Um Viertel nach vier am Montagmorgen schlug eine iranische Rakete ganz in der Nähe des Hauses meines Bruders in Tel Aviv ein. Die Druckwelle hat die Fenster im vierten Stock aus den Angeln gerissen. Er und seine Familie harrten im Luftschutzkeller aus, zum Glück blieben alle unverletzt.
Igal Avidan
Erst vor wenigen Tagen startete Israel unter dem biblischen Namen "aufstrebender Löwe" seine Militäroperation und griff das Atomprogramm im Iran an. Das Ziel ist allerdings unklar: Will man das bedrohliche Atomprogramm des Landes beenden, nur verzögern und unter strengere Kontrolle setzen? Oder gar einen Regimewechsel herbeiführen? Es bleibt dabei fragwürdig, ob der sogenannte Präventivschlag dazu führt, dass sich Israelis wie mein Bruder langfristig sicher fühlen. Wer allerdings politisch gewinnt, ist erst mal Israels Premierminister Benjamin Netanjahu.
Die Rakete, die das Haus meines Bruders nur knapp verfehlte, ist Teil des iranischen Vergeltungsschlags. Die Islamische Republik ist durch ihre Militärmacht viel gefährlicher als eine Terrororganisation wie Hamas oder Hisbollah, von Teheran gefördert, die Israel bereits mit Raketen angegriffen haben.
Die Gegenoffensive des Irans, genannt "Drittes Wahrheitsversprechen", zielt dabei bewusst auf Zivilisten. Das israelische Abwehrsystem ist nicht perfekt. Mittlerweile gibt es immer mehr Tote auf beiden Seiten.
Am 7. Oktober 2023 stand Israel infolge des Massakers der Hamas vor der größten Katastrophe seit der Staatsgründung 1948. Ab dem Folgetag beschoss die vom Iran geförderte Hisbollah-Miliz Nordisrael mit Raketen, tötete 130 Menschen und vertrieb 70.000 Bewohner aus der Grenzregion. Israels Militär und Geheimdienst wurden überrascht, Netanjahu wirkte überfordert.
Seit 20 Monaten gelingt es Israels Armee nicht, die Hamas zu besiegen, obwohl sie Abertausende Zivilisten in Gaza tötet. Im Land selbst fordern seitdem Abertausende Demonstranten, von den Familien der Geiseln der Hamas angeführt, Netanjahus Rücktritt und ein Ende des Krieges gegen die Hamas.
Der israelische Premierminister geriet dadurch immer mehr unter Druck. Letzte Woche bereiteten orthodoxe Politiker den Sturz seiner Regierung vor und in allen Umfragen stand der 75-Jährige vor dem politischen Aus.
In den vergangenen Monaten gelang es trotzdem, erst die Hamas in Gaza und dann die noch gefährlichere Hisbollah im Libanon entscheidend zu schwächen. Das iranfreundliche Regime in Syrien stürzte, und die "Achse des Widerstands" zur Zerstörung Israels war lahmgelegt.
Dass der isolierte Iran sein Atomprogramm daraufhin beschleunigen würde und in kurzer Zeit genug Material für eine erste Atombombe produzieren könnte, war Israel klar. Daher schlugen die Armee und der Geheimdienst im letzten Moment zu – mit der Zustimmung und Rückendeckung der USA. Und Netanjahu kann erst mal aufatmen, auch von der Opposition und den Medien bekommt er Rückendeckung.
Aber kann Israel Irans Atomprogramm militärisch bekämpfen? Wahrscheinlich kann Israel dem atomaren Aufbau Schaden zufügen, aber ihn wohl nicht ganz stoppen. Ein schneller Waffenstillstand könnte ein neues Atomabkommen mit einer strengeren Kontrolle ermöglichen – das scheint auch Donald Trump anzustreben, vermutlich Israels einzige Chance auf ein Kriegsende.
Die Alternative zu einer politischen Lösung ist ein langer Zermürbungskrieg, den die Israelis vermutlich schlechter überstehen würden als die an Krieg gewöhnten Iraner. Und die im eigenen Land weitgehend verhasste iranische Führung wird die Macht nicht so schnell abgeben. Netanjahu übrigens auch nicht. Laut einer ersten Umfrage konnte er merklich an Zustimmung zulegen.
Wenn Bomben auf sie fallen, neigen Menschen überall auf der Welt dazu, sich hinter ihre Führung zu scharen – in Jerusalem genauso wie in Teheran.