Lisa Poettinger
Sandra Singh
Klimaaktivismus
Sie ist bereit, einen hohen Preis zu zahlen
Lisa Poettinger wurde wegen ihres politischen Engagements nicht zu ihrem Referendariat zugelassen. Wie es dazu kam und wie Klimaschutz für sie ausgestaltet sein müsste, sagt sie im Interview
Privat
15.09.2025
5Min

chrismon: Frau Poettinger, wie haben Sie erfahren, dass Sie Ihr Referendariat in Bayern nicht antreten dürfen?

Lisa Poettinger: Mir wurde brieflich mitgeteilt, dass mir die Zulassung zum Referendariat verweigert wird. Ich weiß noch genau, wie mein Mitbewohner und ich auf der Couch saßen und den Brief lasen. Ich habe mich danach einfach taub gefühlt. Rückblickend musste ich an den Bogen denken, auf dem man bei der Anmeldung für das Referendariat unter anderem angeben muss, in welchen Gruppen man aktiv ist und ob es aktive Strafverfahren gibt. Ich hatte damals wahrheitsgemäß angegeben, dass ich Mitglied beim Antikapitalistischen Klimatreffen bin und dass es zwei zu dem Zeitpunkt gegen mich laufende Strafverfahren gab.

Privat

Lisa Poettinger

Lisa Poettinger, 1996 geboren, erlangte überregionale Bekanntheit als Mitorganisatorin der "Demo gegen rechts" 2024 in München. Sie hat an der Ludwig-Maximilians-Universität München Englisch, Schulpsychologie, Ethik, Deutsch als Zweitsprache sowie Bildung für nachhaltige Entwicklung auf Lehramt für Gymnasien studiert. Von 2019 bis 2021 war Poettinger Mitglied bei "Extinction Rebellion", zuletzt auch als Sprecherin. Heute engagiert sie sich beim "Offenen Antikapitalistischen Klimatreffen München" und war 2022 und 2023 bei den Protesten und der Räumung des Braunkohletagebauortes Lützerath vor Ort aktiv.

Um was ging es bei diesen Strafverfahren?

In einem der beiden Verfahren bin ich zu 20 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden. Das ist jetzt ungefähr zwei Jahre her, und es ging damals um drei AfD-Plakate, die ich abgerissen hatte. Die Plakate richteten sich explizit gegen Trans-Menschen – sie wurden darauf mit Kinderschändern gleichgesetzt. Das zweite Verfahren – da geht es um die Demo in Lützerath –läuft aktuell noch; dazu darf ich in Absprache mit meinen Anwältinnen nicht viel sagen.

Ihnen wird unter anderem auch vorgeworfen, dort Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet zu haben. Lehrer werden in Bayern verbeamtet, von ihnen wird eine besondere Loyalität zum Staat erwartet. Können Sie nachvollziehen, dass Ihr Verhalten den Staat misstrauisch macht?

Bisher ist der Vorwurf noch nicht vor Gericht geklärt worden, das heißt, es gilt die Unschuldsvermutung. Derartige Anzeigen werden auch nicht selten erstattet, um Anzeigen wegen Polizeigewalt zu verhindern. Leider darf ich nichts Näheres zu dem Vorgehen selbst sagen. Das angedrohte Strafmaß ist allerdings so niedrig, dass es für die Lehrtätigkeit kein Hindernis sein dürfte.

Wie ging es nach der verweigerten Zulassung weiter?

Ich bin für etwa zwei Wochen lang in ein ziemlich tiefes Loch gefallen, weil mir klar wurde, dass mein ganzer Lebensentwurf jetzt wahrscheinlich weg ist. Das war hart, weil ich das wirklich für einen superwichtigen Beruf halte. Einen Beruf, der sehr herausfordernd ist, der aber auch total erfüllend sein kann, wenn man ihn gut macht. Ich war und bin auch immer noch bereit, diese Verantwortung zu übernehmen.

