Fotoalbum
Geliebte Schnappschüsse
Sie sind fabelhaft, sie sind fehlerhaft. Omas Fotos erzählen von der Sehnsucht, alles gut und richtig zu machen, von der Kraft des Zufalls – oder einfach von Onkel Erwins überbelichtetem Geburtstag
Jürgen Ernst
02.09.2024

Große Fragen der Menschheit: Wie konnten unsere Vorfahren exis­tieren, bevor die Handy-Flatrate, glutenfreies Mehl und Amazon erfunden wurden? Und ist menschliches Leben möglich ohne Photoshop?! Kinder, ja, früher, als sowieso alles besser war, da war das möglich. Behauptet Oma. Sie hat den Film eingelegt und geknipst. 24 oder 36 Bilder, dann kam der volle Film ins Labor. Die haben ihn ent­wickelt und kostspielige Abzüge hergestellt, das ­dauerte eine gute Woche, in der Oma bangen musste: Sind die Fotos "was geworden"?

Jürgen Ernst

Majken Folden Rehder

Majken Folden Rehder bewegt sich in ihren Arbeiten auf der Schwelle zwischen Forschung, Dokumentation und Kunst. Sie besitzt eine Sammlung privater Alben, die sie auf Flohmärkten und in Trödelläden fand. Derzeit arbeitet Rehder an ihrer Ausstellung mit dem Arbeitstitel "Surrealistic Snapshots", bei der Foto-Fundstücke in stark vergrößerter Form künstlerisch aufgearbeitet werden.

Natürlich sind sie meistens was ­geworden – wenn auch nicht perfekt. Da sieht man noch Omas Finger auf dem Abzug, Cousine Heidi hat den Sonnenschirmständer mitten im Gesicht, Hedwig guckt erschrocken, und Tante Kathrin krümelt noch mit der Käse­torte. Trotzdem hat Oma das völlig überbelichtete Bild in die Fotoecken gefriemelt und ins Album geklebt.

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Ist doch schön, so eine Erinnerung an Erwins 50. Geburtstag, als es so überraschend warm war und alle auf der Terrasse saßen. Schade, dass der Kopf des ­Geburtstagskindes abgeschnitten ist, aber egal. Guckt doch mal, wie jung sie damals waren! Wie herrlich unscharf der akkurat gemähte Rasen, wie sich die Tante zurecht­gemacht hat für den großen Tag, Erwins ­schicker Anzug, die Kleine in Lackschuhen, die Tüllgardinen frisch gewaschen.

Da staunen Omas Enkel heute. Denn sie würden solche Fotos selbstverständlich direkt ­ löschen und die etwas besseren sorgfältig bearbeiten, begradigen, beschönigen, bevor sie sie bei Instagram einstellen. Sie lächeln und lästern ein wenig über die heile Welt, die sich in Omas Foto­album so unvollkommen präsentiert – wie sie in Wirklichkeit doch auch war. Und wie sie, trotz Photoshop, in Wirklichkeit immer noch ist.