kirche ausgetreten waren. Also Standesamt, und abends eine Party auf dem Dachboden des alten Bauernhofs, auf dem meine Eltern damals lebten. Meine Mutter trug ein Tweedkostüm, das mittlerweile in meinem Kleiderschrank hängt, und nicht, wie ich es plante, ein weißes Sissi-Kleid, das außer mir wohl keiner mehr in seinen Schrank hängen würde.

Das Fest meiner Eltern passte damals bestimmt gut in die Zeit, Ende der sechziger Jahre. Es passte zu einer Generation, die begann, sich gegen die Elterngeneration aufzulehnen, mit deren Werten und Konventionen brechen wollte. Aber auch noch früher war definitiv weniger Pomp. Als ich im Internet auf der Suche nach einem Brautkleid-Schnittmuster im Stil der zwanziger Jahre gesucht hatte, war ich zufällig auf eine rührende Studie der Universität Münster gestoßen, in der Zeitzeugen von ihrer Hochzeit berichten.

Über seine Hochzeit im Jahr 1914 berichtet ein Bräutigam: "Einige Dutzend Jugendliche kamen mit Fiedeln und Flöten zur Trauungsfeier in ein Herbergsheim in der Nähe Berlins. Der Hochzeitszug führte durch blühende Wiesen in eine Waldlichtung. Unter mächtigen Eichen sprach, nach dem Wechsel der Ringe, ein vollbärtiger Dichter dem jungen Paar Zukunftsglauben, Tapferkeit und Treue zu. Das Hochzeitsmahl, recht bescheiden: steifer Graupenbrei und Mohrrüben; der Hochzeitstrank: Brunnenwasser mit Zitronensaft! Barfüßig wurde Ringelreihen auf der Festwiese, alte Tänze im Heim zu selbst gemachten Klängen gedreht."

Und ein Paar, das im Jahr 1974 geheiratet hatte, erzählte: "Essen und Trinken bestand aus Bier und Mettbrötchen; die Poltergäste bekamen zusätzlich einen Schnaps gereicht. Verwandte kümmerten sich um das Brötchenschmieren. Wir waren sehr aufgeregt, denn am anderen Tag war die kirchliche Hochzeit. Friseur, Kirche, Fotograf und die vielen Gäste. Hoffentlich klappt alles! Das Essen für den morgigen Tag hatten wir schon vor Wochen bestellt. Zum Nachmittag: Kuchen, Torte, Gebäck, Kaffee und Tee; dann ein kleiner Spaziergang. Zum Abend: Rindfleischsuppe, Leipziger Allerlei, Schweine- und Rinderbraten, eine Eisbombe, danach wurde getanzt und getrunken. Um Mitternacht wurde der Brautstrauß geworfen und wir verließen den Saal."

Als ich das las, kam mir der Schnörkelbalkon lächerlicher vor denn je. Ich fragte mich, warum Hochzeiten heute so perfekt durchgestylt sein müssen. Es heißt, meine Generation sei hedonistischer als ihre Eltern. Mag sein: Wir sind freier und unabhängiger, als es frühere Generationen waren. Heute muss keiner mehr heiraten, weil die Konvention es verlangt oder um sich abzusichern. Zu heiraten ist heute eher eine romantische Entscheidung. Weil heiraten für uns so eine unerhört große Sache und keine Pflichtveranstaltung ist, wollen wir das unerhört groß feiern. Und schießen dabei übers Ziel hinaus. Vielleicht gibt es auch eine sozialwissenschaftliche Erklärung für den Hang zur Opulenz: Angesichts ökonomischer Verunsicherung, befristeter Arbeitsverträge und einer unberechenbaren Zukunft sehnen wir uns nach Momenten der Bürgerlichkeit, nach heiler Welt und Tradition. Und die Hochzeit ist ein passender Anlass, um diese Sehnsüchte auszuleben.

Der Organisations- und Perfektionswahn jedenfalls hat dazu geführt, dass es für Gäste heute kaum mehr möglich ist, sich auf Hochzeitsfesten einfach nur mit gutem Wein zu betrinken. Dafür sorgen allein schon die Trauzeugen, die ein halbes Jahr vor dem Fest beginnen, die Gäste in Massenmails zur Teilhabe an Sketchen, Liedvorführungen und Wasserballett zu nötigen.

Ich selbst merkte sogar beim Traugespräch mit dem Pfarrer, dass ich in meinem Organisationswahn eine richtige Strebernatur entwickelt hatte. Ich marschierte mit einer von Leuchtstiftmarkierungen und Haftnotizen verseuchten Bibel auf und musste vom Pfarrer ein bisschen gebremst werden in meinem Monolog über die Gottesdienstgestaltung. Später konnte ich gerade noch davon absehen, meinem Verlobten sein Traugelübde in Schriftgrad 18 mit unterstrichenen Betonungen zum Auswendiglernen auszuhändigen.

In der Kirche heiraten wollen übrigens interessanterweise heute auch jene, die zuletzt eine Kirche von innen gesehen haben, als sie beim Krippenspiel eine Nebenrolle innehatten. Mein Mann sagte damals, als wir über das Für und Wider einer kirchlichen Trauung diskutierten, halbernst: "Gott hat Bock auf jeden! " - ein Satz, der so klingt, als wäre er der Titel eines Songs aus dem Kirchentagsliederheft. Ich fand das eine schöne Legitimation für eine kirchliche Feier.

Wir feierten am Ende übrigens in einem ganz bodenständigen, schönen Gasthof, ohne Stuhlhussen. Und natürlich war trotz meines Perfektionswahns nicht alles perfekt. Denn auf jeder Hochzeit gibt es mindestens eine zu laute Tante, einen schlüpfrigen Patenonkel mit hohem Fremdschämpotenzial oder einen Trauzeugen, der mit kompromittierenden Dias übers Ziel hinausschießt. Genau diese Auftritte machen Hochzeiten so besonders und liebenswert.

Eine Hochzeitsfeier ist eine soziale Spielwiese, ein Fest, bei dem nicht nur alle Generationen zusammenkommen, sondern Menschen mit unterschiedlichsten sozialen Hintergründen eine explosive Mischung bilden. So war es auch bei uns. Vor schrägen Momenten und dem ein oder anderen Kulturschock sind die generalstabsmäßig geplanten Hochzeiten von heute deshalb genauso wenig sicher wie die Feste von früher. Zum Glück.

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