Sie haben sich entschieden, gerichtlich gegen die verweigerte Zulassung vorzugehen?

Ja, meine Anwältin und ich haben nun nach fünf Monaten Warten Akteneinsicht gewährt bekommen. Ich weiß sonst aber noch nichts Näheres. Wir gehen aktuell davon aus, dass das Verfahren frühestens 2026 beginnen wird.

Lisa Poettinger (links), Mitorganisatorin von "Demo gegen rechts" auf einer Aktion

Welche Reaktionen haben Sie erfahren, nachdem Sie mit Ihrem Fall an die Öffentlichkeit gegangen sind?

Ich habe unglaublich viel Zuspruch, Solidarität und Unterstützung erfahren. Auch die Resonanz der Presse war total positiv. Plötzlich hatte ich 10.000 verpasste Anrufe – und das neben dem Lernen fürs Staatsexamen und dem Schreiben von Stellungnahmen. Zum Glück hatte ich schon davor einiges an Medienerfahrung hinter mir. Die Medienaufmerksamkeit ist für mich inzwischen durchaus ein Sprachrohr, das ich bewusst nutze.

Wann ist Ihnen die Klimakrise überhaupt zum ersten Mal begegnet?

Ich bin mit 14 Vegetarierin geworden, später Veganerin. Was mir einen richtigen Ruck gegeben hat, war das Buch "Handeln statt Hoffen" von Carola Rackete. Sie sagt: Anstatt zu hoffen, dass irgendwer schon was machen wird, müssen wir selbst handeln. Ich bin in einem eher konservativen Umfeld aufgewachsen und habe mich dort früh in der Geflüchteten-Arbeit engagiert. Die Klimakrise ist ja eine der größten Fluchtursachen überhaupt. Irgendwann wollte ich nicht mehr nur an den Symptomen herumdoktern, sondern größer denken und gesamtpolitisch etwas verändern.

Ist Ihnen bewusst gewesen, dass Ihr Engagement zum Konflikt mit dem Lehramtsstudium führen könnte?

Als mir 2021 im Rahmen einer Gefährderansprache wegen des Mitführens von Stickern und einem Transparent – im Detail kann ich mich nicht mehr erinnern, eine bunte Mischung aus Fridays for Future, Antirassismus, Mietengerechtigkeit . . . – mitgeteilt wurde, mein Verhalten könnte schwerwiegende berufliche Folgen haben, ist mir das durchaus klar geworden. Ich habe mich sehr bewusst dafür entschieden, dass mir die Lebensgrundlagen von allen Lebewesen auf diesem Planeten wichtiger sind als eine Karriere. Gleichzeitig finde ich es höchst fragwürdig, dass der Einsatz für Klimagerechtigkeit und Menschenwürde zu solchen Konsequenzen führen kann. Das wird dann mit meiner vermeintlichen Demokratiefeindlichkeit begründet, denn ich bin gegen den Kapitalismus. Aber Kapitalismus ist nicht Demokratie, und weder das Grundgesetz noch die bayerische Verfassung schreiben den Kapitalismus als Wirtschaftssystem vor. Deswegen wehre ich mich ja auch gegen das Berufsverbot – es geht für mich hierbei um nicht weniger als die Meinungsfreiheit.

"Gerechtigkeit ist für mich bei allen politischen Fragen das zentrale Thema"

Lisa Poettinger

Sie haben inzwischen ein Buch geschrieben: "Klimakollaps und soziale Kämpfe". Sie schreiben darin, dass echter Klimaschutz nur funktionieren kann, wenn er sozial gerecht ausgestaltet ist. Warum treibt Sie insbesondere das Thema Gerechtigkeit im Kontext der Klimakrise so sehr an?

Gerechtigkeit ist für mich bei allen politischen Fragen das zentrale Thema. Wenn man die Klimakrise nur als etwas rein Physikalisches versteht, wird man Menschen und ihren Lebensrealitäten nicht gerecht. Es ist eben nicht so, dass wir alle im selben Boot sitzen – manche sind schon längst im Wasser, während andere auf einer Yacht stehen. Und wenn man das einmal verstanden hat, dann kann es in diesem Kontext keine Gleichbehandlung aller geben, sondern es geht eher darum, Gerechtigkeit wiederherzustellen. Letztlich sind es ungerechte gesellschaftliche und ökonomische Strukturen, die dazu geführt haben, dass manche Menschen viel mehr emittieren oder Entscheidungen treffen, die zu enormen Emissionen führen. Diese Ungleichheit muss aktiv angegangen werden.

In Ihrem Buch fällt häufiger der Begriff "Umweltrassismus". Was verstehen Sie darunter?

Umweltrassismus heißt für mich: Die gesellschaftlichen Machtverhältnisse sorgen dafür, dass Umweltzerstörung, Klimafolgen und Gesundheitsbelastungen nicht alle gleichermaßen treffen – sondern vor allem diejenigen, die ohnehin strukturell benachteiligt sind. Dass von Rassismus betroffene Menschen – also zum Beispiel People of Color, Schwarze Menschen, Sinti und Roma oder andere, die aufgrund ihrer vermeintlichen ethnischen Zugehörigkeit marginalisiert werden – überdurchschnittlich stark unter Umweltschäden leiden. Das kann man in vielen Ländern beobachten, auch in Deutschland. Manche würden vielleicht sagen, dass das eher durch Armut begründet ist. Und Armut spielt auf jeden Fall eine Rolle, aber Umweltrassismus geht darüber hinaus. Auch Menschen mit Behinderung sind stärker von der Klimakrise betroffen als andere, sie werden in der Klimapolitik wie auch in Konzepten zum Katastrophenschutz oft komplett übersehen.

Können wir die schlimmsten Folgen der Klimakrise noch abwenden?

Ich bin sehr entschlossen, aber Hoffnung habe ich keine. Das 1,5-Grad-Ziel haben wir schon gerissen, und auch heute sterben schon viele Menschen wegen der Klimakrise. Aber wir können uns entscheiden, wie viel schlimmer es noch wird und wie solidarisch wir mit der Krise umgehen. Lassen wir die marginalisierten und unterdrückten Menschen einfach alle sterben, oder haben sie auch ein Recht auf Leben?

Was treibt Sie persönlich in diesem Kontext an?

Ich habe selbst als Kind ziemlich viel Ungerechtigkeit erfahren, konnte mich aber aus dieser Situation befreien. Dadurch ist bei mir eine Grundüberzeugung entstanden, dass ich Sachen verändern kann, wenn ich für mich einstehe. Und ich will nicht am Ende meines Lebens zurückschauen und sagen: Ich habe mir ein chilliges Leben gemacht, und um mich herum stand alles in Flammen.

Infobox

Hintergrund

Die Klimaschutz-Aktivistin Lisa Poettinger erhielt im November 2024 vom bayerischen Kultusministerium die Mitteilung, dass man beabsichtige, sie nicht zu ihrem Referendariat am Ende ihres Lehramtsstudiums zuzulassen. Im Februar 2025 erhielt sie, nachdem sie dazu Stellung genommen hatte, die finale Absage. Begründet wurde die Ablehnung mit ihrer Mitgliedschaft in den Gruppen "Smash IAA" und "Offenes Antikapitalistisches Klimatreffen München", die der bayerische Verfassungsschutz als linksextremistisch einstuft und beobachtet. Zusätzlich verwies das Ministerium auf mehrere noch laufende Strafverfahren gegen Poettinger, darunter wegen Sachbeschädigung von AfD-Wahlplakaten und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte bei den Demos in Lützerath. Im ersten Verfahren ist Poettinger inzwischen rechtskräftig verurteilt.

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